Freitag, 21. August 2009


Merz/Bow #20

Es ist Wahlkampf, aber nicht für den Berliner Senat. So mag man sich die von wahrem sozialen Furor getragene Strategie von Aussitzen, Vertrösten und Kürzen erklären, mit der der rot-rote Senat in Berlin das Betreuungskonzept für behinderte Kinder aus den Kassenbüchern drängen will. Der Verein Elternzentrum Berlin, der sich - als gebe es sonst nichts zu tun - unermüdlich mit den "Volksvertretern" über das Recht auf Bildung und Förderung auch behinderter Kinder auseinandersetzt, hat einige Protestaktionen unternommen und ist dringend auf Spenden angewiesen. Moni, selbst Mutter eines autistischen Sohnes, schreibt über die Hintergründe.

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Das war übrigens eine Aufforderung. Und wenn ihr es nur macht, um Berlin zu beschämen.

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Ich bin nicht weg, nur auf dem Weg. Gerade überlege ich, ob ich nicht mit einem schicken, handgefertigten Rad der britischen Firma Pashley selbständig machen sollte. Die haben nämlich auch eins im Programm, mit dem man Kurze für Junggesellenabschiede durstenden Pilgern Eis verkaufen kann. Für dieses Jahr vielleicht ein wenig spät.

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Reifere Bildungsferne bewerben sich für Reality-Shows. Dem zuschauenden Rest der Gesellschaft dient dies zur Unterhaltung, zugleich aber auch als Drohung: Wenn ihr euch nicht zusammennehmt, dann sitzt ihr morgen schon selber im Container.

(Robert Pfaller. "Lust und Prüderie: Vom Sex in der Medienmoderne". Süddeutsche Zeitung, 8.8.2009.)

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Für den nächsten Badeurlaub hätte ich gerne einen von diesen hübschen Anzügen. Huhu, ich bin ein gestrandeter Wal eine rostende Kidboje.

MerzBow | von kid37 um 12:20h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 20. August 2009


Fremde Städte, Potemkin-Version



Hamburg, so prahlen einschlägige Reiseführer, habe mehr Eisdielen als Venedig. Vielleicht sind es auch Brücken, mein Gedächtnis ist mittlerweile selbst ein morastiger Canal Grande, über den nur selten ein Steg nach Rialto führt. Gestern jedenfalls bummelte ich so durch die Lagunenstadt, einem Zwerg in einem roten Kapuzenmantel folgend, der mein Interesse geweckt hatte. Venedig, so heißt es im Country-Schlager, fängt ja gleich an der Außenalster an, so daß ich es nicht so furchtbar weit habe, will ich einmal den Tag gemütlich ausgondeln lassen. Derzeit nämlich sitze ich gerne am Wasser und lese Reiseführer, eine Lektüre, die wiederum dazu führt, mich kaum noch auf Reisen begeben zu wollen, in der irrigen Meinung, alles nun bereits zu wissen. Sicher kann man auch in Büchern reisen, aber den Geruch fremder Städte ersetzt das nicht.

Heute soll der heißeste Tag des Jahres werden. 37 Grad, was überraschenderweise nicht so ganz mein Wetter ist, außer es geht durch Staub zum Früchteschlagen. In Venedig, käme ich einmal dorthin, würde ich dann gern zu einem Aldi rudern. Ist sicher auch interessant, zumal, nähme ich eine blinde sehende ältere britische Dame mit an Bord. Und alle tippten sich wieder an die Stirne. Eine Bewegung aber, die man heute, angesichts der Hitze, besser auch vermeiden sollte.


 


Mittwoch, 19. August 2009


Vormittag allein im Farn

Wer sich nicht vorstellen kann, welche Freiheit Woodstock
wenigstens vorübergehend brachte, soll mal versuchen, seine noch
nicht schulpflichtigen Kinder nackt an einem amerikanischem
Hotelpool herumlaufen zu lassen.

(Willi Winkler über 40 Jahre Woodstock.
Süddeutsche Zeitung, 14.8.2009)


Um auch einmal vom Napf der Freiheit zu kosten, die vor 40 Jahren im Schlammbad Woodstock errungen wurde, tolle ich jetzt in der Mittagspause immer nackt auf der Wiese vor der Fabrik herum, rolle mich durchs Gras, stehle mir pralles Obst und schaue in den Himmel. Dort zieht gerade in düsteren Wolkenbahnen das Schicksal von Robin Wright-Penn vorbei, die erneut, so mußte ich lesen, die Scheidung eingereicht haben soll. Leser dieses Blogs haben das natürlich ahnen können, denn ihre Aussage damals hat nicht von ungefähr so wahrhaftig gewirkt. Da, wie ich heute ebenfalls lesen mußte, optimistische Menschen länger und gesünder leben, bleibt mir nichts weiter als die strahlend blauen Stellen im Himmel zu suchen, Ms. Wright einen Apfel über den Zaun zu reichen und ihr anzubieten, mit mir außerhalb der USA nackt über den Rasen zu tollen.

Gegen Kummer des Herzens, das möchte ich aus eigener Erfahrung beisteuern, hilft ganz wunderbar die wunderbar harmlose Liebeskummerkomödie "Nie wieder Sex mit der Ex", in der Jammerlappen Jason Segel von seiner hohlen Schauspielerfreundin verlassen wird, zum Schreien komisch herumheult und dann im Urlaub auf die Ex und ihren Neuen trifft, einem noch hohleren Schönling, der mit seiner Eitelkeit bald alle zu Tode nervt. Weil diese Geschichten im Leben immer dieselben sind, findet auch dieses harmlose ditty von einem Fim zu vielen homöopathisch klugen und scharfzüngigen Beobachtungen - und nach 90 Minuten fühlt man sich von eigenen trivialen Miseren sehr befreit. Der deutsche Titel ist natürlich bescheuert, aber Ms. Wright kann ihn ja im Original sehen. Es wird besser sein als manch andere Endlosschleife.

Aber so urteilt man natürlich nur aus der Ferne.

| von kid37 um 13:11h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 18. August 2009


Wolkenheime



Liebe Haschrebellen, Gelegenheitszechpreller und auch ihr, die ihr euch von glukosegestrecktem Ice tea Eistee ernährt. Die Wolkennixe im Bikini, die gestern mittag über mir hinwegschwamm, war mir ein deutlich klingelndes aeromantisches Zeichen, ein wetterleuchtendes Signal, Gedanken über einen kleinen Urlaub einzuleiten. Also demnächst, irgendwann. Mal so raus, Wasser, Wolken und Bikinis ein kleiner Stapel Bücher, man muß das alles ja auch mal abarbeiten. Überhaupt: Die Arbeit im Urlaub ist ja von einer ganz besonderen Süße, da kann so ein Eisteegesöff gar nicht gegen ankleben. Aber das nur nebenbei. So wie ich arbeite, möchten manche gerne Urlaub machen, höre ich hin und wieder von Menschen, denen die Belastung durch Lärm, Hitze und Staub der Maschinen, der Brennöfen und hydraulischen Stanzen, unter denen ich sozusagen meinen nach ergonomisch ausgewogenen Gesichtspunkten sandgestrahlten Melkschemel aufgebaut habe, die laktosefreie süße Frucht meiner Ausdenkarbeit zu zapfen, ohne Begriff und Inhalt ist.

Kräftig gebaut wie ich - für blinde Menschen unsichtbar - bin, drängt mich stählerne Muskelmasse zu einem Sturz in wogende Fluten, zum Wälzen in sonnenerhitztem Sand (man muß sich putzige Bilder vergnügt wühlender Warzenschweine vor Augen führen) und abendlichem Abhängen mit einer von Wedekinds dramatisch gezeichneten Figuren (ruhig mit Alkohol!). Danach: Nächtliches Summen bis zur allgemeinen Bewußtseinsumwölkung.

Originell, das räume ich ein, ist das nicht. Aber an so einem Strand sind die fremden Fußstapfen, in denen man latscht, ja jeden Morgen wieder weg. Und alles scheint wie neu.


 


Montag, 17. August 2009


Sonntage

Man hielt diese Männer für "harmlos" und erlaubte ihnen, dorthin
zu gehen, wo anderen der Zutritt verwehrt blieb.
Mit einem aller Hindernisse spottenden Enthusiasmus
erklommen sie die Anden, zogen durch Wüsten, kämpften sich
durch das Gewirr der Dschungeln. Sie zerstreuten sagenhafte
Vorstellungen und brachten dafür Tatsachen ans Licht.

(Victor W. v. Hagen. Südamerika ruft:
Entdeckungsreisen großer Naturforscher
. 1959.)

I never doubted it.
What's for you will not pass you by.

(Moloko, "This Familiar Feeling".)



Langsam schraube ich den Radius etwas größer. Den Arbeitsstaub der Woche gilt es aus den Lungen zu pressen, schnurgerade Linien zwischen spazierenden Hundebesitzern und kurvenden In-Line-Skatern zu ziehen. Aus den enger geschnürten Wochenenden noch etwas Zeit für ein kleines Picknick zu schneiden, erschöpft-hungrige Rast zu machen und die Wespen zu zählen wie Blütenblätter.

Das schmerzhafte Licht der Nacht mit all ihrer Wehmut ablösen durch das schmerzhafte Licht gleißender Sonne und spiegelnder Blitze schnellbewegten Chroms. Ich möchte die Stadt gerade nicht sehen, ich möchte das Surren der Reifen hören, das Zirpen der Heuschrecken an den Wegrändern, wie das Summen von elektrischem Strom, wie das scharfe Sirren im Kopf nach einer durchtanzten Nacht.

Neue Wege entdecken, Entdeckungen machen, nichts Spektakuläres, schmalere Pfade, überraschende Übergänge. Ich schiebe das Rad durch die Brombeerhecke, über Bahngleise, eine Unterführung hindurch und lese neue Ortsschilder. Der Sinn ist, daß nichts passiert. Daß man leer wird, nur Wind spürt und Hunger. Daß man leer wird, und leise, und den Hunger stillt.


 


Sonntag, 16. August 2009


I got one more thing I'd like to talk to y'all about right now

Been down so long,
Getting up didn't cross my mind.

(Bobby Womack, "Across 11oth Street")


Im Grunde weiß kaum jemand besser als ich, wie sich der Wandel der Zeit anfühlt, das Verändern, sich Häuten und Vergessen werden. Meine Güte, wieviele Karrieren habe ich schon gehabt, da zähle ich den Gewinn der C-Jugendstadtmeisterschaft im Fußball gar nicht dazu - schließlich bin zur Hälfte der Saison ausgestiegen, und so gebürt mir nur ein halber Pokal. Das sind Dinge, die sind vergänglich, flüchtiger Glanz äußerer Schönheit, die du so oft besingst. Wer wüßte das besser als Menschen wie Shah Rukh Khan. Oder auch Bob Dylan. So ist das im Alter, da kommen Leute und kennen einen nicht mehr.

Seit ich nicht mehr auf der Straße erkannt werde (anders als zum Beispiel mein alter Kollege Ricky Shane), erlebe ich natürlich auch eine ganz neue Freiheit. Aus dem Vergessen heraus kann ich mir neue Leben erfinden. So kann ich jetzt Musik hören, die mir früher keiner geglaubt hätte. Marvin Gaye stellt die Frage, What's Going on? Vielleicht dringt von gegenüber auch Bobby Womack herüber: I'm not saying what I did was alright. Abendmusik, ein Schuß Schmerz statt einer Droge, Musik für warme Nächte, wenn man sich hinausstehlen kann aus dem affektierten Gekreische der Clubs. Wenn man drei, vier Minuten für sich haben kann. Für sich, die Lichter, die verwehten Klänge, eine letzte verschwitzte Berührung. Für einen Rückblick, wütend oder traurig, mitgenommen oder nüchtern. Und immer wieder berührt. Immer wieder auf Reisen sein, und zurückkehren nur zu denen, auf die man sich verlassen kann. Ich werde die Koffer noch oft packen. Und manches nicht vergessen. Die schönen Momente, und die, als du mich vergessen hast.

>>> Bobby Womack, Across 110th Street


 


Freitag, 14. August 2009


Bonjour, isch 'atte üne Traum



'eute morgen träumte ich, ich sei mit Carla Bruni verheiratet, tastete sogleich in meinem 90-Zentimeter breiten Bett neben mich, und fand sie aber nicht. Verwirrt, vielleicht auch beruhigt, drehte ich mich um, streckte Carla Bruni, also da, wo sie hätte liegen sollen, meinen Hintern entgegen und schlief noch fünf Minuten weiter. Mit der schönen Carla bin ich gar nicht weiter bekannt, nicht einmal ihr Werk ist mir bis auf zwei, drei Lieder nähergekommen. Von daher ist der Ursprung meines Traums ein wenig mysterieux. Derzeit weilt sie, das verriet mir Jürg Altwegg in der FAZ, mit ihrem Mann Sarkozy im Urlaub in Südfrankreich und posiert dort für die Paparazzi. Die Fotos wiederum sind Anlaß mancher Satire, was wiederum Anlaß für Altweggs Artikel war. So hängt ja alles mit allem zusammen. Der kleine Staatsmann, von dem böse Zungen behaupten, er passe auch quer in mein Bett, könnte - so die satirische Vermutung - im Taucheranzug aus den Fluten steigen, ein Froschmann, der von der holden Bruni zum Prinzen geküßt wird. Was für ein Bild! Die Älteren werden sich an Alfred Tetzlaff erinnern, wie er im Taucheranzug in einer Telefonzelle steckte.

Tatsächlich verhielt es sich wohl so, daß Mme Bruni selbst am felsigen Strand lag, als bronzegebräunte Nixe mit Sonnenhut und Schwimmflossen, während der kleine Nick vor ihr im Wasser wartete - man stellt ihn sich ein wenig aufgeregt dabei vor. Aber zurück zu meinem Traum: Schwimmflossen!

Wie also die aparte Carla (wir sind jetzt per Du) mit den Schwimmflossen an ihren zarten Füßchen durch die Wellen meiner zerknuffelten Bettdecke kraulte und dabei mit glockenklarer Stimme eines ihrer noch zarteren Lieder sang, muß mich nicht nur in Urlaubsstimmung versetzt, sondern geradezu à bout de souffle gebracht haben: atemlos also mußte ich mich erst einmal setzen, mir einen Platz suchen, mich und mein soziales Gefüge, das Oben und das Unten neu vermessen, ehe es, ein wenig schlaftrunken noch, in den letzten Tag der Woche ging.