
Montag, 9. Februar 2009
Regnete es durch deine Löcher rein.
Manchmal flickte dich meine Mutter,
Am Ende blieb der Fäden Schein.
Fünfzehn Jahre waren wir uns nah. Fünfzehn Jahre warst du mein Begleiter, beständiger als jede Frau in meinem Leben. "Formtreu" seist du, das hattest du versprochen, und vielleicht ist das die einzige Treue, die es heutzutage gibt. Fünfzehn Jahre warst du mir Geländer, ein Halt, eine Decke, an regnerischen Tagen manchmal auch ein ganzes Zelt. In deine Schultern sickerten Tränen, an deinen Kragen rieb sich Puder, an die Ärmel Bier und Rotz. Das Alter, die Erfahrung verliehen dir einen Glanz, den manche schäbig nannten. Für mich warst du mein schlecht gekämmter Hund: Im Spülsaum unter den zerrissenen Taschen sammelten sich Büroklammern, Kinokarten, Staub und Sediment, eine abgetragene Existenz und schurwollener Fingerabdruck.
Schließlich kam der Tag, wie diese Tage endlich kommen. Wir mußten uns trennen, waren auch die Herzen schwer. Dir alles Gute, Freund, und sorg' dich nicht um mich.

Sonntag, 8. Februar 2009
Wenn sich ein Material am Wochenende sichtbar in den Vordergrund geschoben hat, dann ist es Holz. Erst tändelte ich stundenlang wie ein staatlich beeideter Materialprüfer durch den Baumarkt, verglich und maß und roch und rieb, Buche hier, Pappel da, alles im Dienste meines neuesten Home Improvement-Projektes - bis mir das Schild auffiel, daß "aus technischem Gründen" an diesem Tag kein Zuschnitt möglich sei. Aus technischen Gründen hätte ich am liebsten randaliert, aber auch als Berufsjugendlicher ist man keine Zwanzig mehr. So ging ich zwar holzlos, aber dafür mit Schleifpapier und einer sogenannten Fugenlippe (für das übernächste Projekt) nach Hause. Herr Krüger präsentierte an diesem Abend neue Kunst und einen noch neueren Holzfußboden, ein Umstand, den ich gerne zu erweiterten Fachsimpelei genutzt hätte, umfaßt mein Nachtgebet seit einiger Zeit doch die Vokabel "Fertigparkett".
Leider aber mußte ich schwänzen, auch wenn ich gerne ein paar Wolken ins Gesicht gelacht hätte.
Der Helium Cowboy hatte nämlich ebenfalls Holz in der Hütte: Die junge Hamburger Künstlerin Lena Schmidt zeigt dort gerade interessante Arbeiten, bei der Maserung und Dellen von Fundholz Stadtlandschaften freilegen, karge, reduzierte Straßen- und Industrieszenarien, herausgekratzt irgendwo zwischen Lynch und Hopper, aber eben menschenleer. Sehr schön, und daraus hätte ich dann gerne Parkett.
(Lena Schmidt: "Urbanscapes". Heliumcowboy Artspace, Hamburg. Bis zum 6. März 2009.)

like I look back .
(The Duke Spirit, "My Sunken Treasure".)
Regnerische Nacht. Der Geist der Jon Spencer Blues Explosion scheint in mich gefahren zu sein, meine schweren Schuhe schieben durch die Pfützen, zersprengen die Spiegelungen der Neonlichter in hundert kleine Funken. Ich betrachte mein Scherbengesicht. Irgendwo hustet ein Hund.
Minni Bar. Dort verbrachte ich einst einen meiner wunderbarsten Abende mit einer ebenso wunderbaren Frau. Ich war nicht wenig in ihre aufregende Sanduhrfigur verliebt, und sie wußte das genau. Während belanglos gewordene Musik meine noch weitaus belangloseren Worte untermalte, genossen wir beide die Situation, denn wir beide wußten, daß wir nur Schauspieler waren. In unserem eigenen Film. Sie mochte das, sie lachte, und ich war bereit zu inszenieren. In der Tasche trug ich den Schlüssel zu einer Wohnung ganz in der Nähe, in der wir den Rest der Nacht verbrachten. Im stillen Gebet, bei dem wir uns gegenseitig unsere Sünden beichteten, lachten und den fremden Geruch atmeten, wie ihn nur unbekannte Räume haben. Am nächsten Morgen fuhr sie nach Hause, ich räumte die Wohnung auf, verschloß die Tür und traf ein paar Leute in einer Galerie, wo man die Reste einer Party zusammenräumte.
Jetzt, Jahre später, bin ich ein verkrachter Drehbuchautor, der für die Degeto interessante Hollywood-Stoffe auf deutsche Verhältnisse überträgt. Gerade arbeite ich an Da wo die schwarze Schlange murmelt (das Wort "stöhnt" ist für die Degeto zu hart), nach einer Vorlage mit Samuel L. Jackson. Darin wird Hansi Hinterseer (angefragt) eine junge gefallene Dorfschöne mit Heimatmusik und Bibelsprüchen von ihren losen Neigungen heilen, während er sie in seiner Almhütte an der Wasserpumpe angekettet hält.
Was für ein Blödsinn alles möglich ist. Nach ein, zwei Bieren in der Nacht.
Never let go.

Freitag, 6. Februar 2009
Ach. Dafür war also dieser Knopf.

Donnerstag, 5. Februar 2009
Jetzt ist er hin, der letzte große Müllmann des Rock'n'Roll. Immer verläßlich wie die Männer in den orangefarbenen Westen hat er die geschätzten letzten hundert Jahre den Dreck aus zerschundenen Trash-Mythen gekratzt und in einem großen Ascheimer unter lautem Dengeln und Röhren so lange verrührt, bis das Publikum zu Teenager- Werwölfen wurde. Lux Interior wurde gerade mal 62.
>>> The Cramps, You've Got Good Taste

Dienstag, 3. Februar 2009
The job you will be discussing may go in one of two directions. The first would center you in the entertainment or fashion industry, with special emphasis on designers, music, celebrities, and hot new trends. The second way it may go is toward any and all industries that cater to children, including education, clothing, toys, books, children's TV programming, or is in some way connected to teaching. [Q]
Toll. Ich werde bestimmt der neue Peter Lustig.

Montag, 2. Februar 2009
Vom Ende eines Traums. Am Samstag noch dem Beispiel des Finanzministers gefolgt, einen Lottoschein mit sechs sehr richtigen Zahlen befüllt, fest umklammert gehalten und mit esoterischen Formeln besprochen. Den ganzen Tag eine blumenumwundene Glücksvorstellung von einem Leben gehegt, in dem mir barfüßig tanzende Jungfrauen Trauben und Käsebrote reichen, mit sanften Stimmen Lieder singen vom tiefen Wissen der Meere, den Versprechen des Windes und den Früchten der Erde. Ewige Berufsjugendlichkeit, Zitronengras, Markenturnschuhe und legal erworbene Compact-Disc-Alben würde es geben, mehr Länder würde ich bereisen als Farin Urlaub, der immerhin schon 102 betreten hat und zudem der erste war, der eine einst bekannte Heidekönigin aus Amelinghausen in die Kunst der... jedenfalls wäre alles, alles prima.
Am Sonntag, nachdem eine nur verschwörerisch zu nennende Kette zahlenzieherischer Ereignisse das Elfengespinst meiner Zukunft wie die Kursentwicklung meiner Aktienfonds Seifenblasen zerplatzen ließ, erwachte folglich der Albtraum.
Charles Manson, eine Art US-amerikanischer Heidekönig aus dem Tal des Todes, ist die Leitfigur der aktuellen Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Der mißratene Charismatiker und Sänger, dessen musikindustrielle Karriere irgendwie mißlang (obwohl die Beatles, da ist Manson sich sicher, ihm die Botschaft "Charlie, ruf uns in London an!" aufs Weiße Album flüsterten) schickte bekanntlich seine ein wenig fehlgeleiteten Hippie-Mädchen mit knappen Kleidern aber langen Messern auf einen blutigen Feldzug gegen... na ja, ein Blumenfeld, wenn man so will.
Die Ausstellung versammelt verschiedene Positionen, die sich nur teilweise direkt auf den Mythos Manson oder die Bruchstelle 1969 beziehen. Sigalit Landaus berühmtes Video, in dem eine nackte Frau mit einem Hula-Hoop-Reifen aus Stacheldraht tanzt, faßt die schmerzliche Seite des Schönen bereits zusammen, gleich dahinter tropft (angeblich menschliches) Fett auf den Boden. Ein Marionetten-Kasper geht auf Zeitreise und trifft die Ikone des Bösen, dessen Leben Joe Coleman (sein wunderbares Kabinett der Grausamkeiten und düsterer Amerikana gab es vor zwei Jahren in Berlin zu sehen), auf einer Art Anti-Heiligen-Legendentafel zusammenfaßt. Dazu die Sexy Sadies als Singschwestern aus dem Kirchenchor, ein Seitenblick auf die Stooges, die Stones und Jimi Hendrix mit seinem treuesten Fan. Den Ausflug zur RAF finde ich nur mäßig gelungen, zu Kenneth Anger hätte ich mir mehr als nur ein Filmplakat gewünscht. (Filme von ihm laufen am 22. März, das Metropolis in Hamburg zeigt u. a. Jodorowsky). Neben sadomasochistischen Hängeanordnungen hat mir der ironische Beitrag von Doris am besten gefallen. Deren Film "Das Leben des Sid Vicious" (1980) läßt das hinlänglich boulevardisierte Leben der Punkikone von zwei Kleinkindern nachspielen - allein das schon eine hübsche Reflektion auf die enthemmte Småland-Attitüde der frühen Punktage.
Unbedingt ausprobieren sollte man den Wigwam aus Holz. Im Inneren befindet sich eine Klanginstallation, von der man sich ordentlich durchwummern lassen kann, eine schwitzhüttige Mantra-Maschine, nach der man wie ein neugeborener Menschensohn den Rest der Ausstellung oder auch die Zukunft des eigenen Lebens besichtigt.
("Man Son 1969 - Vom Schrecken der Situation". Kunsthalle, Hamburg. Bis zum 26.4.2009.)
>>> Link

Sonntag, 1. Februar 2009
Damals lag No Future noch vor mir.
