
Montag, 22. September 2008
Die Montagmorgenbesteigung ohne Sauerstoffgerät.

Samstag, 20. September 2008
The gleam the gleam
All that glitters
Is not all that glitters
(Patti Smith, "Glitter In Their Eyes".)
Die betrachten, die die betrachten, die die betrachten, die betrachtet wurden.
Mit den Deichtorhallen hat Hamburg eine der schönsten Möglichkeiten, moderne Kunst und Fotografie zu zeigen. Zwischen Hafen und Hauptbahnhof gelegen, selbst ein wunderschönes altes Gebäude, das ansprechend saniert wurde und einige tausend Quadratmeter Ausstellungsfläche bereithält. Mit Doyen F.C. Gundlach und seiner Sammlung hat es zudem Zugriff auf ein enormes Konvolut klassischer und moderner Fotografie - dessen Schwerpunkt, der Sammler ist Programm, wenig überraschend die Mode ist. Und schon zeigt sich ein kleines Problem: Die Deichtorhallen zeigen gerne Modefotografie, mal klassischen Vonbismus, mal ausgewählte Einzelperspektiven, dann mal wieder die Sammlung des Stifters, ein berühmter Modefotograf, dann mal wieder was Schönes mit Mode oder nun: "50 Starfotografen zeigen ihre Vision von Schönheit". Dieselben, so verkündet die Kuratorin stolz, hatten freie Hand - und so wirkt es denn auch ein wenig wie Schüleraufsatz. Profis schicken ihr liebstes Ferienerlebnis ihre liebste Fotografenlese.
Schwarzweiße Ringel? Kann ich auch!
Bekannte Frauen, unbekanntere Modelle, mal die Mama, mal die fitte Schauspielerin, die ein Star war seit den 60ern. Ein paar neue Gesichter sind dabei, ja, auch die autoaggressive Soul-Schabracke aus England, von der man sich fragt, wessen "Traumfrau" sie wohl ist. Von der Stimme abgesehen. Alles Menschen mit großem Herz, von allgemein attestierter äußerer und sicherlich auch innerer Schönheit. Auf der Vernissage mischte sich die Feuilletonjenska dieser Stadt, ein paar bekannte und sicherlich noch mehr (mir) völlig unbekannte Fotografen, ihre Miezen Musen und ein paar russisch sprechende, sehr ansehnliche Nachwuchsmodels unter die Gäste. Toll. Niemand hätte ein Foto von Kate Moss geschickt, so die Kuratorin. Diese sei wohl keine Ikone unserer Zeit mehr. Überhaupt ist viel die Rede vom "21. Jahrhundert", als hätte jemand vor acht Jahren einen Schalter mit dem Radiergummi umgelegt. Vielleicht hat man einfach die falschen Fotografen angefragt, obwohl nun wirklich illustre Namen darunter sind: Sheila Metzner, LaChapelle, Lindbergh, Bettina Rheims, Ralph Mecke auch und der von mir bewunderte Albert Watson, der unvermeidliche Bruce Weber und - immerhin - Rankin, den ich (anders als Weber z.B.) wirklich als Vertreter des 21. Jahrhunderts zählen würde. Kate Moss sei wohl zu dünn, so die Kuratorin weiter. Ja, aber Rock'n'Roll, und man hat Stephen Meisel und Terry Richardson schlicht vergessen. Und - talking about 21. Jahrhundert - was hat denn Claudia Schiffer hier zu suchen?
Kurz: Es ist ein bißchen herbeigeredet, ein bißchen gezwungen, ein bißchen beliebig auch. Aber - wir nähern uns der Adventszeit, das Jahr soll engelsgleich versöhnlich enden - immer schön, wenigstens äußerlich. Und darauf, Schnauze, Kid, kommt es ja nun auch an, wenn das Schäbige mal Feierabend haben soll.
(Traumfrauen. Deichtorhallen, Hamburg. Bis zum 9.11.2008.)

Donnerstag, 18. September 2008
Die Vernissage war ein ziemlicher Spaß, und den Rest der Schau sollte niemand verpassen. Der Herr Krüger hat da nämlich eine wirklich feine Kunstsache zusammengezaubert - Femke Hiemstra, Heiko Müller, Anthony Pontius und Fred Stonehouse präsentieren in der Gemeinschaftsausstellung Four Faces of Foofaraw ganz Wunderbares: versponnene Welten und humorvolle Trash-Reminiszenzen an Wrestler, Magier und kindliche Reisende durchs Land der Eigentümlichkeit. Schätze voller Erinnerungen und Entdeckungen wurden wie aus einer Wunderkammer zusammengetragen, als hätte man einen Nachmittag auf einem alten, verrümpelten Speicher verträumt. Ganz toll.
>>>Bilder der Ausstellung
>>>Bilder von der Vernissage
(Four Face of Foofaraw. Feinkunst Krüger, Hamburg. Noch bis zum 27. September 2008.)

Dienstag, 16. September 2008
Als ich neulich durch alte Kartons und noch ältere Kisten stöberte, auf der Suche nach etwas, was mir nun bereits wieder entfallen ist, kann also nicht wichtig gewesen sein, da stieß ich auf diese ominösen Dosen. Die stammten aus einer Zeit, in der ich möglicherweise gut gecremt, auf jeden Fall aber als kommendes Talent für den Studenten-Oscar unterwegs war. In den Dosen nämlich fand ich alte Filmspulen wieder - Experimente mit Licht, Schatten und bewegten Menschen, an die ich mich kaum noch erinnere. Die Experimente, die Menschen schon. Oder Studien - als junger Künstler macht man ja immer Studien, oder 24 mal Wahrheit in der Sekunde oder... sowas eben. Nächtliche Autofahrten durch die bergische Metropole waren es wohl oder stummes Gestikulieren an meinem Nouvelle-Vague-Küchentisch.
Damals besaß ich genau diese Kamera, ein russisches Normal-8-Modell, bei dem man ein Federwerk aufziehen mußte, um dann ungefähr 30, 40 Sekunden Drehen zu können. Meine Werke waren ganz dem jungen Godard Truffaut verpflichtet und hießen "Morgenröte eines schüchternen Knaben" (ein semi-pronografisches Werk mit stark autobiografischen Bezug) oder eben "Nächtliche Autofahrt durchs Bergische, wie ein trunkener Russe gesehen". Alles verschollen, und was auf den verbliebenen Spulen sich befindet, erinnere ich nicht. Wer hat denn heute noch einen Normal-8-Projektor? Eben.
Im Gegensatz zur verbreiteten Super-8-Kassette benutzte man speziell perforierten 16-mm-Film (yeah!) auf einer Spule, die nach der Hälfte umgedreht wurde. Nach dem Entwickeln wurde das Material der Länge nach aufgeschnitten und die beiden Hälften aneinandergeklebt - voilà! Normal-8 ruckelte nicht so sehr wie die Super-8, aber weil es halt umständlicher war, setzte sich ähnlich wie die Compact-Kassette gegenüber dem Tonband das neuere System durch.
Manchmal denke ich, man sollte überhaupt viel mehr Filmen, denn die Bewegung hört im Leben ja irgendwann auf. Dann schaut man auf zerkratzte, flackernde Bilder, drauf und durch sie hindurch, und erinnert sich was. Wie ein Schaukelstuhl im Kopf. Vor und zurück, vor und zurück. Die eingefangene Zeit.

Sonntag, 14. September 2008
for we are ignorant of many things.
(The Log Lady, Twin Peaks.)
Für die meisten Dinge im Leben gibt es - so verspricht uns die Werbung - die Bankkarte der eigenen Wahl, vieles andere aber bleibt eben unbezahlbar. Dieses Stück Holz beispielsweise, das ich heute eigenhändig und den besten Anzug vergessend aus einem Baucontainer in St. Pauli zog.
Als ich routinemäßig in den Wir entsorgen alles - dich, mich und richtigen Dreck - und das auch noch diskret-Behälter spähte, sah ich gleich: dieser rostige Haken, der ebenso rostige Nagel, diese Patina... das gibt es nur ein einziges verdammtes Mal - und zwar hier und jetzt und greifbar nah vor meinen Augen im schönsten Stadtteil der Welt. Glücklicherweise ist St. Pauli ein Viertel, in dem keinen wirklich interessiert, wenn man am hellichten Tag in Stapeln voller Bauschutt wühlt. Mißtrauischer Aufmerksamer wird man eher, wenn ein staubiger Mann mit einem nagelgespickten Stück Holz durch die Straßen zieht. Ich kann es aber niemanden verdenken, sieht dieses Artefakt doch in meinen Händen aus wie eine Waffe. Dabei sollte jedermann auf Anhieb und -stich klar sein, daß es sich um ein extramuseales Kunstwerk bloß handeln kann, wenn eine verschluffte Gestalt mit schwarzer Feuilleton-Hornbrille damit durch die Straßen ueckert.
Schlimmer wäre es nur, handelte es sich um meinen einzigen Freund. In der nachbarschaftlichen Enge des wochenbeendenden U-Bahn-Ersatzverkehrs argwöhnte ich nämlich für kurze bange Minuten, mein mir bereits stark ans Herz gewachsenes Holzstück könnte ehemals die Reviermarkierung eines von Leichtbier und Dönerresten sich ernährenden Straßenköters gewesen sein. Ein Odeur lag in der Luft, dessen leicht urinale Kopfnote mich weniger holzig denn geriatrisch enthemmt anwehte. Doch nach dem Aussteigen stand mein tapferer staubiger Scheit glücklicherweise in sozusagen blütenfrischer Unschuld da - und jeglicher Verdacht muß leider auf meinen angegrauten Sitznachbarn zurückfallen, laut Auszeichnung seines Käppis zudem ein Fan des Hamburger Sportvereins. Ein Fall doppelter Stigmatisierung also, weshalb man pietätvoll schweigen muß.
Unter den Anwohnern meines von manchen gutgelaunt und mit leichten Schmunzlern onduliert als avantgardistisch bezeichneten Rentnerviertels gab es immerhin großes Hallo. Wenn hier sonst schon nichts passiert, kann man wenigstens diesen auch nicht mehr so richtig jungen Mann beobachten, wie er sich wieder anschickt, arbiträren Schrott in die pastorale Idylle seiner hermetisch abgeschotteten Dachwohnung zu schleppen. Wenigstens das.
>>> Behind all things are reasons.

Samstag, 13. September 2008
Ich stelle immer wieder fest: Entweder besitze ich zuviel.
Oder viel zu wenig. (Platz, z. B.)
>>> Auch so kann man schließlich wohnen.
(Die Fotos sind die Links zu den Serien.)

Donnerstag, 11. September 2008
get such an upper hand of me,
that it requires a strong moral principle
to prevent me from delibertaley stepping
into the street, and methodically knocking
people's hats off - then, I account it high time
to get to sea as soon as I can.
(Herman Melville. Moby Dick. 1851.)


Aus den Schiffstagebüchern. Exotische Länder erobern, unentdeckte Passagen suchen, Landkarten neu zeichnen. Oder reiche Schätze finden, fremde Schiffe entern, schöne Töchter karibischer Gouverneure rauben - so viele Dinge hatte ich mir letztes Jahr in einem Anflug maritimer Sehnsucht vorgenommen. Aber nun, wenn die Mannschaft meutert, fängt man besser erstmal kleiner an.
Stillschweigend ermuntert von den Berliner Luftbootausflügen der Frau A&O, muß ich die Hamburger Ehre verteidigen, die letzten warmen Tage nutzen und endlich, endlich mein eigenes kleines bateau ivre zu Wasser lassen. Kein Sekt fand sich im Haus, die Flasche will auch im dritten Versuch nicht zerspringen - so nehme ich Sanddornwein, muffig zwar, aber so riecht die frischgetaufte BB Hermetik (das steht für Badeboot) eben auch: Nicht knallrot, aber nach Gummi.
Mit frischem Segen abgelegt (ich spare, denn wie stünde ich sonst da, die Geschichte aus, wie ich - zu ufernah gestartet - erst auf Grund sitze) und fromm die Paddel eingetaucht - erst hat das Boot, dann aber habe auch ich den Dreh heraus - lange Schläge, kurze Schläge, und immer mit Gefühl, das ist ja fast wie bei... anderes Thema. Munter, so möchte ich fast sagen, denn wir befinden uns auf den ersten zehn Metern, geht die Fahrt voran und ich bedaure, nicht bunte Wimpel am Bug gehißt zu haben. Überhaupt, fällt mir da siedendheiß ein, wo ist meine Piratenflagge? Wenn jetzt eine fette Brigg... aber da dreht die BB Hermetik einem störrischen Lasttier gleich wieder nach links backbord. Ich lasse ihr für einen Moment ihren Willen und überlege in der Zeit, ob das Knacken in meinen Schultern etwas zu bedeuten habe.
Schon bald darauf bin ich froh, nicht den Geist von Hans-Joachim Kulenkampff ("Drei Mann in einem Boot") an Bord und auf Sakko und Einstecktuch verzichtet zu haben: Das Rudern kommt mit einem Lied daher, das "Anstrengung" heißt. Ach was, mein Schnaufen nennt sich ganz im Geiste von Sam Cooke: "That's the sound of the men working on the chain gang". Im nächsten Leben, manche Entschlüsse fallen ja überraschend schnell, werde ich eine Galeere besitzen. Gut, werden die meisten sagen, Sie haben da ein Billigboot mit Billigpaddeln und vom richtigen Rudern haben Sie Schreibtischhocker bestimmt auch noch nichts gehört. Aber wollen wir doch bitte das Schlauchkajak mal im Dorfteich lassen. Es ist eben wie ich und hat so seine Schwierigkeiten beim Geradeauslaufen.
Während das Boot also freimütig im Kreis dreht, betrachte ich die Aussicht, denn auch dafür bin ich hier. Wasser ist, um einmal die Missfits zu zitieren, wie wennze fliechst - die Dinge am Ufer sehen von dort bemerkenswert anders aus. Nicht unbedingt kleiner, das wäre ein Punkt für mein Projekt "Ich will Segelflugzeug fliegen". Aber ungewohnter. Es wird wohl daran liegen, so mein sehr, sehr tiefer Erkenntnisschluß nach einer gepflegt dümpelnden, sonnenbestrahlten Ruhepause, daß man an den meisten Tagen eben wie eine Landratte seine Kreise zieht.
Man soll ja nicht auf die Ruder, sondern auf den Bug schauen, aber mehr noch entdeckt man in der Uferböschung. Toll, ich habe zwei Eisvögel gesehen! Ja nun, werden sicher die meisten sagen, die gibt es hier jeden Tag. Bei mir jedenfalls nicht; ihr Lebensraum, so weit ich das ersehen kann, erstreckt sich nicht auf dunkle Kellerbibliotheken. Ein paar Bläßhühner schauen mißtrauisch, mein Tarnboot scheinen sie durchschaut zu haben. "Ich gehöre jetzt zu euch!" juble ich, doch eine Ente schnattert höhnisch - wie meist, wenn ich solche Sätze rufe.
Derart naturbeflügelt, ich bin du, und du bist ich, und wir sind alle zusammen, scheint der Geist von Peter-Michael Kolbe in mich gefahren zu sein, mindestens aber sein großes Herz. Munter pflüge ich voran. Das Boot dreht sich im Kreis. Ein kleines weißblaues Motorboot tuckert mir entgegen, der Skipper tippt sich an die imaginäre Mütze. Ein Seemannsgruß! Natürlich, man grüßt sich unter Seinesgleichen! Weil ich keine Flagge dippen kann, winke ich dem Fahrensmann fröhlich mit dem Arm. Mein Boot dreht sich daraufhin im Kreis.
Einige Ruhepausen später - es gibt auf einmal soviel Nachzudenken, wenn man rudern muß auf dem Wasser ist - wage ich mich tapfer den Kanal hinunter. Vorbei an Gewerberückseiten, verborgenen Winkeln und zugemüllten Unterschlupfen und einem kleinen Hinterhof-Idyll. Ein paar Jungs liegen in der Hängematte, auf dem Ausleger glotzt ein irritiertes Huhn. Kleine Fluchten, und wir sind noch immer mitten in der Stadt.
"Anlegen und genießen" verkündet gleich nebenan der Schnellimbiß mit dem gelben M. Ich habe oft davon gehört und kann es nun bestätigen: der Drive-In vom Hamburger-Bräter hat einen eigenen Bootsanleger! Ungefähr fünf peinliche Minuten jedoch sitze ich in meiner kleinen Jolle und überlege, wie ich mich möglichst elegant die knapp 70 Zentimeter hinaufwuchte, ohne das Boot an den Kanal zu verlieren. Ein kleiner Tip: Seid strukturiert wie ich und täut es ordentlich an. Und sorgt dafür, daß niemand zusieht.
