Donnerstag, 2. Oktober 2008


The Great Operettenschwindel

Natürlich ist es verlockend, sich im Leben immer an die gedeckten Tische zu setzen (vorausgesetzt, man entstammt dem Land des Lächelns). Und wenn das Geschirr zersprungen ist, nun, das Leben ist voller Möglichkeiten, so viele Tische warten, so viele - auch exotische - Gerichte gilt es zu probieren. Die gesammelten Momentaufnahmen als Daumenkino zusammengeklebt, ein Reichtum. Ohne Zusammenhalt.

It's your party, and I cry if I want to.

Radau | von kid37 um 01:54h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 30. September 2008


Wir bilden einen Spielkreis

Jetzt mal was, wo nicht für alle Mann ist. Über die bei einigen sicher bekannte Videosammelstelle Youtube kann man vieles sagen. Auch Dinge, die nicht so schön sind. Aber wenn die soziale Vernetzung funktioniert, das alte, eben musikalische Spiel zwischen Call und Response, bin ich immer hoch entzückt.

In letzter Zeit, es begann, als ich nach gefühlten Dekaden wieder den Deckel meines Gitarrenkoffers öffnete, schaue ich ganz gerne die kleinen AngeberDemonstrationsvideos, in denen die Begabteren im Lande ihre Liebslingshits auf ihrem Instrument nachspielen. Oft bin ich schwer beeindruckt, zumal ich nie zu den technisch wirklich versierten Musikern gehörte. (Ich mache das alles mit Pathos und großen Handbewegungen und nenne es Wohnzimmerstadionrock.) Manchmal hört man auch schlichtweg falsch und schlecht gespieltes. Ab und an aber wird es lustig bis spannend. Wenn sich nämlich die echten Musiker einschalten und mit trockenen Kommentaren ("No. You've got it wrong.") penetrante Show-offs und Protzer zurechtweisen. Oder aber, und das ist nun wirklich toll, mit eigenen Videos hilfreiche Einblicke in die Werkstatt gewähren.

So zum Beispiel Derek Forbes von den Simple Minds. Das bei Bassern beliebte Stück "I Travel" wurde hier etwas krude runtergehackt - der Meister selbst hat es dann kurz mal zurechtgerückt. Wunderbar.

Und sie lernen schnell.

Ach so, statt Selbstkommentar (geht ja sonst das Gekreische gleich wieder los) hier noch schnell angehängt, zum Thema Channeling inspiriertes Nachspielen: Das ist auch sehr putzig. Zuerst dachte ich auch, wow, der Bassist hat den Bass ja so tief in den Knien hängen wie Peter Hook. Bis ich merkte, nein, der hat einfach die Knie... Also ich meine: Alles ganz wunderbar. Macht mehr Kunst!

Radau | von kid37 um 11:01h | 14 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 27. September 2008


...un Blomen



Die Fabrik, für die ich bislang noch am häufigsten arbeite, liegt nicht weit von Planten un Blomen. Manchmal stehle ich mich dorthin, um eine Weile am Wasser zu sitzen, den Fischen zuzuschauen oder auf das Geräusch der Enten zu lauschen. Manchmal hat man Glück, und niemand setzt sich auf die Nachbarbank, um dort kakophonisch laut in sein Mobiltelefon zu quaken.


Neulich saß ich dort mit Christian Schad. Mal sachlich werden. Bilanzen ziehen, die Reste einer schweren Operation. Jetzt stehen die Gefäße und Pakete da, verschnürt, aufgereiht, wie ein perverses Erntedank. Der Brief, den ich schon lange in der Tasche herumtrage. Worte, die auch nur noch mich selber interessieren. Am Steg sind die Linien klar markiert, die scharfe Kante am Steg. Man sitzt dort und kann die Kühle spüren, jetzt da sich der Sommer hinausgeschlichen hat. Das ist das Schöne, am schrägen flirrenden Licht des Herbstes. Man entdeckt in den Schatten wieder mehr.


 


Freitag, 26. September 2008


Wer war das?



Heute war vor der Fabrik alles zugeklebt mit kleinen Plakaten. Wie rührend.
Ich würde die Frage mit Ja beantworten.

Aber nur Arme, die hinterm Rücken keine geheimen Zeichen machen.


 



Those on the cheaper seats clap your hands, the rest just...



Filmpartys machen mich schnell müde. Aber das ist jetzt erstmal überstanden, heute morgen fiel mir Glitzer aus dem Ohr. Immerhin aber: Das Filmfest Hamburg verspricht auch inhaltlich ein wenig Spaß - so jedenfalls mein Vorab-Eindruck. Das Programm liest sich vielversprechend, ein Hauch von Saudade, ein Hauch von Tokio - und solchen Lockungen muß man sich ja auch einmal unbefangen hingeben. Ausruhen kann man sich an jeder Haltestelle, warten auf den letzten Bus. Das leere Gefühl läßt man einfach zurück. Mußt du machen, meint mein Chef.

Super 8 | von kid37 um 13:32h | 8 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 25. September 2008


Love of my Life



"Hinter jedem erfolgreichen Mann... steht eine überraschte Frau", meinte Nils Landgren in seiner charmanten Eröffnungsrede. Diese Variante des so oder so wahren Satzes kannte ich noch nicht, aber selbst wenn sie alt sein sollte, finde ich, der Mann hat Witz. Seine musikalischen Qualitäten sind ja sowieso unbestritten.

Siggi Loch, langjähriger Musikimpressario, zeigt seine Fotos seit den 60er Jahren: Hauptsächlich Jazzmusiker, hauptsächlich schöne Schwarzweißprints. Nicht immer große Kunst, häufig eher das kleine Notizbuch, blue notes, die Arbeit eines Liebhabers, des leidenschaftlichen Amateurs. Beeindruckende Begegnungen eines langen Lebens in der Musikszene. Ray Charles, Scott Walker, Ella Fitzgerald, die Star-Club-Szene... Dann spielt Nils Landgren eine schöne Version von "Bang Bang". Die schlichten Wahrheiten sind die wuchtigsten: My baby shot me down.



Eine zeitlang dann stehe ich neben einer Lederjacke, die sich einst mit einem Stück Pfefferminz in einen Prinzen verwandeln konnte. Was Liebe alles kann.

(Siggi Loch. Love of my Life. Deichtorhallen, Hamburg. 25.9. bis 9.11.2008.)


 


Mittwoch, 24. September 2008


Merz/Bow #15

Ab und an muß ich mit Kollegen in Straßburg telefonieren, die dort was mit Medien machen. Das sind immer sehr angenehme Telefonate, mit kleinen "Bonjours" und "Mercis" und dem Anschein einer Stimmung, die ähnlich arbeitenden Kollegen in anderen Städten (die hier ungenannt bleiben dürfen) ebenfalls gut zu Gesicht stünde. Schon allein deshalb natürlich, weil es mein eigenes Gesicht erhellt.

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Türkisch, so denkt man, ist eigentlich eine ganz einleuchtende Sprache. Metamorfoz heißt "Metamorphose" und Tarkan heißt "Tarkan". Streng genommen aber ist es beschämend, wie wenig man ich von dieser Sprache verstehe. Als mir der Blinddarm herausgenommen wurde, teilte ich das Zimmer auf der Kinderstation mit einem jungen Türken. Der versuchte, mir Schimpfwörter in seiner Muttersprache beizubringen, für den Fall, daß ich diese einmal brauchen sollte. Irgendwas, das übersetzt "du Kuh, du!" heißen sollte, aber ich war mir da nie ganz sicher. Gerade habe ich den Film Jahreszeiten - Iklimler gesehen, neues türkisches Kino, im Original mit englischen Untertiteln. Man schwimmt ein wenig hilflos - wie ein Korken auf einem fremden Meer. Wunderbarer Film, übrigens.

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Meine Band gibt es schon. Warum sagt mir das wieder keiner? Bald kommt die Zeit, da spiele ich dann auch nicht mehr mit euch.

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Search Request: hast du schon jemals etwas so schön einstürzen gesehen

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Neue Regeln. In meiner Wohnung dürfen nur zwei Frauen rauchen: Kate Moss und... nun ja, die andere.

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Gestern ist Geschichte. Morgen nur Gerüchte. Nie wieder Vertröstungen auf das Leben im Irgendwann. Das probiert man mit mir nicht lange. Ich werde dann... unruhig.

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Güle, güle.

MerzBow | von kid37 um 14:27h | 15 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 23. September 2008


Rocvk'n'Roll Niogger

Should I pursue a path so twisted?
Should I crawl defeated and gifted?

(Patti Smith, "Pissing In A River".)


Zu meinen guten Vorsätzen für 2008 zählt, jede Woche eine neue Welt zu erforschen. Oder auch eine alte, vergessene. Der letzte Ausflug unter dieser Flagge führte mich nun in ein schummrig beleuchtetes Reich, das wenige Menschen über 27 Jahren je betreten haben. Eine Welt aus Klang, Frisur und etwas, das früher von Lehrern und Kulturreportern Lebensgefühl genannt wurde.

Manche ahnen es bereits, am Wochenende war ich in einem großzügig ausgestatteten Hamburger Bedarfsfachgeschäft für Musikinstrumente, vorzugsweise aus dem Rock'n'Roll-Sportbereich. Selbst ins Alter gelangt, da man sich blonde Frauen und kleine rote Sportwagen zulegt, hänge ich seit einiger Zeit einem weiteren Jugendtraum nach: "I don't need six bullets", sang ich schließlich einst. "All I need are six strings". Endlich, so mein haarergrautes Denken, sei die Zeit angebrochen, die No-Name-Nachbau-Kopien in die hinteren Erinnerungsecken zu schieben und sich was Richtiges™ zu gönnen, solange die gichtigen Finger nichts anderes mehr würden halten müssen.

In meinem Schundroman Die Nacht der blutigen Finger (Verkaufsrang #20337 bei einem bekannten Buchversender) zieht bekanntlich ein mordender (was sollte er anderes tun?) Killer mit einer schwarzweißen (was sonst?) Rickenbacker von Tatort zu Tatort, klampft seinen Opfern (er nennt sie "Klienten") filigran (er ist kein Stadionrockposer) sein persönliches Lied vom Tod und schleppt nach einem rückenmarkserschütternden Powerakkord (dann also doch!) eine applaudierende oder auch nur zufällig im Weg stehende, sogenannte Ische ab.

So weit, so Fiktion. In meinem echten™ Leben schlich ich aber denkbar stiller und vor allem unauffälliger, zudem unter Vorspielung falscher Tatsachen Geldbeutel, in oben erwähnten Gitarren-, Schlagzeug- und Verstärkershop, in dem man einer Gestalt wie mir aber seitens des jugendlichen oder betont jugendlich gebliebenen Fachpersonals keine weitere Beachtung schenkte. Ich hatte also zwar nicht das Geld, dafür aber alle Zeit der Welt, versonnen die ein oder andere Gretsch zu streicheln. Ein schönes Gefühl, wie mir jeder Kenner bestätigen wird. Es ist und bleibt erstaunlich, welche haptisch und visuell beglückende Ausstrahlung diese kurvigen Modelle auch ohne Botox, Cremes und Schummerlicht auch nach dem Ablauf vieler Jahre zustande bringen. Hingegen schaue man an sich selbst herab - und schweige still und andachtsvoll.

Um mich herum war, es war nicht mehr wirklich früh am Morgen, bereits der ein oder andere Ko-Interessierte eingetroffen. Ernsthaft schauende Buben mit großen Kopfhörern über den schmächtigen Koteletten, verpennt wirkende mittelalte Taxifahrermänner mit Bin-grad-aufgestanden-Frisur, bei der die Haare staubig versträhnt in alle Fis- und Cis-Tonarten verstreut liegen. Mit Jeans auf halb acht kramten sie in obskuren Schachteln nach noch obskurerem Gerät, während ich gedankenverloren und unbeachtet einer 2000-Euro-Vintage-Fender ein helles Pling und dann ein trockenes Plong entlockte. Vor zwanzig Jahren, so dachte ich so halb von mir selbst berauscht, wäre ich auf meinem Wagemut neidisch gewesen. Jetzt habe ich eine Haftpflichtversicherung - und tue solche Dinge einfach! Yeah! Rock and Roll!

Wie bei jedem sensibleren Künstler mischte sich bald auch Wehmut in mein fingersteifes Gezupfe. Hätte man vor eben diesen zwanzig Jahren nicht bereits alles klarmachen können, die Richtige vorausgesetzt? Eine richtige Gitarrre, eine vielleicht leicht abgeschrebbelte, aber unbedingt verläßliche - kein aufgelacktes Partymodell, das zu schnell außer Stimmung gerät? Man hätte schnell einen Welthit rausgehauen oder auch zwei, meinetwegen sogar drei, die werden sich schon vertragen. Anschließend outside of society, Tournee mit Stress und Lärm und vollgespuckter Hose, solange man noch Kraft und Energie hatte, jeden marshallverstärkten Humbucker-Sound an die Wand zu drücken. Vielleicht hätte man sich nach halber Strecke auch tüchtig verkracht, ja Mensch, Rock'n'Roll eben, vielleicht mal eine Solo-LP. Jetzt aber wäre dann das Alter für die Re-Union, ein Leben voller Zugaben.

Ich dachte an den alten Leitspruch: "Egal, was du machst. Verwechsle nie die dicke E-Seite mit der anderen" und arrangierte meine Finger mühsam zu etwas, das ich als einen anderen alten Dur-Akkord erinnerte. Wie verlockend doch diese Mollscheiße immer war. E-Moll, zwei Fingerchen, so findet jeder sein kirchengesangbuchgeschmücktes humm-humm-humm. Aber der Dur-Sept-vermindert-Neun-Akkord, da zeigt sich... na ja, was rede ich.

Im Grunde ist das eh eine alberne Geschichte. Weil ich ja eigentlich etwas ganz anderes sagen möchte. Würde ich doch lieber über Liebe schreiben. Etwas über das Finden, das Halten, das Verlieren auch, die Schmerzen, natürlich, wo wären wir hier sonst. Die feedbacksummenden Erinnerungen. Aber eben auch das Glück, das sich oft in unerwarteter Gestalt zeigt. In einer manchmal schwer zu beherrschenden Stimmlage. Und wie ich nicht mehr recht an eine Rickenbacker glaube. Weil ich vielleicht ein Mann für eine Gretsch bin. Aber hier ist nicht der Platz. Dieses Blog ist längst zu große Bühne, nicht länger mein Proberaum.

Radau | von kid37 um 10:37h | 18 mal Zuspruch | Kondolieren | Link