Sonntag, 30. Dezember 2007


Feuerwerken

We can turn his rags to riches.
(Siouxsie and the Banshees,
"Scarecrow". 1988.)

Langsam, die Ellbogen aus dem zerfressenen Jacket gereckt, die Stube ausfegen. Den Besen in verschieden großen Kreisen über den Boden ziehen, zusehen wie Staub auffliegt, alte Geister und unausgesprochene Gedanken. Die tränenverklebten grauen Träume lassen sich wohl nur feucht wieder von den Fliesen bekommen. In der Ecke hinter dem Mülleimer haben sich ein paar Nachtmahre zusammengeklumpt, die kehre ich auf die metallene Schippe, ohne sie auch nur groß anzusehen.

Ich pfeife vielleicht ein fröhliches Lied. Ich bin der König der Salamander. Mit Feuer und Schwefel rücke ich dem alten Jahr zu Leibe. Ich wickle es ein, mit rostigen Bändern, mit Stricken, die ich in Asche gerieben habe. Ich lasse es schmurgeln, im Ofen verpuffen, in öligem, schwarzen Rauch aufsteigen, gleich den Seelen unehrenhaft Verstorbener. Der Fährmann, der sein Boot gleich hier am Kanal vor meinem Haus vertäut hält, wird einmal leer ausgehen.

Für die Reise in ein neues Jahr empfiehlt sich leichtes Gepäck. Der Gleichklang eines zweiten Herzens, das Klirren zweier Gläser - oder auch nur die Erinnerung. And I have seen all I want to, singen die Banshees in "Rhapsody". And I have felt all I want to, setzt es nach. Wenn alles verloren ist vor einem bleichen Horizont, wenn alles still wird, kurz vor dem fernen Glockenschlag dann um Mitternacht, erklingt aber noch die letzte Zeile. But we can dream all we want to.

Hopefully learning.


 


Freitag, 28. Dezember 2007


2007, du herzlose Ische



Daraus ließe sich glatt ein Kunstgewerbe gestalten. Die Mantik der eMail-Betreffzeilen erspart nämlich das umständliche Lesen in Vogelgedärm. Das aktuelle Beispiel ist da geradezu sinnbildlich: Viel Arbeit, kein Picknick, immerhin etwas Kunst. Die ganzen wortreichen Spam-Mails mit ihren güldenen Versprechungen nicht eingerechnet.

Man sollte nicht warten, daß Brosamen von der Tafel der anderen fallen. Man sollte sich lieber eine Stulle schmieren. Sich selbst der wichtigste Mensch werden. Ganz genau. Keine lauwarmen Wechsel auf die Zukunft, lieber den Abschlag nehmen und ein kleines bißchen Gegenwart. Also 2008, wenn du Lust hast, was mit mir zu unternehmen, dann schau doch ruhig vorbei.


 


Sonntag, 23. Dezember 2007


Ohne Mütze, ohne Flügel



So, ihr Herzensguten. Bald ist es geschafft, die ein oder andere Geflügelöffnung wird bereits gefüllt, der ein oder andere Weihnachtsgast bereits abgefüllt und der ein oder andere Neugierige die Geschenke bereits vorgefühlt haben - Heiligabend steht vor der Tür. Anlaß also, wie in biblischen Zeiten eine Reise zu unternehmen und um Herberge zu bitten. Mutter, werde ich sagen: Horch, ein Kid ist gekommen!

Die Stippvisite wird kurz, aber mit eiskalten Salaten und Astro-TV in lauter kulinarische und kulturelle Höhepunkte verpackt sein. Soll es allen Lesern Menschen ebenso, ach was, besser sogar ergehen. Fröhlich möchte ich nicht sagen, aber besinnliche, friedliche Weihnachten also, ein Dankfest zum Ende eines für die meisten selten leichten Jahres.

Auch das eine schöne Bescherung: An Heiligabend, das ist kein Zufall, besteht dieses Blog vier Jahre. So hat es damals angefangen, hat diese und jene Wende & Volte geschlagen, knapp 1200 Beiträge und noch ein paar mehr Kommentare ertragen und heute exakt 400.000 Besucher und ich kenne jeden einzelnen. Menschen habe ich kennengelernt, die ich sonst wohl nie getroffen hätte - und darunter sind einige, die ich nicht mehr missen wollte, sei es virtuell oder im ganz realen Leben. Viele waren sehr freundlich zu mir, einige auch nicht so, zu manchen war auch ich nicht sehr freundlich und bei ein oder zwei bedaure ich das sogar. Aber an diesen Tagen wird ja alles wieder gut. Konzern-Manager handeln "wie ehrbare Kaufleute", wie es im Radio hieß, Menschen, die privat von "die doofen Blogger" sprachen, suchen nun das glitzernde Licht großer Blogger-Veranstaltungen und leben richtig auf. Niemand findet das wundersamer als ich, aber Nähe, und das merkt euch, ist nicht nur in der Adventszeit ein Zauberwort. Nicht so viel reden, es heißt die stille Zeit. Da sein.

Also: Macht was draus, seid nett zueinander und wenn ihr wen gefunden habt, haltet ihn oder sie gut fest. Ist glatt draußen.

Frohe Weihnachten.


 


Samstag, 22. Dezember 2007


Böse, böse, ganz böse

So böse, ich kann es nur im Geheimen schreiben. Pst! Kommt mal leise hinterher...

Radau | von kid37 um 17:37h | 8 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 20. Dezember 2007


Alle Herzen glitzern wie Gold

Free Graphic by Colleen FryRock'n'Roll war früher... anders. Heute, im Heim von Glaube, Liebe, Hoffnung, ist Rock'n'Roll, wenn einem die Ärztin das Rezept per Post zuschickt, nachdem man seine Wünsche auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen hat. Es klang zwar nicht nach einem kehlig gesprochenen He, Babe, ich brauche meinen Stoff, aber irgendetwas anderes in meiner Stimme muß sie berührt haben. So ließ sie mich nicht vor einem schnell hingeschmierten Urlaubsschild an der Praxistür auflaufen, gellte auch nicht telefonisch zurück: Min Jong, beweg' dich gefälligst her, wenn du was von mir willst. Nein, sie gab das größte Geschenk, sie dachte mit! Herrlich, wenn man nicht jede Gefälligkeit einklagen muß. Bei so viel Glück, möchte ich meinen, packen die es mir in der Apotheke noch in Glitzerfolie ein, wenn ich dort anrufe. Vielleicht könnte ich neben der anderen Arbeit noch eine Telefonsexnummer betreiben, angesichts der offensichtlichen Magie derzeit in meiner Stimme. Nun gut, das ist ein altmodischer Gedanke.

In der hermetischen Seemannskneipe saß ich einst in tiefem Gedanken. Mir war so Schiff ahoi zu Mute, wie lange nicht mehr. Wegen Aussatz über Bord geworfen wie ein Eimer voll Bilgewasser, hockte ich nun bei Schäbig & Tochter, malte mit dem Finger obszöne Figuren in die Bierlache auf dem Tresen und gab dem Simpel, der mit Eimer und Wischmop Reste, Gäste und Geziefer zusammenkehrte, fünfzig Pfennige für die Jukebox. "Spiel das Nebellied für mich", rief ich, schon ein wenig angetrunken. Langsam, viel zu langsam schlurfte "He du!", wie er genannt wurde, zum Plattenautomaten und drückte K37. Mit noch ächzenderen Bewegungen als ich meine Zeichungen in die Lachen wischte, setzte sich der Plastikarm in Bewegung, das Plattenkarussell wanderte herum und mit einem leisem Plopp fiel die schwarze Scheibe herab. Es knisterte und knackte, so sehr hatten klebrige Alkoholschwaden und heftiges Gerumpel an der Maschine in Folge des ein oder anderen entgleisten Kneipen-Shimmys oder Wirtshaus-Shakes dem Vinyl zu schaffen gemacht. Eine wehmütig gezupfte Gitarre setzte ein, dann die Stimme von Marina, ein Mädchen wie Zimt und Vanille. Sie beschrieb die Nacht am Kai und behauptete, immer warten zu wollen, auch wenn sie das Schiff im dichten Nebel nicht sehen könne. Ach, wie sehr und wie gerne hatte ich diesen Worten einst geglaubt! In den einsamen Tagen, in den stürmischen Tagen, war der Sirenengesang des Nebellieds oft das einzige, was mich sprichwörtlich über Wasser hielt. All die schönen Worte, die vielen Beschwörungen! Wie Glitzer senkten sie sich auf die Wellen herab, verzauberten die Schaumkronen und hüllten Schiff und Masten ein.

Die dreckigsten Witze und derbsten Späße an Bord verstummten, wenn ich auf meinem Reisegrammophon das Nebellied spielte, und selbst Hein Pöök, unser grober Smutje, der handfest war und kein Träumer, wischte sich in der Kombüse die ein oder andere Träne am Zipfel seiner speckigen Schürze ab. Marina, du Traum von Zimt und Vanille! Damals, in Montevideo, ließ ich mir ein Herz mit deinen Namen darin auf den Oberarm tätowieren. Die Besatzung johlte, schalt mich einen Narren und fortan konnte ich das Nebellied nicht spielen, ohne daß zotige Bemerkungen hin- und herflogen, die an deiner Ehre rührten, Marina. Kurz vor Gibraltar warf ich die Schallplatte und das Grammophon über Bord.

Als wir im Heimathafen einliefen, herrschte schönster Sonnenschein. Wir hatten uns landfein gemacht, die blankpolierten Knöpfe unserer Jacken glänzten im Licht, und heller strahlte nur unser Lachen. Wir wurden alle am Kai erwartet, mit Blumen, Kuchen und glitzernden Herzen. Alle, bis auf Hein Pöök und ich. Gedankenverloren rieb ich meinen Oberarm, meinte ich doch, ein leichtes Ziehen dort zu verspüren, wo das tätowierte Herz war. Dann landete krachend eine Hand in meinem Kreuz. "Hier, min Jong", rief Pöök, feist lachend wie stets. "Ich hab noch einen schönen Rest für dich, das macht satt, da hast du was." Und er reichte mir ein trockenes Stück Käse, das die weite Reise mit uns übers Meer gemacht hatte. Und dazu einen alten Kanten Brot. Etwas Glitzerstaub lag auf der Kruste. Ich blies ihn fort, sehr vorsichtig und biß einfach ab.


 


Dienstag, 18. Dezember 2007


Les Fleurs du Mal

Dada est mort!
Vive Dada!

(Trinkspruch)

"Das Schweigen des Herrn Kid wird überbewertet" (Joseph Beuys), denn in zwei Wochen ist alles überstanden. Bis dahin heißt es arbeiten, schnell noch was einkaufen, ins Bett fallen, arbeiten... Zum Glück erleben andere dafür doppelt so viel, man muß sich halt nehmen, was man haben will. Im Café hermétique aber wird gegeben:

How utterly, utterly... wundersam: Dunkel- und Krawallchansonnier Marilyn Manson besucht das Geburtshaus von DADA in Zürich anläßlich der Eröffnung seiner Ausstellung "Les Fleurs du Mal" dort in der Spiegelgasse. [Video]
So bizarr wie nett, und ein Mann wie er, nun der muß nicht alleine auf Vernissagen gehen, seine Freundin Evan Rachel Wood ("Dreizehn") ist auch dabei.

Die Show stiehlt ihm aber eindeutig Philipp Meier vom Cabaret Voltaire, der (um Minute 4 herum) mit ebenso eindringlicher wie ungezwungener Überzeugungskraft vom "Kreuzgang" des Kultkünstlers und magischer Energieübertragung spricht und das Wesentliche dieses erhabenen Augenblicks benennt. Haha, Dada.

(Marilyn Manson, "Les Fleurs du Mal". Bis 6.1.2008 im Cabaret Voltaire, Zürich.)

>>> Weitere Informationen


 


Sonntag, 16. Dezember 2007


Merz/Bow #9

Im Liebling will mir einer erzählen, er hätte bereits 1994 über seinen Uni-Internetzugang bei Amazon bestellt. Selbst wenn er noch hipper war als er nun glauben machen möchte, der Online-Buchhändler ging erst 1995 online, die deutsche Seite gar erst 1998. Wie auch immer.

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Da fehlt nicht nur eine gute Schlußredaktion oder Dokumentationsabteilung, die haben weder über mich berichtet, noch etwas von mir gedruckt.

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I love Marilyn So Fucking Muth..

I Was So Fucken Surpised when My dad told me, Marilyn Mansons Is As Old As Him,, I Freaked out.. But Marilyn Manson I a Awesome Singer

[Kommentar auf Youtube]

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Die Kills haben auch ein Blog - und eine neue Single. Wie im Fieber. Noch aber ist der Maßstab No Wow, wo sie als zwei bekannte Blogger posieren.

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Weihnachten kommt auch wieder früh dieses Jahr. (Und die Session ist noch kürzer, am 4.2. ist bereits wieder Rosenmontag.) Was soll man nur schenken? Am besten, so meine Empfehlung, nur Handgemachtes. Das täuscht Liebe und Einzigartigkeit vor und kommt gut an. Warum auch sonst.

Wer Sticken kann, findet hier eine herzensnahe Anregung. Kann man so was nicht kaufen? Klar, das geht immer: Kunst vermittelt Wotartist und Kunsthandwerkliches Etsy oder das deutsche "Pendant" Dawanda.

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Ja und Bücher? Bücher sind auch super und gehen immer.



Berlin oder so ist nach wie vor eine prima Empfehlung. Blogger schreiben über die große Stadt, vom Hauptstadtblues bis zur berauschten Besinnungslosigkeit. Ein tolles bis in jeder Hinsicht toll gewordenes Buch, in Yves-Klein-Blau (schöner Kontrast zu rotem Weihnachtstand) auch optisch ein Hingucker. Herr Undundund hat dafür mal eben einen Verlag gegründet und bloggende Menschen wie das famose Nuf, Pe, Mlle. Händel, Mek, Herrn Poodle, Parka Lewis, Erasmus von Meppen und weitere gewonnen, ihre Einsichten über Berlin (oder so) kundzutun. Mich hat er als bekennender Berlin-nicht-so-Möger nicht gefragt, er ist aber trotzdem mein Liebling, deshalb gibt es hier alles weitere und wichtige. Ihr müßt das alle kaufen.

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Hamburg - Stanstead nur via DUS? Was ist das wieder für eine Idee. Erst die Englandfähre verlegen, dann die Flüge umleiten. Hamburg oder so. Nich wohr?

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Schade, an besagtem Tag hatte es mit dieser Reise ja leider nicht geklappt (mußten die Jungs aus Norwegen halt gratulieren), sonst wäre ich übrigens genau hier gewesen. Die Dame wurde dieses Jahr immerhin 50. Ich nicht.

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Der Ringelstrumpf der Woche geht an die Yeah Yeah Yeahs, auch hier vom Fever To Tell befallen: Pin. Karen O. Auch so eine. Wie Siouxsie 1985: Down Boy. Oder die verschiedenen Versionen von "Sealings". Alles als bittersüße Versprechen getarnte Erinnerung. Ihr wißt aber gar nicht, was das ist. [via Youtube]

MerzBow | von kid37 um 02:37h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link