
Samstag, 14. Juli 2007
Wahrer Spaß beginnt daheim. Call me onkelhaft, aber ausgehend von meiner kleinen verstaubten Lebenserfahrung gibt es kaum eine intensivere Freude, die für weniger Geld zu haben ist, als sich einmal quer durch die Fingerspitzen zu säbeln, während man eigentlich doch nur etwas Gemüse zerkleinern wollte. Der leise klopfende Schmerz in den verpflasterten Fingerkuppen bewirkt zudem ein wahrhaft stimulierendes Gefühlstremolo beim Versuch, auf einer sich zunehmend rot färbenden Tastatur zu tippen, aber was tut man nicht alles, wenn der Schrei ertönt: Rock'n'Roll!
Macht das nicht allein zu Hause, liebe Kinder, denn eine gute Show braucht ein Publikum, auch diese Empfehlung möchte ich aus meiner oben erwähnten kleinmütigen Lebenserfahrung gern beisteuern. Eine gute Show braucht aber auch Bühnenkleidung, denn ein wenig Glitter würzt das fadeste Grau. Schlabberlook kommt mir bekanntlich nicht ins Haus, weshalb enttäuschte Menschen sich im Innenhof drängeln, aber vergebens. Die oben verlinkten Bunnymen beispielsweise in ihren Holzfällerhemden können sich hinter den Mülltonnen verstecken, jedenfalls bis jemand sich erbarmt und McCulloch endlich diese Matte abschneidet. Um eine andere Musikgruppe aus meiner Kindergartenzeit zu zitieren, die heute auch keiner mehr kennt, hat gute Mode jedoch immer Saison.
Schlichte Eleganz, behaupte ich, insgesamt weiter ohne jeglichen Sinnzusammenhang, schneidet ebenso scharf wie eines meiner japanischen Gemüsemesser. Oder das passende Wort zur unpassenden Zeit. Denn Worte haben nicht immer Saison, weshalb es oft auch die Handlungen sind, die lauter sprechen. Ich glaube, ich kann mir gerade selbst nicht folgen. Also noch mal ungekettelt und ohne Zickzacksäume: Wer häßliche Dinge denkt, sollte wenigstens gut aussehen dabei. Ich finde, darauf könnte man sich einigen. Jedenfalls bis mir morgen früh zehn Gegenbeispiele aus den Seitentaschen meines gestreiften Pyjamas gefallen sind.
So, genug geredet. Macht Euch keine Umstände, die restlichen Gläser räume ich ab.

Freitag, 13. Juli 2007
und man lernt nie aus.
(Pressetext documenta 12)
Kassel wird aus dem Zugereisten nachvollziehbaren Gründen seiner Innenstadtarchitektur wegen weitaus weniger gerühmt, denn der 100 tollen Tage, die alle fünf Jahre die hessische Residenzstadt zum Nabel der Kunstwelt machen. Aus den dort bekanntlich sich ansammelnden Fusseln soll sozusagen Gold gesponnen und bar jeder zwingenden oder bloß störenden Form zur Märchenstunde verwoben werden, bei der allerlei Spezereien und wunderschöne Prinzessinnen, aber auch groteske Monstren und Unglückseligkeiten zu entdecken sind. Scheherazade war dieses Mal Roger M. Buergel, der zusammen mit seiner Lebenspartnerin Ruth Noack die documenta 12 zusammengestellt hat.
Obgleich ausgerüstet mit der Buergelmaschine zum besseren Verständnis (via artblog), befiel mich am Ende eines Ausstellungsmarathons der Schwindel und es ging mir wie Timm Ulrichs: "Ich kann keine Kunst mehr sehen".
Auf der Fahrt ins Kunstfantasialand hatte ich übrigens im ICE eine nette Zufallsbegegnung. Ich grüble erst, was grinst mich diese attraktive junge Dame über die Sitzreihen hinweg an, habe ich was im Gesicht? Und denke noch, die erinnert mich an eine Bloggerin, aber (Elementary, Watson!) kann ja gar nicht sein: Im Zug gibt es ja gar kein Internet! Haha. War aber doch so, und nun will bestimmt einer kommentieren mit: "So klein ist die Welt."
Nachdem ich die letzten Jahrzehnte Tage mit Schulungen, einigen Partien Bullshit-Bingo, Schulungen, Projektarbeit, Schulungen und Dingen verbracht habe, die ungefähr so nötig wären wie Blasen an den Füßen vor einem Ausstellungsbesuch, sehe ich andererseits so etwas wie fluoreszierendes Licht am Ende des Tunnels. Ich könnte dann das ein oder andere aus der schönen Stadt Kassel berichten. Demnächst.
Ich schreibe das jetzt aber erstmal nur heimlich in die Nacht. Dann entdeckt das so leicht keiner.

Samstag, 7. Juli 2007
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Nur kurz, ich habe gar keine Zeit, also ganz wenig. Beim Zappen durch Jugend, Vergangenheit und ausgetretene musikalische Schuhe im Angebot der Firma Youtube, stellte ich mir erneut nur wenig boshaft meinen Hang zur Rührseligkeit unter Beweis, als mir dieser kleine Ausschnitt unterkam von den Brit Awards 2005. 50 Jahre, Freunde, und ein Leben, das ich nicht in allen Punkten im Tausch haben möchte. 1982 sah ich sie das erste Mal live, das sind auch schon 25 Jahre her, man wird ja doch ein wenig wunderlich. Und plötzlich schüttelt man Leuten die Hand, die sind halb so alt wie man selber und man merkt dann, Kinder, wie die Zeit vergeht - und schön, sich zu erinnern. Schön, zu überleben (um die Geschichte zu erzählen), schön auch, wenn der Nachwuchs höflich ist oder etwas Rührendes sagt. Respekt also, und ich meine nicht die Scissor Sisters Liz Taylor.
Zum Schluß, fürs Sentimentale, weil es damals so war, als die 80er zu Ende gingen, und zwar exakt so, mit dem letzten Schlag des Herzens und man irgendwann sowieso nur noch zurückblickt, bis in die schmuddeligen Winkel des allerersten Clubs, in dem alles begann, was für immer bleiben sollte und doch nicht konnte. Aber he, so ist das halt mit der Revolution.
Gestern sah ich bereits das erste Graffiti: Internet's not dead. Sag ich ja, Sid, abgerechnet wird eben erst zum Schluß. Bis dahin: immer weitermachen.
(Geht bald weiter.)

Mittwoch, 4. Juli 2007
Das Wort heißt Sonderprojekt, das Wort heißt Knüppel zwischen die Beine. Zuviel Arbeit, zu wenig Luft. Wenn ich abends nach Hause (har har, auch die Wohnungsfrage bleibt ungeklärt - wie lange eigentlich schon? Aber nur Moos und ganz schwere Steine brauchen ein Heim), also wenn ich abends dorthin komme, wo mein Bett steht, regnet es.
Kurze Betriebspause also. Kann sich nur um Wochen Tage handeln. Bis dahin nicht hören, nichts sehen. Atmen nicht vergessen.

Samstag, 30. Juni 2007
Wenn dann kurz nacheinander die Kernkraftwerke in der Nähe ausfallen, in der Stadt der Strom ausfällt und der nuklearpralle Mond am Himmel für ein schnelles Augenblinzeln die Form eines fahlgelben Atompilz' annimmt, dann sind wir wieder da, wo wir lange schon hingehörten.
Hundert mal gestorben nämlich oder dreimal durch die warme Asche gewendet. Blutige Finger nur noch von Küchenarbeit, schwarze Nacht nur noch, weil ich aus dem Fenster singe. Die neuen Nachbarn unter mir hören seltsame Musik. Junge Leute haben anscheinend immer auch ein Notstromaggregat. Ich aber will Fallout, ich will dreckige Musik. Die neuen Nachbarn hören seltsames Jaulen, ausgelassene Butter, ölig, zähfließend, eine haftende Masse, ich will das gar nicht näher wissen.
Der Ofen aus, mein neues Radio für die Küche hat sich nach knapp zwei Wochen ausgemuxt. Soviel zu seiner Halbwertzeit. Aus Schrott war es gemacht, zu Schrott wird es werden. Es sollte eine Lehre sein, bedeutsam wie ein Vogeltod. Das elektrische Begehren führt stets nur ins Verderben, meine Musik soll lieber nur aus Kohle brennen, zwischen rostigen Eisenplatten ächzen, aus morschem Holz erklingen. Diese Plunderisierung muß aufhören, der nörgelnde Tand endlich Schweigen. Überhaupt soll besser Stille sein.

Donnerstag, 28. Juni 2007
Ich möchte einräumen, nie ein besonderer Fan der bei vielen wohl sehr beliebten Musikgruppe The White Stripes gewesen zu sein. Jack und Meg White, über die eine Freundin von mir einst behauptete, die sähen aus als nähmen sie es mit der Geschlechtshygiene nicht allzu genau (was ich weder bestätigen noch dementieren kann), haben in den mittlerweile zehn Jahren ihrer gemeinsamen Bandgeschichte aber, wie sagt man, das ein oder andere Ding schwer und schräg gerockt.
Das erkenne ich neidlos an, ebenso ihren cleveren, sehr cleveren, Schachzug, sich von Beginn an eine ebenso reduzierte wie einprägsame visuelle Uniform geschaffen zu haben, in dem sie das äußere Erscheinungsbild der Band konsequent in Rot, Weiß (und Schwarz) halten. Rot und Weiß, die alten Rosenkreuzer wußten um die archaische Bedeutung, knallen ebenso ins Auge wie die Musik ins Ohr, soweit also alles gut.
Aber wie gesagt, ein Fan bin ich nicht so wirklich, musikalisch ermüdet mich das leicht, wie ein einmal zu oft wiederholter Witz. Andererseits finde ich ihre neueren Videos ziemlich gut. Wo früher das ein oder andere durch Legostein-Ästhetik verdorben wurde, scheinen sie mir jetzt ihre Welt gefunden zu haben, und zu der, muß ich sagen, habe ich ebenfalls einen Schlüssel.
Blue Orchid von Floria Sigismondi war klasse, das neue Icky Thump (Regie: Jack White & The Malloys) ist ebenfalls toll. Es knüpft offenbar dort an, wo Annie Leibovitz mit ihrer Fotosession aufhörte: in der Welt der Zirkusse, Jahrmärkte, Side-Shows und Bordells und Wahrsagebuden. Rothaarige Verderberinnen Frauen, scharfe Messer und noch schärfere Getränke: Jack, Meg, kommt rein. Mit Whiskey kriegt man ja alles desinfiziert.
>>> Videos freundlicherweise von den Firmen Youtube und Spinner
Offizielle Webseite der White Stripes

Mittwoch, 27. Juni 2007
Auf seinen Mantel, der im Sturme bläht.
Im Mast, der hinter seinem Rücken steht,
Hört er die Totenuhr, die ruhlos klopft.
(Georg Heym, "Der fliegende Holländer". 1910.)
Draußen zeigt sich endlich ein Sommer nach meinem Geschmack: Regen, mehr Regen und kaltwindige Schauer treiben das Gefühl von Herbst in die schwitzigen Leiber. Sturmtief Uriah greift mit gierigen Fingern nach Gesundheit und Gottvertrauen, in der U-Bahn husten die Menschen, und die Dachdecker bauen diesmal ihre Gerüste ab. Entzwei, aber ohne zu fallen, wanke ich heute heim, schnell noch in den Lebensmittelmarkt, schnell noch etwas kaufen, das mir Schokolade sein könnte und Brot natürlich und Käse.
Vor der Tür überfällt alle die, welche meinen, "keinen Wagen" zu brauchen und folgerichtig die Schlange an der Kasse aufhalten, weil das dann doch alles nicht so schnell geht wie gedacht mit dem Bezahlen und dem Verpacken und dem Imwegstehen - jene also "ohne Wagen" geraten vor der Tür erst recht in den Schauer. Denn solche "ohne Wagen" sind auch jene "ohne Schirm", in aller Regel.
Ich aber liebe den Wind und das Zerren am Regenschirm, das mir vorkommt wie das Knattern der Segel, man muss sich mich als alten Seemann vorstellen, das Boot wie gesagt, das kommt dann noch.
Es gibt aber auch andere Ausflüge, die sonnigen, nicht minder merkwürdigen, solche, die Angeliska beschreibt. Eine Stimmung, ein wenig wie in The Reflecting Skin, dem Schrei in der Stille, über den ich hier schrieb. Jetzt also Tideland, dem letzten Film von Terry Gilliam ("Brazil"). Der Horror endloser Getreidefelder in sengender Sonne. Die Kritiken, nun ja, sind fast einhellig vernichtend. Was das Grauen betrifft, liebe Kinder, gaukelt wenigstens der Herbst nichts vor.
>>> Offizielle Webseite von Tideland | Wikipedia zu Tideland
