Ein Ausflug

Der Regen jagt, der spärlich niedertropft
Auf seinen Mantel, der im Sturme bläht.
Im Mast, der hinter seinem Rücken steht,
Hört er die Totenuhr, die ruhlos klopft.

(Georg Heym, "Der fliegende Holländer". 1910.)

Draußen zeigt sich endlich ein Sommer nach meinem Geschmack: Regen, mehr Regen und kaltwindige Schauer treiben das Gefühl von Herbst in die schwitzigen Leiber. Sturmtief Uriah greift mit gierigen Fingern nach Gesundheit und Gottvertrauen, in der U-Bahn husten die Menschen, und die Dachdecker bauen diesmal ihre Gerüste ab. Entzwei, aber ohne zu fallen, wanke ich heute heim, schnell noch in den Lebensmittelmarkt, schnell noch etwas kaufen, das mir Schokolade sein könnte und Brot natürlich und Käse.

Vor der Tür überfällt alle die, welche meinen, "keinen Wagen" zu brauchen und folgerichtig die Schlange an der Kasse aufhalten, weil das dann doch alles nicht so schnell geht wie gedacht mit dem Bezahlen und dem Verpacken und dem Imwegstehen - jene also "ohne Wagen" geraten vor der Tür erst recht in den Schauer. Denn solche "ohne Wagen" sind auch jene "ohne Schirm", in aller Regel.

Ich aber liebe den Wind und das Zerren am Regenschirm, das mir vorkommt wie das Knattern der Segel, man muss sich mich als alten Seemann vorstellen, das Boot wie gesagt, das kommt dann noch.

Es gibt aber auch andere Ausflüge, die sonnigen, nicht minder merkwürdigen, solche, die Angeliska beschreibt. Eine Stimmung, ein wenig wie in The Reflecting Skin, dem Schrei in der Stille, über den ich hier schrieb. Jetzt also Tideland, dem letzten Film von Terry Gilliam ("Brazil"). Der Horror endloser Getreidefelder in sengender Sonne. Die Kritiken, nun ja, sind fast einhellig vernichtend. Was das Grauen betrifft, liebe Kinder, gaukelt wenigstens der Herbst nichts vor.

>>> Offizielle Webseite von Tideland | Wikipedia zu Tideland

Homestory | 00:49h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
c17h19no3 - Mittwoch, 27. Juni 2007, 01:09
ich war gerade draußen, im wald am fluss - natürlich ohne schirm, weil ich auch ohne wagen einkaufe - weshalb mich zielgerichtet am äußersten punkt, dem wendepunkt, auch die nächste regenfront einholte. innerhalb von zwei minuten wurde es nacht, innerhalb von zwei sekunden war ich klatschnass, der wind, der einem die kalte kleidung um den körper wickelt, ach, manchmal, gerade im sommer, finde ich das herrlich. von mir aus kann es die nächsten zwei monate so bleiben. auch, wenn mich meine kollegin für diese ansicht steinigt.
tideland klingt interessant. pan´s labyrinth gefiel auch.

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kid37 - Mittwoch, 27. Juni 2007, 12:07
Sie sind das also, die an der Kasse für Stau sorgt. Weil man ja "nur drei Teile" kaufen wollte. Wollte.

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c17h19no3 - Mittwoch, 27. Juni 2007, 17:21
sie nennen es stau, ich nenne es die wiederentdeckung der langsamkeit. die deutsche bahn unterstützt mich dabei äußerst aufopferungsvoll. bundesweite kampagne. sogar die autofahrer auf der a7 hat es total ergriffen.

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frau klugscheisser - Mittwoch, 27. Juni 2007, 01:16
Nicht nur im Norden sind die Regenschauer vorprogrammiert. Erst gestern hat mich ein solcher kalt auf dem Heimweg vom derzeitigen Fitnessprogramm erwischt. Nicht mal auf den südlichen Sommer ist mehr Verlaß.

Das Grauen naht. Schon bald.

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kid37 - Mittwoch, 27. Juni 2007, 12:06
Ist heute nicht Siebenschläfer? Hahahaha. All die armen Menschen, die Grillkohle gekauft haben...

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sakanachan - Mittwoch, 27. Juni 2007, 01:21
arbeiten ohne schlechtes gewissen. ist doch okay auch mal.

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kid37 - Mittwoch, 27. Juni 2007, 12:05
Und ich kann meinen Bootsmannsstrickpullover tragen.

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gheist - Mittwoch, 27. Juni 2007, 04:40
Tideland kommt jetzt erst raus? Ist doch schon 12 Monate alt...
Tideland ist so ein wenig Christina's World meets Meet the Feebles. Die Vorstellungswelt der Hauptfigur ist hinreissend (man wird ja sonst nicht zu solchen Adjektiven "hingerissen"). Der Film ist pervers. Und klasse.

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kid37 - Mittwoch, 27. Juni 2007, 12:04
Das klingt ja hervorragend. Ich lebe ja zeitverzögert, auch was die Filmrezeption betrifft. So bin ich gerade erst bei Little Miss Sunshine angekommen. Tideland lief hier wohl nur auf Festivals. Ich bin gespannt.

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undundund - Mittwoch, 27. Juni 2007, 14:21
Vor ein paar Monaten gab es in Berlin eine Werkschau von Gilliams Filmen, an zwei oder drei Tagen lief auch Tideland. Und ja, ein gemütlicher Popcornfilm ist das nicht, das geht eher in Richtung Grimm 2.0.

(Hier noch ein Interview.)

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kid37 - Mittwoch, 27. Juni 2007, 16:29
Danke für den Link. Grimm fand ich eher enttäuschend, der war mir zu klamaukig. Tideland scheint aber auch von vorneherein düsterer angelegt gewesen zu sein.

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undundund - Mittwoch, 27. Juni 2007, 17:45
Oh, Missverständnis. Ich meinte nicht den Film Brothers Grimm, den habe ich gar nicht gesehen. Ich wollte mit "Grimm 2.0" eigentlich nur sagen, dass Tideland schon ein modernes Märchen fürs Kinopublikum ist, jedenfalls wenn man Märchen von ihrer schockierenden Seite angeht.

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fishy_ - Mittwoch, 27. Juni 2007, 21:43
Aaaah, da warte ich auch schon ewig drauf. Wo wird man ihn denn sehen können?

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kid37 - Mittwoch, 27. Juni 2007, 22:44
Der Film hat keinen deutschen Verleih, es gibt offenbar auch nur eine UK-DVD. Ich bin ja überhaupt nur durch die Erwähnung bei Angeliska drauf gekommen und werde jetzt mal weiterforschen.

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ederlgurke - Donnerstag, 28. Juni 2007, 01:27
tideland ist famos, und ohnewagen hält nicht mehr auf als kartenzahler.

ohne schirm nie, aber froh ums ohneschirm der anderen (verletzungsgefahr auf dem trottoir minimiert)

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kid37 - Donnerstag, 28. Juni 2007, 17:04
Ja, aber die Dame an der Kasse kassiert bei Kartenzahlung nicht schon den nächsten Kunden ab - das macht sie natürlich, wenn andere an der Kasse einpacken statt an dem (wie der Name andeutet) dafür vorgesehenen Packtisch. Dadurch türmen sich die vormals mühevoll nach grundlegenden phsysikalischen Gesetzen und ihrem feinstofflichen Gehalt austarierten Warengruppen auf dem Förderband zu einem disorganisierten (Entropie!) heterogenen Haufen, bei dem dann Tomaten (die zarten!) ganz unten zu liegen kommen, während der Imiglykos (rund, hart) über die Bio-Eier (Stempel: "0") rollt.

Kurz: Eine Problemstellung (kurz nach Feierabend. Natürlich!), die man am liebsten mit dem Stockschirm austreiben möchte. Und zwar beim Verursacher. Glücklicherweise lenke ich solche Energien nach innen, wo sie höchstens die Zelltteilung befeuern. Was wiederum nicht gut für die Haut ist.

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mark793 - Donnerstag, 28. Juni 2007, 17:53
Wozu doch der Nachwuchs gut ist: Man kommt nicht umhin, einen Einkaufswagen zu benutzen. Bei Feinkost Albrecht hatte ich mir früher (aufgrund der geringen Einkaufsmengen) auch gerne den Kick gegeben, die Einkäufe mittels eines Kartons zur Kasse zu bringen, den ich eigens irgendwo freigeschaufelt hatte. Nur ziehen die Mädels das Zeug dort so rasant am Scanner vorbei, dass man fast keine Chance hat, die Waren wieder so ergonomisch und platzsparend in den Karton zu schichten, dass man sie getrost nach Hause tragen kann. Es sei denn, man bildet ein Verkehrshindernis.

Bei real gibt es übrigens einen kaum frequentierten selfservice-checkout. Als praktizierender Paranoiker überzeugter Barzahler habe ich diese Einrichtung allerdings noch nicht angetestet...

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