
Montag, 11. Juni 2007
Die Türklinke nur noch mit dem Mund öffnen. Den toten Vogel anschauen, mit großem Auge und noch größerem Aaaah die wichtige Frage stellen:
"Do we want it?"
(Aber nur, wenn die Lautstärkeregler auf 10+1 stehen.)
Ja, XP tried to fuck me, but then I fucked my XP. Mal sehen, wie lange der Rechner hält, mindestens so lange jedenfalls, wie ich eine Rauchgranate in ihm zünde und ihn achtkant in den Kanal werfe. Vorher aber ziehe ich ihm die RAM-Bausteine mit den Zähnen raus. Mit der Zunge in seinem Netzwerk.
Morgen rufe ich Charly Jungbluth an. Auf meinem Rücken ist noch Platz.
Mit anderen Worten, der Aufstand der Maschinen ist teilweise niedergeschlagen. Die Verantwortlichen werden einem Schauprozeß übergeben. Ich kann sogar wieder eMails schreiben, ohne sie persönlich, mit Fingerabdruck versiegelt, zum Depeschendienst eines Internet-Cafés bringen zu müssen. Anderes entwickelt sich gerade nicht so großartig, ich sage nur: Banktermine! Menschen in grauen Anzügen sagen, ja, Herr Kid, das sieht doch alles gut aus. Derzeit sei der Markt und die Entwicklung und die Prognosen und an meiner Stelle sowieso, empfiehlt man mir, dreht Monitore, schauen Sie mal! Zahlenkolonnen, Restbeträge, Überschläge (alles steueroptimiert!).
Dann aber runzelt man die Stirn, sieht die Posten auf meinem Konto, was sage ich, Pöstchen, und will sich in ein paar Tagen melden. Es gibt kleine Kinder, die damit drohen, bekommen sie nicht noch ein Stück Kuchen, sofort!, sich vor allen Leuten auszuziehen. Umstandslos. In einer Bank, in meinem Alter, nun, vergessen wir das.

Freitag, 8. Juni 2007
Wer heute abend nicht so lange auf den ganz wunderbar verstörenden Cronenberg-Film Die Unzertrennlichen warten will (Tele 5, 0.05 Uhr), der zieht sich vernünftig an (das ist kein Werk, das man im Schlabberlook anschaut!) und schaltet um 23.15. Uhr Arte ein.
Dortselbst läuft das selten gezeigte Drama Der Nachtportier, das ja ohne das Wort "umstritten" gar nicht umschrieben werden kann. Ein abgründiges, lange verbotenes Psychogramm beschädigter Seelen, brutal, todessehnsüchtig, obszön und von schamloser Schönheit. Dirk Bogarde und Charlotte Rampling als Albtraumpaar, dessen zerstörerische Beziehung mehr und mehr den Zuschauer fesselt.

Donnerstag, 7. Juni 2007
Eine Überlegung zum Saturnjahr. Man schreitet voran, stößt gegen Grauwacke, dreht sich links, dreht sich rechts, stößt sich Kopf, Rumpf und Glieder, legt sich hin - den Hals in Demutsgeste gereckt - und wird von einer planetaren Kugel aus Blei überrollt. Saturn, der himmlische Hemmschuh, zeigt sich, schwer, träge, stur wie ein adipöses Hindernis auf der Rolltreppe.
So stetig gedrückt, gequetscht und gepresst, tonnenschwer, müßte am Ende eigentlich ein Diamant übrigbleiben, aber laßt uns besser über Zirkonia sprechen. In Wahrheit wird es ein schwarzer Klumpen aus rostigem Schrott sein, Rust Boy im Ringelpullover.
Vielleicht wird es sein wie bei Lear oder einem anderen Bild von Damian Ocalì. Eine staubige Welt, nackt, bloß, den Mund voll trockener Erde. Bis dahin heißt es Zeichen suchen. Manchmal zeigt sich Hoffnung in einem halbgeschmolzenem Stück Schokolade. Ich schau mal in den Vorratsschrank.
Weitere lumineszierende Funde und Beweise aus den Nischen des schräglastigen Kulturschaffens in der Wunderkammer.

Dienstag, 5. Juni 2007
Mein Weinkellervorrat, den man auch als metaphyisches Basislager bezeichnen könnte, wenn nicht als persönliches Chateau d'If, ist bekanntlich nicht wirklich hochpreisigklassig gefüllt, diesem Umstand zum Trotz dennoch hin und wieder Quell hochverdichteter Erkenntnisse.
Heute also dies, schreibt das bitte auf:
Du kannst nicht immer 17 sein.
Am Ende gewinnt immer das System.
(Mein christliches Betriebssystem aus Redmond hat sich verabschiedet, das menschliche kommt mir allzu menschlich fehlerhaft daher und macht mich allein nicht glücklich. Wer weiß, wann ich ins binäre Leben zurückfinde. Vielleicht werfe ich auch einfach alles in den Kanal und lebe ein archaisches Leben mit Füllfederhalter und Papier. Man wird sehen, Wunder gibt es immer wieder. Sagt man.)
Spendet. Betet. Seid freundlich. Wechselt regelmäßig eure Unterwäsche. Macht immer weiter.

Sonntag, 3. Juni 2007
Damals als ich liebestrunken, täppisch tapsend, ein wandelnder Dummjungenstreich, nur eins suchte: deine Aufmerksamkeit. Ja, damals, das waren diese schweren Jahre, zwischen NICHTS und ALLEM, zwischen Schrei und Schande und dem irrlichternden Gefühl, rettest du mich, bin ich dein Verderben oder sind wir alle längst bekehrt?
Ich habe meine Kunststücke gezeigt, habe Teller gefangen und einen Schmetterling. Und wo, bitte, wo warst du denn? Am morgen gingen wir Bienen suchen. Ich sagte, komm, tanz für mich und machte einen kleinen Zaubertrick. Sibol. Damals, ich erinnere mich, im Jardin du Luxembourg oder nahe der Carnaby Street oder in einem Vorortzug nach Bandol. Geschichten für drei Romane und ebensoviele Verheißungen. Die alte Dame im Zug, die mir Bonbons gab und eine halbe Tüte Pfirsiche, weil wir halb verhungert aussahen und diese Aura hatten, die sie um uns sah. Die Bonbons gab sie nur mir, weil sie in mein Gesicht schaute und das, was die Zukunft war. Visage d'un... Aber wen, bitteschön, wen kümmert das nach all den Teufelsjahren noch?
Im Jardin du Luxembourg blieb ich einfach sitzen, weil die Sonne mich blendete und mein Frühstück, als dieses Mädchen vor mir auftauchte, ein Kopftuch verdeckte ihr Haar, und der Franzose an ihrem Arm verstand nicht, was sie sprach. Wohin, woher, und ob ich nicht... Irgendwann wußte ich, wohin sie mit mir gehen wollte, Gare du Nord oder l'Est oder d'Austerlitz. Heute habe ich es vergessen. Denn ist die Unschuld lang verloren, öffnet sich so bald keine Tür. Damals hätte ich mein Leben ändern können, hätte ich, ja, hätte ich bereits eines gehabt. Aber nein, ich saß, ich staunte, so wie später dann im nächsten Jahr, in London, als... nein, ach, das ist verflogen wie ein Luftballon. Look at the balloon!, rief sie, und ich sah in den Himmel und sehe noch heute ihr Gesicht.
Heute bleibt mir manchmal dasselbe Naive, der direkte Impuls. So einer schöner Heizkörper denke ich, stehe wackelnd auf einem Stuhl und nehme dabei noch ein Glas. Während andere Ringen, werde ich mich selber Wringen. Mal bitter nötig, das Innere nach außen stülpen, den Quatsch abwischen, den schlechten Geruch. Das sind die Kellerjahre, dumpf und muffig röcheln sie noch lange nach. Um mich herum stelle ich Schalen auf von frisch gemahlenem Kaffee.
Um mich herum.
Um mich.
Um.

Freitag, 1. Juni 2007
Viele Fragen, viele Bilder, viele Meinungen - künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Gipfel.

Mittwoch, 30. Mai 2007

Der neueste Patient wurde uns am Wochenende überwiesen. Etwas über 30 Jahre alt, leicht angegraut, der Einstellknopf für die Weckzeit fehlt, ansonsten für sein Alter äußerlich gut in Schuß. Der Befund: Patient rührt sich nicht, Lebensader äußerlich beschädigt. Die Anamnese ergibt, Patient hat lange im Keller gelebt, ohne weitere soziale Kontakte oder regelmäßige Bewegung. Bezugspersonen zögern, einen Totenschein ausstellen zu lassen. Patient sei immer sehr "treu" gewesen.
Wir entschließen uns zu einer innerlichen Begutachtung, um eine bessere Diagnose stellen zu können. Nach Y-Schnitt und Lösen der Clavicular- und Sternum-Schrauben Öffnung des Brustkorbs. Die makroskopische Begutachtung ergibt degenerative Erscheinungen der Gelenke des Uhrwerks, Kalkinfiltration und staubige Ablagerungen. Sensorischer Befund der Vitalorgane ohne Temperatur. Gefäßwand der Hauptschlagader am Körpereingang (dorsal) porös.
Sektion der Ader, Einsatz eines Shunts zur Wiederherstellung der Stromzirkulation. Reanimation des Patienten ohne Erfolg. Augenkontrolle der Uhrwerkbeleuchtung ohne Ergebnis. Geräusche nicht wahrnehmbar. Meßgeräte zeigen keine Reaktion. Abschluß der makroskopischen Begutachtung.
In einer weiteren Operation sollen verschiedene Stanzbiopsien histologische Befunde vorbereiten. Versagen des Herzkranz-Systems kann derzeit nicht ausgeschlossen werden und gilt als wahrscheinlich. Verfügbarkeit eines Spenderorgans derzeit unklar, Prognose negativ.
Patient überführt auf die Wartestation. Terminsache.
gez. Dr. Frankenkid
