Dienstag, 27. Februar 2007


Gut aufgehoben

Dorothea Ottermann, "Überwachung und Identität"

Wenn man so ein Wochenende damit verbracht hat, auf rutschigen Gummistiefeln über lehmverschmierte Holzbohlen zu wanken ("Der Boden wird noch gemacht, das sieht später ganz toll aus!") und mit der Helmlampe dunkle Wohnlöcher zu erhellen ("Morgens haben Sie hier ganz zauberhaftes Licht!"), steht einem der Sinn mit Recht nach dem Guten, Schönen und Erhabenen.

Die Diplomausstellung an der HfbK ist für diese Vermittlungsinhalte ein lohnendes Ziel und bietet zudem die Gelegenheit, mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen. Allgemein fand ich die Malklassen dieses Jahr ein wenig nun ja, teilweise machten die Fotografien, traditionell in Hamburg immer eher schwach besetzt, mehr her. Moki hatte einen schönen Raum, die zahlreichen Videoinstallateure in der Nachbarschaft hingegen habe ich allerdings nur aus dem Augenwinkel zur Kenntnis genommen. Dafür fehlt mir die Geduld.

Waschbecken 2, HfbK 2007Waschbecken 1, HfbK 2007Neben vielen tollen Waschbeckeninstallationen, oft ja der Höhepunkt solcher Akademierundgänge, habe ich aber das Werk von Dorothea Ottermann für mich entdeckt.

Wie ein zum Ausstellungsleben erwachtes Found Magazine präsentiert die Künstlerin unter dem Titel "Überwachung und Identität" eine fantastische Sammlung von gefundenen Notizen, Listen, Fotos, "Ich kaufe ihr Auto"-Karten und anderen Mitteilungszeugnissen als wohl- und neugeordnetes Zettellabyrinth. Ein beachtliches Konvulut und bloß innerhalb eines Jahres gesammelt, wie die Künstlerin mir erzählte. Säuberlich nach Kategorien in Ordnern sortiert und als eine Art Bibliothek schriftlicher Selbstvergewisserung (Notizen an mich selbst, Einkaufslisten) und Fremdmitteilung ("Kümmer dich um DSL!"/"Kann jemand meine Tüten mit nach unten nehmen?") geordnet, entstand eine soziografische Studie, eine Landkarte aus "Ich war hier!"-Kommunikation, die auch viel mit Blogs gemeinsam hat. Oder den manischen Zeitungsschnippsel-Zimmerauskleidungen und Textsammlungen von Serienmördern im Film. Ganz wie man will. Für mich eine sehr witzige, sehr spannende und irgendwo auch traurige Re-Organisation und Re-Dekoration von banalem Alltag, die mir gut gefallen hat.


 


Sonntag, 25. Februar 2007


So nah dran



(Kaum wird der Laden im Radio erwähnt, laufen die Suchmaschinen in allen Variationen heiß. Willkommen also im Jammerblog.)


 


Samstag, 24. Februar 2007


Do you, Mr. Jones?

Die Dummheit manchmal. Die eigene natürlich vorneweg. Der Typ, der mir eine dreschen wollte, immer nur virtuell natürlich, wir sind ja im windbeuteligen Metaphernland, drischt auf einen anderen ein. In fast exakt denselben Worten und mit den psychologischen Untergriffen, die er bei mir versuchte. Wie ein mühsam einstudierter und nun immer und immer wiederholter Judogriff. Kurz Schwierigkeiten verspürt, die Verblüffung aus dem Mundwinkel zu krümeln. Der meinte es noch nicht mal persönlich! Der macht das immer so! Kurz einen Hauch von Empörung verspürt (wären diese Empörungsblogger nicht so absolutely yesteryear). So wenig bin ich also wert.

Dann wieder Dylan gehört und ein bißchen mitgesungen, hätte man vor Jahren auch nicht gemacht, weil der Mann so yesterJahrhundert war. You say you're lookin' for someone/Who will promise never to part,/Someone to close his eyes for you,/Someone to close his heart,/Someone who will die for you an' more,/But it ain't me, babe... was für ein Glück, aus dieser Nummer raus zu sein. Die meinte das ernst, ich aber auch.

Das langsame Abschiednehmen. Nicht wie Henry Maske mit dem Time to say dingsda und dann doch aber wieder und vielleicht. Ich kündige mir selbst und ziehe in einen Baucontainer. Möglicherweise ist diese Stadt auch einfach "durch". Ich bin sicher eh mehr so ein Typ für die Provinz oder ganz was anderes. Alles verschenken vielleicht, die Bilder, den Plunder, die Geräte, drei, vier Paar schöne Schuhe behalten, den Koffer mit den Manuskripten, ein paar Träume auch, und dann far, far away wie es in der C&A-Reklame bei Slade heißt.

Das Gefühl haben, irgendwann doch eine entscheidende Abzweigung übersehen zu haben. Und nun immer kämpfen, nun immer gezwungen sein, der Stimme aus dem Navigationsgerät zuhören zu müssen, wie sie ruft, Jetzt abbiegen, immer wieder, wie ein Adler, der jeden Abend angeflogen kommt, um ein Stück meiner Leber zu fressen.

Laß uns über Bewegungslosigkeit reden. Natürlich bin ich nicht an Felsen geschmiedet, das wäre ja vermessen. Wer sollte so böse zu mir sein? Niemand außer mir selbst. Dann bliebe der Gedanke, ein paar Dummheiten eben nicht gemacht zu haben. Und das entsprechend zu bedauern. Zu Heiraten, weil die Sonne schien. Kinder in fremden Ländern gezeugt zu haben, weil man die Sprache nicht verstand und das Fuchteln der Väter und Brüder im Rückfenster für fröhliches Winken hielt.

Nicht immer und immer wieder laut wie Dylan Honey, I want you gesungen zu haben, im Morgengrauen nach einer sehr langen Nacht, wenn die ersten Strahlen der Sonne über leere Flaschen und vergessene Unterwäsche streift. Überhaupt, die Nacht so lange vergessen zu haben, weil man immer früher und öfter müde wird. Vor der Zeit.

Vor der Zeit auch den eigenen Tod zu besingen, während andere ihre Bäume pflanzen, ganze Wälder gar, in denen man höchstens als alter Mensch noch wandern kann, ein welker Gast, der staunend das Wachstum begafft, wehmütig natürlich auch. Ergriffen vielleicht von der eigenen Dummheit. Dem Trägen, der ewigen Entschuldigung. Dem Vorschieben von Krankheit, Armut, Nicht-Wissen- und Nicht-Glauben-Wollen.

Und die ach-so-oft zitierten Zeilen, das natürlich wahre Everyone I know goes away/In the end immer viel zu früh gesungen, als vorausgelebtes und nicht ausgelebtes Leben, das das Ende kennt, ohne den Anfang je gewagt zu haben.

Als letzte Lösung natürlich auch die letzte Lösung haben. Vielleicht Gründe vorschieben. Wie Ausschlag, der nicht heilen will. Das Stirnrunzeln der Ärzte, die Ungerechtigkeit auf irgendeinem kleinen Amt. Die Feigheit auch, wenn man liest, was andere buckeln, Tag für Tag. Sich schäbig fühlen, weil man das einfache nicht begreift. Etwas passiert hier gerade, und du weißt nicht, was es ist, nicht wahr, Mr. Jones?

Dann Schuld verteilen. Die Menschen, die nicht folgen wollten, wenn man goldene Tore aufgesperrt, diamantene Versprechen verteilt, sich selbst abgewandt hatte von den plumpen Spielen, dem Blut, den gefühligen Erpressungen. Und sei es nur, weil man einst selbst als ungeschlagener Champion diese Sportart verlassen hat. Einst. Wie alt war ich da? Da muß ich rechnen, aber ich bin sicher, Alexander hatte da schon ganze Völker unterworfen und die halbe Welt erobert.

Meine Mutter sagt, Die Flucht, das schaue ich mir nicht an. Ich war ein kleines Kind und ich habe schlimme Dinge gesehen, aber ich habe den Krieg "in schöner Erinnerung", das lasse ich mir nicht nehmen. Kindliche Abenteuer, Wars that I have seen. Die Brüder, eine dieser Anekdoten, verbummelten die Abfahrt, stahlen ein Ruderboot und ruderten der Fähre hinterher, die längst schon abgelegt hatte, um über die Ostsee zu entkommen. Aufgefischt, mußten sie antreten vor dem Kapitän, zum Rapport. Die sieben Kinder kamen alle an, aber ich viel später, ich habe Mutwilligkeit in der Ostsee gehaßt.

Im Vergleich dazu, was, bitte schön, ist das bißchen Blut, der angerostete Traum, den man, nicht man, also ich, vor sich herschiebt, hochhält, kläglich, wie eine verblichene Fahne, auf der nur noch das Wasserzeichen "Gescheitert" deutlich sichtbar hervorsticht? Wass'n ditte? Nüschte nix. Die eigenen Kriege, ach bitte, mach mir halt den Prozeß, wir schenkten uns doch nichts, und später dann, das wird dich nicht trösten, hat dich eine andere gerächt. Jetzt abbiegen, rief sie, ich blieb aber still, wie festgeschweißt, denn ich kannte den Weg ja schon.

Ihr lest hier alle schon viel zu lange mit. Das ist das Problem. Morgen kaufe ich Zigaretten. Heimlich werde ich Vitriol auskippen und zusehen, wie sich das Blog langsam von hinten auflöst. Stück für Stück. Dann wird endlich eine Ruhe sein.

Leave at your own chosen speed.


 


Freitag, 23. Februar 2007


Einfach die Laufrichtung ändern

... drifter coming in
never touching down - never leaving ground
a twilight world in which we roam
still we don't belong - drift on

(Siouxsie and the Banshees, "Drifter")

Es will einem wahrscheinlich etwas sagen, wenn man morgens in der Fabrikeingangshalle versehentlich den Aufzugknopf "nach unten" drückt - so als wäre bereits Feierabend und man wolle wieder nach, ja wohin eigentlich? - und ein leises Pling weist einen darauf hin, daß es tiefer derzeit nicht geht.

Falscher Knopf also. Falsche Richtung. Leider sind nicht alle Probleme so einfach mit "oben" oder "unten" zu verorten. Derzeit eher das Gefühl auf eine kreisende Spirale zuzulaufen. Die Kollegin sagt, es ginge doch nur noch darum, einen Ausstieg aus diesem Beruf zu finden. Ehrenvoller Rückzug hieß das früher. Es geht darum, einen Ort zu finden, keine Provisorien. Keine Sanatorien. Das Leben als stete Folge von Übergängen, ein Transit zwischen Gesundheitskompromiss und Rentenformel. Ich komme jetzt in das Alter, in dem andere sich einfach einen roten Sportwagen kaufen. Andere winken ab wegen des Klimawandels. Ich winke auch ab. Denn Rost wird alles, was ich berühre.

Du mußt einfach die Laufrichtung ändern, sagt die Katze. Ach ja? No direction home. Aber leider zu alt, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Am besten, man mahnt sich selber ab.


 


Freitag, 23. Februar 2007


Kurze Notiz

© MokiFür ganz Kurzentschlossene schnell noch ein Hinweis. Die extrem talentierte junge Hamburger Künstlerin Moki hat ihr Studium beendet und lädt zur:

diplomausstellung der hfbk
hochschule für bildende künste/
academy of fine arts
lerchenfeld 2, hamburg

eröffnung/opening: mittwoch 21.2 ab 19h
donnerstag 22.2 - sonntag 25.2
täglich/daily 14 - 20h
"to disappear completely"
raum 120/room 120

bilder sind am 22.2 online/pictures online on 22.2


>>> SPIEGEL | Das hermetische Café


 


Mittwoch, 21. Februar 2007


Merz/Bow #5

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Schauen Sie doch mal bei Herrn Nase vorbei.

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Immobilistendeutsch. Begriffe wie "süß" oder "rustikal" in Zusammensetzung mit "Wohnung" rufen Gefühle von physischer Enge oder psychischer Beklemmung hervor. Der "ehemalige Bordellbetrieb im Souterrain" klingt nicht einmal auf den ersten Blick glamourös.

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Immobilistendeutsch, 2. Stadtteilnamen wie Wilhelmsburg, Harburg und Orte, von denen ich nicht wußte, daß solche existieren, tauchen in meinem aktiven Wortschatz auf. Wilhelmsburg ist natürlich eine Option. Williamsburg in New York ist nicht viel anders. (Sich Glamour selber machen.)

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Die Fabrikanten wollen das Knacken unserer Knochen hören. Werktische, besudelt von schwarzen Blut, bleiche Menschen in den Aborten. Die Produkte sollen aber "sexy" bleiben. Ein ferner Begriff aus der Vorstellungswelt. Glamour als Gewürzbeigabe. In diesem Bereich gibt es ja keine frische Ware.

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Ich abonniere jetzt die Imkerzeitung.

MerzBow | von kid37 um 14:36h | 17 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 20. Februar 2007


Dem Fremden Hallo sagen

Eingeschlossen in Schlafsaalträume
Betend zum neuen Engel

(Einstürzende Neubauten, "Hospitalistische Kinder/
Engel der Vernichtung")

Vernissage Chet Zar @ Strychnin, 16.2.2007

Sehr übermüdet, aber voller Vorfreude taumelte ich dann am Freitag zur Vernissage von Chet Zar. In der Strychnin-Galerie war bereits angenehm trubelig was los, freundlich düstere Menschen vor ebenso düsteren Gemälden, gute Laune hatte nach und nach den vorhandenen Sauerstoff ersetzt. Wie das so ist, wenn man wie erwähnt übermüdet in anderer Leute schlimme Träume stolpert, fühlte ich mich bei Zars angegigerten, helnweinesken Gemälden gleich wie zu Hause. Natürlich malt Zar ganz anders, und die Erwähnung der beiden Namen dient auch wirklich nur als höchst ungefährer Hinweis.

Chet Zar, ein hochsympathischer, völlig unverkrampfter Typ, war offensichtlich sehr angetan von seinem ersten Besuch in Deutschland, Berlin. Inmitten von viel Hallo und Händeschütteln konnten wir ein paar Minuten über seine Kunst und die Szene in Los Angeles reden - und ich muß sagen, ich mag den! So erfuhr ich ein bißchen was über den Mann, der seine Rahmen macht, Zars Arbeit beim Film und das Verhältnis von "Brotjob" vs. Kunst. Denn als Special-Effects-Mann in Hollywood verdient Zar die Miete - in Zukunft möchte er sich aber mehr auf die Kunst konzentrieren.

Wie wir alle also. Alexander Hacke, der für die Ausstellung eine Klanginstallation komponiert hatte, signierte derweil fleißig DVDs, und zu spät fiel mir ein, mir eine tolle Widmung für Mek geben zu lassen, der ja quasi heimliches Gründungsmitglied der Neubauten ist, wovon diese allerdings nichts wissen. Chet Zar, und das ist eine hübsche Anekdote, kannte die - How do you pronounce them? - Neubauten gar nicht, ehe Galeristin Yasha Young den Kontakt herstellte. Der ungefähr drei Kilometer lange Wikipedia-Eintrag über die Geräuschkünstler aus Berlin hat Zar dann überrascht, und ich bestätigte ihm gern, welch immensen Einfluß und Bedeutung die Band hierzulande seit gut 25 Jahren hat.

Wenn ich behauptete, anfangs völlig übermüdet zu sein, war das zwischenzeitlich verflogen. Schon allein wegen solcher Wirkungsstärke kann ich die Ausstellung empfehlen. Wer sich also auch mit dem Stranger inside anfreunden will, hat bis Anfang März dazu Gelegenheit.

(There Is A Stranger Inside Of Me. Bis 11. März 2007 in der Strychnin-Galerie, Berlin, Boxhagener Str. 36)