Montag, 19. Februar 2007


Funeral Parade of Roses

Die nihilistischen japanischen Gangster- und Jugendfilme aus den 50er und 60er Jahren sind im Westen wenig bekannt. Kinji Fukasaku ("Rage", "Battle Royal") ist einer der berühmteren Namen für solche Yakuza- und Teenage Rebellion-Werke. Sie mischen im Gewand westlicher Genrefilme klassische Stoffe und Pop-Mythen und setzen keine zwei Yen auf die Zukunft.

Wenn ich mir die Berichte über Filme wie die düstere Ödipus-Variante Funeral Parade of Roses anschaue, möchte ich der Welt gleich alle Farbe ausdrehen. Was bleibt, sind Schwarz und blitzblanker Stahl.

Hintergründe auf Cinema Strikes Back und hier.

Einen Trailer gibt es auf Youtube

Super 8 | von kid37 um 12:01h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 16. Februar 2007


Ein Fremder in mir

Das kann einem auch nur in Hamburg passieren: Da sitze ich an Wieverfastelovend mutterseelenallein in Hamburg und spiele mit meiner Krawatte als würde Edward Hopper Karneval feiern - und währenddessen kaspern im Rheinland die Narren womöglich als gäbe es kein 2008. Ich fürchte, im preußischen Berlin wird es am Wochenende nicht viel anders sein. Es kann doch am Ende nicht etwa ausgerechnet mir zufallen, Frohsinn zu verbreiten?

Zum Glück ist auf die Strychnin-Galerie Verlaß! Dort beginnt heute abend die Ausstellung von Chet Zar, ein nachtwandelnder Künstler, der unter anderem Make-up-Effekte und Geschöpfe für Hellboy, The Ring und Men In Black II gemacht hat. There Is A Stranger Inside Of Me behauptet er deshalb auch, und da ist ja dann schon etwas, was wir gemeinsam haben.

Für die Ausstellung hat Alexander Hacke, Mitglied der Einstürzenden Neubauten, wie jedermann weiß, eine Soundcollage komponiert. Zur Vernissage sind beide Künstler anwesend. Schon wieder etwas, was wir gemeinsam haben.

(There Is A Stranger Inside Of Me. Bis 11. März 2007 in der Strychnin-Galerie, Berlin, Boxhagener Str. 36)


 


Donnerstag, 15. Februar 2007


Die haben wohl gehämmert

Hütten der Kindheit im Herbste sind,
Verfallener Weiler; dunkle Gestalten,
Singende Mütter im Abendwind;
An Fenstern Angelus und Händefalten.

(Georg Trakl, "Gericht". 1914.)

Schummrig, aber schön.

Als ich heute morgen meine Tränenkanäle verödete, um den Tag als gefaßter Mann zu überstehen, fand ich, es sei an der Zeit, mal ein anderes Thema anzuschneiden. Laßt uns also über anderer Leute Häuser sprechen. Immer wieder erstaunlich, was man so beim Renovieren anrichten gestalten kann. In diesem - wirklich nur auf dem schrebbeligen Foto schummrig wirkenden - Haus habe ich einen meiner schönsten Urlaube verbracht. Gerade mal ein paar hundert Meter vom Atlantik entfernt, hoch auf dem Hügel gelegen und von einem angenehm verwilderten Garten umgeben voller Büsche, Tiere und Versprechen. Abends konnte man auf einer kleinen Terrasse sitzen, die nackten Füße auf die noch warmen, verwitterten Steine der kleinen Umrandung legen, die letzte Sonne genießen und Schlangen und anderem Getier zuschauen, wie sie nach Zuflucht suchten.

Das Haus war normalerweise von einer Familie bewohnt; die Fotografien und die Zeichnungen der beiden kleinen Kinder hingen überall an den Wänden. In den langen französischen Sommerferien (En France/les vacances/ce commencent/le premier/Juillet...) räumten sie das Haus leer und enterten mit Kind und Kegel ein Segelboot, mit dem sie ein paar Wochen unterwegs waren. Beneidenswert.

Die kühlen Zimmer waren angefüllt mit kleinen Fundstücken: Treibgut, Steinen, rostiges Metall. Ein paar alte Stücke, Truhen, Schränke - aber nicht zuviel, nichts zu dunkel, nichts zu vollgestopft. Die Küche mit der für die Gegend so typischen verbeulten Pfanne lag in einem Anbau aus Natursteinen. Die Ablagen und Absätze waren mit hübschen pastellfarbenen Fliesen eingefaßt, das schräge Fenster ließ warmes Sommerlicht hinein - da habe ich mit Lust, Liebe und guter Laune so manches wildgewürzte Käsebrot angerichtet. Nachts indes konnte man hoch auf den Speicher schleichen und vom Dachfenster aus das Feuerwerk zum 14. Juli betrachten...

Ein paar Jahre später war ich noch mal in der Nähe, im Nachbarort. Das Haus war inzwischen an Briten verkauft und wurde saniert. Es sollte zu einem reinen Ferienhaus umgestaltet werden. Neulich fand ich beim Stöbern im Netz einen Link. Und mit Wehmut betrachte ich nun die Bilder vom kahlgeschorenen Garten, den sterilen Innenräumen, die man mit Pseudo-Antikkitsch aufhübschen wollte. Flair und Atmosphäre - perdu.

Man möchte sofort losfahren, die 1600 km in einem Stück, und den ganzen Tinnef von den Wänden reißen. Den falschen Putz, den fiesen Teppich, den ganzen Nippes und zusammengekauften Plunder.


 


Dienstag, 13. Februar 2007


Die Welt hängt in Fetzen

Ach", klage ich gegenüber meiner Mutter. "Diese Ungewißheit! Muß ich umziehen, muß ich nicht umziehen - das einzige, was sich mit Gewißheit lange zieht, ist die Ungewißheit. Jetzt", so füge ich hinzu, "sitze ich wie auf halbgepackten Koffern und habe natürlich auch keine Lust, überhaupt noch was zu tun. Renovierungsarbeiten, kleinere Reparaturen an tropfenden Wasserhähnen oder quietschenden Türen? Warum, wozu? Nicht einmal mehr die Fenster mag ich putzen!"

Meine Mutter versteht meine Klage, bedeutet mir aber in knappen Worten, wenigstens nicht auf das Staubsaugen zu verzichten. Derweil muß alles raus - denn bald fehlt mir sicherlich der Platz für all die Schätze und Wunderkammer-Dinge. Es wird alles versteigert, auseinandergerissen, die Erde neu gesät.


 


Montag, 12. Februar 2007


Wo das Telefon nicht stillstehen wird

Fundsache

Derzeit hoffen viele auf Gewinn durch den "Long Tail". Manche nennen es "Große Erwartungen". Andere nennen es "offen für alles". Ich nenne es ein bißchen unentschlossen. Ich möchte nicht "wahllos" sagen. Andererseits, warum eigentlich nicht? In Bloggerkreisen wiederum heißt die Standardreplik auf solcherlei Spottgesang bekanntlich, man sei ja bloß neidisch. Das kann gut sein, immerhin ist der gute Römer fast zehn Zentimeter größer als ich - und das womöglich in jeder Richtung.

Ich jedenfalls wünsche dem Mann viel Glück - und seinen Bekanntschaften auch. Wie ich überhaupt allen Menschen Glück wünsche. Sagen wir, fast allen.


 


Samstag, 10. Februar 2007


Ich brauche nur B & B

O letztes / doch nicht festes Haus!
O Burg / darinn wir uns verkrichen!
So bald des Lebens Zeiger aus /
Vnd diser Wangen Roß' erblichen.

(Andreas Gryphius, "Kirchhofs-Gedanken". 1639.)

Rheinischer Katechismus, Nr 5.Heute dann mal beim Bund der Heimatvertriebenen vorbeigeschaut. Die haben so einen Tränenraum, in dem man seine Sorgen und Ängste in ein Stück grobes Leinen weinen kann, welches dann anschließend in einen Papierumschlag verpackt und in polnischer Erde bestattet wird. Dies mag ich mir jetzt bloß ausgedacht haben, und ich hoffe sehr, der Bund muß nun nicht seine Anwälte bemühen, mir seine Korrekturen an diesem Traum heimzuleuchten. Auf jeden Fall gab es mir ein tröstendes Gefühl.

Daheim, was ich nun nicht mehr sagen möchte, in meiner Unterkunft also, zog ich Patti Smiths Album Trampin' hervor, schließlich gilt es, innere Vorbereitung zu treffen. Teilte ich früher mit Franz K. den Wunsch, Indianer zu werden, so ließe sich daran ja vielleicht eine Existenz als Hobo anschließen.

Vielleicht hat sich mir aber bereits eine neue Bleibe aufgedrängt. Ein Bed & Breakfast der besonderen Art: Lizzie Bordens heimelige Unterkunft. Hier hat 1892, und dies ist ebenfalls unbewiesen, die gute Lizzie ihren Vater und ihre Stiefmutter mit der Axt erschlagen. Vielleicht war es auch jemand anders, denn Lizzie wurde nicht verurteilt. Fakt ist, die Eltern sind tot. Geblieben sind der Spruch "Ich fühle mich wie erschlagen" und ein zarter Bänkelsang:

Lizzie Borden took an ax
And gave her mother 40 whacks.
And when she saw what she had done,
She gave her father 41.


 


Donnerstag, 8. Februar 2007


Auf der Flucht

...and therefore never send to know
for whom the bell tolls; it tolls for thee.

(John Donne, "Meditation XVII", 1624.)

My home is my castle, sagt der Brite, und ich muß nicht meine schottischen Wurzeln bemühen, um aus vollstem Herzen zuzustimmen. Das Heim als Fluchtburg - Tür zu, Bosheit draußen, Klappe zu, Affe tot - ist mir wichtiger denn was. Wenn mit sattem Geräusch drei Panzerriegel über der Tür einrasten, weiß ich mich angekommen an einem Ort, an dem ich nicht mit dem Rücken zur Wand umherschleichen muß, wo Hunger, Harm und Haderlumpen und überdies auch Häscher der Fiskalbehörde mich nicht finden werden.

Als ich vor über drei Jahren hierherzog, war es wie das Aufatmen nach einer langen Flucht. Wo ich zuvor gewohnt, am Ende bloß gehaust hatte, war ein Ort, der mir von vorneherein mit muffigem Karma beladen schien. Vielleicht lag es daran, daß bald schon merkwürdige Träume sich einstellten, in denen Wörter und Sätze wie mit Blut geschrieben an den Wänden erschienen, um bald darauf wieder zu verschwinden. In denen nachts die Todesfee in den Bäumen schrie, manchmal wie vor meinem Zimmer, an dessen Türklinke wild gerüttelt wurde.

Ein langer, böser Traum. Ein kranker Traum. Einer, der mich hinabzog in einen Mælstrom aus Hohn und Gewalt, von der schwache Narben als gut sichtbare Merkwürdigkeit blieben, so als sei alles gar kein Traum gewesen, sondern bloß eine andere Wirklichkeit.

Ich übertreibe nur milde, wenn ich behaupte, daß diese Wohnung mir wahrscheinlich das Leben gerettet hat. In einem der ödesten Teile der Stadt entpuppte sich ein kleines Idyll, lichtdurchflutet, genau auf mich zugeschnitten, immer warm (meine Erfahrung: Stacheldraht wärmt nicht, Südseite und Heizung sind besser), mit einem Raum für die Dunkelkammer und einem schlicht gefliesten, großzügigen klinischen Reinraum Bad, in dem ich morgens sogar unbefangen meinen bleichen Körper entblößen mochte.



Ich übertreibe noch weniger, wenn ich behaupte, die direkte Lage am Wasser ersparte mir einen Haufen Therapiestunden. Auch wenn ich in manchen Nächten trunken auf dem Vordach hockte und versuchte, die Zeichen zu lesen, die sich auf dem schwarzen Wasser bildeten. Aber dann hatte ich ja ein Blog, das ich nicht im Stich lassen durfte und das ich morgens leicht schuldbewußt wieder sauberwischte, wenn ich zuviel Rotz und salziges Wasser hineingeträufelt hatte.

Natürlich war mir klar, wie fragil die Idylle war. Wie bei allen durchaus liebevollen Beziehungen galt, es ist nicht meins, es ist nur geliehen und wir sind alle nur auf Zeit an diesem Ort oder jenem. Und so soll man tatsächlich nicht fragen, für wen das Glöcklein schlägt. Heute morgen meldete es der Depeschendienst: Die Besitzer dieses Luftschlosses, dieses Adlerhorsts vier Stockwerke hoch, planen den Verkauf.

Und so warm kann keine Fußbodenheizung sein, daß mich nicht ein kalter Hauch, nicht von Verfall, aber von Eigenbedarf erzittern machte. Wer wird die Bude wollen? Ein amerikanischer Immobilienmagnat? Ein zartes Mütterlein? Eine Blonde, frisch vom Schlagerproduzenten abgefunden? Was Kyrill mir ließ, reißen Heuschrecken mir über dem Kopfe weg.

Pünktlich setzte heute der Winter ein. Es wird kalt werden für uns Unbehauste, furchtbar kalt. Der Sommer war sehr groß. Doch wer im Herbst kein Haus baute, wird nun lange den Immobilienteil studier'n.