Dienstag, 13. Februar 2007


Die Welt hängt in Fetzen

Ach", klage ich gegenüber meiner Mutter. "Diese Ungewißheit! Muß ich umziehen, muß ich nicht umziehen - das einzige, was sich mit Gewißheit lange zieht, ist die Ungewißheit. Jetzt", so füge ich hinzu, "sitze ich wie auf halbgepackten Koffern und habe natürlich auch keine Lust, überhaupt noch was zu tun. Renovierungsarbeiten, kleinere Reparaturen an tropfenden Wasserhähnen oder quietschenden Türen? Warum, wozu? Nicht einmal mehr die Fenster mag ich putzen!"

Meine Mutter versteht meine Klage, bedeutet mir aber in knappen Worten, wenigstens nicht auf das Staubsaugen zu verzichten. Derweil muß alles raus - denn bald fehlt mir sicherlich der Platz für all die Schätze und Wunderkammer-Dinge. Es wird alles versteigert, auseinandergerissen, die Erde neu gesät.


 


Montag, 12. Februar 2007


Wo das Telefon nicht stillstehen wird

Fundsache

Derzeit hoffen viele auf Gewinn durch den "Long Tail". Manche nennen es "Große Erwartungen". Andere nennen es "offen für alles". Ich nenne es ein bißchen unentschlossen. Ich möchte nicht "wahllos" sagen. Andererseits, warum eigentlich nicht? In Bloggerkreisen wiederum heißt die Standardreplik auf solcherlei Spottgesang bekanntlich, man sei ja bloß neidisch. Das kann gut sein, immerhin ist der gute Römer fast zehn Zentimeter größer als ich - und das womöglich in jeder Richtung.

Ich jedenfalls wünsche dem Mann viel Glück - und seinen Bekanntschaften auch. Wie ich überhaupt allen Menschen Glück wünsche. Sagen wir, fast allen.


 


Samstag, 10. Februar 2007


Ich brauche nur B & B

O letztes / doch nicht festes Haus!
O Burg / darinn wir uns verkrichen!
So bald des Lebens Zeiger aus /
Vnd diser Wangen Roß' erblichen.

(Andreas Gryphius, "Kirchhofs-Gedanken". 1639.)

Rheinischer Katechismus, Nr 5.Heute dann mal beim Bund der Heimatvertriebenen vorbeigeschaut. Die haben so einen Tränenraum, in dem man seine Sorgen und Ängste in ein Stück grobes Leinen weinen kann, welches dann anschließend in einen Papierumschlag verpackt und in polnischer Erde bestattet wird. Dies mag ich mir jetzt bloß ausgedacht haben, und ich hoffe sehr, der Bund muß nun nicht seine Anwälte bemühen, mir seine Korrekturen an diesem Traum heimzuleuchten. Auf jeden Fall gab es mir ein tröstendes Gefühl.

Daheim, was ich nun nicht mehr sagen möchte, in meiner Unterkunft also, zog ich Patti Smiths Album Trampin' hervor, schließlich gilt es, innere Vorbereitung zu treffen. Teilte ich früher mit Franz K. den Wunsch, Indianer zu werden, so ließe sich daran ja vielleicht eine Existenz als Hobo anschließen.

Vielleicht hat sich mir aber bereits eine neue Bleibe aufgedrängt. Ein Bed & Breakfast der besonderen Art: Lizzie Bordens heimelige Unterkunft. Hier hat 1892, und dies ist ebenfalls unbewiesen, die gute Lizzie ihren Vater und ihre Stiefmutter mit der Axt erschlagen. Vielleicht war es auch jemand anders, denn Lizzie wurde nicht verurteilt. Fakt ist, die Eltern sind tot. Geblieben sind der Spruch "Ich fühle mich wie erschlagen" und ein zarter Bänkelsang:

Lizzie Borden took an ax
And gave her mother 40 whacks.
And when she saw what she had done,
She gave her father 41.


 


Donnerstag, 8. Februar 2007


Auf der Flucht

...and therefore never send to know
for whom the bell tolls; it tolls for thee.

(John Donne, "Meditation XVII", 1624.)

My home is my castle, sagt der Brite, und ich muß nicht meine schottischen Wurzeln bemühen, um aus vollstem Herzen zuzustimmen. Das Heim als Fluchtburg - Tür zu, Bosheit draußen, Klappe zu, Affe tot - ist mir wichtiger denn was. Wenn mit sattem Geräusch drei Panzerriegel über der Tür einrasten, weiß ich mich angekommen an einem Ort, an dem ich nicht mit dem Rücken zur Wand umherschleichen muß, wo Hunger, Harm und Haderlumpen und überdies auch Häscher der Fiskalbehörde mich nicht finden werden.

Als ich vor über drei Jahren hierherzog, war es wie das Aufatmen nach einer langen Flucht. Wo ich zuvor gewohnt, am Ende bloß gehaust hatte, war ein Ort, der mir von vorneherein mit muffigem Karma beladen schien. Vielleicht lag es daran, daß bald schon merkwürdige Träume sich einstellten, in denen Wörter und Sätze wie mit Blut geschrieben an den Wänden erschienen, um bald darauf wieder zu verschwinden. In denen nachts die Todesfee in den Bäumen schrie, manchmal wie vor meinem Zimmer, an dessen Türklinke wild gerüttelt wurde.

Ein langer, böser Traum. Ein kranker Traum. Einer, der mich hinabzog in einen Mælstrom aus Hohn und Gewalt, von der schwache Narben als gut sichtbare Merkwürdigkeit blieben, so als sei alles gar kein Traum gewesen, sondern bloß eine andere Wirklichkeit.

Ich übertreibe nur milde, wenn ich behaupte, daß diese Wohnung mir wahrscheinlich das Leben gerettet hat. In einem der ödesten Teile der Stadt entpuppte sich ein kleines Idyll, lichtdurchflutet, genau auf mich zugeschnitten, immer warm (meine Erfahrung: Stacheldraht wärmt nicht, Südseite und Heizung sind besser), mit einem Raum für die Dunkelkammer und einem schlicht gefliesten, großzügigen klinischen Reinraum Bad, in dem ich morgens sogar unbefangen meinen bleichen Körper entblößen mochte.



Ich übertreibe noch weniger, wenn ich behaupte, die direkte Lage am Wasser ersparte mir einen Haufen Therapiestunden. Auch wenn ich in manchen Nächten trunken auf dem Vordach hockte und versuchte, die Zeichen zu lesen, die sich auf dem schwarzen Wasser bildeten. Aber dann hatte ich ja ein Blog, das ich nicht im Stich lassen durfte und das ich morgens leicht schuldbewußt wieder sauberwischte, wenn ich zuviel Rotz und salziges Wasser hineingeträufelt hatte.

Natürlich war mir klar, wie fragil die Idylle war. Wie bei allen durchaus liebevollen Beziehungen galt, es ist nicht meins, es ist nur geliehen und wir sind alle nur auf Zeit an diesem Ort oder jenem. Und so soll man tatsächlich nicht fragen, für wen das Glöcklein schlägt. Heute morgen meldete es der Depeschendienst: Die Besitzer dieses Luftschlosses, dieses Adlerhorsts vier Stockwerke hoch, planen den Verkauf.

Und so warm kann keine Fußbodenheizung sein, daß mich nicht ein kalter Hauch, nicht von Verfall, aber von Eigenbedarf erzittern machte. Wer wird die Bude wollen? Ein amerikanischer Immobilienmagnat? Ein zartes Mütterlein? Eine Blonde, frisch vom Schlagerproduzenten abgefunden? Was Kyrill mir ließ, reißen Heuschrecken mir über dem Kopfe weg.

Pünktlich setzte heute der Winter ein. Es wird kalt werden für uns Unbehauste, furchtbar kalt. Der Sommer war sehr groß. Doch wer im Herbst kein Haus baute, wird nun lange den Immobilienteil studier'n.


 


Mittwoch, 7. Februar 2007


Kurioser und kurioser

Frau Stella hat mir ein Stöckchen zugeworfen. Nun bin ich kein eifriger Beantworter dieser Aktionen (das zuletzt zugeworfene Koch-Stöckchen habe ich einigermaßen elegant abgewehrt), aber wenn es um Kuriositäten geht, muß ich nicht erst eine Umfrage starten. Gemäß der Frage Bin ich eitel? versteht sich die Antwort von selbst.

Das Kuriose ist nämlich, daß einem starken Verdacht zufolge ich, und nun halten wir alle mal den Atem an, den Begriff Stöckchen eingeführt habe.

Ja, ihr kleinen Schandmäuler. Frau Fragmente in ihrer vorurteilslosen Präzision kann es beweisen (dieses Organigramm ist sicherlich heute noch für die Edelmänner dieser Welt hochinteressant). Zuvor liefen nämlich fast nur englischsprachige Kettenbriefe durchs Blogland. Weblog-Forscher also bitte antreten zur Quellenforschung! Denn das muß jetzt mal rechtsgültig geklärt werden, sonst erleben wir vielleicht gerade einen Fall von urbaner Mythenbildung. Sollte ich jedoch recht haben, dann ist dieser Eintrag in der Wikipedia nicht ganz korrekt. Zumindestens nicht, was die Genese des Wortes "Stöckchen" angeht. An ein Staffelholz habe ich jedenfalls nicht gedacht. Letzten Endes kann ich euch sowieso nicht abmahnen ist es natürlich auch wurscht.

1. Ich gehe sehr gerne zum Zahnarzt.

2. Ich lese heimlich JennyBabe.

Ich war ein Schlüsselkind

3. Bevor ich anfing, nachts zu bloggen, versuchte ich mich in der Forschung und in der Wirtschaft.

4. Meine Freundin hat damit gedroht, mich von ihrer Blogroll zu werfen.

5. Als ich vor 15 Jahren die ersten Produkte sah, rief ich spontan: "Super. Da will ich mal arbeiten". Es ergab sich dann eher zufällig, aber seit fünf Jahren arbeite ich in genau dieser Fabrik.

Schnieke Taste: der Vibrokeyer

6. Ich kann telegrafieren. Das heißt, ich konnte es. Hand und Ohren dürften aber sehr eingerostet sein.

Gern würde ich noch Dinge behaupten wie "Nackt wiege ich mehr als angezogen", "Ich habe sechs Zehen - und das auch noch an jedem Fuß" oder "Ich bin Freizeittätowierer und habe mich beim ersten Mal verschrieben" - aber für so was bin ich einfach - zu normal.


 


Montag, 5. Februar 2007


Blood Tea and Red String

Es gibt einen Ort, der heißt "Im Leben". Das ist keine Kneipe, und ist überhaupt auf keinem Stadtplan verzeichnet, doch begegnen einem dort absonderliche Gestalten und Geschehnisse, die man besser nicht alle als "echt" wahrnimmt, steckt doch nicht hinter jeder Großmutter mit großen Ohren auch ein böser Wolf. Allgemein gilt, je bunter jemand verkleidet ist und je lauter jemand etwas tut, desto mehr heißt es an den seligen Herrn Tur Tur denken! Nicht beeindrucken lassen, denn wenn jemand etwas ernsthaft tut, dann besser leise, fest und schlicht. Denn da normalerweise aufmerksamkeitserregend und von viel Gelärm begleitet, ist das Spektakel seiner Natur nach wenig geeignet, Zähneknirschen zu präsentieren - ein Laut, den man hinter den Kulissen weitaus besser hören kann.

Wie wunderbar verständlich! werden nun manche rufen. Aber wenn merkwürdige Tiere im Wald Ringelstrümpfe tragen, ist garantiert etwas Kurioses im Gange. Mäuse, die sich an Bluttee berauschen, wunderschöne Puppen, die Herzen durcheinanderbringen - es ist wie, siehe oben, im richtigen Leben, würde man morgens jedenfalls das Aufwachen vergessen. Warum sich aber lange wundern, wenn man simpler einfach staunen kann?

Christiane Cegavkse hat 13 Jahre an ihrem in jeder Hinsicht fantastischen Märchentrickfilm Blood Tea and Red String gearbeitet - nun kann man ihn kaufen oder hier den Trailer sehen. Was ich dringend empfehlen möchte, denn das ist ja fast wie eine Therapie.

>>> Webseite von Christiane Cegavkse

via Substrom

Super 8 | von kid37 um 20:57h | 19 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 3. Februar 2007


Der gefundene Satz, 38

Daß Breton den anvisierten Erfolg dadaistischer Aktivität als Medienerfolg versteht und beschreibt, lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf die Tatsache, daß Dadas Originalbeitrag zur Geschichte der Kunst [...] womöglich in der Inszenierung eines vormals ungekannten Medienhypes besteht.

(Tobia Bezzola. Vorwort zu Andre Bréton - Dossier Dada. Ostfildern-Ruitz, 2005.)