
Freitag, 23. Februar 2007
never touching down - never leaving ground
a twilight world in which we roam
still we don't belong - drift on
(Siouxsie and the Banshees, "Drifter")
Es will einem wahrscheinlich etwas sagen, wenn man morgens in der Fabrikeingangshalle versehentlich den Aufzugknopf "nach unten" drückt - so als wäre bereits Feierabend und man wolle wieder nach, ja wohin eigentlich? - und ein leises Pling weist einen darauf hin, daß es tiefer derzeit nicht geht.
Falscher Knopf also. Falsche Richtung. Leider sind nicht alle Probleme so einfach mit "oben" oder "unten" zu verorten. Derzeit eher das Gefühl auf eine kreisende Spirale zuzulaufen. Die Kollegin sagt, es ginge doch nur noch darum, einen Ausstieg aus diesem Beruf zu finden. Ehrenvoller Rückzug hieß das früher. Es geht darum, einen Ort zu finden, keine Provisorien. Keine Sanatorien. Das Leben als stete Folge von Übergängen, ein Transit zwischen Gesundheitskompromiss und Rentenformel. Ich komme jetzt in das Alter, in dem andere sich einfach einen roten Sportwagen kaufen. Andere winken ab wegen des Klimawandels. Ich winke auch ab. Denn Rost wird alles, was ich berühre.
Du mußt einfach die Laufrichtung ändern, sagt die Katze. Ach ja? No direction home. Aber leider zu alt, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Am besten, man mahnt sich selber ab.

Freitag, 23. Februar 2007
Für ganz Kurzentschlossene schnell noch ein Hinweis. Die extrem talentierte junge Hamburger Künstlerin Moki hat ihr Studium beendet und lädt zur:
diplomausstellung der hfbk
hochschule für bildende künste/
academy of fine arts
lerchenfeld 2, hamburg
eröffnung/opening: mittwoch 21.2 ab 19h
donnerstag 22.2 - sonntag 25.2
täglich/daily 14 - 20h
"to disappear completely"
raum 120/room 120
bilder sind am 22.2 online/pictures online on 22.2
>>> SPIEGEL | Das hermetische Café

Mittwoch, 21. Februar 2007
Schauen Sie doch mal bei Herrn Nase vorbei.
Immobilistendeutsch. Begriffe wie "süß" oder "rustikal" in Zusammensetzung mit "Wohnung" rufen Gefühle von physischer Enge oder psychischer Beklemmung hervor. Der "ehemalige Bordellbetrieb im Souterrain" klingt nicht einmal auf den ersten Blick glamourös.
Immobilistendeutsch, 2. Stadtteilnamen wie Wilhelmsburg, Harburg und Orte, von denen ich nicht wußte, daß solche existieren, tauchen in meinem aktiven Wortschatz auf. Wilhelmsburg ist natürlich eine Option. Williamsburg in New York ist nicht viel anders. (Sich Glamour selber machen.)
Die Fabrikanten wollen das Knacken unserer Knochen hören. Werktische, besudelt von schwarzen Blut, bleiche Menschen in den Aborten. Die Produkte sollen aber "sexy" bleiben. Ein ferner Begriff aus der Vorstellungswelt. Glamour als Gewürzbeigabe. In diesem Bereich gibt es ja keine frische Ware.
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Dienstag, 20. Februar 2007
Betend zum neuen Engel
(Einstürzende Neubauten, "Hospitalistische Kinder/
Engel der Vernichtung")
Sehr übermüdet, aber voller Vorfreude taumelte ich dann am Freitag zur Vernissage von Chet Zar. In der Strychnin-Galerie war bereits angenehm trubelig was los, freundlich düstere Menschen vor ebenso düsteren Gemälden, gute Laune hatte nach und nach den vorhandenen Sauerstoff ersetzt. Wie das so ist, wenn man wie erwähnt übermüdet in anderer Leute schlimme Träume stolpert, fühlte ich mich bei Zars angegigerten, helnweinesken Gemälden gleich wie zu Hause. Natürlich malt Zar ganz anders, und die Erwähnung der beiden Namen dient auch wirklich nur als höchst ungefährer Hinweis.
Chet Zar, ein hochsympathischer, völlig unverkrampfter Typ, war offensichtlich sehr angetan von seinem ersten Besuch in Deutschland, Berlin. Inmitten von viel Hallo und Händeschütteln konnten wir ein paar Minuten über seine Kunst und die Szene in Los Angeles reden - und ich muß sagen, ich mag den! So erfuhr ich ein bißchen was über den Mann, der seine Rahmen macht, Zars Arbeit beim Film und das Verhältnis von "Brotjob" vs. Kunst. Denn als Special-Effects-Mann in Hollywood verdient Zar die Miete - in Zukunft möchte er sich aber mehr auf die Kunst konzentrieren.
Wie wir alle also. Alexander Hacke, der für die Ausstellung eine Klanginstallation komponiert hatte, signierte derweil fleißig DVDs, und zu spät fiel mir ein, mir eine tolle Widmung für Mek geben zu lassen, der ja quasi heimliches Gründungsmitglied der Neubauten ist, wovon diese allerdings nichts wissen. Chet Zar, und das ist eine hübsche Anekdote, kannte die - How do you pronounce them? - Neubauten gar nicht, ehe Galeristin Yasha Young den Kontakt herstellte. Der ungefähr drei Kilometer lange Wikipedia-Eintrag über die Geräuschkünstler aus Berlin hat Zar dann überrascht, und ich bestätigte ihm gern, welch immensen Einfluß und Bedeutung die Band hierzulande seit gut 25 Jahren hat.
Wenn ich behauptete, anfangs völlig übermüdet zu sein, war das zwischenzeitlich verflogen. Schon allein wegen solcher Wirkungsstärke kann ich die Ausstellung empfehlen. Wer sich also auch mit dem Stranger inside anfreunden will, hat bis Anfang März dazu Gelegenheit.
(There Is A Stranger Inside Of Me. Bis 11. März 2007 in der Strychnin-Galerie, Berlin, Boxhagener Str. 36)

Montag, 19. Februar 2007
Die nihilistischen japanischen Gangster- und Jugendfilme aus den 50er und 60er Jahren sind im Westen wenig bekannt. Kinji Fukasaku ("Rage", "Battle Royal") ist einer der berühmteren Namen für solche Yakuza- und Teenage Rebellion-Werke. Sie mischen im Gewand westlicher Genrefilme klassische Stoffe und Pop-Mythen und setzen keine zwei Yen auf die Zukunft.
Wenn ich mir die Berichte über Filme wie die düstere Ödipus-Variante Funeral Parade of Roses anschaue, möchte ich der Welt gleich alle Farbe ausdrehen. Was bleibt, sind Schwarz und blitzblanker Stahl.
Hintergründe auf Cinema Strikes Back und hier.
Einen Trailer gibt es auf Youtube

Freitag, 16. Februar 2007
Das kann einem auch nur in Hamburg passieren: Da sitze ich an Wieverfastelovend mutterseelenallein in Hamburg und spiele mit meiner Krawatte als würde Edward Hopper Karneval feiern - und währenddessen kaspern im Rheinland die Narren womöglich als gäbe es kein 2008. Ich fürchte, im preußischen Berlin wird es am Wochenende nicht viel anders sein. Es kann doch am Ende nicht etwa ausgerechnet mir zufallen, Frohsinn zu verbreiten?
Zum Glück ist auf die Strychnin-Galerie Verlaß! Dort beginnt heute abend die Ausstellung von Chet Zar, ein nachtwandelnder Künstler, der unter anderem Make-up-Effekte und Geschöpfe für Hellboy, The Ring und Men In Black II gemacht hat. There Is A Stranger Inside Of Me behauptet er deshalb auch, und da ist ja dann schon etwas, was wir gemeinsam haben.
Für die Ausstellung hat Alexander Hacke, Mitglied der Einstürzenden Neubauten, wie jedermann weiß, eine Soundcollage komponiert. Zur Vernissage sind beide Künstler anwesend. Schon wieder etwas, was wir gemeinsam haben.
(There Is A Stranger Inside Of Me. Bis 11. März 2007 in der Strychnin-Galerie, Berlin, Boxhagener Str. 36)

Donnerstag, 15. Februar 2007
Verfallener Weiler; dunkle Gestalten,
Singende Mütter im Abendwind;
An Fenstern Angelus und Händefalten.
(Georg Trakl, "Gericht". 1914.)
Als ich heute morgen meine Tränenkanäle verödete, um den Tag als gefaßter Mann zu überstehen, fand ich, es sei an der Zeit, mal ein anderes Thema anzuschneiden. Laßt uns also über anderer Leute Häuser sprechen. Immer wieder erstaunlich, was man so beim Renovieren anrichten gestalten kann. In diesem - wirklich nur auf dem schrebbeligen Foto schummrig wirkenden - Haus habe ich einen meiner schönsten Urlaube verbracht. Gerade mal ein paar hundert Meter vom Atlantik entfernt, hoch auf dem Hügel gelegen und von einem angenehm verwilderten Garten umgeben voller Büsche, Tiere und Versprechen. Abends konnte man auf einer kleinen Terrasse sitzen, die nackten Füße auf die noch warmen, verwitterten Steine der kleinen Umrandung legen, die letzte Sonne genießen und Schlangen und anderem Getier zuschauen, wie sie nach Zuflucht suchten.
Das Haus war normalerweise von einer Familie bewohnt; die Fotografien und die Zeichnungen der beiden kleinen Kinder hingen überall an den Wänden. In den langen französischen Sommerferien (En France/les vacances/ce commencent/le premier/Juillet...) räumten sie das Haus leer und enterten mit Kind und Kegel ein Segelboot, mit dem sie ein paar Wochen unterwegs waren. Beneidenswert.
Die kühlen Zimmer waren angefüllt mit kleinen Fundstücken: Treibgut, Steinen, rostiges Metall. Ein paar alte Stücke, Truhen, Schränke - aber nicht zuviel, nichts zu dunkel, nichts zu vollgestopft. Die Küche mit der für die Gegend so typischen verbeulten Pfanne lag in einem Anbau aus Natursteinen. Die Ablagen und Absätze waren mit hübschen pastellfarbenen Fliesen eingefaßt, das schräge Fenster ließ warmes Sommerlicht hinein - da habe ich mit Lust, Liebe und guter Laune so manches wildgewürzte Käsebrot angerichtet. Nachts indes konnte man hoch auf den Speicher schleichen und vom Dachfenster aus das Feuerwerk zum 14. Juli betrachten...
Ein paar Jahre später war ich noch mal in der Nähe, im Nachbarort. Das Haus war inzwischen an Briten verkauft und wurde saniert. Es sollte zu einem reinen Ferienhaus umgestaltet werden. Neulich fand ich beim Stöbern im Netz einen Link. Und mit Wehmut betrachte ich nun die Bilder vom kahlgeschorenen Garten, den sterilen Innenräumen, die man mit Pseudo-Antikkitsch aufhübschen wollte. Flair und Atmosphäre - perdu.
Man möchte sofort losfahren, die 1600 km in einem Stück, und den ganzen Tinnef von den Wänden reißen. Den falschen Putz, den fiesen Teppich, den ganzen Nippes und zusammengekauften Plunder.
