
Montag, 11. Dezember 2006
Die amerikanische Journalistin S.I. Rosenbaum zeichnet auch (nicht "nebenbei") Comix, mit recht unterschiedlichem Ansatz, Stil und Kraft. Aber die kurze, auf einer Seite erzählte Geschichte von der 16-jährigen Simone, die Trapezartistin werden will, ist schon stark: komprimiert, lakonisch und ein hübsches Beispiel für die "Eisberg"-Theorie. Der größte Teil der Bedeutung liegt tief unter Wasser. Loustal hat so etwas drauf.
Ich weiß nicht, ob man das letzte Bild groß ausdrucken und über den Schreibtisch hängen darf. Ich würde es tun.
Suspended Life gibt es hier.

Freitag, 8. Dezember 2006
Diva kurz vor Atempause. Tusche, Papier. 1990. Privatbesitz.
Man muß im Leben auch verlieren können.

Donnerstag, 7. Dezember 2006
Sönke hat da einiges falsch gemacht. Er hat zum Beispiel seinem eigenen Stoff nicht vertraut, dabei wird er nie einen größeren bekommen. Die Musik (diese Musik!) machte auch viel kaputt. Aber nun gut und trotzdem Danke. Das sind jetzt halt die Bilder, die wir haben. Danke auch dafür, noch einmal deutlich gemacht zu haben, was für eine pomadige Type Ballack ist. "Wie, erst Stuttgart, dann zurück nach Berlin?" nölte er sinngemäß. "Totaaaal anstrengend."
Aber das muß man denen zugutehalten, was konnten die aus ihrer Binnenperspektive wissen, wie die Stimmung in 'Schland gewesen ist in all den Wochen? Ich selbst habe übrigens zum ersten Mal überhaupt Bilder "von außen" gesehen von diesem Spiel in Stuttgart, von der berauschten Menge vor dem Spielerhotel. Was das überhaupt für ein Abend war, wurde mir vorhin noch mal so richtig klar. Ist ja immer erst echt, wenn es im Fernsehen ist, McLuhan, Kittler, Klinsmann. Oder gebloggt wird.
Ja, man kann immer noch viel dagegenhalten. Fahnenmeer, Verdrängung, Besinnungslosigkeit. Immerhin: Eine junge Multikulti-Truppe (sogar ein Kölner war dabei!) hat ihre Füße entrümpelt und vier Wochen lang eine Menge Menschen begeistert. Man sollte sich nicht alles madig machen.

Mittwoch, 6. Dezember 2006
Kennen viele natürlich schon, aber hier gibt es eine Menge Bilder zu sehen von Patti Smith aus der Robert-Mapplethorpe-Sammlung der Alison Jacques Galerie, London. Sind diese Träume eigentlich noch da? Zwei, drei Seiten Poesie, eine elektrische Gitarre, ein Supersonic Sound? Das Nackte, das Entblößte, die Suche nach drei, sieben Sternen oder gleich einem ganzen Himmel. Ask The Angels.

Montag, 4. Dezember 2006
Nachdem ich Sonntagmittagmorgen aus einem Traum erwachte, aus dem eher nebelhaft hervorging, ich hätte im Laufe der Nacht aus wohl spontanen, hier nicht näher zu erläuternden Gründen PJ Harvey geheiratet, verbrachte ich einen guten Teil des Tages damit, mich auf dem Angebot von Youtube mit den Liedern meiner future former Ex-Wife zu beschäftigen. Dabei fiel mir wieder auf, daß Polly Jean eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Ex-Freundin von mir hat, wenn man das so sagen darf. Auch schon wieder 20, 15 Jahre her. Und dann dachte ich, hui, was wenn ich vielleicht schon 20 oder 15 Jahre verheiratet wäre - oder geschieden, nach Lage der Dinge?
Zum Glück lebe ich nicht in der Vergangenheit. Man müßte mich ja mit dem Hubschrauber dort rausholen, verminte Krisengebiete, Bataillone der blutenden Herzen, keuchend am Rotkreuzschwesterarm. Nein, ich bin ein Mann der Zukunft, bei der - so las ich neulich als Beschreibung zu einem Link auf das Hermetische Café - glücklicherweise immer nur ein Tag auf einmal dem anderen folgt. Das wäre sonst aber auch gar nicht anders... Jedenfalls, folgen Sie mir bitte unauffällig, sind solche Träume in ihrer sprunghaften Gleichzeitigkeit von heute und morgen und was geht mich gestern überhaupt an ganz schön verworren.
Ich gab Polly Jean also ein Butterbrot (extra dick geschnitten) und sah mit Vergnügen, daß es ihr heutzutage viel besser geht als in diesen kaputten anderen Tagen. Das könnte man über mich auch sagen, nahm ich dann als Botschaft aus diesem Traum mit. Zum Beispiel wiege ich bald 15, 20 Kilo mehr als noch vor 20, 15 Jahren. Was mich irgendwie gemütlicher ruhiger hat werden lassen.
Vielleicht braucht man es auch nicht, dieses impulsverstärkte Leben. Die Sehnsucht nach den fernen Gestaden und die Aufregung und Abenteuer, Mast- und Schotbrüche auf den Reisen dorthin. Vielleicht liegt dieses Unendliche doch eher im Möglichen. Man muß ja nicht gleich einen Jägerzaun darum bauen. Vielleicht reicht es, wie in diesem anderen Film, ein paar blaue Flaschen in einen Baum zu hängen. Und, wie Polly singt, den bitteren, kleinen Vögeln beim Fliegen zuzuschauen.

Samstag, 2. Dezember 2006
Hier noch schnell ein TV-Tip für Daheimgebliebene. Um 21.15 Uhr zeigt der Bayrische Rundfunk (also werbefrei!) Otto Premingers Bonjour Tristesse, nach dem Roman von Françoise Sagan.
Top besetzt (Jean Seberg, Deborah Kerr, David Niven, Juliette Gréco), mit Schwächen natürlich auch, aber dafür mit genialem Kniff toll fotografiert: je mehr die Handlung ins Düstere sinkt, desto farbenfroher wird das Bild. (Und die Côte d'Azur als Kulisse schadet überhaupt nicht!)
Natürlich ist das allergemeinstes Teenager-Melodram: Eine fiese Göre, oberflächlich wie eine neonbeleuchtete Pfütze auf den verregneten Pariser Straßen, spinnt eine finstere Intrige mit tödlichem Ausgang. Ein teuflisches Rotzblag wie sonst nur Holly Golightly, ein Schmetterling, so böse und hohl, daß man schon deshalb weinen möchte.
Taschentücher - das gehört sich für ein echtes Melodram - sollten also bereitliegen, wenn die frivole Sonne im Süden Frankreichs von Melancholie verdeckt wird.
(Bonjour Tristesse. GB 1958. Regie: Otto Preminger)

Hier bin ich fasziniert. Eine wunderhübsch makabre Sammlung obszön-ekliger Spielgefährten, die ich sofort besitzen möchte. Mumifizierte Puppen, die findet jetzt nicht jeder schön, aber so ist die Welt wahrscheinlich in den ungenügend beleuchteten Hinterhöfen der Putzli-Glitzli-Manufakturen. Hat sich denn nie jemand gefragt, was mit all den mißgestalteten Puppen wird, denen, die mit zwei Köpfen das Licht der Plüschfabrik erblicken? Keiner fragt es, keiner weiß es, aber diese Puppen jedenfalls, nun, sie sind tot.

Freitag, 1. Dezember 2006
Derzeit ist in der Hamburger Kunsthalle die Sammlung des Schweizers Uli Sigg (steht der eigentlich mit dem Flaschenhersteller in Verbindung?) zu sehen: Chinesische Kunst der Gegenwart, verteilt über alle drei (bzw. vier) Etagen des Kubus der Moderne. Ich gebe zu, ich war zuerst skeptisch, ob mich sattgesehene Propagandakunst und verkopfte Dissidentenkritik vom Hocker hauen könnte. Zudem blockieren derzeit Horden von Museumstouristen und Rentnerbussen, die wegen Caspar David Friedrich im Klassikflügel angereist kommen, die Zugangswege. Aber neulich schlüpfte ich dann schnell "unter Tage" hinein und muß sagen, ich habe keine Minute bereut.
Es geht gleich gut los mit dem oben gezeigten Schreibtisch von Shin Irgendwas[1] (die ganzen Xangs und Wangs konnte ich mir unmöglich merken, meine chinesischen Leser mögen mir Banausen verzeihen, aber das ist alles Müller und Schmidt für mich). Klinisch, brutal und unglaublich schön. So stelle ich mir meinen Arbeitsplatz vor, es dürfte noch ein wenig Rost dran sein. Gemeinsam mit der überaus interessierten Saalwächterin untersuchte ich Details des Werkes, wurde auf Schrauben und Dornen hingewiesen, die meinem Blick zuvor verborgen geblieben waren. Von der Flachbildschirmguillotine über den Eiserne-Jungfrau-Stuhl (oder doch Akupunktur?) bis zu den Fingerschrauben in der Tastatur - ein durchdachtes Stück moderner Arbeitsverhältnisse.
In diesem Stil geht es weiter: Porträts, die an Otto Dix erinnern, süffisante Kommentare zum Mao-Kult - es wundert nicht, daß die meisten Künstler im Exil leben. Überrascht war ich über viele scheinbar weniger politische Arbeiten, solche, die körperliche Transgressionen und Sexualität in den Vordergrund stellten. Aus westlich zentriertem Blickwinkel vermutete man wohl, daß da welche ihre "Hausaufgaben" gemacht haben - die zahlreichen "Kopien" und Parodien von und auf westliche Kunstklassiker sprechen da auch eine beredte Sprache. Authentischer wirken für den westlichen Betrachter sowieso die bedrückenden Auseinandersetzungen mit den Mythen der Antike und der chinesischen Alltagskultur. Individuum versus Masse, die Folgen der sozialen Gleichschaltung und der Ein-Kind-Politik schließen auf eine gewisse spiegelbildliche Art wieder an die Werke zu Beginn der Ausstellung an: optimistisch strahlende Propagandagemälde, Helden der Arbeit und des Volkes, die mit ihrem sozialen Idyll und der naiven Gestaltung für den heutigen Betrachter voller Ironie stecken - wären sie nicht so brutal ernst gemeint.
Ganz unten im Kellergeschoß bitte eine tolle Videoinstallation nicht verpassen. Dort wird - in einer sehr nüchterner Reprise von George Franjus ungemein poetischem Film Le Sang des Bêtes ("Das Blut der Tiere", 1949) - die Produktion eines gängigen billigen Lederetuis gezeigt. Vom Schlachten der Kühe bis zur industriellen Weiterverarbeitung des Leders. Bitte Platz und Anteil nehmen.
(Mahjong noch bis zum 18. Februar 2007 in der Hamburger Kunsthalle)
