Dienstag, 7. November 2006


... und morgen dann Serviettenfalten

A well-tied tie is the first serious step in life.
(Oscar Wilde)

Auch nach 23.00 Uhr keine Schande: die Krawatte ist ein zeitloses Kleidungselement.Frau Kaltmamsell lenkte das Augenmerk gerade auf sogenannte Freizeitbekleidung, ein Thema, das mir schon lange am Herzen liegt. Ein weiterer Punkt, der ältere Herrschaften häufig von den jungen unterscheidet: korrekte Kleidung - auch und gerade beim abendlichen Trunke Bloggen. Nichts empfinde ich als augenschmerzlicher als graugemergelte Jogging-Anzüge und anderweitiger "Home Look" (außer vielleicht das gleißende Licht meiner Zukunft, wie es in dem Lied heißt). Was unsere konservativen Minister und katholischen Würdenträger verschweigen: die Scheidungsquote ist unter anderem auch deshalb so hoch. Selbst für den Besuch an der Nachttanke oder dem Trennmüllcontainer sind ausgeleierte Fummel und Trainingsklamotten denkbar ungeeignet. Ebenfalls geben sie kein gutes Beispiel für unsere Kinder ab - und um die geht es ja schließlich. (Auch wenn es richtig sein mag, daß sich an Nachttanken in der Regel nicht allzuviele Kinder aufhalten.)

Möglicherweise ist nicht gleich der Standort Deutschland in Gefahr, aber ein bißchen innere Zucht und äußere Würde verleihen auch bei scheinbar unbeobachteten Tätigkeiten (Bloggen, Baden, Selbstverwöhnung) ein wohltuendes Maß an Stil und Eleganz. Zum Schlafen kann man die Krawatte aber gern ein wenig lockerer tragen.


 


Montag, 6. November 2006


Wir nennen es Altern

Ok. Ich wollte nicht länger zurückstehen und habe jetzt auch so ein Video gemacht. Ist ja als älterer Mensch nicht mehr ganz so einfach.

Nein, ernsthaft: Auch wenn dieser Typ in seinen anderen Beiträgen zum Teil etwas, nun ja, umständlich erzählt - also so wie ich halt. Aber wenn man sich ein wenig auf ihn einläßt und Geschichten aus ferneren Zeiten mag, dann... nun ja, enjoy!

Generell weiß ich nicht, ob es unbedingt Videos sein müssen. Aber eine gute Möglichkeit, Geschichten zu teilen, zu lesen, zum Zuhören ist es allemal. Gleichzeitig erstaunlich, was ältere Herrschaften mit den neuen Möglichkeiten anstellen. Da sehe ich bald ganze Seniorenheime ins Netz gehen. Generation Selbstdokumentation. Und noch etwas fällt mir ein: diese Gammelpunx 2.0, denen würde ich sehr wohl einen Euro geben. Aber nur, wenn sie damit ins Internet-Café gingen, um ein Blog mit Geschichten zu füllen. Dosenbier.blogger.de oder Strassenkid37.blogger.de - das abonnierte ich doch sofort.

Was machen, was mitteilen. Die neue Bohème jedenfalls ist über Siebzig. Auch eine Art Herbstbloggen.

Tentakel | von kid37 um 20:07h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 3. November 2006


DHääääL!

So, geht gleich weiter. Liebe Post, ich weiß, vierter Stock, kein Aufzug, ist immer schwer. Aber Pakete mit dem Vermerk "Empfänger verzogen" zurückzuschicken, ist ein bißchen faul frech.

Zufällig weiß ich das genauer.

Aber wie schrieb ich in meiner vielgelesenen PR-Broschüre Fröhlich auch an Regentagen - Wie man Massenentlassungen kommuniziert: Muß man immer wieder weitermachen, notfalls mit Singen und Tanzen.


 


Donnerstag, 2. November 2006


Dankäää!

Ist doch immerhin erstaunlich, wie sehr ein lautstark sarkastisch herausgeschmettertes Höflichkeitswort drei dunkler belichtete Männer mit Mangelerziehungshintergrund zusammenzucken und mir dann wenigstens die zweite Tür offenhalten läßt, während ich mich mit drei Tüten im Arm (...und an der Hüfte Bananen) aus dem Gettosupermarkt zu schlängeln anschicke.

(Aus meinem neuen Buch: Wir nennen es Hirnstrom einer Moluskel - Das Leben der neuen Bohème zwischen Scannerkasse und Altglascontainer.)


 



Traum der Venus

Gala-Show als "Traum der Venus". Dalís Pavillon, 1939. (c) Erik SchaalWie schon mal beiläufig bemerkt, bin ich kein allzu fanatischer Freund dieser leicht gönnerhaften Altherrenriege der sogenannten "Surrealisten". (Könnte man mal eine Abhandlung drüber schreiben, warum im Expressionismus und Dadaismus Frauen eine so viel zentralere Rolle gespielt haben.) Einschläfernder als die eher unpolitischen Geschlechtsteilbestauner finde ich nur noch ihre Epigonen. Statt der pointierten Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch, finden sich leider in der Folge oftmals Quark und Kitsch allzu pubertär gezwungen auf einer Spaßbremse wieder. Und bevor jetzt einer schreit: Toleranz führt in der Kunst, ähnlich wie bei Biersorten, zu nix.

Gönnerhaft wie ich nun selber bin, hindert mich aber nichts, auf diesen hübschen Fotofundus vom Traum der Venus hinzuweisen. Der von Salvador Dalí gestaltete Pavillon war eine der Attraktionen auf der Weltausstellung 1939. (Für innere Einkehr beachten Sie bitte die ringelbestrumpfte Fischdame in der Mitte.) Neben dem sattsam bekannten Camembert-Gedöns sieht man vorbildhaft schwimmsportlich sich ertüchtigende Damen und allerlei maritimes Zubehör. Das mit pflanzlichem Wachstum gepimpte surrealistische Taxi kann man übrigens im Dalí-Museum in Figueres besichtigen. Das habe ich selbst einmal getan. Da war ich aber sehr jung und fand das alles, wie meine Pubertät auch, furchtbar aufregend. Was es - dem Grunde nach - ja schließlich sein soll. Also, tolle Gala Sache. Wie Karneval. Danke, Salvatore!


 


Dienstag, 31. Oktober 2006


Wir sind alle Schädel

Süßer Tod

Apropos Aufregung: An Halloween darf man ruhig einen Schädel schänden vernaschen. Vor allem, wenn er so süß ist wie dieser. Die Schädel vernaschen einen ja auch, da kennen die nichts.

(Achtung: No living skulls were harmed during the production of this entry.)


 


Montag, 30. Oktober 2006


Sinken und noch ein wenig tiefer hinab

But the aura around the bed takes
getting used to. In a half-sleep, you actually
feel underwater, in a spooky colour,
turtles and fish circling you.

(John Irving. The Water-Method Man. 1972)



Was mich in Lissabon ja wirklich fasziniert hat - neben vielen dunklen anderen Ecken - war die Unterwelt der Meere. Im Ozeanium auf dem Expo-Gelände kann man ein paar Stunden erleben, die sich buchstäblich gewaschen haben. Die Anlage gilt als die größte in Europa, und spätestens wenn man vor dem gigantischen Aquarium im Kernbereich gestanden hat, ist man bereit, hierin keine Übertreibung zu ahnen. Über drei Etagen führen Galerien rund um den riesigen Tank, in dem Mantas, Haie, Sardinen und Thunfische ihre Runden ziehen.





Die großen Panoramascheiben sind konkav, man kann ganz nahe herantreten und hat für Augenblicke das Gefühl, tatsächlich auf dem Meeresgrund zu stehen, inmitten von Fischschwärmen. Mitunter zieht ein kalt glotzender Hai vorbei, schwingt einer der großen Rochen mit majestätischem Flügelschlag, begleitet von einem Putzerfisch, durchs Blickfeld. Stundenlang möchte man so verharren, die Augen gerichtet ins grün-blaue Licht, völlig gebannt vom stummen, eleganten Fließen und Wogen, das sich vor einem, neben einem, über und schließlich in einem vollzieht. Schiefe Metapher hin oder her: man taucht unweigerlich ein in den Sog des Lichts und des Wassers und all der Fische um einen herum.




Vorausgesetzt man besäße viel Geld oder noch mehr, es gäbe ein Fenster zum Glück: ein solch riesiges Aquarium rings um das Schlafzimmer. Egal wie gequält und zergrübelt man auch in die Kissen fiele, der meditative Blick in die grüne Unterwasserwelt beruhigte den aufgewühltesten Ozean in geplagten Seelen. Moby Dick könnte auftauchen und mit wuchtigem Schlag die Wasser teilen, Haie schössen ungestört in stoischen Bahnen - wie graue Pfeile, satt und beinahe friedlich. Man wüßte nie mehr über sich als man ändern könnte. Man kehrte zurück in das Meer, vom verfluchenden Albatroß zum stummen Fisch, sänke hinab, Augen und Mund mit Wasser gefüllt, und läge für immer still.


 


Samstag, 28. Oktober 2006


Der gefundene Satz, 37

Herr Jesus Christus! Du hast alle Leiden Deiner Zeit auf Dich genommen. Doch von einem Leid wurdest Du verschont: Du hast nie die entseelte Arbeit am Fließband erlebt, in die ich unbarmherzig hineingestellt wurde. Aber Du hast in göttlicher Voraussicht meine Arbeit zugelassen. Gib mir die Gnade, daß ich bei dieser geistlosen Tätigkeit meine Seele nicht verliere. Wenn der Geist auch brachliegt, so laß mich um so mehr meine Seele zu Dir erheben und für meinen Bruder neben mir offen haben!

(aus: Pater Leppich. Mit Christus auf der Reeperbahn. 1956.)

(Und nein, man kann "Fließband" nicht einfach durch "Bloggen" ersetzen.)