Samstag, 7. Oktober 2006


Mach doch mal Musik hier

Usually when things have gone this far
People tend to disappear

(Peter, Björn and John, "Young Folks")

Muß ich denn immer alles verpassen. Weil, gerade laufen bei mir diese schwedischen Ditty-Popper in der Endlosschleife (da muß man mit, da wackeln alte Herren mit den Hüften): Peter, Björn and John mit ihrem beschwingten "Young Folks". Da singt übrigens Victoria Bergsman (The Concretes) mit, die wiederum - jetzt kommt's - im Video zu New Orders "Temptation" die Hauptrolle spielt. Everything is delicately interconnected with each other heißt es bei Joyce.

>>> Peter, Björn and John, "Young Folks" bei YouTube

Und, jetzt haha: Rock'n'Roll, Herr Burnster kann davon Lieder singen, lebt nicht nur von Sex und Kapuzinerkresse, sondern auch von akribischer Vorbereitung. Auch und gerade, wenn man Iggy Pop heißt.

Nachtrag: Neulich bereits vergessen, wird auch immer schlimmer. Ist jetzt aber essentiell für so ein Retro-Wochenende in der Garage: Los Negativos mit "Moscas y arañas". Zieht eure großgemusterten Kleider und Hemden mit spitzen Kragen an, Arme in die Luft und... nun ja, das wissen andere besser als ich.

>>> Los Negativos, "Moscas y arañas" bei YouTube

(via Ligne Claire)

Radau | von kid37 um 14:43h | 16 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 6. Oktober 2006


Wiener Lied

Doch weiß ich noch nicht, wohin ich will.
Auch ist vorher so manches abzuwickeln,
und Österreich will ich jedenfalls vorher noch
einmal wiedersehen. Ich sage "vorher",
denn ich denke schwerlich dort zu bleiben.

(Hugo von Hofmannsthal,
"Briefe des Zurückgekehrten". 1907.)



Warum sollte ich aus meinem Herzen ein Grüftl machen? Wer sich ein wenig für Sex Zuneigung und Tod Abschied interessiert, dem ist die schön morbide Zuckerbäckerstadt naturgemäß ein locus amoenus, den man kaum noch verlassen möchte. Sportlich eingeflogen ("Heute fliegt die Strecke erstmals unser Co-Pilot" - und ja, der Rückwärtsschub geht) und gleich ins Museumsquartier katapultiert, wurden mir ein paar schöne Tage serviert. Auch wenn fünf Piefkes die Konkurrenz eines spannenden Nationalratswahlabends nicht wirklich glasklar für sich entscheiden konnten, war es ein hoch unterhaltsamer Abend in der Herbststraße. Schön, einige bekannte Blogger und Leser wiedergetroffen und schön auch, einige weitere erstmals kennengelernt zu haben. (Warum wurde mir das mit der Puppenspielerin erst so spät erzählt?)

Toll auch der kleine Ausflug mit Familie Neun, wo man nicht recht weiß, ob man nun mit der überaus charmanten Frau Mama oder doch mit Lisa durchbrennen soll. Auf begeisternde Empfehlung landete ich dann nämlich noch im Naturhistorischen Museum, ein Hohetempel aller Taxidermisten. Wochenlang Stundenlang kann man in den opulenten Schausälen tote ausgestopfte und sonstwie präparierte Tiere bestaunen.



Auch wenn einen die mottenpulvergesättigte Luft am Ende etwas wirr macht - schon allein, weil man vor lauter Staunen den Mund nicht wieder zu bekommt -




man taumelt doch höchst entzückt ins Freie, meditierend über die Vielfalt der Natur. Und ja, es gibt dort auch puschelige Tiere, welche mit Fell und Kulleraugen - aber man kann ja nicht alles abbilden.

Am Ende steht das Ende: Unterhalb der Michaelerkirche befindet sich nämlich eine beeindruckende Gruft. Kein Vergleich zur hochadeligen, quasi gelackten Kapuzinergruft, sondern eine (leider) vom Verfall gezeichnete Grabanlage mit über 200 Särgen, Gebeinhaufen, Mumien und allerlei sepulchralem Zierrat. Der Erhalt der Gruft und der vom hungrigen Rüsselkäfer bedrohten Särge ist aufwendig und teuer - weshalb ich dringend den Erwerb des reich bebilderten Büchleins nebst anderer Spenden empfehlen möchte. (Weitere Informationen auf der Webseite.) Darauf noch eine Torte, denn selten mischen sich delectare et prodesse so angenehm wie in Wien.


 


Samstag, 30. September 2006


Bleibt doch noch ein Weilchen. Schaut.

Möglicherweise müssen wir davon ausgehen,
daß es den sogenannten unglücklichen Menschen gar nicht gibt,
dachte ich, denn die meisten machen wir ja erst dadurch
unglücklich, daß wir ihnen ihr Unglück wegnehmen.

(Thomas Bernhard. Der Untergeher. 1983.)

Der Herr Jesus im Hieronymuskloster in BelémEs zieht mich fort. Für ein paar Tage. Einige sehe ich hoffentlich am Sonntag in Wien, da würde ich mich freuen. Den anderen lasse ich ein paar Links zurück: Wer es nicht in die Herbststraße schafft, der mag sich vielleicht herbstlich einstimmen mit Grauland.
Oder mit Bildern und Texten aus New Orleans. Kann man immer wieder lesen:
Angeliska.

Müsik im Bild:
A Flock of New Wave Photos zeigen, wie das so war. Damals. Banshees, Cure und Joy Division. Und irgendwie alle anderen auch. Dazu passend: PYMCA versammelt tausende Fotos (angeblich 80000) unterschiedlichster Qualität zu unterschiedlichsten Jugendkulturen seit den 70er Jahren. Ein endloser Strom.

Und sollte jemand gerade in Chicago sein: Die Moka-Galerie macht Open House und zeigt unter anderem tolle Fotografie aus Deutschland. Auch die kann man übrigens kaufen.

Und bin ich nicht in Wien, dann heißt der nächste Halt wohl Harajuku.


 


Freitag, 29. September 2006


Der Tag explodiert in meinem Hinterzimmer

Ich werde diese Nacht nicht erzählen,
in der meine Träume sich letzten Endes
nicht sehr von denen einer anderen Nacht
unterscheiden. Meine Hände werden besser
als die Dunkelheit mein Gesicht verbergen.

(Louis Aragon, "Das Wort fürs
Gegenteil". Wahr-Lügen. 1980.)

Die Nacht wie bittere Schokolade. Herbes Knuspern synchron zum Herzschlag. Der Herzschlag, ich fühle den Herzschlag. Der Morgen versteckt im zerschlafenen Kopfkissen. Die Daunen zusammengeklebt von Blut oder Schweiß oder Tränen; das Ruhebett ein klumpiger Sack, in dem niemand mehr träumt.
Die Seele indes ein schrumpelnder Ballon, der Zentimeter über der kratzigen Pferdedecke schwebt. Verknotetes Haar, ein Spuckefaden hat sich in der Nacht gelöst, kriecht entlang am Eisengestell, tropft auf die glasigen Schnecken, die dort unten ihr Lager haben.

Nennung des zerfließenden Weltschmerz

Sanfte Stille. Im Staub nur das Ticken einer klagenden Uhr. Was haben sie nur mit dem Lied getan? Ich krieche hinaus, ein Buch zwischen den Zähnen, eine getrocknete Blume fällt heraus. Ich will eine Dusche, ich will etwas trinken und sei es nur gestriger Alkohol. Die lähmende Stille, der trockene Schweiß auf den Körpern, wie kann ich da noch Briefe schreiben, sag? Hinter dem Vorhang liegt ein Tag. Grau wie gewöhnlich, schleicht er sich herein. Legt grußlos Mantel und Hut vorn in die Diele, streicht sich durchs schüttere Haar, hält dabei die kunstlederne Tasche unter den Arm gepreßt. Wirft mir einen verächtlichen Blick zu und verschwindet, schleicht sich zur nächsten Tür. Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich höre meinen pfeifenden Atem, dann nichts mehr. Dann nur noch dieses schreckliche Geräusch aus dem Hinterzimmer.


 


Donnerstag, 28. September 2006


Blütenträume

Na gut. Bewerben kann man sich ja mal. Auch wenn das bedeutet, zusammen mit Liv Tyler drehen zu müssen.

(Ich wünschte, mir stünde ein größeres Budget zur Verfügung. Ich könnte ein wunderbar nostalgisch-opulentes Kostümblog ausstatten.)

Super 8 | von kid37 um 11:22h | 18 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 26. September 2006


Sammler und Jäger

Weise ist, wer seine Existenz eintönig gestaltet,
denn dann besitzt jeder kleine Zwischenfall
das Privileg eines Wunders.

(Fernando Pessoa. Buch der Unruhe. )



Man kann nicht immer das gleiche essen, behaupten manche, denen es vielleicht an Vorstellungskraft gebricht. Denn ich, ich stelle mir einfach vor, mein Käsebrot sei einfach ein... anderes Käsebrot. Schon bin ich aufgeregt, erfreue mich an der wohldosierten Abwechslung. So aber begab es sich, daß große Not einkehrte nach sieben Tagen in der Fremde. Und Männer und Frauen taten, was ihnen ein inneres Gespür befahl. Sie, die da geht in Weizenblond, zog hinaus, neue Strände zu entdecken und sich bei mildem Galão Geschichten umso härterer Männer anzuhören. Von solchen, die gleich mir genetisch darauf programmiert sind, bei 37 Grad Lufttemperatur über endlose, staubige Ausfallstraßen in bislang unbeschriebene Vororte vorzudringen.

Dort, am Rande bereits kartographierter Zivilisation, lungern vornehmlich junge Leute mit eher elastischem Verhältnis zum Thema Substanzmißbrauch auf den Stufen heruntergekommener Häuser und schauen einen aus trüben Augen an. Dort aber liegt auch der den meisten nur durch Legenden und Überlieferungen bekannte Supermercado germanischer Prägung, dessen Papier gewordener Lockruf günstiger Preise und seltener Waren weithin bis in die verbeulten Briefkästen der verwinkelten Alfama zu vernehmen ist. (So versuche man einmal, Kerzen für das romantische Abendmahl außerhalb der Kathedrale zu erwerben! Von Schokolade will ich gar nicht erst reden.)

Der germanische Einkaufskrieger aber wagt sich ins wüste Ungewisse, vorbei an skelettierten Tierkadavern, die an das Schicksal derer gemahnen, die es nicht geschafft haben. Vielleicht, weil sie zu wenig Wasser dabei hatten oder weder die Ausdauer der Bergischen noch die spärlichen Weghinweise, die der freundliche Einheimische vom Touristenbüro auf meine Karte gemalt hatte.

"Little by little" sang ich tapfer vor mich hin, jeden Schritt mechanisch setzend, um in der Hitze unnötige Anstrengung zu vermeiden. Überhaupt heißt die Devise in Lissabon: Sei wie eine emsige Bergziege! Marschiere unermüdlich voran, halte einen Salzleckstein parat und klage nicht über Stufen und Steigungen.

In flirrender Hitze dörrten Sonne und Staub meinen Mund. Über dem weichen Teer der Straße erschienen mir zudem bald Fata Morganas, gelb-blaue Schilder mit dem Signet meiner Einkaufsoase gaukelten mir vor, längst schon am Ziel zu sein. Und tatsächlich, kaum schritt ich durch das finstere Tal der Vorstadt, erblickte ich den gleißenden Parkplatz des teutonischen Händlers. Hier ist Fotografieren übrigens nicht gern gesehen, möglicherweise fürchtete man, der altmodische Herr Kid wolle gleich einen Betriebsrat gründen, eine Institution, die schon im Mutterland dieses Konzerns nicht zu den primären Zielen der Mitarbeiterförderung gehört.



Eingekehrt ins tiefe Tal der Supermangos lud ich schnell mein Wägelchen voll mit Spezereien zu Discounterpreisen, griff mir gar aus grimmer Lust an purer Provokation Mozzarella aus dem Kühlregal. Schluß mit Törtchen und Sardinen! Und endlich wieder Schokolade!

Ein heroischer Tag, zurück zog die Karawane, Schritt für Schritt nach dem andern Schritt über glühende Straßen die Hügel in die Altstadt hoch.


 


Sonntag, 24. September 2006


Mal mir mal Musik aufs Poster

Im Rahmen des Reeperbahn-Festivals fand am Wochenende erstmals in Europa das Flatstock statt. Im Vorfeld hätte ich nicht gedacht, daß die Veranstaltung so groß ist: Über 30 Künstler, darunter Szenegrößen wie Tara McPherson und Jay Ryan, präsentierten - unterstützt vom SMart-Mailorder und dem American Poster Institute - ihre Drucke, Aufkleber, Magazine und Originale, und wer sein Portemonnaie nicht ganz fest in die Hose geschraubt hatte, ist an diesen drei Tagen sicher arm geworden. Für Preise ab 10 Euro gab es limitierte Sammlerstücke zu kaufen. Gemäß dem Programm "Kunst statt Rentenfonds" konnte ich mich selbst nicht zurückhalten und erwarb dieses von lässiger Ikonographie geprägte Werk von Tara McPherson, die wie viele Künstler samt ihrer Tattoos persönlich anwesend war. Die Auswahl fiel schwer, aber dann entschied ich mich für den Herrn im Ringelshirt. Gute Wahl, denn wie ich erfuhr, handelt es sich um McPhersons allererste "echte" Posterarbeit überhaupt. Fast übersehen habe ich zuerst die Editionsnummer:
37 von 300. Ganz offensichtlich also meins.

Wer noch mal einen Blick auf Tara McPhersons Arbeiten werfen möchte:
Ab dem 4. November ist dazu in Hamburg Gelegenheit. Dann eröffnet bei Feinkunst Krüger ihre Ausstellung "Lonely Heart".