Der Tag explodiert in meinem Hinterzimmer

Ich werde diese Nacht nicht erzählen,
in der meine Träume sich letzten Endes
nicht sehr von denen einer anderen Nacht
unterscheiden. Meine Hände werden besser
als die Dunkelheit mein Gesicht verbergen.

(Louis Aragon, "Das Wort fürs
Gegenteil". Wahr-Lügen. 1980.)

Die Nacht wie bittere Schokolade. Herbes Knuspern synchron zum Herzschlag. Der Herzschlag, ich fühle den Herzschlag. Der Morgen versteckt im zerschlafenen Kopfkissen. Die Daunen zusammengeklebt von Blut oder Schweiß oder Tränen; das Ruhebett ein klumpiger Sack, in dem niemand mehr träumt.
Die Seele indes ein schrumpelnder Ballon, der Zentimeter über der kratzigen Pferdedecke schwebt. Verknotetes Haar, ein Spuckefaden hat sich in der Nacht gelöst, kriecht entlang am Eisengestell, tropft auf die glasigen Schnecken, die dort unten ihr Lager haben.

Nennung des zerfließenden Weltschmerz

Sanfte Stille. Im Staub nur das Ticken einer klagenden Uhr. Was haben sie nur mit dem Lied getan? Ich krieche hinaus, ein Buch zwischen den Zähnen, eine getrocknete Blume fällt heraus. Ich will eine Dusche, ich will etwas trinken und sei es nur gestriger Alkohol. Die lähmende Stille, der trockene Schweiß auf den Körpern, wie kann ich da noch Briefe schreiben, sag? Hinter dem Vorhang liegt ein Tag. Grau wie gewöhnlich, schleicht er sich herein. Legt grußlos Mantel und Hut vorn in die Diele, streicht sich durchs schüttere Haar, hält dabei die kunstlederne Tasche unter den Arm gepreßt. Wirft mir einen verächtlichen Blick zu und verschwindet, schleicht sich zur nächsten Tür. Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich höre meinen pfeifenden Atem, dann nichts mehr. Dann nur noch dieses schreckliche Geräusch aus dem Hinterzimmer.

Projektor | 10:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
saxanasnotizen.blogspot.com - Freitag, 29. September 2006, 13:43
Jetzt um 11.45 Uhr kommt die Sonne in dein Zimmer und taucht es in goldenen Glanz. Ich schenke sie dir.

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kid37 - Freitag, 29. September 2006, 13:51
Wahnsinn, das stimmt! Wir wollen hoffen, es handelt sich nicht um verglühende Trümmer.

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ana - Freitag, 29. September 2006, 16:16
Es gibt Morgen, da wünscht man sich, der Tag wäre nur wie gewöhnlich als grauer Gast dahergekommen.

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kid37 - Freitag, 29. September 2006, 16:42
Es gab schon Morgen, da habe ich ihn gar nicht erst reingelassen. Kann man sich aber auch nur als Student leisten, wenn das Leben kaum was kostet und es für alles noch einen nächsten Tag gibt.

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frau klugscheisser - Freitag, 29. September 2006, 16:46
Danke. Spricht mir aus der Seele. Wenn auch wahrscheinlich ganz anders als beabsichtigt.

Sagen Sie, wie bastelt sich das obige Zitat so schön nach rechts? Nicht nur, aber auch daran bin ich gerade gescheitert.

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kid37 - Freitag, 29. September 2006, 22:22
Wir hoffen alle auf ganze Tage.

Sie haben Post.

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fishy_ - Samstag, 30. September 2006, 00:46
Ich kann meine Augen nicht mehr von den Umlaut-Punkten lassen, die das schöne Wort verunstalten. Wer hat das getan? Bestimmt war es Gülisar oder Jürgen.

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kid37 - Samstag, 30. September 2006, 15:28
Die Umlaute erstaunten mich auch - sie sind aber original so angebracht. Kein Fall von Verschändelung.

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blue sky - Samstag, 30. September 2006, 16:07
Kein Umlaut, sondern ein Trema, so wie bei Citroën.

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frau stella - Samstag, 30. September 2006, 01:57
Werter Herr Kid37,
die zähe Gewalt ihrer Sprache verschlägt mir die Sprache.
Chapeau!

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kid37 - Samstag, 30. September 2006, 15:27
Die zähe Gewalt meiner Träume... nun, sie verlassen nur noch selten die Kellerlabyrinthe.

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