Mittwoch, 26. Juli 2006


Sonne macht albern

Ich weiß nicht, wie es anderen geht. Aber um als Jammerblogger bei dieser Großwetterlage bestehen zu können, erfordert es Maßnahmen, die wahre Größe zeigen. Eine alte Familienweisheit besagt: Es braucht mehr als ein Pferd, um über den eigenen Schatten zu springen. Und einen Schatten muß man erstmal haben bei dieser Dauerbestrahlung.

Aber nun heißt es, beide Daumen hoch. Ich halte Sonnenbrille und Badehose griffbereit und sage: Ja! Ich bin Gastgeber. Die Sonne zu Gast bei Freunden!


 


Montag, 24. Juli 2006


Die Sonnenseuche

Es gibt da eine ganz neue,
erst vor kurzer Zeit entdeckte Art von Bazillen;
man kann sie Sonnenbazillen nennen.
Sie existieren nur bei abnorm starker Hitze.
Gewöhnlich rinnen sie mit der warmen Luft
durch Ohren, Nase, Mund und Augen in den
menschlichen Körper. Sie dringen in das Gehirn ein
und richten dort eine furchtbare Verwirrung an.

(Heinrich Nowak. Die Sonnenseuche. Wien, 1920.)


Am Wochenende hielt ich es in meiner Dachkemenate nicht länger aus, schnappte mir eine weizenblonde Begleitung, ein Paar vierteloffener Schuhe, und dann nicht etwa nischt wie raus nach Wannsee, sondern zum Öjendorfer Friedhof. Ausnahmsweise nicht etwa für einen sepulchral-meditativen Spaziergang, so von hüben nach drüben, vom Diesseits zum Jenseits - sondern um wohlgeplant einen weltlichen Trampelpfad zu suchen, der auf die berühmte andere Seite führt: den Öjendorfer See. Wenn da nicht gerade Mittelaltermärkte stattfinden oder Seuchenbakterien und Algen das Baden verbieten, ist der Park dort eine lockende und meist sogar unbedenkliche Grüngegend.

So kommt es also, daß man verhärmt-bleiche Vampirkinder wie den Herrn Kid bis zu den Knien im pipiwarmen Wasser stehend ertappt! Mit grimmig gefrorenen Gesichtszügen (kein Vergnügen vor Mitternacht!), "Sonne macht blöd!"-rufend anlaßlos vergnügte Kleinkinder ermahnend und morlakeulenschwingend freilaufende Hunde und anarchistische Grillgeister in die Schranken von 14/18 verweisend. Was für ein Spaß!

Der weizenblonde Sonnenschein an meiner Seite war schnell völlig mitgerissen von der Piratendichte in Hamburg, dem seidigen Wind auf seidigerer Haut und den locker aus dem schwitzigen Ärmel geschüttelten Urlaubsplänen für noch sonnigere Gefilde. Denn hat die Seuche einen erst gepackt, kann man schnell kaum genug bekommen. Ich mache das jetzt öfter. Alufolie wie bei einer Backkartoffel um den Kopf gewickelt, den Sonnentrichter in den Bauchnabel gerammt - und dann heißt es aufgetankt mit solarer Energie für noch luzidere Gedanken. Gleißen wie 1000 Sonnen, jedermann sein eigenes Bosonen-Kraftwerk, ein Quasar in der türkisen Kühltasche und das Geheimnis aller Antiteilchen gelöst. Denn wie allen hier bekannt, empfahl der Quantenphysiker Richard Feynman völlig zurecht jedem Theoretiker, er solle an die Wandtafel seines Büros schreiben: "137 - wie wenig wir doch wissen." (zitiert aus 137 und die große Vereinigung)

So verknüpft sich wieder eins zum anderen. Und im nächsten silberdisteligen Sommer erkläre ich, wie das alles paßt und was das zu bedeuten hat.


 


Freitag, 21. Juli 2006


Doch die Sonne wird nicht ewig brennen

Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.

(Friedrich Schiller, "Die Glocke")

Heute morgen stellte ich fest: Man braucht tatsächlich keine Jacke mehr. Vielleicht ein bißchen zügiger gehen, damit man nicht auskühlt. Dann aber ist nichts zu befürchten. Die Kollegen aus der Gartenzwergfabrik sehen mich allerdings verstimmt. Entgegen meiner Rundmail von gestern, in der ich anregte, über Nacht die Heizung auszudrehen, finde ich die Werkräume schom am frühen Morgen muckelig warm vor. Mißmut perlt mir aus allen Poren, während ich Mützchen um Mützchen rot lackiere.

Kein Zornesrot. Auch kein Blutgericht. Eher wie das scharlachfleckene Mal des feuerroten Badetuchs, mit dem der Teufel persönlich seinen Platz am Strand von Putadimare reserviert.


 


Mittwoch, 19. Juli 2006


Aus Sand gebaut

Der belgische Fotograf Sebastian Schutyser dokumentiert seit seinen Studienjahren in Mali die Lehmmoscheen im Nigerdelta. Als "typische Architektur" zwar weithin bekannt, hat es bislang keine Bemühungen gegeben, diese oft in entlegenen Dörfern angelegten religiösen Bauwerke zu dokumentieren.


Über 500 solcher Moscheen hat Schutyser seit 1998 in zwei Fotoexpeditionen fotografiert. Einmalige und einzigartige, mal schlichte, mal höchst elaborierte, oft biomorphe Formen kennzeichnen diese eindrucksvollen aus Lehm geschaffenen Häuser. Die haptische Beschaffenheit des Materials mit seinen Rissen, seiner Rauheit und das reizvolle Spiel von Licht und Schatten sind dabei schwer faszinierend. Aber wie vieles scheinbar überkommen Archaische, ist auch diese Architektur leider durch Natureinflüsse, Vernachlässigung und die Mode des Modernen bedroht. Verändern und Bewahren - ein diffiziler Balanceakt.

Neben der internationalen, derzeit wohl nicht lieferbaren, gibt es auch eine deutsche Buchausgabe. Kleinbildaufnahmen der Moscheen in Farbe gibt es ebenfalls hier bei ArchNet.

via Bldgblog


 


Montag, 17. Juli 2006


Zu Haus bin ich schüchtern

Your "sell-by date" expired,
So you had to be sold
(Marilyn Manson, "Saint")

Ich finde das nicht unsympathisch. Besser als daheim den Maulhelden in Monsterpuschelpantoffeln zu spielen, den Brüllaffen, den Freizeitmandrill. Aber draußen, auf Teer, Asphalt und Eisengleisen, nur duckendes Grau, fettige Schuppensträhne statt gesträubtem Fell. Denn entgegen der weitverbreiteten Meinung im Volksmund trainiert lautes Schreien nicht das Rückgrat.

Daheim, da macht es nichts. Da schaue ich nicht mal selbst mir zu. "Ich zieh' mich nur noch im Dunkeln aus/Und schau' nicht an mir herab", sangen Armutszeugnis früher, in den goldkranzumwundenen Zeiten. Morgens beim Bäcker immer die Altbrötchen mit echtem Mutterkorn, nicht wegen der Alkaloide, sondern wegen des Wortes Mut darin.

Schüchtern, wenn man vor lauter Worten keines mehr herausbekommt. Nackt, bloß, ein Wurm vielleicht. Und manchmal gar ein Würmchen. Offene Haut, kein Panzer, nichts derbes wie ein Elefant. Ach schüchtern, alles Quatsch, setz dich einfach her zu mir.


 


Sonntag, 16. Juli 2006


Harley Days

Dieses Wochenende sind in Hamburg ja die Harley Days, wo schwere Jungs sich um schwerere Motorräder drängen, in der Hoffung, leichte(re) Mädchen zu beeindrucken. Ich versuchte das früher ja immer, wenn ich mit meinem altersschwachen Hollandrad (drei schwere Gänge) und laszivem Schutzblechgeklapper runter zum Elbstrand fuhr, lässig wie der junge Bobby Vee, beim Versuch, sich eine flotte Vespafahrerin zu angeln. Heutzutage geht es natürlich brav und nur mit einem Zweiradmagazin ins Bett.

Schöne alte Scopitone-Musikfilme, alles angucken!


 


Freitag, 14. Juli 2006


Stilbruch

Die gelungenen Bilder bleiben ohne
Wirkung auf uns. Das Interesse, das
wir an ihnen nehmen, reicht nicht über
die Zeit eines kurzen Betrachtens hinaus:
Sie hallen nicht nach, verwirren nicht...

(Roland Barthes. Mythen des Alltags. 1957.)

Für freilaufende Tagelöhner wie mich gibt es in Hamburg das Kaufhaus Stilbruch, wo man sich, gut vorsortiert, aus dem Müll anderer Leute ein neues Heim für schmale Geldbeutel schaffen kann. Eine schöne Idee, zumal es in dieser Stadt keine festen Sperrmülltermine mehr gibt, an denen man sich straßenzugweise selbst auf Schatzsuche machen könnte. Ob Sofa, Tasse oder Gehhilfe, hier findet man im stetig wechselnden Ausstellungsangebot entweder was für sich oder zumindestens einen Eindruck über das, was bei den lieben Mitmenschen gerade über Bord geht.


Le Sofa: Immer schon Platz für gut abgehangenen Kunstgenuß

Bei manchen Dingen kann man schon ins Grübeln kommen. Hasenkäfige, Sanitätshausstühle und alte Hammondorgeln tragen die Aura des Versprechens eines geruhsamen Lebensabendes. Bembel, Sammelteller und formschönes Besteck mit Holzgriffen kosten hier nicht die Welt und zieren jeden Tisch (den es gleich nebenan gibt). Fahrräder zur Ertüchtigung, Balkonmöbel zum Entspannen - für jeden Bedarf offenbart sich hier ein Pièce de résistance, wie sonst nur dem Katalogbesteller. Ich schlendere umher, streiche hier gedankenvoll über kunstlederne Bezüge, knuffe dort einen Sitzsack und wundere mich still, aber intensiv, über Sammelsurien, die man andernfalls nur auf dem Flohmarkt Hellbrookstraße finden kann.

In den geräumigen Hallen findet sich viel, aber die wahren Trouvaillen liegen oben verborgen. Im ersten Stock nämlich befindet sich die Kulturabteilung des kleinen Kaufhauses. Bücher, Schallplatten, Computer- programme - und die überaus beeindruckende Galerie de Objét trouvée du Müll.

Das kleine Hansestadtmuseum bietet einen Querschnitt durch alle Epochen und Geschmäcker. Poster von Miró, üblicherweise nur noch mit leichtem Grusel goutierbar, entlocken ein sanftes Hallo, der Fischer mit der Piepe ist gleich mehrfach vertreten: als Druck, als Stickbild und in Öl.

Beinahe unbezahlbar und dennoch für Preise (nach Leinwandgröße gestaffelt) angeboten, die einem Mittagstisch ins Eimsbüttel entsprechen, sind die Originale. Gekonnt ins Format gesetzte Porträts, gewagt kubistische Akte und, herzerweichend, der kleine Fuchs aus dem kleinen Prinzen.

"Nimm mich mit!" schreien sie, die herzblutigen Bilder, expressionistische Stadtansichten und von lockerer Hand gemalten Haustierporträts. Wer setzte sie aus, diese Exponate aus den Plakafarben-Tuilerien? Wer konnte so grausam sein? Alles für die Kunst, denn Kunst ist alles! schrien wir einst, kaum war die Schule vorbei. Nun lehnen sie hier, die Gesellenwerke einer Zeit, die Bob Ross noch nicht kannte. Penible Pferdeköpfe, ungelenk gegenständlich, heiter Abstraktes und derbe Art brut, außer Form und Rand und Band, ein Zeichen eckt an, schrappt an den Wänden unserer Sehgewohnheiten, desorganisiert, sagt, hey, ich bin gekommen, um zu bleiben, und ruft wie ganz nebenbei: Hilfe, zu Hilfe - ist vielleicht zufällig ein Kurator ein Bord?