Donnerstag, 13. Juli 2006


Merz/Bow #3

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Dieses Gefühl, aus der schäumenden Woge Stuttgarter Freundlichkeit in Berlin aus dem Zug zu steigen und als erstes einen Vater zu beobachten, der seinem ungefähr vier Jahre alten Sohn die Flötentöne beibringt. "Sag mal, spinnst du? Bist du jetzt völlig durchgeknallt?" herrscht es. "Du hattest heute schon zwei Eis. Und da willst du noch ein drittes?"

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Umsichtig, den Nachwuchs frühzeitig auf ein Leben in Berlin, möglicherweise gar auf ein Leben als Weblogger vorzubereiten.

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Theater allerorten. (Nein, eigentlich nur an dem immergleichen, dafür altbekannten.) Geht mich diesmal zum Glück nichts an.

Eintrag vom letzten Mal. Kann man einfach so stehen lassen.

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Apropos über andere Leute reden. (Ebenfalls Eintrag vom letzten Mal.) Naughty James hat bekanntlich unser aller Sarah wiedergetroffen. Details wissen wir wieder einmal nicht, oder nur ein paar, wir nehmen es aber mit Wohlwollen zur Kenntnis. Man wird ja auch mal Fehler machen dürfen. Seinen Fotos tut es gut.

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Liebe sollte übrigens immer ein wenig kompliziert sein. Wie eine gute Schachaufgabe. Oder überhaupt nicht. Kompliziert.

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2006, das Jahr, in dem aus Bloggerkollegen Medienpartner wurden.

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Ungelogen: Der zweite Berliner, der mir begegnete, murmelte so tourette-mäßig "Pack, alles Pack" vor sich hin. Man soll sich aber nicht gleich immer angesprochen fühlen.

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Nachtrag, Wort des Tages: "Buschbesuch"

MerzBow | von kid37 um 13:37h | 20 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 12. Juli 2006


Mein kleines Finale

Es gibt ja Dinge im Leben, die überfallen einen regelrecht wie sonst nur unverhoffte Liebesbriefe oder unbegründet verdrängte Steuerbescheide. So kam es, warum sollte nicht auch ich mal Glück haben, zu der Einladung zum Spiel um Platz drei - übrigens zu einem Zeitpunkt, als längst nicht klar war, welche Mannschaften dort aufeinandertreffen würden. "Deutschland - Brasilien" spekulierte ich, und behielt, zumindestens was die Landessprache des Gegners betrifft, etwas, was ich am liebsten behalte: nämlich recht.



So finde ich mich also am Samstag in Stuttgart wieder und schnuppere einen Nachmittag lang sonnig-begeisterte Stimmung der Schwaben. Nach dem Stimmungseinbruch nach dem Spiel gegen die Schauspieler, heißt es nun wieder: Party unter Freunden. Die Bäckereifachverkäuferin, bei er ich einen Mohnstrudel kaufe, haut mich fast um: Beim üblichen "Bitte" - "Danke" verbeugt sie sich sogar leicht! Ganz alte Schule, sehr vorbildlich! Und war die Stimmung im Schloßgarten schon ausgelassen, so gibt es spätestens in der S-Bahn kein Entkommen vor den letzten Proben für die Schlachtgesänge. Das Motto des Abends lautet unwidersprochen: "Schtuddgard ist viel schöner als Berlin".



So ein WM-Spiel ist wie das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, nur weiß statt schwarz. Während jedes Jahr zu Pfingsten schwarzbekittelte Menschen das Bild rund ums Agra-Messegelände und in den Nahverkehrsmitteln bestimmen, sind es nun Massen in weißen Trikots, die das Stuttgarter Stadtbild prägen. Ich widerstehe vielfältigen Angeboten, mein Ticket zu versilbern und finde mich schließlich mit toller Sicht und guter Laune im Gottlieb-Daimler-Stadion wieder. Putzig: Ist das das Trainingsgelände für Jugendmannschaften? Alles sieht so klein, so überschaubar aus, gar nicht wie im Westfalenstadion, wo man von oben in einen tiefen, tiefen Trichter schaut. Unser zweiter erster Torwart betritt als erster den Platz zum Aufwärmen. Donnernder Applaus und "Oliver Kahn!"-Rufe. Nach und nach die anderen Jungs, endlich auch wieder Frings. Dann die Hymnen, und endlich geht es los!



Man denkt ja, man verbringt einen geruhsamen Abend im Stadion, während sich unten 22 Männer abrackern. Aber weit gefehlt. Kaum hat man Platz genommen, läuft die Welle durch die Ränge, und so heißt es "Oooooooooooooohhhh!" und alle Arme fliegen hoch! Das hält ganz schön in Bewegung. Zudem gibt es dieses doch etwas zweifelhafte Fanlied. Ich meine nicht,"Three Lions", das nun "Schwarz und weiß" heißt. Auch nicht "Auf geht's, Deutschland schieß ein Tor!" oder "'54, '74, '90 - 2010", dem Song zur Schröder-Agenda. Das sind alles Lieder mit Schmackes, Witz und Emotion.

Zweifelhaft aber ist dieses "Steht auf, wenn ihr Deutsche seid!", dessen Sinn sich meiner Begleitung und mir nicht erschließt. Widerborstig bleiben wir demonstrativ sitzen, während sich der Fanblock alle fünf Minuten wie ein Mann erhebt. Mist! Jetzt sehen wir nichts mehr vom Spiel.



Nach einer kurzen Beratung im ZK stelle ich die Frage ins Plenum. Aufmerksam lauscht der Block meinen wortreich vorgetragenen Ausführungen, dann kommt es zur Abstimmung. Ergebnis: 998 für Aufstehen, zwei Gegenstimmen. Wir beschließen, als echte Demokraten das Votum zu akzeptieren, dabei aber in den inneren Widerstand zu gehen. Sehr gute Entscheidung, wie sich sogleich zeigt. Wir sehen jetzt viel mehr vom Spiel.

Die Portugiesen sind nette Menschen. Sie wollen uns die Party nicht verderben und lassen unsere quicken Jungs gewähren. Erst als endlich Figo eingewechselt wird, kommt Gefahr ins portugiesische Spiel. Erstaunlich, wie man im Stadion spürt, welche Ausstrahlung dieser Mann hat, wie man weitaus besser als im Fernsehen sehen kann, wie superb seine Ballannahme und wie dynamisch sein Antritt ist. Unglaubliche Bewegungsabläufe. Ich beschließe spontan, mir eine Scheibe abzuschneiden und mir nicht nur einen Bartschatten, sondern auch meine Gegner fortan so elegant stehen zu lassen.



Nach dem Spiel geht in Stuttgart gar nichts mehr. Das Fahnenmeer erweckt den Eindruck, die Wiedervereinigung sei da. Aber es fiel wohl nur endgültig die Mauer in den Herzen. S-Bahnen bleiben liegen, Personen auf dem Gleis, überhaupt - überall Personen. Vor dem Spielerhotel am Hauptbahnhof warten Tausende, "Jüüüüüüürgen Klinsmann!" rufend. Mein Übernachtungsbett finde ich spät, aber glücklich. Ein toller Abend geht zu Ende - ausnahmsweise mit guter Laune.


 


Samstag, 8. Juli 2006


Niemals alleine gehen

Nachdem ich fleißig geübt habe, begebe ich mich heute auf eine kleine sportaffine Reise. Durch kreuz- und querverkettelte,nachgerade wundersame Zufälle bin ich nämlich in den Besitz einer Karte für das bedeutsame Spiel um den dritten Platz gekommen. Da macht es irgendwie Sinn, dann auch nach Stuttgart zu fahren, um das Duell der Verlierer mitanzuschauen.

Schließlich liegt im Fußballspiel, das wußte schon Albert Camus, eine philosophische Tiefe, die den Blogs dem Leben abgeguckt zu sein scheint. Aber das nur nebenbei. Fahne und fantypisches Rauchwerk besitze ich zwar nicht, aber sollten sich die Jungs auf dem Platz an so etwas stören, dann pfeife ich gleich wieder ab.


 


Freitag, 7. Juli 2006


Der gefundene Satz, 34

Deshalb versteht Bodo sofort, was Theo ihm im zweiten Orakel mit Musil sanft radebrechend eintrichtert: "Menschenhirn hat Dinge zwar glücklich geteilt, doch Dinge haben Menschenherz geteilt." Das ist nie wieder gutzumachen, auch mit Suff und Sex nicht.

(Edo Reents über Frank Schulz' Das Ouzo-Orakel. FAZ, 17.6.2006)


 


Mittwoch, 5. Juli 2006


Schlaaand 0 - Schauspieler 2


Die runde Sache lief nun lange rund und für einige glückliche Momente auch geringelt oder wenigstens gestreift. Heute abend dann das Projekt Füüünale, standesgemäß draußen auf der Straße auf St. Pauli, mit anderen Mediennutten Gartenzwergpolierern, Hartz-IV-lern und den mitfiebernden Jungs vom türkischen Büdchen nebenan. Erste Halbzeit mit "'Schlaaand! Schlaaaand!"-Rufen in Stimmung gebracht. Wir sind alle Frings - und zur Hälfte auch Odonkor. Gelungene Aktionen (weniger) und Einsatz (mehr) von Team Schland werden eifrig beklatscht. Die zunehmend dreister werdenden Aktionen von Team Thespis zugleich verächtlich ausgebuht.



Heim zu Mama! gellt es, wenn einer der Blauen, vom Windhauch berührt, sich theatralisch auf dem Boden wälzt. Bald wälzt ihr euch in der dritten Liga, brüllt einer. Ständig halten sie sich das Gesicht. Was ist los, rufe ich. Frisur kaputt? Die sehr schöne Frau™ ruft nach Udo Walz, während sie Würstchen grillt, was bis zum Abpfiff noch die neue Lebensart in Schland zu werden versprach. Straßenpartys, Fangesänge, Kulturaustausch. "Wir halten zu Deutschland", meint der türkische Ladenbesitzer. "Morgen dann vielleicht zu Italien", fährt er fort und lacht. Jaja, noch sind wir gönnerhaft und lachen mit. Irgendwann kurz vor Schluß lassen die in Blau Haare, Haare und Wehleidigkeit, Wehleidigkeit sein. Zwei Dinger schenken sie dem Fußballgott ein. Ballack dreht sich beim ersten verdächtig zur Seite, Lehmann machtlos. Ich lasse mich vom türkischen Nachbarn trösten, wir alle starren ausdruckslos ins Leere. Totenstille herrscht auf einmal über dem Viertel. Und doch: Wir haben Spaß gehabt.


 


Dienstag, 4. Juli 2006


So ist es so

Vom Boden essen. Gerne, spricht Demut. Und der alte Witz geht, aber werden wir satt? Geleckt und glatt und anschiegsam. Ich mag es ja mehr in den Brüchen und Kanten. Wenn einer zeigt, daß die Dinge größer sein können als der eigene Griff. Daß sie diesem entschlüpfen, weil das Heute größer oder quicker oder einfach bloß anders ist als das Gestern. Und vom Morgen wollen wir nur ahnen und furchtsamer raunen. Wer weiß schon, was kommt und ob es so ist, wie es ist.

Am hinteren Zaun wehten erst ein paar Haare. Als ich hintrat und nachsah, legte sich dort ein blutendes Tier. Und in silbernen Augen/Spiegeln sich die schwarzen Schatten unserer Wildnis/Gräßliches Lachen, das unsere Münder zerbrach. (Trakl, "Passion") Die klopfenden Herzen, das furchtsame Drängen, ein flatternder Puls in meiner Hand. Als es starb, war ich zaghaft, kein Wort fiel mir ein. Außer ein Ja und ein Nein. Und einem es, das ist, wie es ist.

Homestory | von kid37 um 20:19h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 3. Juli 2006


Mann über Bord!



Nachdem die Sonne sich senkte, das Geschrei verebbte, nur von Ferne noch gellten einzelne Triller einer Schiedsrichterpfeife, gingen wir runter zum Hafen. Ein leiser Wind kühlte die schwitzige Haut, und die Lampen der Marktbuden und die blauen Tore tauchten die Schiffe in ein farbiges Licht. Am Kai pullerte ein Betrunkener ins Hafenbecken. "Sieh dort!", rufe ich aus und ziehe sie am Arm. "Schau, wie romantisch!"

Ich deutete auf das Hausboot. Ein schnittiger Kahn, eine architektonische Studie in Retro-Design. Und seh mich schon draußen, dümpelnd und treibend, einen auf flokatiumhüllte Entspannung mimend. Oder so ein Feuerschiff! Mit dem druckvollen Strahl der Wasserkanone zeigte ich jedem Beckenrandpinkler, was seine Kümmerlichkeit ist. So ein Hafen ist Aufbruch und Sehnsucht, Fernweh und Ankunft: jeder Matrose sein eigenes Schiff. Und ob stolzer gesegelt oder träge nur treibend, manchmal geht es doch über Bord.