Dienstag, 28. Februar 2006


Familiäre Heiterherde


Man fragt sich ja in diesen Tagen, diese irrlichternde Exaltiertheit, die muß doch einen Ursprung haben, tief im Herzen vielleicht oder liegt es gar im familiären Wurzelgeflecht? Nun, man könnte sagen, das Feiern liegt Familie Kid im Blut.

Durch Krieg und Vertreibung ins holsteinische und rheinische verschlagen, mischte sich schnell eine heitere Melancholie zurecht, die allzuoft gar wildfremde Menschen in trunkene Freude zu tauchen vermochte. Wie man auf diesem Foto von Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre sieht, waren damals die Feste besonders licht und nicht so nebelverhangen wie heutzutage im hermetischen Café. Meine Mutter, deren Schwestern und meine Großmutter waren es, die jene berühmte ostpreußische Laune in die Bergische Kaffeestube brachten - ausgelassen tanzte man nur wenige Minuten später bereits auf dem wackligen Tisch.


 


Montag, 27. Februar 2006


Vom platonschen Kugelwesen

Wenn et Trömmelsche jeht...
...dann stonn mer all parat!

Mit siebenunddreißigeinhalb beult sich bei Männern bekanntlich der Körper nicht mehr so häufig situationsbedingt aus, sondern neigt bei seinen rundlicheren Ausstülpungen deutlich zu Permanenzcharakter.

Nun zähle ich anerkannntermaßen weniger zu den vollschlanken als zu den voll schlanken Typen, dennoch zeigt meine ehemals stählerne Bauchdecke verstärkt Qualitäten eines konvexen Resonanzraums.

Kein Grund, wie ich finde, bei meinem Anblick den karnevalistischen Schlager vom Trömmelsche anzustimmen. Ich glaube, es ist Zeit für 'ne Rakete.


 


Freitag, 24. Februar 2006


Wuppdika

Lead, follow - or get out of the way.
(Anon)

Wie in einigen anderen Städten der Republik wird in Hamburg ja gestreikt. Mittlerweile sammelt sich der Müll am Straßenrand, Bürgersteige sind übersäht mit weggeworfenem Papier und Resten von irgendwas. Eigentlich, so dachte ich heute, eine nette Erinnerung an den rheinischen Straßenkarneval. So war der Höhepunkt beim Wuppertaler Sonntagsumzug (20 Motivwagen) die Parade der orangefarbenen Kehrmaschinen. Mit kreiselnden Lichtern und schnaufendem Gebrause schruppten sie Kamelle, Konfetti und Reste von irgendwas vom Asphalt, während links und rechts von ihnen glücksstrahlende Kinder mit gefüllten Plastiktüten, wankende Cowboys mit zerdrücktem Stetson und menopausierende Pippi-Langstrumpfs mit erloschenen Gesichtern nach Hause oder noch zu Günnis Eck schlichen.


 


Donnerstag, 23. Februar 2006


Bloggerlesungen

Termine, Tips und Tatankündigungen über den "Ausverkauf der Bloggerszene", "Podcasting live", "Gestammel auf der Bühne" und unglaublich lustigen, schönen, vor- und nachtragenden Momenten nunmehr hier auf Bloglesungen.

Tentakel | von kid37 um 21:27h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Haiku am Werktisch

Das Pling der Rundmail
Langsam wandert das Echo
durch den Büroflur


 


Mittwoch, 22. Februar 2006


26 1/2

Wir tanzten bis zum Ende
Zum Herzschlag der besten Musik,
Jeden Abend, jeden Tag
Wir dachten schon, das ist der Sieg.

(Fehlfarben, "Das war vor Jahren")

Nein, Campino möchte ich wirklich nicht mit einem Fehlfarben-Lied hören. Der Mann, der jedes Stück schreideklamiert und bei jedem Anlaut ein ganzes Stadion im Kopf hat - nein, der hat die stillschreiende Einsamkeit und schüchterne Verlorenheit der Fehlfarben-Klassiker nicht im Empfinden. Jetzt hat er aufgespielt mit anderen Freunden der Band, eine bunte Mischung mit Grönemeyer, Begemann, Distelmeyer, Gudrun Gut und Françoise Cactus, Helge Schneider, Frank Spilker und anderen.

26 Jahre Fehlfarben, ist das also auch schon wieder so lange her. Ach.
Man muß das verstehen. Damals leuchtete uns ja nur das fahle Blau der Neonlichter. Damals war ja nur grauer Beton (noch nicht mal brennen wollte der). Erstes Bier zwischen Ratinger Hof und Wuppertaler Börse, verstörter Sex unter Pferdepostern, Mitschüler in olivgrünen Bundeswehrparkas und dünnen Spaghettihaaren, die aussahen wie in Öl gelegt. Und nur weil sie nicht hören wollten. Schneid' dir die Haare, bevor du verpennst, wollten sie nicht hören, Peter Hein.

Denn niemand hat so wie Hein das seltsame, verlorene Lebensgefühl dieser Generation auf den Punkt gebracht, die das Pech hatte, ihre prägenden Jahre ausgerechnet in den Achtzigern zu verbringen. Die Generation, in der sich jeder als Zuspätgekommener, als Außenseiter fühlte, und die deshalb den darauf folgenden Techno und die seligmachende Kraft des Gefühls, in einer Masse aufzugehen, nie so recht verstanden hat. (Thomas Winkler in SpOn)

Monarchie und Alltag, nur gültig in der LP-Version, niemals in der remixten CD-Fassung von 2000, leistete genau das: kalte, nüchterne Gitarrenklänge, wie aus den ewigen Nieselregenwänden des Bergischen Landes herbeigeweht, dünnes treibendes Schlagzeug und ein White-Funk-Bass, der Peter Heins Textzeilen nach vorne schleuderte. Dahin, wo aggressiv getanzt wurde, dahin, wo man an die Wände kritzeln konnte. Edding-Generation. Zum Geburtstag ist 26 1/2 ein nettes Geschenk. Schneider, Distelmeyer, Cactus. Schön und Gut. Das neue Stück "Chirurgie 2010" aber deutet an, was fehlt, das was das abgehangene Alterswerk Knietief im Dispo schon versprach. Mehr davon, bittebittebitte.
Letzter Aufruf, Peter Hein. Werde Superstar titelte die Spex vor 20 Jahren.

Der Hein, der fehlt. Sagte ich einumsanderemal im stilleren Kämmerlein. Mach mir doch die Jugend nicht kaputt, sing mir den rheinischen Rotz- und Trotzton, jeden Abend, jeden Tag. Es gibt keinen Sieg.

Radau | von kid37 um 21:05h | 14 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 21. Februar 2006


Gastspiel

Herr Bandini hat getrommelt, und ein kleines kosmopolitisches Quartett trifft sich nun passenderweise im Café International zum Plaudern.


Da ich so nett gefragt wurde und denke, daß man auch in der Hessenmetropole Ringelstrümpfe trägt, konnte ich nicht widerstehen. Am 11. März werden also die berückenden Damen Andrea Diener und Suna sowie Herr Bandini und ich ein wenig vortragen. Schön, wenn jemand kommen mag.

Weil es Frankfurt/M. ist, sage ich es aber besser gleich: Wer tuschelt und lacht, dem reiße ich den Spiralblock aus den Händen, daß es weh tut. Nicht, daß mancher vor Mitternacht wieder keinen Schlaf findet.


 


Montag, 20. Februar 2006


Furchtbare Dinge passieren oft ganz natürlich

Burning my bridges
And smashing my mirrors
Turning to see if you're cowardly
Burning the witches with mother religious
You'll strike the matches and shower me

(Echo and the Bunnymen, "Seven Seas")

"Warum spielst du nicht mit deinen Freunden?" - "Die sind alle tot."
Die Brutalität der Kinderspiele. "Eben, der Heuler!" Wer erinnerte sich nicht? Vielleicht nicht die Alpha-Kinder hier im Saal. Doch dann ist Eben tot...

Selten gezeigt, dafür ein heimlicher Klassiker:
Der Schrei in der Stille mit dem damals noch nicht so bekannten Viggo Mortensen. Letzteres tut wenig zur Sache, wirft der spätere Ruhm des Mimen doch bloß ein verzerrendes Licht auf diese grimmige Erzählung aus den Tiefen der 50er Jahre.

Der junge Seth wächst auf im ländlichen Nirgendwo. Sein lebensschwacher Vater betreibt inmitten endloser Kornfelder, verrosteten Autos und anderem Strandgut der Landstraße eine Tankstelle - wenn er nicht billige Vampirgeschichten liest. Die hartherzige Mutter erwartet sehnlich die Ankunft von Cameron (Mortensen), dem von allen vergötterten älteren Bruder. Die Zeit scheint still zustehen.

Doch Stück um Stück entfaltet sich die Katastrophe. Während ein Kindsmörder sein Unwesen treibt, setzt die uneigentliche Sprache der Erwachsenen, ihre ironischen und metaphorischen Wendungen im kindlichen Gemüt von Seth ein schreckliches Mosaik von "Wahrheit" zusammen: Beeindruckt von den Trivialromanen seines Vaters ist er bald überzeugt, daß die englische Nachbarin Dolphin Blue ein echter Vampir sein muß.

In schlichten, aber symbolisch aufgeladenen, streng komponierten Bildern, eine Art bewegtes American Gothic, entwickelt sich der Stoff, aus dem auch die Geschichten von Nick Cave gewoben sind: Platzende Frösche, Blut, Kuhschädel und bigotte Frömmigkeit: Das Grauen entspinnt sich im gnadenlosen Gelb von Sonne und Kornfeld, durch das lautlos ein schwarzer Cadillac als unheilvoller Todesbote gleitet.

Die grauenhafte, eigentliche Wahrheit, entblättert sich dem distanzierten Blick des Zuschauers: Aus der Diskrepanz der unterschiedlichen Interpretationen von "Wirklichkeit" von Erwachsenen und Kindern (deren unbekümmert-anarchische Lust am Töten und Zerstören die fragilen Lügen der Erwachsenenwelt gleichfalls auf den Kopf stellen) entwickelt sich eine Wahrheit, in der die entrückten Symbole eine bedrückend-ver/rückte Wirklichkeit zimmern. Die Suche nach Wahrheit inmitten rigider, fanatischer und naiver Überzeugungen und Vorurteile endet in Mord, Selbstmord und Erschütterung aller Weltbilder. Vom "Albtraum der Kindheit" spricht Dolphin Blue und sagt: "Unschuld kann wie die Hölle sein."

Am Ende, wenn der kindliche Beobachter zum Handelnden wird, ein Urteil spricht und so die Unschuld verliert, wird wie in jedem Märchen die "Hexe" büßen...

Der britische Autor und Regisseur Philip Ridley ("Die Krays") hat bis heute nur drei Filme gedreht. Vor zehn Jahren erschien zuletzt sein "Die Passion des Darkly Noon" (wieder mit Viggo Mortensen und Ashley Judd). Das Schreiben phantastischer Kinderliteratur scheint ihn mehr zu befriedigen (oder die Rechnungen zu zahlen).

Schrei in der Stille (The Reflecting Skin, GB/Kan. 1990.) Regie: Philip Ridley

Super 8 | von kid37 um 13:44h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link