
Dienstag, 14. März 2006
From the back of the restaurant
And someone is playing a game
In the house that I grew up in
(The Killers, "Smile Like You Mean It")

Samstag 9.30 Uhr
In Hamburg schneit es seit Freitag ununterbrochen. Durch tiefen Schnee stapfe ich zur U-Bahn. Kurz nach zehn geht mein Zug nach Frankfurt, zur Bloggerlesung. Toll.
11.30 Uhr
Zwangsstopp des ICE vor Lüneburg. Notarzteinsatz wegen Personenschaden. Ein Hauch des Hermetischen Cafés scheint mir vorauszueilen. Wo ich bin, ist immer Herbst, denke ich und ahne, daß ich mein T-Shirt nicht umsonst angezogen habe. Toll.
15.00 Uhr
Mit einer Stunde Verspätung Ankunft in Frankfurt. Es regnet, und ich kenne den Weg nicht. Es ist lange her, daß ich zuletzt in der Stadt war. Schnell in die Schirn, dann weiter in die Berliner Straße. Einmal geblinzelt, und man ist am Café International vorbeigelaufen. Die lesende Viererbande trifft sich zum Vorgespräch und kleinem Essen. Wir werden im Schaufenster lesen. Frankfurt serviert mir ein Süßbier, das ich nur aus Höflichkeit trinke. Erfreut, endlich die Gesichter und Stimmen hinter Andrea, Suna und Bandini kennenzulernen. Wegen ihres Akzents überlege ich kurz, spontan mit Suna durchzubrennen. Später wird sich zeigen, daß dies keine gute Idee gewesen wäre. Immerhin erzählt sie angeregt von den Hausschlachtungen bei ihr daheim. Toll.
19.45 Uhr
Im Café International treffen die ersten Gäste ein, während wir vier die Alkoholikafrage klären. Die beiden Damen greifen zum Whiskey, während ich froh bin, so was wie ein richtiges Bier zu bekommen. Toll.
20.15 Uhr
Die Lesung beginnt. Herr Bandini klärt das Publikum über den Ablauf auf, dann startet Andrea Diener souverän den Abend.
Ich lese als zweiter und von den Schwierigkeiten, in Hamburg Hosen und Schuhe zu kaufen. Trotz meiner Ankündigung "Wer lacht, fliegt raus", ist leises Gekicher im Raum zu hören.
Als Suna liest, klingelt ein verficktes dämliches Mobiltelefon. Ich überlege kurz, den Besitzer zur Rede zu stellen, als mir auffällt, daß es mein eigenes ist. Unglaublich. Nie ruft mich einer an, und nun ausgerechnet jetzt. "Unbekannter Anrufer" meldet das Display. Kam wahrscheinlich aus dem Zuhörerraum. Toll.
Suna hat es faustdick hinter den Ohren und rächt sich auf subtile Weise, als sie einen Text über grauhaarige Herren im fortgeschrittenen Alter vorträgt. Im Zuhörerraum wird schon wieder gelacht, lauter diesmal. Ich ahne, warum ich überhaupt eingeladen worden bin. Man braucht jemanden, auf dem man herumhacken kann. Ich räche mich in der zweiten Runde mit einem eher düsteren Text, der dem Vergnügungsmob das Lachen austreiben soll. Später beschäme ich Suna, als ich ihr trotz allem meine Strickjacke leihe. Es ist recht zugig in diesem Schaufenster.
Bandini läßt unter seinem Anzug den Altpunk raushängen und konjugiert fröhlich Begriffe für das männliche Geschlechtsteil auf der Bühne. Ich überlege für einen Moment, Randgruppen zu beleidigen, wähle dann aber kurzentschlossen einen anderen Text. Es wird wieder gelacht, das Publikum ist unglaublich verroht und tut so als würde es sich amüsieren. Ich lasse mich aber nicht foppen, gehe darauf ein und spreche nach der Lesung wie abgesprochen spontan eine blonde Bloggerin an, die in der ersten Reihe saß.
22.30 Uhr
Cool. Die blonde Bloggerin läßt mich wie abgesprochen spontan bei sich übernachten. Toll.
23.30 Uhr
Ich habe einige Hände geschüttelt und bin überrascht, wer alles dort ist. Toll. Wo ist der Herr, mit dem ich immer mal ein Bier trinken wollte?
23.45 Uhr
Keine weitere Zeit für Enttäuschungen. Nette Gespräche, noch mehr Gesichter und noch viel mehr Bier. Ich lache jetzt auch. Es hält sich ja eh keiner an die Spaßfastenzeit. Toll.
Sonntag
Sonne tanken in Frankfurt. Im Palmengarten sehe ich die ersten Blüten. Toll.
Montag 21.00 Uhr
In Hamburg liegt immer noch Schnee. Über vereiste Bürgersteige schlittere ich nach Hause. Schön, wieder daheim zu sein. Toll wars.
Danke noch mal an Herrn Bandini für die Organisation - und allen Zuhörern.
Es hat wirklich Spaß gemacht.
(Fotos übrigens bei Herrn Kristof)

Freitag, 10. März 2006
When you were a kid
It was pretty strange
And things you did
...
You've got to pull yourself together man
You've got to get back on your feet again
(New Order, "Close Range")

Das Gefühl, in Kreisen zu gehen. Zirkeln. In einer großen Schleife ankommen im damals vor all den Jahren. Alte Musik wieder verstehen. Patti Smith, Horses. Tönen lauschen, den bestimmten Klang einer elektrischen Gitarre, den abbrechenden Atem.
Ich wünschte manchmal, du wärst da.
Aber nicht mehr so nah.
Free Money, ich kauf dir ein Flugzeug, Schatz. Von dem gestohlenen Geld. Oder die Geschichte von dem Mädchen, das tot an den Strand von Redondo Beach gespült wurde. "She was victim of sweet suicide". Wir waren Opfer dumpfen Wehleidens. Während ich unten am Ufer nach Steinen suchte, blicktest du plötzlich auf und sagtest, du wollest lieber zurück auf die Party. Ich meinte, die Party sei irgendwo da draußen, gleich bei der Wahrheit und den Außerirdischen, und blieb konzentriert. Wenn man Steine sucht, darf man keine mit scharfen Kanten nehmen. Niemals. Die zerreißen die Taschen, fallen aus der Jacke, und ziehen einen nicht genügend hinab.
Aber nur dann kann man tauchen, zu den feuchteren Steinen, zum nasseren Sand, den tastenden Armen des Tangs. Tief unten in meinem Zimmer bete ich zum Hl. Juda, dem Schutzpatron der hoffnungslosen Fälle.
Dann will ich auf Wolken gehen.
Ich singe nur dein Lied.

Donnerstag, 9. März 2006

Wer am Freitag in Berlin nicht gerade Rattling and Rolling macht, mag vielleicht auf der Vernissage von Tachycardia in der Strychnin-Galerie vorbeischauen.
Kirsten Ferrell und Sean Pierce zeigen neue Werke with a healthy Fuck You! Emotionales Verzücken, blutversüßender Augenzucker und nette Menschen mit Sonnendefizit sind bestimmt nicht zuviel versprochen.
("Tachycardia", bis 10. April in der Strychnin-Galerie, Berlin.)

Mittwoch, 8. März 2006
Ich bin dein Easy, du bist mein Biker
Ich bin Passion & du bist die Blume
Du bist das Brot & ich bin die Krume
(Aus: 1000 Gedichte zum Frauentag.)
"Ich bin grad bei der Arbeit, ich habe einen vollen Mund." Ich weiß nicht, mit wem die Kollegin da telefoniert. Ich frage mich auch, was hier eigentlich so vollmundig gearbeitet wird, aber am Frauentag will man nicht so kritisch sein.
Über den amerikanischen Dunkel-Fotografen John Santerineross könnte ich auch eine lustige Geschichte erzählen, vielleicht eher eine traurige sogar. Egal.
Santerineross hat jedenfalls eine neue, mächtig aufgepeppte Webseite, die ich allerdings ein wenig überladen finde. (Ich mag in aller Regel keine flash-basierten Bildergalerien.)
Dennoch, das Stöbern ist schon deshalb interessant, weil es unter dem Menüpunkt "Studio Tour" meine nächste Wohnung zeigt, nur in größer.

Montag, 6. März 2006
We do all ill things,
They do 'em worst that love 'em,
And dwell there,
Till the Plague comes.
(Ben Jonson, The Devil Is An Ass. 1616.)
Ben Jonson, zu Lebzeiten auf Englands Bühne(n) der größte Rivale Shakespeares, schickt in seiner Elizabethanischen Komödie
The Devil Is An Ass den übermütigen Teufel auf die Erde, sich ein wenig unter den Menschen zu vergnügen.
Teuflisch naiv, denn das verderbte Menschenpack zeigt dem armen Gehörnten rasch, wo der lasterhafte Hammer hängt: Betrug, Verrat, Untreue und Heuchelei sind der wohlgepflegte Kitt der mißratenen oberirdischen Brut. Die Menschen spielen - Pfui Teufel! - dem Schwefelkerl gar so übel mit, daß er sich flugs an den heimischen Herd zurücksehnt und die Hölle dem Erdendasein vorzieht. "The Devil was wont to carry away the Evil; But now the Evil out-carries the Devil." (V., 6.)
Trau, schau, wem. Die Neigungsgruppe Lockung & Laster schickt ja regelmäßig ihre Einladung, und würde ich mich nicht täglich selbst ans Bettgestell binden, ich legte meine Hände nicht brav über die Decke und schon gar nicht für mich ins Feuer. Tugenden und Laster, Laster und Tugenden - man kann sie und sich kaum noch auseinanderhalten.
Als ich endlich gegen eins das Haus verließ (die Sonne schien schon, aber nicht schön), hatte ich meine frühmorgendlichen Exerzitien am Theraband schon hinter mir. Geschmeidig wollen Körper und Geist erhalten sein. Dann tapfer durch den Schnee, frische Spuren machen. Die unbefleckte Decke betreten (für manches bloß ein Leichentuch) und unzögerlich (kalt lächelnd, bei diesem Wetter) stapfen, markieren, eine Spur ziehen, die sagt, Ich war und Ich war hier. Die kalte, feuchte Luft vertrieb die Leute, frierend hockten Vögel eng zusammen. Man weiß nicht, ist es Friede oder nur die Stille der letzten Stunde.
Eines darf man nicht vergessen: Wer dem Teufel nicht begegnet, hat ihn vielleicht selbst im Handgepäck.

Freitag, 3. März 2006
Ich stelle nur noch Kopien in dieses Internetz (Tusche, Stempel auf Papier, 2006)
Kein Ton und keine Sirene. Es wurde entdeckt, und wie alles, was man entdeckt, tauchte es plötzlich überall auf. Brot und Not, nicht alles läßt sich in Flaschen füllen. Aber über die Augen von Milla Jovovich sollte mal jemand ein paar empathische Sätze verlieren.
In echt.

Mittwoch, 1. März 2006
Kein Kainsmal, sondern Asche auf der Stirn. Ab heute also 40 Tage keinen Alkohol und keine Schokolade. (Wenigstens manchmal.) Kein Fleisch und nur kräftiges Brot. Nur derbes Kattun und keine seidenen Taschentücher. Nur kirgisische Langzeitdokus im Originalton und kein leichtes Programm. Nur trockene Bloggerlesungen und kein schwitziges Robbie-Williams-Konzert. Die Heizung auf Null und keinen Kamin. Kein Müll auf die Strasse werfen, sondern wieder mit protestantischem Eifer separiert in die jeweiligen Tonnen. Kein Kopfkissen aus Daunen, nur kratzige Rot-Kreuz-Decken.
Viel mehr Schweigen.
An der Medikamentierung sollte bitte dennoch keiner rumschrauben.
