
Donnerstag, 23. März 2006
Ausgerechnet jetzt, da die neuen Boxen angeschafft sind. Die mit der schicken Lautsprecherabdeckung und dem kleinen auffällig-unauffälligen Markenlabel, wie man es in den Szenekneipen immer sieht. Oder in den Bars, wo man auch mal die leisen Töne deutlich hören möchte, das Wispern, Raunen und Sehnen.
Ausgerechnet jetzt, da die alten Boxen in den Keller entsorgt sind, diese dünnblechernen Quäkkistchen, die einfach so gar nicht in mein Leben passen wollten, weil sie sich so wenig uniform zu den Lärmaggregaten gesellten, die die anderen schicken und kreativen und individuellen Menschen so besitzen. Ausgerechnet jetzt, da es wieder Spaß macht Musik zu hören und ich auch die Bässe wieder spüren kann. Ausgerechnet jetzt, wenn ich auch mal wieder den Verstärker bis zehn fünf aufdrehe und nicht nur bis drei, weil es ab drei anfing zu scheppern und schringern. Jetzt aber, mit den neuen Boxen, kann Patti Smith wieder ihre Pferde über das Land jagen und ins Meer treiben und Neil Young den Killer, diesen Cortez, gleich hinterher. Und wenn dann die Buzzcocks im Hochgeschwindigkeitsrausch ihre Gitarren in kristalline Höhen jagen, dann ist nun auch dafür noch Platz im idyllisch-harmonischen Lautsprecherraum. Dann sitzen wir zusammen, diese Klänge und ich, und haben Spaß und eine Empfindung, die wohl das sein muß, was andere als Freude bezeichnen.
Ausgerechnet jetzt also, da ich gemütlich auf dem Diwan lümmeln könnte und alte Cocteau Twins Platten hören oder die B-Seiten meiner Banshees-Singles, ausgerechnet jetzt zieht die liebe, weil schwerhörige alte Nachbarin unter mir aus.
Den Besen der neuen Mieter habe ich schon gesehen.

Heute habe ich der Ministerin einen Brief eine Mail geschrieben.

Dienstag, 21. März 2006
sind Kulturmensch und Homo ludens
wie sonst selten ganz bei sich.
(Walter Nippes-Ebermann.
Kleine Kulturgeschichte der Haushaltsführung:
Vom Wischen, Moppen und Wäschetrocknen.
Köln, 1998.)


Den ganzen Tag Kunst angucken und ins Tränengefäß weinen kann eine staubige Angelegenheit sein. Von Tierpräparationen wollen wir gar nicht erst reden. Deshalb stellt sich auch im hermetischen Café ab und an (und gerade auch zur Fastenzeit!) die Frage nach der purifizierenden Kraft einer nicht nur mental gründlichen und propertiefen Reinigung.
Nun sind Aufnehmer und Schrubber Handwerkszeuge, die in keinem Haushalt fehlen dürfen, aber mir persönlich geht dieses Gewurschtel aus Wringen, Feudeln und Schrubtuch wieder einfangen manchmal schwer aufs Gemüt. Da kam mir der Bee Mop gerade recht. Ein metallblitzender Zauberstab italienischer Provinienz: Da ahnt man gleich, wenn eine italienische Hausfrau damit klarkommt, reicht es möglicherweise nicht zum Etappensieg bei der Kehrwoche, aber genausowenig gerät man bei der dolce Bodenpflege außer Atem. Man muß ja schließlich bei der Arbeit noch fröhlich singen können, so wie Sophia Loren in Hausboot.
Für den technikbegeisterten Mann sind noch Hebel und Mechaniken angebracht, die es auch hochgewachsenen Menschen ermöglichen, den Putzschwamm wie sonst nur einen Steuerzahler bequem aufs Letzte auszuquetschen. Bei uns daheim nannte man das früher den Kölschen Wisch (schießlich gilt Köln nicht ohne Grund als nördlichste Stadt Italiens): großzügig ein wenig Wasser verteilen und dann lässig elegant mit dem Aufnehmer drüberwedeln (ganz Eilige machen das wie einst Pierre Littbarski mit dem Fuß: Antäuschen, Übersteiger und links vorbei).
Mit meiner Busy Bee macht das alles richtig Spaß: Schwamm schön eintauchen, bis er richtig naß ist, zack-zack mit kühnem Schwung des langen Stabs gewischt - schon kann man sich befriedigt zurücklehnen, glänzen doch Küche und Bad wie geleckt (Reihenfolge beachten!) oder picobello, wie die Bee sagt, die nur Italienisch spricht. Tante grazie! Toll! Das mache ich jetzt jeden Tag. Das habe ich jetzt einmal mit Begeisterung getan. Frühjahr jetzt!
Nächste Folge: Neues vom Haushaltsgerätefriedhof

Montag, 20. März 2006
Dürfte in Hessen Deutscher werden, wer auf Frage 16 der Landesregierung antworten müßte, es seien fast nur unverbesserliche Antisemiten, die den Holocaust als Märchen bezeichneten, aber sie sollten das Recht haben, diese Meinung auch in Deutschland zu äußern?
(Patrick Bahners über das "Geschichtsbild des hessischen Fragebogens" in der FAZ, 17.3.2006)

Sonntag, 19. März 2006
I never wanted to be right
Now I'm attracted by the light
And blinded by the sight
(Siouxsie and the Banshees, "Into The Light")

Zum Ausklang dieses eher trüben Wochenendes schnell noch ein aufmerksames Auge oder zwei hierhin werfen oder dorthin. Leichthin.
Es lockt z.B. der diskrete Charme von Robyn Swank, die auf ihrer Seite
Wicked Swank eine Welt zwischen Staub, Blut und Todesnähe präsentiert.
Richtig Spaß macht diese Side-Show to go: Freakshow in my Pocket packt faszinierende Welten in eine Streichholzschachtel, ein grimmes Varieté des eher Ungewöhnlichen.
Nicht alles toll, aber vieles spitze: Craoman erinnert an die zwischentonarmen Arbeiten von Thomas Ott und erlaubt in seinem (französischsprachigen) Blog auch Einblicke in die (teils derbe) Hexenküche selbst.
Steven Tynan zeigt, welche Aufgabe Fotografie als Kunst heute hat: Selbsterforschung, Bildern von Antibildern und Antibilder von Bildern, die man bereits im Kopf hat. Fragezeichen statt Ausrufezeichen. Leben statt Mode. Mut zum Ich und nicht zur Formel. Danke.
Im Krankenzimmer von The Nursing Home muß man schon ein wenig verweilen, um Heilung an Körper und Seele zu erfahren. Die Indikation lautet: Subkutane Illustrationsinjektionen, volle Dosis.
Bob White macht - anders als sein Name vermuten läßt - ziemlich schwarze Fotos: Americana, verblaßte Neonschilder, ein morbides Las Vegas, angeschrabbte Clown-Figurinen und weitere Ikonen des Ausgeträumten.
Und der Ringelstrumpf der Woche kommt diesmal in Rot.

Samstag, 18. März 2006
(Liner Notes zu The Who, "Live At Leeds")
Völlig spackige Idee natürlich, am Wochenende auf die Reeperbahn fahren zu wollen. Dann beginnt auch noch der Frühjahrs-Dom, so daß ich eine halbe Stunde in der vollgepackten U-Bahn mit einer vorglühenden, amorphen, dezivilisierten Humanmasse verbringen muß. Touristische Stimmen mit unangenehmem Akzent fabulieren von "Ich mach die Ischen auf der Herbertstraße klar" und ähnlich pubertärem Stuß.
Der anschließenden Schnitzeljagd durch "die" Läden fühle ich mich nicht gewachsen. Der Tag war schon enervierend genug. Manche Dinge weiß man einfach schon vorher, und sich selbst kennt man ja meistens ebenso gut. Besser sogar als manch anderer.
Zurück in meinem Rentnerviertel, dem Schlummerland der Genügsamen, stapfe ich durch die Reste dieses mittlerweile völlig verdreckten Schnees. Eine Ratte kauert im Schein einer Laterne auf dem Bürgersteig. Erst im letzten Moment spritzt sie zur Seite, flüchtet unter einen Wagen, wohin ihr meine grimmigen Blicke nicht folgen können. Wir sind einander jeder nur des anderen Pack.

Freitag, 17. März 2006
Wie ein Schneeklumpen auf der Tastatur. Aber dreckiger. Hier kann man nicht Spuren hinterlassen. Keine Engel malen. Das Leben als Hundewiese betrachtet.

Donnerstag, 16. März 2006
Der Morgen schiebt mich aus der U-Bahn, aus den Eingeweiden, dem Gekröse der Stadt hinaus ans Licht. Auf dem Rathausmarkt tollt eine Gruppe Japaner durch den Schnee. Sie stehen verteilt um Skulpturen, Rücken an Rücken, so decken sie das Gelände, halten ihre Kameras wie Waffen, schauen auf Displays, als wären es Wärmeradare, die die Bewegungen des Feindes, der Anderen, als rote Lichtpunkte anzeigen. Einer kniet, ein anderer zielt von schräg unten, sich so gegenseitig sichernd, eine Frau steht auf Stufen und lacht in das Strahlen der kleinen Blitze, die plötzlich aufflammen wie Mündungsfeuer aus Handfeuerwaffen. In der Mitte steht gebieterisch der Älteste, wie ein Offizier bellt er Befehle. Tippt auf das Zifferblatt seiner Uhr am Handgelenk, scharf, kurz, laut hackt er Worte wie Kommandos hinaus, dirigiert seine Truppe. Einer einstudierten Choreografie folgend, drehen sich die Paare, wie Schwertkämpfer in Zeitlupe, besetzen immer neue strategische Punkte, lauern, schauen, fotografieren.
