
Montag, 17. Oktober 2005
and sailed into the mud, inches from his ball,
impossibly white and forever out of Harry's reach.
(John Irving. The World According To Garp. 1976)
In der FAZ-SZ-ZEIT las ich neulich eine kleine Abhandlung darüber, daß die Zeiten des frivol-extensiven Freilandgolfens vorbei, die Leute sich wieder in die engen Grenzen abgezirkelter Betonbahnen wünschen. Zurück in die 50er Jahre, mit klaren Grenzen, überschaubaren Hindernissen und gepflegter Putzigkeit.
Am Wochenende nun war die letzte Gelegenheit, in meiner Nachbarschaft den "modernen Ausgleichssport für Jedermann" auszuüben. So jedenfalls verspricht es die Score-Card der örtlichen Minigolfanlage. Leider geht die nun in die Winterpause bis April, dabei bin ich gerade auf den Geschmack gekommen.
Mit jungen Frauen sollte ich es allerdings nicht noch mal probieren. Mag sein, daß die Damen für das Spiel mit Schläger, Ball und Loch ein besseres Händchen haben. Tatsache ist, daß ich zwar die grobschlächtigen Hindernisse in einem Schlag überwand, dann vor dem Einlochen aber kläglich versagte. Mit schwitzigen Händen stand ich etwas ratlos vor dem Ziel allen Strebens, dachte an Jack Nicklaus' weise Worte Make the putt oder miss the cut, ließ dann aber vor lauter Aufregung und Versagensängsten alles danebengehen. Drei, vier Schläge brauchte ich in der Regel zum Beenden der Bahn, während meine Begleitung, hämisch grinsend, bereits mit Interesse und Bedacht die richtigen Bälle für die nächste Herausforderung auswählte.
Schwarz, Rot, Gelb oder Weiß - jede Bahn verlangt nach seinem speziellen Spielgerät. Looping, Netze, Rampen: Nicht alles war so schwierig, wie es schien. Das Herzlabyrinth schaffte ich Hole in one.

Sonntag, 16. Oktober 2005
Diesmal habt Ihr alles richtig gemacht. Danke und einen schönen Sonntag.
Der Katalog Nr. 9 von Agent Provocateur ist online.

Für Wortgeklingel kann man sich nichts kaufen.

Donnerstag, 13. Oktober 2005
a bass with a bow
The drummer relaxes
and waits between shows
For his cinnamon girl
(Neil Young, "Cinnamon Girl")
Punkrockgitarre (Holz und Baumfrüchte, 2005.)
Leider bin ich faule Socke mit dem Korpus nicht fertig geworden*. Aber, he, die Geste zählt! Sechs Saiten und ein Lied, viel mehr braucht man nicht. Mir hat mal Peter Green gesagt: "Techno hin, Techno her, am Ende des Tages wollen die Leute im Pub sitzen und dem Mann zuhören, der ein Lied auf der Gitarre spielt."
Und nun Kinn hoch und Punkrock.
(* Aber Sie hätten mich mal sehen sollen, wie ich heute mittag mutig im Park gierigen kleinen Kindergartenbataillonen mit einer teuflisch-hämischen Lache die letzten Kastanien vor der Nase weggeschnappt habe. Nur, um sogleich von erbosten erziehungsbeauftragten Hütefrauen durch das Gebüsch gejagt zu werden. Regenschirme wurden gehoben! Stimmen auch!)

Mittwoch, 12. Oktober 2005
Could you do it while you looked in my eye[...]
It's been winter for a whole year
But you couldn't hurt me if you tried.
(New Order, "Primitive Notion")
"Whenever feeling blue - get a new tattoo". Dann war mir so, ich muß mir jetzt eine Rasierklinge kaufen. Oder alle New Order-DVDs. Denn heute lag ein neuer Ton in der Abendluft. Eine schwerere Note. Der Herbst, der bislang sich als Spätsommer tarnte, ist vorüber. Nun kommt der Herbst, wie ihn die Vögel fürchten, die den Flug nach Süden versäumt haben. Bald schon werden die Kinder ihre Kapuzen fester zurren und nur noch modrige Kastanien im halbzersetzten Laub finden.
Am Ende wurde es die DVD der Dresden Dolls. Denn mir fiel ein, daß sich leichte Anflüge von Schwermut am besten mit guter Musik, fiesem Alkohol und dem Versprechen halbverrutschter Ringelstrümpfe behandeln läßt. Auf der DVD gibt es einen Liveaufritt der Dresden Dolls vom Juli dieses Jahres und die Hits "Girl Anachronism" sowie "Coin Operated Boy" als Mitschnitte vom Roskilde Festival und in den jeweiligen Promo-Videoversionen. Gespannt bin ich auf die Liveversion des Bowie-Songs "Life On Mars". Und überhaupt.
Ich hänge jetzt ein paar Spinnweben auf und drehe die Musik lauter, bis ich das Raunen und Tuscheln nicht mehr hören kann. Wenn ihr einen Schuß hört und euch morgen auf dem Mond wiederfindet, wißt ihr Bescheid.

Dienstag, 11. Oktober 2005
Dieser Tage geht es die halbe Zeit so: Meine Finger machen tapp-tapp auf der Tischplatte. Oder tock-tock gegen die Stirn. Ich schaue aus dem Fenster, sehe das gelb-braune Laub der Bäume und lasse meine Gedanken schweifen.
Jeder Baum eine Vorstellung. Meine Finger machen tapp-tapp. Jedes Blatt eine Leinwand. Meine Finger machen tock-tock. Ich höre das Wispern der Bäume und das Knistern der Blätter. Das Raunen und Rauschen. Das ist der Wind, natürlich. Immer nur der Wind. Meine Finger machen tapp-tapp. Eine neugierige Katze belauert zwei spielende Eichhörnchen. Und hangelt gefährlich durchs Geäst. Meine Finger machen tock-tock.
Lungern, lauern, harren. Wer zuerst zwinkert, hat verloren.
Das werde nicht ich sein.
Ich kann lange warten.
Meine Finger machen tapp-tapp.

Montag, 10. Oktober 2005
And you're a catch
And we are a perfect match -
Like two bitter strangers
(Pavement, "Spit On A Stranger")
"Bau mir ein Haus aus den Knochen von Cary Grant" (Foyer des Arts).
Den Abschied vom Palast der Republik begleitet die Fraktale IV, die sich diesmal mit dem Thema Tod auseinandersetzt. Da sieht man eine Fliege auf dem Seziertisch, die auf eine Nähmaschine (aber keinen Regenschirm) trifft, vermüllte Bastelzimmer wie bei Dieter Roth, ein angeschnittenes, etwas körperweltliches Mammut, Fotos von toten, wenn nicht gar zerstörten Kriegs- und Gewaltopfern mit der undekorierten Offenheit von Rotten.com, dazu allerlei Skulpturen und Gewerke, deren inhaltlicher Zusammenhang mit dem Ausstellungsthema sich erst auf dem zweiten oder dritten Blick erschließt.
Oder auch gar nicht. Von der Terrasse der Fraktale-Lounge jedoch kann man einen Sonnenuntergang genießen, der sich offenbar gewaschen hat. Es liegt nämlich überhaupt kein Grauschleier mehr über der Stadt.
"In den 80ern hatte ich sogar Sex", erkläre ich meiner Begleitung, die in diesem Jahrzehnt in die Grundschule kam, gewichtig. "In den 90ern nicht, da hatte ich keinen Sex. Bis auf den heißen Sommer 1995, da hatte ich sogar zweimal Sex. Einmal davon habe ich es mir allerdings selbst gemacht."
Meine Begleitung mag die 80er nicht, und ich merke, daß meine Generation auch bereits ein Thema für diese Fraktale-Ausstellung wäre. Gerade aber spiegelt sich mein schales Gesicht golden in der verrotteten Außenhaut des Glaspalastes.
Ich sage, ich könnte das Hermetische Café verpfänden und von dem Geld ein Schiff kaufen. Das würde ich trunken machen und den großen Fluß hinuntersteuern. Wie in dem Film Drei Blogger und ein Boot.
"Mach mal", sagt meine Begleiterin und hält ihr schönes Gesicht in die letzten warmen Strahlen der Sonne. Ich beschließe, noch in der ersten Nacht die beiden anderen Blogger über Bord zu werfen, gleich hinter der ersten Schleuse. Dann würde ich mein Schiff nur noch von schönen Begleiterinnen entern lassen.
Als das Gewissen mich wegen der Schlechtigkeit meiner Gedanken übermannt, beginne ich ein wenig zu weinen. Meine Begleiterin sieht mich aufmerksam an, und ich rede etwas von der Sonne, die mich irritiert hätte.
Through a shared love of science
(The Faint, "Birth")
Ich merke, wie ich manche Fragen nicht beantworten kann mit Worten. Weil ich dazu lieber eintauchen würde in eine orgiastische Wolke aus Lärm. In eine diffuse Wand aus dem Feedback einer sehr lauten elektrischen Gitarre. Sie würde unter meinen Händen wimmern und stöhnen, die harten Membranen der Lautsprecher mit einem Ächzen nach außen stülpen und einen Klang schweben lassen, der sich nicht beschreiben ließe. Er würde mich einhüllen wie ein schützender Mantel aus reiner Energie, eine Welle bilden, die mich forttrüge, Segel mit Wind füllte - und zwar solange, wie es mir gelänge, den Sog des Klangs, das Feedback nicht abreißen zu lassen.
Aber gleich wie man nie Zeugen aus Zeit und Geschichte, auf die man sich für seine absurden Behauptungen beruft, bequemerweise am Nebentisch sitzen hat, so steht nie ein solches Instrument in Griffweite, wenn man mal eins braucht, um ein Gefühl zu erklären. So trägt man Rätsel, weicht aus in Sprachen, unentzifferbar wie der zeichenhafte Flug der sich sammelnden Zugvögel am abendlichen Himmel. Ein großes Fragezeichen.
Vielleicht aber ist die Antwort diesmal auch ganz einfach. Vielleicht nämlich ringt man dem Tod einfach etwas Zeit ab.
(Fraktale IV: Tod. 25 Positionen zeitgenössischer Kunst zum Phänomen Tod. Palast der Republik, Berlin. Noch bis zum 22.10.2005)

Freitag, 7. Oktober 2005
Wer die Aufführung eines Dada-Balletts im Stile Jacques Tatis sehen will, begebe sich in Hamburg zur Mittagszeit zur Kreuzung Dammtor.
Hamburger Autofahrer, schon immer nach der Devise verkehrend "Wie, Kreuzungsbereich freihalten? Was soll das heißen?", versammeln sich dort zur großen Atonale. Von allen Seiten fahren sie unbeirrt von Ampelphasen mit ihren Autos auf die Mitte der Kreuzung und stehen bald verkeilt und fest und durcheinandergewürfelt wie Ravioli in der Dosensuppe.
Sogleich geht es fröhlich los mit dem Hupkonzert. Denn Hupen befreit, denn Hupen beschleunigt, Hupen levitiert blockierende Fahrzeuge aus dem Weg. (Das ist wissenschaftlich erwiesen.) Und so legen die Hamburger - sonst mit der ihnen eigenen Kaufmannszurückhaltung gesegnet - los mit einer Verve, die man sonst nur in Rom auf der Piazza vermuten würde. Da wird wild gestikuliert, mit beiden Händen auf das Lenkrad getrommelt, vereinzelt sogar die Seitenscheibe heruntergekurbelt. Man redet, flucht und schreit. "Vive Dada! Mach weg, du Arsch!"
Ein Fest! Eine anarchistische Sause, bei der ab und an sogar Streifenwagen der Polizei mitschwofen. Die Beamten bleiben meist gelassen. Sie sind nur Ordner und weisen die Plätze. Loge links, Parkett rechts. Herr Kid steht am Rande, träumt und mümmelt sein Pausenbrot.
