Dienstag, 10. Februar 2004


Mix Max Mux - Kein Leserbrief

Es kostet mich vielleicht meinen Kopf, aber ich muß mal über die Max lästern. Seite 5: "Kai Wiesinger recherchierte so intensiv über Nicole Kidman, dass er sogar von ihr träumte." Ach was. Herr Wiesinger, ich verrate ihnen was: Ich träume sogar von Nicole K., ohne lang und breit recherchiert zu haben. Ich fand die schon in diesem Filmchen "Zauberhafte Schwestern" sehr cool. Und wer jemals "Birthday Girl" gesehen und sich nicht sofort eine Ostfrau schnappen und Russisch lernen wollte, dem ist zwischen den Lenden sowieso nicht zu helfen.
Und ob die nun Botox spritzt oder nicht, wie mir eine Grafikerin steckte, ist mir völlig egal. So, liebe Illustrierte für Kidman-Träumer. Und womit macht ihr auf? Mit einer Strecke grottiger Schnappschüsse mit kurzbrennweitiger Linse, auf denen Frau Kidman aussieht, als hätte sie 30 cm lange Beine! Vera Little hin oder her - aber auf diese Träume kann ich echt verzichten.


 



Österreichische Thronfolger auf XTC

So, das gibt hübsche Google-Referrer. Wo man bei bosch.de schon "ironische Sprüche" hier sucht. Ha! You wish! Irony is over, babes at bosch.de.
Glaubt mir das.

Zum Thema: Die österreichischen Thronfolger sind eigentlich Schotten, kommen aus Glasgow, sehen aus wie ich vor 20 Jahren und machen ungefähr auch solche Musik.
Franz Ferdinand also, deren langgehyptes Debütalbum am 16. Februar erscheint (auch auf Vinyl übrigens).
Heute lief auf der besten täglichen Sendung im deutschen Fernsehen, Kulturzeit auf 3SAT nämlich, ihr Video zu "Take Me Out". Das ist sozusagen ein Song von XTC, die damals aber "FF" drunter geschrieben haben... und das könnte auch Feine Freunde heißen. Get it? Wahrscheinlich nicht, so berühmt waren die nicht.

Egal, also Franz Ferdinand. Die haben eine eher uninspirierte Webseite, wenn man mal berücksichtigt, daß die Jungs wie alle britischen Popmusiker von der Art School kommen. Die Menschen, die ihr Video zu "Take Me Out" gemacht haben, sollten sich ganz ungehemmt auch mal dieser Seite annehmen. So kurz vor dem Karrieredurchbruch sollte man da nicht sparen. Nicht die hier. Die wollen sich nur an den Hype dranhängen.

Also. Ihr kauft jetzt alle am 16. dieses Album. Oder ein altes von XTC. English Settlement meinetwegen. Kommt aufs gleiche raus. Und wer's noch nicht hat, kauft auch endlich die YeahYeahYeahs (und hier gibt es noch das Video zum groß-großartigen "Maps", mit dem ihr euch gaaaanz langsam das Herz rausschneiden könnt, wenn ihr mögt* (leider mit Werbung).
"Wait - They don't love you like I love you".
PS: Ach ja: Ich möchte auf diesen Verweis nicht wieder eine eMail bekommen "They don't love you like I hate you". Um es mit den Smiths zu sagen: "That joke isn't funny anymore." Danke. Also: "Wait - They don't love you like I love you.")
Oder spielt wenigstens ein altes Buzzcocks-Album - und zwar langsamer.

Hier wurde übrigens schon darüber gesprochen. Bei "Darts of Pleasure" gibt es auch Mädchen zu sehen. Zu dem Song läßt sich auch was provokantes sagen. Ich hoffe, hier liest jetzt nicht gerade eine mit, die regelmäßig auf dem Père Lachaise an einem bestimmten Grab getragene Höschen und bittere Zähren hinterlegt. Ich finde nämlich, "Darts of Pleasure" hört sich ein wenig so an, als coverten die frühen XTC einen Song der Doors.

* "This song has enough emotional oomph in place you’d have to be a brick wall or Jet not to blub like an Oscar winning Gwynnie. The power of love, and all that." (NME)

Radau | von kid37 um 21:15h | 14 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer

Manchmal in sehr kalten Nächten, wache ich auf. Es ist drei Uhr oder vier Uhr. Und ich weiß, daß ich nicht mehr einschlafen werde. Ich höre dann ein wenig Radio oder lese etwas aus dem Zeitungsstapel, den ich schon lange abarbeiten wollte. Aber in Wahrheit beginnen meine Gedanken um andere Dinge zu kreisen. Wenn dann die alte Mühle richtig angeworfen ist, weiß ich, daß es keinen Zweck hat.

Also stehe ich auf. Öffne das Fenster und starre hinaus in die Nacht. Lausche dem reflexhaftem Gequake somnambuler Enten unten im Knick. An den weißen Rauchfahnen der hohen Schlote am südlichen Horizont kann ich die Windrichtung ablesen. Wenn der Wind von Süden, vom Hafen herkommt, kann ich den Kaffee riechen.
Die Schlote aber gehören wohl zur Müllverbrennungsanlage.

Und während Aretha Franklin in meinem Radio "I say a little Prayer" singt, öffne auch ich meinen Müllkübel. Denn da mahlt der Haß und reckt in solchen Nächten sein pathetisch verzerrtes Gesicht. Und weil all die netten Masken aus Höflichkeit und sozialer Anpassung gut schlafen um diese Zeit, drängt sich der häßliche kleine Zwerg aus dem Kübel heraus. Reckt seine warzige Nase höhnisch in die kalte Luft, während ihm böse Gedanken in langen, zähen Säurefäden aus den Mundwinkeln tropfen. "How do you Sleep?" zitiert er einen alten Titel von John Lennon. Und Aretha müht sich mit all ihren beachtlichen Kräften an ihrem kleinen, schlichten Lied "The moment I wake up/Before I put on my makeup/I say a little prayer for you".

Aber der kleine Haßzwerg ist mittlerweile auch schon recht groß geworden und reckt wie ein aufgeblasener Frosch seinen eitlen Bauch. Ich habe mir derweil eine Tasse Tee gemacht. Ich ahne, daß ich die Tasse besser nicht in meiner Hand zerdrücke. Ich weiß ja nun, wie das enden kann. Und die Tasse ist ja sowieso nicht gemeint. "Together, together, that's how it must be/To live without you/Would only be heartbreak for me." Frau Franklin hat's gut. Die kann von etwas singen, an das ich so nicht mehr glauben kann.
Ich müßte erst diesen mißgestalteten, faulig riechenden Gnom packen, der mich niederzuringen versucht. Müßte ihm seinen faltigen Hals umdrehen und ihn aus dem Fenster hinunter in den Kanal stoßen. Zu den Enten meinetwegen. Dann haben sie wenigstens einen Grund, mitten in der Nacht so ein Geräusch zu machen. Soll er ersaufen und von den Ratten zernagt werden. Freiwillig will er's nicht vollbringen. Meine Ophelia mag er nicht sein. Haßmemme.
Alles muß man selber tun.

My darling believe me,
For me there is no one
But you.


 


Montag, 9. Februar 2004


A Straight Story

Auch so eine einfache Geschichte. Genau.
Einfach zusammenpacken. Hinters Steuer setzen und dann immer geradeaus nach Süden. Die Richtung stimmt, der Motor läuft erstaunlich ruhig. Irgendwann merken, daß die Bremse noch angezogen ist. Irgendwann merken, daß die Räder auf dem Podest aufgebockt sind. Egal. Ich will dieses Jahr noch an die Mosel und bis nach Wien. Dieses Jahr lasse ich das Verdeck unten. Man muß etwas riskieren, soll es vorangehen.
"Aufsitzrasenmäher". Allein das Wort entzündet sprengstoffgeladene Phantasien bei den Kollegen in der Gartenzwergfabrik.


 



Richard Prince

Dieser amerikanische, neo-expressionistische Künstler (* 1949) hat sich nach sarkastisch-parodistischen fotografischen Arbeiten, die amerikanische Mythen von innen nach außen stülpten (manche sagen auch, anders herum), der Malerei zugewandt. Bekannt sind seine cartoonesken, öfter aber rein abstrakten Arbeiten, in die böse-ironische Sprüche eingearbeitet sind.

"Do you know what it means to come home at night to a woman who'll give you a little love, a little affection, a little tenderness? It means your in the wrong house, that's what it means."

"I went to see a psychiatrist. He said, 'tell me everything.' I did, and now he's doing my act."

Mein Liebling aber ist ein Satz, der viel über meine eigene Kindheit aussagt: "My parents kept me in a closet for years. Until I was fifteen I thought I was a suit."


 


Sonntag, 8. Februar 2004


Vera Little

"When meeting people, and dealing with people's reactions,
it's up to you to make as little or as much as you want of it."
Vera Little

Wer sich für die Filme von Jan Svankmajer ("Alice") und den Brüdern Quay interessiert, womöglich auch generell ein Faible für merkwürdige Puppen, merkwürdige Kunst, merkwürdige Bizarrerien und merkwürdige Merkwürdigkeiten besitzt, mag sich vielleicht für die Arbeiten von Vera Little begeistern.
Vera Little ist das Pseudonym einer Künstlerin aus Boston, die vielleicht selbst eine kleine Merkwürdigkeit ist. Die mehrfachamputierte Frau ("Die selbstgekrönte Prinzessin der Amputierten") moderierte für die BBC eine ambitionierte TV-Reihe, die ein Augenmerk auf letzte sexuelle Tabus und die Sexualität Behinderter werfen soll.
Selbst entwirft die Künstlerin absonderliche Puppen und Homunculi, dreht Stop-animation-Filme und forscht nach den letzten Fragen körperlicher und sexueller Identität. Vera Little kann sich - comme moi aussi - für das Mütter Museum in Philadelphia (groß!), für antike medizinische Gerätschaften (größer!) oder die skurille Seite von Van Dyke's Taxidermists (ganz groß - haben auch einen ganz großen Katalog for free!) begeistern - was sie unvermeidlich sympathisch macht. Links gibt es reichlich auf ihrer Seite. Weiterer Tip: Elizabeth McGrath

Augenzucker | von kid37 um 01:14h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 7. Februar 2004


Speculum

"Eine Grenzverletzung ist nicht zwangsläufig etwas Negatives, und im Nachdenken über und im Schatten von Kunst wird es klar, daß die Erforschung des zutiefst Intimen, Privaten und manchmal auch fürchterlich Peinlichem von fundamentaler Bedeutung sein kann."

(Lucy McKenzie. Vorwort zu: Richard Kern. Model Release, 2000.)

Das Pathetische an Weblogs: Wir zeigen unsere Wunden. Manchmal nur notdürftig vernähte. Und stellen dann fest, wir haben nicht tief genug geschnitten. Per Selbstentblößung zur Apotheose?
Interessante Idee, wenn man für ein, zwei, drei Stunden wieder 17 ist.
Demut allerdings ist stiller.


 



"Verschieben wir es auf morgen"

Nach wie vor eine meiner Lieblingszeilen. Das Schlußwort aus "Vom Winde verweht". Stumme Verknüpfung, gegen Morgengrauen wohl erlaubt.

"Edward mit den Scherenhänden" und "Der Mann, der die Sterne macht". Außenseiter, unheilbar. Auch Dr. Benway könnte nichts retten. Am Ende bleibt nur die Einsamkeit. Jemand, der zurückbleibt. Und jemand, der lebt, die Geschichte zu erzählen. Das nämlich ist die Verbindung.
"You're gonna feel horrible, when I'm gone."

Hier fehlt jetzt noch eine Betrachtung über Sophia Loren. Aber die weiß schon, was ich sagen würde.

Und jetzt schau ich mir zum Abschluß einer langen Nacht noch ein Video von Jörg Buttgereit an. Ich meine aber das Video von Tok Tok, bei dem er Regie führte. Missy Queen's Gonna Die. Und fühle mich jung. "I swear you can go nowhere, without searching for my face... wishing I would be there."

Genau so. Miss Soffy looks so cool, butter wouldn't melt in her mouth.

Homestory | von kid37 um 05:58h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 6. Februar 2004


Vollmond

Heute heißt es Obacht, die gelbe Laterne am Himmel ist fett und feist. Schon jetzt kann ich sehen, wie mir die Haare auf dem Handrücken wachsen und die Zähne lang werden.
Frauen schleichen sich zum gemeinsamen Menstruieren auf brache Äcker, Männer rotten sich in ungezähmte Horden zusammen, um sich ein wehrloses Blutopfer zu reißen... oder selbst gerissen zu werden. Notfalls legen sie die Eckkneipe von nebenan in Schutt und Asche - nur, um sich am nächsten Morgen an nichts erinnern zu können.
Während auf den Äckern die Alraunen sprießen...

Hütet Euch, hütet Euch! Schließt Fenster und Türen, verstopft Euch die Ohren und bedecket die Augen!


 


Donnerstag, 5. Februar 2004


Wächter, was spricht die Nacht?

Da ich ja meine medizinische Studien zu Gunsten der Kulturwissenschaften aufgegeben habe, habe ich eine gewisse Vorliebe für die Doktores in der Literatur. Ein nicht immer ehrbarer Berufsstand, mit nicht immer ausgeprägtem Sinn für ästhetische Verhältnisse. Nehmen wir diesen heruntergekommenen Vertreter seiner Zunft. Mag er aspirierenden Erben einer vom Aussterben und zahlreichen Gesundheitsreförmchen bedrohten Halbgötterdynastie als eindringliche Mahnung gelten.
Die Zeit der Yachten und Bauherrenmodelle auf hippokratischen Kredit ist vorbei.

"Ein Stapel medizinischer Bücher, neben Wälzern verschiedenster Arten, reichte beinah bis zur Decke, wasserfleckig, staubbedeckt; darüber ein kleines vergittertes Fenster, die einzige Lüftung. Auf einer Kommode aus Ahorn, offenbar nicht europäischer Herkunft, lagen ein paar verrostete Geburtszangen, ein verrostetes Skalpell, ein paar andere seltsame Instrumente, deren Zweck ihr rätselhaft war, ein Katheter, einige zwanzig zumeist leere Parfumflaschen, Pomaden, Cremes, Lippenstifte, Puderdosen, Puderquasten. [...] Ein Abfalleimer stand am Kopfende des Bettes, bis zum Rand mit widerlichstem Unrat gefüllt. Der Raum hatte etwas erschreckend Entwürdigendes, ähnlich einem Zimmer in einem Bordell, wo selbst den Unschuldigsten das Gefühl überkommt, Mitschuldiger gewesen zu sein. Dennoch hatte er auch etwas muskulös-männliches an sich, war ein Mittelding zwischen einem chambre à coucher und dem Trainingsring eines Boxers. Ein Fluidim der Feinseligkeit herrscht in einem Raum, den eine Frau nie betreten hat. Jeder Gegenstand bekämpft die eigene Fessel, und über allem liegt metallisches Aroma, wie von Schmiedeeisen auf dem Amboß.
Auf schmalem eisernem Bett, zwischen groben, dreckigen Leintüchern lag der Doktor, in einem Damennachthemd aus Flanell."
(Djuna Barnes. Nachtgewächs, 1936.)

Diese etwas unsentimentale Beschreibung klingt, als hätte sich Flora Sigismondi ein neues Szenario für ein Video mit Marilyn Manson ausgedacht. Sie würde den Raum in ocker- und rostfarbene Töne tauchen und dieser Martin Manson würde sein milchiges Auge umherschweifen lassen... die Türe ginge auf und herein käme: DR. BENWAY! Jawohl, der Mann mit dem abgebrochenen Medizinstudium und dem gestohlenen Rezeptblock. Der begnadete Arzt, der gebrochene Herzen mit einem Toilettenpümpel wieder zum Schlagen bringt. Dieser Dr. Benway also käme herein, träte den oben erwähnten Abfalleimer mit dem widerlichen Inhalt zur Seite, rieb sich die Hände und sagte: Marvin Manson, heute ist ihr Glückstag!
Und er nähme eines der fleckigen Gläser von der Kommode, füllte sich zwei Finger breit Gin aus seiner Taschenflasche hinein und täte einen kräftigen Schluck.

Nächste Woche muß ich, glaube ich, mal wieder hin. Well, well, well.


 


Mittwoch, 4. Februar 2004


Rock de jeune

Nur, um mal zu erklären, wie das funktioniert. Nein, nicht neu erfinden. Weder visuell, noch musikalisch, noch inhaltlich. Selbst strukturell gilt immer noch die alte Zeichensetzung. Ein dünner Junge mit einer elektrischen Gitarre (der darf sich auch Patti Smith nennen)... nimmt die alten drei Akkorde ("So you want to be a Rock'nRoll Star")... und die altbekannte Energie, aufgefrischt durch den Zorn seiner jungen Jahre ("My Generation")... und dann macht er elektrischen Sex auf offener Bühne, stellt sich bloß ("Rock'n'Roll Nigger")... und wenn er nicht sexy genug ist... dann läßt er ein junges, verletzliches, melancholisches Mädchen singen ("Dancing Barefoot")... und sexy sein. Und aus einem sehr samtenen Untergrund schwillt ein jugendlicher Klang... über einem simplen Rhythmus... ein kontrolliertes, leidendes Feedback... eine weggetretene, wimmernde Gitarre ("'xcuse me, while I Kiss the Sky")... ein paar hingehauchte Worte... von Sehnsucht und Einsamkeit... an bestimmten Wochentagen ("Sunday Morning")... ganz schlicht, ganz einfach.
Ich glaube, ich traf sie zuletzt in Paris. Sie machte nichts Neues.
Aber für mich war sie neu.

Radau | von kid37 um 00:48h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link