Speculum

"Eine Grenzverletzung ist nicht zwangsläufig etwas Negatives, und im Nachdenken über und im Schatten von Kunst wird es klar, daß die Erforschung des zutiefst Intimen, Privaten und manchmal auch fürchterlich Peinlichem von fundamentaler Bedeutung sein kann."

(Lucy McKenzie. Vorwort zu: Richard Kern. Model Release, 2000.)

Das Pathetische an Weblogs: Wir zeigen unsere Wunden. Manchmal nur notdürftig vernähte. Und stellen dann fest, wir haben nicht tief genug geschnitten. Per Selbstentblößung zur Apotheose?
Interessante Idee, wenn man für ein, zwei, drei Stunden wieder 17 ist.
Demut allerdings ist stiller.

Homestory | 16:16h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
michael blasius - Sonntag, 8. Februar 2004, 14:43
In seinen
Selbstbetrachtungen schrieb Marc Aurel: Dadurch, dass man sich nicht um das kümmert, was in der Seele eines anderen vor sich geht, wird man wohl nicht so leicht unglücklich; wer aber nicht mit aller Aufmerksamkeit den Bewegungen der eigenen Seele folgt, muss notwendig unglücklich werden.
Für mich sind Weblogs eher ein flaches Medium, wo Thematiken eher angerissen als ausgiebig diskutiert werden, was man nicht unbedingt als Nachteil werten muss. Der Grad an Intimität, den der Schreiber sich in seinem Blog erlaubt, ist dabei sehr unterschiedlich. Ich persönlich halte von intimen Enthüllungen in Blogs nicht so viel, unterscheide aber, ob es dabei nur den Schreiber betrifft, oder ob auch andere Menschen davon betroffen sind. Letzteres finde ich unakzeptabel.

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kid37 - Sonntag, 8. Februar 2004, 23:27
Ja, die Tiefenforschung
... es wird aber schwierig sein, sich zu enthüllen, ohne daß auch andere Menschen betroffen sind. Zumindestens für diejenigen, die noch "reale" soziale Kontakte unterhalten. Wer hier schreibt, daß die Nachbarin blöd, der Mann in der Autowerkstatt unmöglich oder der Heizungsableser betrunken war, hat ja schon ein möglicherweise identifizierbares Umfeld geschaffen. Immerhin haben hier einige ein Impressum hinterlegt.
Andererseits denke ich, man darf sich da auch nicht so wichtig nehmen. Mein Name ist hier zwar zu lesen... aber wem sagt der letzten Endes was? Manchmal denke ich, im Internet bin ich anonymer und "geschützter" als innerhalb eines realen sozialen Mobs. Wer es mal erlebt hat, wie die "eigene Geschichte" (auch ein fragwürdiger Begriff) von Freunden, Bekannten und Freundes-Freunden durchgekaut, in Halbwahrheiten zerlegt und in der Gerüchteküche gegart wird, sehnt sich wahrscheinlich nach der sogenannten "Öffentlichkeit" des Internets.

Hier gibt es ja ein paar vielgelesene "Sexblogs". (Vielgelesen deshalb, weil sie von Frauen betrieben werden. Mein Sexblog würde schon allein mangels Masse kaum gelesen werden ;-))
Wer die Damen kennt, wird auch den ein oder anderen Partner identifizieren können. Andererseits möchten die Autoren ja etwas wichtiges mitteilen oder sich erforschen.
Ein Dilemma.
Ein Dilemma?

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michael blasius - Montag, 9. Februar 2004, 00:15
Ein Sexblog
von Ihnen, Herr Kid, wäre doch interessant. Der Charles Bukowski von blogger.de... :)

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kid37 - Montag, 9. Februar 2004, 00:36
Naaa
... der Titel ist ja schon vergeben, glaube ich. Nein, bei Bukowksi liegen sie gaaanz falsch. Ich bin doch mehr der Mann mit den Blümchen und so. Oder vielleicht so: wenn Edward Gorey schlüpfrige Comics gezeichnet, nein, noch besser: wenn Tim Burton Pornofilme gedreht hätte... und dann die schriftliche Variante.
Das würde mich interessieren.
Jetzt weiß ich's: Ich werde der David Lynch der Sex-Blogs!
Das ist doch mal ein guter Vorsatz für dieses Jahr ;-)

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maz - Montag, 9. Februar 2004, 00:40
Außerdem
ist die Prosa von Bukowski ziemlich berechenbar und effektheischerisch. Dafür sind seine Gedichte einzigartig, genial...
Die Luger gleitet...
Wie dem auch sei, Du willst doch kid37 nicht zumuten, daß er beginnt, hier zu dichten

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kid37 - Montag, 9. Februar 2004, 00:48
Ich könnte aber singen...
Ich habe eine sehr schöne Singstimme... ;-)

Ich schreib das Blog voll Sexgeschichten/
das lesen michael und maz mitnichten/
das macht mir nichts aus/
denn ich bleib zu haus/
und versuch, sie nicht zu sehr zu richten

... hm, na gut, das üb' ich noch mal ;-)

Ich möchte übrigens ein Buch empfehlen aus der Bukowski-affinen Epoche: Kenneth Patchen. Memoiren eines schüchternen Pornografen. New York, 1945. Patchen ist ein "Vergessener" aus dem Umfeld der Beat Generation. Sehr ironisch, nimmt viel vom Gebaren seiner später berühmteren Kollegen vorweg. Sehr abgedreht und, äh, "halluzinogen".

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maz - Montag, 9. Februar 2004, 01:01
Kenneth Patchen?
Morgen mal in der Buchandlung nachfragen.
Doch muss ich mich jetzt wirklich hinlegen.
In letzter Zeit kaum Schlaf gehabt, dafür wie ein Bekloppter gelaufen.
Gute Nacht.

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kid37 - Montag, 9. Februar 2004, 01:11
libri.de
meldet ihn auf deutsch vergriffen...
Ich vermelde aber mal aus dem Klappentext:

"[...] die von grotesken Szenen und surrealen Kapriolen durchsetzten Erlebnisse des jungen Albert Budd [...]. Budd hat einen Roman geschrieben, so naiv, arglos und freundlich wie er selbst. Doch als er das fertige Buch in den Händen hält, erkennt er seinen Text nicht wieder. Sein Verleger hat den Roman mit Inzest und Unzucht durchsetzt, und aus Budd, der nie trinkt oder träumt, wurde "der Mann, der den Schleier herunterreißt", "der Wolf mit den Zähnen an der Kehle dessen, was seit Beginn der Welt anständig ist".
Er gerät in den Sog der Gesellschaft, die sich selbst auf Partys feiert, wird herumgereicht, und kaum, daß es ihm gelingt, dem dort zelebrierten Kulturgeschwafel zu entgehen, fällt er sexlüsternen Collegegirls in die Hände [...]."

Also fast wie im richtigen Leben.

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