Donnerstag, 5. Februar 2004


Wächter, was spricht die Nacht?

Da ich ja meine medizinische Studien zu Gunsten der Kulturwissenschaften aufgegeben habe, habe ich eine gewisse Vorliebe für die Doktores in der Literatur. Ein nicht immer ehrbarer Berufsstand, mit nicht immer ausgeprägtem Sinn für ästhetische Verhältnisse. Nehmen wir diesen heruntergekommenen Vertreter seiner Zunft. Mag er aspirierenden Erben einer vom Aussterben und zahlreichen Gesundheitsreförmchen bedrohten Halbgötterdynastie als eindringliche Mahnung gelten.
Die Zeit der Yachten und Bauherrenmodelle auf hippokratischen Kredit ist vorbei.

"Ein Stapel medizinischer Bücher, neben Wälzern verschiedenster Arten, reichte beinah bis zur Decke, wasserfleckig, staubbedeckt; darüber ein kleines vergittertes Fenster, die einzige Lüftung. Auf einer Kommode aus Ahorn, offenbar nicht europäischer Herkunft, lagen ein paar verrostete Geburtszangen, ein verrostetes Skalpell, ein paar andere seltsame Instrumente, deren Zweck ihr rätselhaft war, ein Katheter, einige zwanzig zumeist leere Parfumflaschen, Pomaden, Cremes, Lippenstifte, Puderdosen, Puderquasten. [...] Ein Abfalleimer stand am Kopfende des Bettes, bis zum Rand mit widerlichstem Unrat gefüllt. Der Raum hatte etwas erschreckend Entwürdigendes, ähnlich einem Zimmer in einem Bordell, wo selbst den Unschuldigsten das Gefühl überkommt, Mitschuldiger gewesen zu sein. Dennoch hatte er auch etwas muskulös-männliches an sich, war ein Mittelding zwischen einem chambre à coucher und dem Trainingsring eines Boxers. Ein Fluidim der Feinseligkeit herrscht in einem Raum, den eine Frau nie betreten hat. Jeder Gegenstand bekämpft die eigene Fessel, und über allem liegt metallisches Aroma, wie von Schmiedeeisen auf dem Amboß.
Auf schmalem eisernem Bett, zwischen groben, dreckigen Leintüchern lag der Doktor, in einem Damennachthemd aus Flanell."
(Djuna Barnes. Nachtgewächs, 1936.)

Diese etwas unsentimentale Beschreibung klingt, als hätte sich Flora Sigismondi ein neues Szenario für ein Video mit Marilyn Manson ausgedacht. Sie würde den Raum in ocker- und rostfarbene Töne tauchen und dieser Martin Manson würde sein milchiges Auge umherschweifen lassen... die Türe ginge auf und herein käme: DR. BENWAY! Jawohl, der Mann mit dem abgebrochenen Medizinstudium und dem gestohlenen Rezeptblock. Der begnadete Arzt, der gebrochene Herzen mit einem Toilettenpümpel wieder zum Schlagen bringt. Dieser Dr. Benway also käme herein, träte den oben erwähnten Abfalleimer mit dem widerlichen Inhalt zur Seite, rieb sich die Hände und sagte: Marvin Manson, heute ist ihr Glückstag!
Und er nähme eines der fleckigen Gläser von der Kommode, füllte sich zwei Finger breit Gin aus seiner Taschenflasche hinein und täte einen kräftigen Schluck.

Nächste Woche muß ich, glaube ich, mal wieder hin. Well, well, well.