Montag, 12. Januar 2004
Beim Blättern heute in den Ikonen (s. Links) blieb ich im Artikel "Die verdrängte Wirklichkeit" von Wolfgang Sterneck hängen. Er schreibt dort über die Geschichte der Industrial Musik und über die Künstler der zweiten Generation nach Throbbing Gristle, SPK et al.:
"Die gezielte Provokation der Industrial Culture verkam also bei vielen Bands, die der ersten Generation folgten, zu einer Ästhetisierung des Schreckens. Oftmals ging es dabei nur um eine möglichst abstoßende und schockierende Wirkung, sowie in diesem Zusammenhang um eine Steigerung der eigenen Popularität. Für viele HörerInnen bildeten entsprechende Aufnahmen gleichzeitig einen Soundtrack für eigene regressive Bedürfnisse, ohne jedoch zu einer Auseinandersetzung mit diesen anzuregen. [...]" (Ikonen Nr. 0/2002)
Ein etwas pauschaler, aber durchaus nicht falscher Gedanke. Natürlich ist es gewagt, zwangsläufig historische Epigonen mit bloßen Plagiaristen und Parodisten in einen Topf zu werfen. Die Entwicklung der Sample-Technik und die Verfügbarkeit von Computern hat ja gerade in den letzten Jahren dazu geführt, Produktionsmittel und Vertriebswege (Internet) erschwinglich zu machen. Dadurch standen Künstlern aus subkulturellen Randbereichen überhaupt erstmals professionelle Produktionsmethoden zur Verfügung. Andererseits wird nicht alles dadurch besser, dass es einfacher ist.
Den Beginn der Musique brut, wenn man so will, hält übrigens René Schickele in seinem Roman "Symphonie für Jazz" fest:
"Mit der reinen Musik, meint er, ist es zu Ende, auch der Musiker muß ins Leben einsteigen, es mit dem "Strand" in London aufnehmen oder der City um fünf Uhr abends bei Geschäftsschluß, mit dem Sirenenkonzert der Schlepper auf der Themse - oder aber [...] nur in Zeichen schreiben, verstehn Sie: Sigel, mathematische Hieroglyphen, Zeichen also, bloß um Gottes willen keinen Wohllaut! Das Klappern von Geschirr, meint er, das in einer Restaurantküche gespült wird [...] so ein Klappern und Plätschern ist für unsere Ohren musikalischer als die poetische Anstellerei einer ollen Nachtigall, die nie einer von uns gehört hat." (René Schickele. Symphonie für Jazz , 1929.)
Samstag, 10. Januar 2004
Ok, ok, ich weiß, es ist infantil. Und neu ist es auch nicht. Aber nun hatte ich weiter unten schon so laut drum gebettelt, da hat diese nette Frau halt ein Einsehen gehabt.
Vielen Dank, das hat meine Laune gleich wieder angehoben. Weiter so!
Aaaah, Musik - entweiht. Müssen sich manche Leute einfach überall reindrängen? Die Vergangenheit anderer Leute nachleben... grrr...
Wie das nervt. Ein Problem der Grenzziehung. (Ja, Du bist gemeint!)
Und wo ich gerade dabei bin: Es nervt auch, wenn man endlich die Fenster geputzt hat und die am nächsten Tag aussehen, als hätte man Schlämmkreide aufgetragen.
Update: Immerhin gab es jetzt endlich auch Fanpost. Die Bettelei hatte Erfolg. Pubertär, aber toll.
Freitag, 9. Januar 2004
Da ich meine eigene Halbwertszeit schon überschritten habe, muß ich mir über die Halbwertszeit von fischähnlichem, rosagefärbtem Zuchteiweiß kaum Gedanken machen. Beim Blättern in illustrierten Nichtigkeiten fand ich aber dies hier. Man ist doch neuerdings in dieser Gemeinde so scharf auf Tests. Hier ist einer, für den braucht mann nicht einmal einen Link. Frau vielleicht aber schon. ;-)
(Quelle: Amica)
Wie sangen Palais Schaumburg: "Ahoi, ahoi, nicht traurig sein!"
Donnerstag, 8. Januar 2004
Reise ins Herz des schlechten Geschmacks
"Admitting that you like stuff that isn't intellectual doesn't make you vulnerable; it makes you courageuos. Especially if you only have friends who "love" conceptual art and "serious" literature/film." (Ninette Murk, Quest No. 11)
Qvest. Eine Reise ins Wunderland des Kitsches. Bambikitsch. Coolkitsch. Pornokitsch. Schwulettenkitsch. Kunstkitsch. Laura Kikauka erklärt ihre Wohnung. Billy & Hells bescheren uns sexy Retro-Weihnachten. Selten wurde schlechter Geschmack so elegant in Szene gesetzt. Abfall, Müll, das B-Seitige des Lebens. Des Konsumentenlebens, natürlich. Ein Stilstakkato aus obskuren Haarschnitten, gewagten Farbkombinationen und längst begraben geglaubten Lebenshaltungen. Der Höhe- punkt: Die Rückbesinnung auf - nein bitte! - David Hamilton.
Man ahnte es schon, beim Blättern durch die Modemagazine in den letzten Monaten. Der Mann kehrt zurück. Die angehauchte Linse. Die Cousine im weißen Tüll. Dabei ist das eigentlich nicht zum Lachen. Genausowenig wie Rob Zombies "House of 1000 Corpses" ein Schenkelklopfer ist für Horrorzeloten. Dieser Film ist auch Kitsch. Ausstattungskitsch in erster Linie. Dann aber auch, weil er hinabsteigt in eine plumpe Retrohaltung. Und die böse Seite der 70er Jahre wieder aufleben lässt. Eigentlich konsequent, angesichts des ganzen 70er-Jahre-Easy-listening Lounge-Schicks. Wer "Schulmädchenreport" sagt, muss auch Terrorfilm sagen. Kitsch ist auch ein Kettensägenmassaker.
Liberace ist Punk. Wahrscheinlich wird "1000 Corpses" deshalb auch falsch verstanden. Weil er hohl, häßlich und abstoßend wie eine Kuckucksuhr daherkommt. Wer sich "1000 Corpses" aus reiner Geltungssucht dem Internet eselt, hängt sich wahrscheinlich auch ein Hirschgeweih ins Zimmer. Ohne ironische Distanz wohlgemerkt oder eben ästhetische Verfremdung.
Wer Augen hat, sollte einmal die Wohung von Laura Kikauka mit der Ausstattungsorgie und dem Setdesign von "1000 Corpses" vergleichen. Wir sind im Terror-Reign of Kitsch gelandet.
Und es ist wirklich toll. Weil es ein beunruhigendes Gefühl ist. Weil es uns verwirrt. Und provoziert. Weil es sich nicht gehört. Weil es sich unverschämterweise noch einen Spaß erlaubt. Aber Obacht vor denen, die ihre Gartenzwerge gleich neben der Kopie von "1000 Corpses" plaziert haben.
Die gruseligste Alice marschierte in den 70er-Jahren durchs Wunderland. Also folgen wir dem weißen Kaninchen. Bis nach Kutná Hora zum Beispiel. Eine Queste ins Herz der rosafarbenen Plüschfinsternis. Oder blutrünstigen Gegengewalt. Terror-Schick. Rote-Prada-Fraktion. Das ist sozusagen die Ironisierung des Polit-Kitsches. Das Che-Poster auf dem Klo.
Es erfordert Mut, diese Reise zu wagen, und noch mehr, sie zu bestehen. Wer noch nicht da war, geht dorthin. Wer es schon kannte, kehrt wieder dorthin.
Und das schlimme ist: Es gibt keinen Weg zurück.
Für manche ist auch das Kitsch. Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Brassai noch bis zum 28. März 2004. Und sonst im Verlag Christian Brandstätter. Wer beliebt ist, läßt es sich schenken.
Eigentlich ist mir Neid weitestgehend fremd (ein paar andere Charakterdefizite nicht). Aber als ich das hier sah, keimte in mir doch so etwas wie Scheelsucht auf. Kann man übrigens auch als Aufforderung verstehen. Frau auch.
Donnerstag, 8. Januar 2004
Lässig haben wir mitgewippt zu Stereo Totals "Isch liebe Liebe zu dritt". Aber hier gibt es die böse Wahrheit zu lesen. Wieder mal mehr Schein als Sein. Grüneres Gras als auf dem eigenen Rasen, süßere Kirschen, weil sie auf der anderen Seite des Zauns hängen. Für dezidierte Zwillingsforscher ist es doppelt hart. Noch schlimmer: Ich besitze nur zwei Stühle. Aber keine Häme jetzt. Es ist im Grunde sehr deprimierend.
Und weil das Thema droht ins langweilig Graue abzudriften, bringe ich hier ein wenig Farbe ins Spiel. Alesha Fiandaca macht skurille Sachen und treibt es zudem gern ein wenig bunt. Und das wiederum kann ja auch ganz schön sein.
Es sind die simplen Geschichten, die einem nahe gehen. Eine ästhetische Strategie, die z.B. New Order seit Jahrzehnten mit großem Erfolg anwenden. Keine großen Begriffe. Schlichte Sätze. Einfache Worte. Der Stil der Lost Generation: Es war gut, so wie es war. Und wie es war, war es gut. Und Nick sah, das es gut war. So wie es war, am Ende des Tages, als sich die letzten Strahlen der Sonne über den Fluß legten. Im letzten Licht der Sonne sammelten sich die Forellen im Wasser. Und Nick sah die Forellen. Und er sah, des es gut war. - Öh, oder so ähnlich. Eine der unzähligen Stehgreifparodien auf den Stil eines berühmten Autoren dieser Zeit, der später auch wußte, wie man ein Gewehr zu laden hat. Und der den kalten, glatten Lauf spürte und wußte, das es gut war.
Denn das Metall war kühl und glatt und ehrlich.
Äh, wo war ich?
Also. Der Mann aus Wichita arbeitet für das Elektrizitätsunternehmen. Und er fährt tagelang durch die endlose Einöde von Wichita und kontrolliert die Überlandleitungen. Um ihn herum ist nichts, nur die Landschaft, die Leitungen und die endlose Landschaft. Aber er kann ihre Stimme hören, wenn die Leitungen singen. Wenn die Hochspannungsspulen summen. Und er begehrt sie. Er braucht sie mehr als er sie begehrt, und dabei begehrt er sie für immer. Aber nach Hause kann er nicht fahren. Denn bei dem sonnigen Wetter muss er die Leitungen kontrollieren. Nach Regen sieht es nicht aus. Und wenn es schneit, ist es noch schlimmer. Die Last des Schnees halten die Leitungen nicht aus. Er braucht sie mehr als er sie begehrt, und dabei begehrt er sie für immer - aber, tja, dieser Elektriker in Wichita ist halt im Aussendienst.
Aber dann man sich besser anhören. Ich glaube, ich muss jetzt ins Bett.
Dienstag, 6. Januar 2004
Heute nacht bin ich um drei Uhr aufgestanden. Das Wasser vor meinem Haus war zugefroren, überall lag Schnee. Es war sehr still in meinem Haus.
Es ist viele Jahre her, und ich war Weihnachten "im Tal". Frl. Sylvia saß im Katzengold, ganz allein. Ich erinnere sie an "Geschwister Tanner", sagte sie. Sie sagte, sie verbringe ruhige Weihnachten und erzählte mir von Robert Walser. Am 25. Dezember unternahm er einen Spaziergang allein in den Wald. Und legte sich zum Sterben nieder. Und starb.
Es war der 25. Dezember, und ich habe Frl. Sylvia nur einmal wiedergesehen. Sie habe meine Telefonnummer, sagte Sie. Ich sagte, das sei gut.
Sie hat nie angerufen.
:: Remember: If you go to the woods today, you'll find that I am not there ::
Sonntag, 4. Januar 2004
... the only thing that's real. (Johnny Cash, Hurt)
Auf der sehr empfehlenswerten Seite von Mark Romanek kann man übrigens das ergreifende Video zum noch ergreifenderen Song "Hurt" von Johnny Cash anschauen.
Und wer das jetzt nicht ergreifend findet, der sollte morgen früh ganz dringend als allererstes in der Stadt eines dieser Pulsmeßgeräte kaufen. Möglicherweise ist was mit der Pumpe nicht in Ordnung.
"How well I have learned that there is no fence to sit on between heaven and hell. There is a deep, wide gulf, a chasm, and in that chasm is no place for any man."
- Johnny Cash
Mehr Pathos hier
Wir füllen unsere Vitrinen mit den Knochen von Cary Grant. Wir füllen unsere Herzen mit den toten Bildern vergangener Tage. Wir wandern ruhelos, allesamt mondsüchtige Nachtgestalten im Lichte fahler Laternen. Unsere abgetrennte Hälfte aber bleibt verschollen, unauffindbar wie ein Fisch im endlosen Ozean. Wir sind so häßlich, bitte mach uns schön. Dieses Bild hat, so geht eine durch Indizien gestärkte Vermutung, etwas mit Liebe zu tun. Deshalb rührt es mich. Ich stieß durch einen Link im Institut Drahomira auf dieses kleine Kunstwerk. Das Institut ist aus verschiedenen Gründen empfehlenswert. Besonders aber für den, der auch ein Freund der Pflanzen ist und gern manche verbotene Blume pflückt. Ein solcher Mensch aber wird sich hier wohlfühlen. Wer aber sein Herz verhärtet hat und nur den Blumen des Bösen geöffnet hält, der sollte indes ganz unbedingt seine Augen in diese düstere Höhle richten. Auch hier mag ich mich heimisch fühlen.