Das Einfache

Es sind die simplen Geschichten, die einem nahe gehen. Eine ästhetische Strategie, die z.B. New Order seit Jahrzehnten mit großem Erfolg anwenden. Keine großen Begriffe. Schlichte Sätze. Einfache Worte. Der Stil der Lost Generation: Es war gut, so wie es war. Und wie es war, war es gut. Und Nick sah, das es gut war. So wie es war, am Ende des Tages, als sich die letzten Strahlen der Sonne über den Fluß legten. Im letzten Licht der Sonne sammelten sich die Forellen im Wasser. Und Nick sah die Forellen. Und er sah, des es gut war. - Öh, oder so ähnlich. Eine der unzähligen Stehgreifparodien auf den Stil eines berühmten Autoren dieser Zeit, der später auch wußte, wie man ein Gewehr zu laden hat. Und der den kalten, glatten Lauf spürte und wußte, das es gut war.
Denn das Metall war kühl und glatt und ehrlich.

Äh, wo war ich?

Also. Der Mann aus Wichita arbeitet für das Elektrizitätsunternehmen. Und er fährt tagelang durch die endlose Einöde von Wichita und kontrolliert die Überlandleitungen. Um ihn herum ist nichts, nur die Landschaft, die Leitungen und die endlose Landschaft. Aber er kann ihre Stimme hören, wenn die Leitungen singen. Wenn die Hochspannungsspulen summen. Und er begehrt sie. Er braucht sie mehr als er sie begehrt, und dabei begehrt er sie für immer. Aber nach Hause kann er nicht fahren. Denn bei dem sonnigen Wetter muss er die Leitungen kontrollieren. Nach Regen sieht es nicht aus. Und wenn es schneit, ist es noch schlimmer. Die Last des Schnees halten die Leitungen nicht aus. Er braucht sie mehr als er sie begehrt, und dabei begehrt er sie für immer - aber, tja, dieser Elektriker in Wichita ist halt im Aussendienst.

Aber dann man sich besser anhören. Ich glaube, ich muss jetzt ins Bett.

Radau | 03:39h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
luise - Donnerstag, 8. Januar 2004, 00:57
Wie Ihr Schreibstil heisst,
weiss ich nicht. Lost Generation-Stil? Wie auch immer, er gefällt mir. Punkt.

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kid37 - Donnerstag, 8. Januar 2004, 01:29
Oh, seien Sie bedankt...
... aber ob ich mir die Federn anstecken darf? Im ersten Absatz habe ich mich ja nur ein wenig lustig gemacht, über einen sehr berühmten Autoren. Aber der ist nun auch schon tot. Und macht man sich nicht häufig lustig über das, was man am meisten liebt? Und ist die Parodie nicht die größte Form der Anerkennung?

Die Geschichte vom Elektriker in Wichita ist meine krude Wiedergabe eines Liedes.
Wenn ich darf, hole ich kurz aus: Ich gestehe, dass ich früher wie viele junge Menschen Musik gehört habe, über deren künstlerischen Wert sich heute streiten liesse. Viel war z.B. darin die Rede davon, dass der Sänger gerade ertrinkt, seinen Kopf zerplatzen lässt (was angeblich klingen sollte als schlüge ein Tiger mit der Pranke ins Wasser), Würmer just seinen Körper zernagen - kurzum, ihn niemand so recht mag. Oder wie Farin Urlaub sang: "(manchmal hörten wir auch) The Cure oder New Order, aber größtenteils die Smiths".

Ich gestehe weitergehend, dass ich letztes Jahr älter geworden bin. Und seit langem ahnte ich: In dieser Musik wurden die schlimmsten Dinge gesagt, aber nie die einfachsten. Nie sagte jemand "Ich liebe dich." Oder "Ich brauche dich." Und wenn, dann waren gleich noch viel schlimmere Dinge oder Körpersäfte im Spiel.
Und irgendwann erkennt man auch, daß all dieses pubertäre, selbstmitleidige Gejammer noch lange keine traurige Musik macht. Dann hört man Billie Holiday oder Frank Sinatra oder Patti Smiths "Easter". Oder Menschen wie Neil Young und Johnny Cash. Und plötzlich hört man ganz einfache Sätze wieder. Keine Dante'schen Höllengemälde. Schlichte Sätze, wie "Ich bin traurig". Oder "Ich vermisse dich."

Und Johnny Cash, der alte Fuchs? Nimmt sich einen Song, den angeblich der Star dieser "Zerschmettert-meinen-nichtsnutzigen-Körper-an-der-Biegung-des-Flusses"-
Düster-Musik-Fraktion geschrieben hat - und macht ihn sich zu eigen. Spricht die Worte ganz lässig runter, ohne Gejammer und Gejaule. Und sagt einfach tschüß.
Und das kann ich leider nicht.

Aber dieses Jahr werde ich schon wieder älter. Und wenn ich so alt bin wie JC, kann ich es dann vielleicht auch.

Ich fürchte, das hatte gerade alles gar nichts mit Ihrem Kommentar zu tun.

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luise - Donnerstag, 8. Januar 2004, 22:52
Sie sind in der Tat recht weit abgeschweift,
aber auch hier sind Ihre Worte ein Genuss. Danke.

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