Sonntag, 10. Juli 2005
Heute war letzter Tag der Jahresschau der HFBK in Hamburg. Früher habe ich ja gegenüber gewohnt und ging schon mal mittags zum Essen in die Mensa.
(Das sage ich jetzt jedes Jahr). In den letzten Jahren schaute ich nur ab und an mal vorbei; aber den Akademierundgang lasse ich mir nicht entgehen.
Fast könnte man meinen, da feiert sich die Künstlerszene von morgen selbst. So aufgeregt und engagiert und bionade- flaschenübersät präsentieren sich die Werkstätten und Klassenräume und deren Bewohner. Aber ich diskutiere da nicht lange in Grundsatzfragen herum, sondern lasse einen paternalistisch gutmütigen Blick über die Exponate schweifen, murmele hier und da Sachen wie "hübsch pastoser Farbauftrag", fasele von "quasi haptischen Erlebnissen", tadele hier und da die Linienführung, um die jungen Menschen aufs Leben vorzubereiten und lasse ungefragt durchblicken, daß ich sozusagen in einer artverwandten Branche tätig bin.
Das kommt beim elternentrückten Nachwuchs immer gut an, denke ich. Und ob Kunst oder Gartenzwerge, seien wir ehrlich, wer will das schon immer so genau entscheiden?
Wenn man regelmäßig dorthingeht, kennt man seine Pappenheimer. Ich weiß, daß es kurz vor der Bildhauerklasse die besten Waffeln gibt, und ganz oben, bei der "Freien Kunst" die entzückendsten Ergebnisse. Wie jedes Jahr, kaufe ich eifrig Künstlerbücher, man weiß ja nie, vielleicht ist der nächste Immendorf dabei.
Nachdem man letztes Jahr deutlich die Sparmaßnahmen an der HFBK (Danke, Senat!) merken konnte, hat man sich dieses Jahr daran gewöhnt. Alles kleiner und kurzgeschorener. Inhaltlich zeigt sich mehr und mehr eine merkwürdige Versachlichung. Genitalbilder, vor ein paar Jahren noch das sine qua non der künstlerischen Selbstexploration, sind bis auf auffällige Ausnahmen kaum noch zu sehen. Die klassische Menstruationsblutmalerei scheint ebenfalls auf dem Rückzug. Man wagt nicht, man spielt Schach. (Das riesige Schachspiel war aber wirklich beeindruckend.) Man pinselt aber auch nicht mehr so viel im eigenen Bauchnabel herum (Vielleicht haben die jetzt auch alle Blogs!). Wie immer: Tasten, testen, tremolieren. Ich liebe das.
Musikalisch gab es viel Robocop Krauss und Interpol und Techno; aber an drei Örtlichkeiten habe ich eine akustische Gitarre, vulgo "Klampfe" gesichtet. Hark!
Bilder gibt es in den Kommentaren.
Die polnischen Künstler Jaroslaw Kubicki und Bartosz Hervy präsentieren eine morbide Geschichte voll rostzerfressener Engel. Wie häufig bei solchen surrealen, industrial-erotischen Gespinsten aus der Gothic-Szene hier und da ein wenig geschmäcklerisch - was auch für die Musk gilt - aber die ganze Präsentation ist schon ein optischer Genuß.
Über das polnische Web-Zine Web-Esteem (die meisten Beiträge sind ins Englische übersetzt) gelangt man unter anderem zu Zbigniew Reszka. Der polnische Fotograf erinnert mit seinen zerkratzten Negativen und braungetonten Barytprints von Ferne an Gilles Berquet oder Emil Schildt. Pierre Molinier könnte einem noch einfallen, aber der fällt einem ja immer ein, wenn schwarze Strümpfe durch eine fotografische Retro-Ästhetik wehen.
Streckenweise recht "in da face", also nicht safe for work.
Sollte es heute noch regnen, drinnen oder draußen, gibt es auf Web-Esteem viel zu entdecken (z.B. Ken Merfeld). Für die sonnigeren Gemüter empfiehlt sich das weitaus konsensfähigere Photoblog von Philippe Hirou. Muß ja nicht immer alles düster und kaputt sein (a.k.a. "Lügt euch doch was zurecht"). Treiben lassen.