Dienstag, 28. September 2004
Geh nach Westen, junger Mann! sagte man früher. Heute müssen wir sagen: Erschieß dich, junger Mann, für dich gibt es keine Hoffnung! Ich kenne einige, die sich damit abgefunden und es zu einer Spitzenposition gebracht haben - also Hollywood -, was nicht viel anders ist, als spreche man von der Spitze eines Zirkuszeltes. [...] Inzwischen hat mir ein anderer junger Schriftsteller in einem Brief mitgeteilt, sein Verleger habe ihm einen Job als Mann für alles gegeben, er arbeite vierzehn Stunden am Tag an der Schreibmaschine, in der Buchhaltung, bringe Pakete zur Post, schleppe Ascheimer, spiele den Chauffeur, etc., etc. Sein Verleger, reich wie ein Krösus, preist den jungen Schriftsteller als Genie. Er meint, es sei gut für den jungen Mann, einmal ehrlich zu arbeiten.
(Henry Miller. Der klimatisierte Alptraum. 1945.)
Ach ja. Wie hatte das fragile Zusammenspiel zwischen Scarlett Johannsson und Bill Murray in Lost in Translation doch eine zarte Erotik entfaltet gleich einem kleinen Vogel, der munter und verletzlich zugleich durch den Kinosaal schwirrte.
Ach nein. Wie platscht doch einem plumpen Pinguin gleich eine dumpf-konstruierte Spannung durch das Kinodebüt von TV-Regisseur Peter Webber. Scarlett Johannsson, heiße Anwärterin auf "Miss Lippe 2004", spielt die 17-jährige Griet, Hausmagd des Delfter Malers Johannes Vermeer (Colin Firth). Der lebt mit seiner Frau Catharina (Essie Davis), von der man gleich weiß, daß sie eine hysterische blöde Kuh ist, und deren geschäftstüchtiger Mutter Maria (Judy Parfitt mit dämlichen Kontaktlinsen) recht kommod im wohlhabenden niederländischen Städtchen.
Das gleichnamige Bild von Jan Vermeer (1632-1675), war Ausgangspunkt der fiktiven Story: Maler "entdeckt" seine Magd, macht sie zu seinem Modell und - wer hätte es gedacht - es liegt erotische Spannung in der Luft. Der künstlerische Schaffensprozeß erreicht über den Geist die Sinne und den Körper, Kreativität geht mit dem Erzeugen Hand in Hand.
Nur leider kriegen wir in dem Film nichts davon mit.
Vermeer sitzt zumeist dumpf vor sich hinbrütend und in die Ferne starrend auf einem Stuhl . Magd Griet bewegt sich mit großen Augen, offenem Mund und überlaut atmend durch die (zugegeben) exquisit ausgestattete Szenerie. Wie Kunst entsteht, bleibt außen vor. Ob Griets Eingreifen und (nicht belegtes) Stühlerücken nun Vermeers Bilder verbessert haben oder nicht - wir erfahren darüber nichts. Als er ihr endlich näher kommt und ein Ohrloch sticht - eine schmerzliche, blutige Pentrationsszene - gelingt Peter Webber das Kunststück, die sexuelle Symbolik völlig zu verschenken. Man stelle sich das in einem Greenaway-Film vor.
Webber steuert mal hierhin, mal dorthin. Eine Studie über Macht, Abhängigkeit und Ausbeutung hätte es werden können. Das Porträt eines Mädchens, eines Künstlers, einer ganzen Gesellschaft, die sich gegenseitig mit Intrigen, Erpressung, sexuellen Übergriffen und Versprechungen in Schach hält. Aber zu bildverliebt wird alles und nichts gestreift. (Die nachgemalten Vermeers werden den Originalen übrigens kaum gerecht, wurde mir glaubhaft versichert.) Überflüssiges Personal (dieser Fotoromanhafte Fleischersohn!), überflüssige Szenen (diese Vorgeschichte, die nie wieder aufgegriffen wird)... ein Fernsehspiel im Kinoformat. Es wird ein Bild gemalt. Aber darüber erfahren wir ja leider nichts.
Das Mädchen mit dem Perlenohrring. (GB/Lux. 2003). Regie: Peter Webber.