In die Gänge kommen





Am Wochenende lockten die Abbruchhäuser des Hamburger Gängeviertels zur umfangreichen Kunstbeschau. Der Block aus Wohnhäusern und alten Fabriken steht seit langem leer, nun ist ein Investor gefunden, der letzte Lücken im umliegenden Glas- und Betongeflecht schließen, solventen Mietern schicke Lofts bauen und in Hamburg dringend benötigte Büroräume in diesen Stadtteil setzen will. Letzte Spieltage also für ein paar spontane Ateliers und Galerien, um Löcher in Boden und Wänden herumzumalen, Bilder zu hängen und Installationen zurechtzudengeln, während unten im Hof die Würstchen schmurgeln und ein Soundsystem wabernde Baßfrequenzen durch die maroden Treppenhäuser schickt.





Im Hof singt eine Dame zum Klavier, in den Häusern gibt es Licht, öfter auch Schatten, das trifft natürlich wie immer auch auf die gezeigten Werke zu, aber am Ende zählt ja auch die Atmosphäre des einmaligen, des besonderen, die Energie, die aus den Wänden schwitzt, die Erinnerung an die alten Bewohner, die Geschichten unter den abgerissenen Tapeten. Im Kinderzimmer noch ein Lichtschalter von Winnie the Pooh, ein Mädchen hat in alle Spülbecken Blumen gestellt. In den alten Backsteinfabriken die unwiderbringlichen Details, schmiedeeiserne Fenster, verrostete Feuerleitern aus Metall, kleine Balkone, Industriesicherungen und Meßgeräte, dazwischen Schmetterlinge, die grazil um die Kunst tanzen.




Für ein Wochenende zeigt die Stadt, was möglich wäre, ließe man kreatives Leben in diesen letzten Nischen zu. Gleich nebenan nämlich glotzen neidisch die toten Glasfronten der um diese Zeit geschlossenen Läden und Büros, ausgestorbene Straßen, die auf die Ankunft der Arbeitsameisen am Montag warten.

>>> Webseite vom Gängeviertel

Flanieren | 13:33h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
bosch - Montag, 24. August 2009, 15:00
Ach schade, das habe ich verpasst.

 link  
 
kid37 - Montag, 24. August 2009, 17:57
Ach schade. Zog sich übers ganze Wochenende.

 link  
 
jean stubenzweig - Montag, 24. August 2009, 15:31
Ach ja, bei der künstlerischen Zeitgenossenschaft kam Hamburg von jeher äußerst schwer in die Gänge. Büros sind leichter in den Pfeffersack zu rechnen.

Das ist die dunkle Seit der ansonsten ja nun wirklich wunderschönen Stadt.

 link  
 
kid37 - Montag, 24. August 2009, 17:55
Ja. Es muß leider immer gut abgehangen sein, ehe es hier gehängt wird. Die Tage gab es in der Faz oder SZ einen Artikel über das Geziere, die Sammlung Falckenberg anzunehmen. Eine einmalige Gelegenheit.

 link  
 
monopixel - Montag, 24. August 2009, 15:35
Dann habe ich ja am Wochenende nicht nur die Barkassenfahrt verpasst, sondern auch diese äußerst interressante Offene-Ateliers-Veranstaltung. Vielleicht sollte ich doch nach Hamburg umziehen, aber hier wird es eher schwierig mit Umsetzung meines Projekt 2009.
Ansonsten gefallen mir die Serigraphien auf Holz sehr gut. In dieser Richtung habe ich mich auch mal betätigt; leider habe ich kein Bild dazu zur Hand.

ps. Ihr Bild mit dem gelb-netzbestrumpften Bein ist grandios.

 link  
 
signaleur - Montag, 24. August 2009, 16:41
ps. Ihr Bild mit dem gelb-netzbestrumpften Bein ist grandios.

Ja, der Kid kann so etwas tragen.

 link  
 
kid37 - Montag, 24. August 2009, 17:39
Korrekt, das ist der Vorteil, wenn man einen schlanken Fuß hat.

Herr Monopixel, die Vermutung ging dahin, daß ein Trupp Berliner mit 'nem Rainbow-Tours-Bus nach Hamburg gekommen war, um 20 Jahre nach dem Mauerfall ein wenig Zwischenlösungs-Flair ins SO Gängeviertel 36 zu schaffen (ein wenig Frontstadtarroganz war wohl auch dabei). Es hätte Ihnen gefallen, leider gibt es das hier zu selten. Aber einen Umzug nach Berlin kann ich mir umgekehrt auch nicht (mehr) vorstellen. Der ewige Abbruch dort bleibt nicht ohne Folgen.

 link  
 
kid37 - Montag, 24. August 2009, 18:20
Ach, PS, von diesen Sprühschablonenbildern habe ich drei kleine auf Pappe. Leider habe ich den Namen des Künstlers nicht parat.

 link  
 
stapel - Montag, 24. August 2009, 15:44
Immerhin. Hier sterben solche Umgebungen unbeweint.

 link  
 
kid37 - Montag, 24. August 2009, 17:42
Zuviel Fläche und städtische Zergliederung ist vielleicht ein Problem. Dabei könnte das alles eine riesige kreative Vorzeigemetropole sein.

 link  
 
ana - Montag, 24. August 2009, 16:32
In Nürnberg ist auf dem ehemaligen AEG-Gelände eine Zwischennutzgeschichte entstanden. Eine große Halle wird von den Betreibern, die das Gelände übernommen haben, für Kommunikation, Kunst und Kultur zur Verfügung gestellt. Die erste Ausstellung ERFARUNGsPRODUKTion hat sich den verbliebenen Gebrauchsspuren der Fabrikation gewidmet, sie photographisch dokumentiert und augenzwinkernd bekannten künstlerischen Artefakten zugeordnet. Es ist wie bei den folgenden Ausstellungen auch ein schöner Katalog dazu entstanden, der schon fast vergriffen ist. Man kann sich aber die Seite von Zentrifuge, so heißt der Verein, der das Ganze organisiert hat und weiter organisiert, im Netz anschauen, wenn man unter Zentrifuge Nürnberg googelt. Leider wohnen Sie zu weit weg, um einfach mal so persönlich vorbeizuschauen. ( Andere Leser vielleicht nicht. In der nächsten Ausstellung stellt, das sei noch erwähnt, ein hiesiger Sammler alte Rechenmaschinen und Computer aus. )
( ( Anbei Herr Kid, wenn sie mal sehen wollen, wie ich aussehe, finden sie unter meinem richtigen Namen ein Photo in der Personengalerie von mir; ich bin nämlich Mitgied in dem Verein. ) )

 link  
 
signaleur - Montag, 24. August 2009, 17:02
Ach, Nämberch, immer wieder du. Mehrere Jahre habe ich auf dem TA-Gelände neben der AEG verbracht und den Franken beim finalen Kampf zugesehen. Dass man dem Verfall der Industriekultur durch künstlerische Projekte Rechnung trägt, erhält vielleicht die Spurensicherung. Weiter machen.

 link  
 
kid37 - Montag, 24. August 2009, 17:50
Die relative Armut an alter Industrie, entsprechender Brachen und ihrer Umnutzung hier, finde ich auch schade. Hier wird auch vieles recht schnell untergemäht, scheint mir, um den schicken Schein zu wahren. "Freie und Abrißstadt Hamburg" (A. Lichtwark). Andererseits könnte die Finanzkrise ja dazu führen, nur mal angenommen, daß der begonnene Umbau des Kaispeichers zu Deutschlands teuerster Zwischenlösungsbrache führt. Dann würde auch ich dort singen.

(Danke für den Link und den Blick aufs Foto!)

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 26. August 2009, 13:19
Daniel Richter in der MoPo über die Besetzung des Gängeviertels .

 link