Freitag, 23. März 2007


Dann möchte ich schrei'n

Wenn mir der Mann eine wichtige Information auf den Anrufbeantworter nuschelt - ja, dann möchte ich schrei'n.

Wenn die Frau im Supermarkt ein Brötchen auf den Boden fallen läßt und zurück ins Regal legt - ja, dann möchte ich schrei'n.

Wenn die Bäckersfrau mir das Brot nicht für die Hälfte läßt, weil es bis zu ihrer "Happy Hour" noch ganze sechs Minuten dauert - ja, dann möchte ich schrei'n.

Wenn die Männer fröhlich plaudernd vergessen, ihren Einkaufsberg an der Kasse endlich mal einzupacken - ja, dann möchte ich schrei'n.

Wenn so'n Blogger, der immer dummes Zeug schwätzt, wieder dummes Zeug schwätzt - ja, dann möchte ich schrei'n.


Ich möchte schrei'n, he, guter Mann mit der dröhnenden Stimme, sprich doch bitte etwas deutlicher auf mein Anrufaufzeichnungsgerät. Damit ich nicht ein Wochenende lang rätseln muß - muß das denn eigentlich sein?

Ich möchte schrei'n, he, gute Frau mit dem adrett gekämmten Haar, wer soll denn das noch essen und was ist das für ne Art, den Wagen voller Biogemüse, aber den anderen Menschen den Dreck ins Regal legen - muß das denn eigentlich sein?

Ich möchte schrei'n, he, gute Bäckersfrau mit der dämlichen lustigen Schirmmütze, was soll denn das jetzt, kurz vor acht - muß das denn eigentlich sein?

Ich möchte schrei'n, he, ihr guten Männer von fröhlicher Natur, packt euren Kram doch mal zügig in den Wagen, hier stehen noch andere - muß das denn eigentlich sein?

Ich möchte schrei'n, he, du Blogger von der jovialen Art, was soll denn das, zu jedem Mist noch eigenen Mist dazuzupacken - muß das denn eigentlich sein?


Das muß nicht sein! Das muß nicht sein!
Nein! Nein! Nein!
Wir könnten alle so glücklich sein!
Ja! Ja! Ja!
Mit Rücksichtnahme glücklich sein!


 


Freitag, 16. März 2007


Wenn der Lesefluß vorzeitig stoppt

Ich rauch jetzt keine Zigarette,
denn sonst schimpft die Klimarette
und läßt mich ohne Auto steh'n.

Dabei möchte ich sagen: Ich bin da völlig d'accord. Autos raus aus der Innenstadt, Tempolimit, generelles Rauchverbot - letzteres klappt ja selbst in Ländern wie Irland und Italien. Nur über die funzeligen Energiesparlampen möchte ich noch reden.

Wenn mir dann noch die unter Rot/Grün gestohlenen Rentenjahre zurückgegeben werden, wäre es ja fast schon eine glückliche Welt.


 


Freitag, 2. März 2007


Sanftes Töten



Von manchen Erkenntnissen glaubt man ja, sie seien auf dem neueren Mist retroagrarisch-esoterischer Sonnenblumenkulte geboren und erst im Nachhinein von einer naturwissenschaftlichen Empirie möglicherweise nur widerwillig bestätigt worden. Was Großmutter aber noch wußte - ohne CSI und Genforschung - ist dann eben das verblüffende Wissen der Erfahrungswissenschaft, deren Existenz von den Faktenhubern dieser Welt ja gerne in Abrede gestellt wird.

Frei nach dem Motto, Wat der Buer nit kennt, dat frit er nit, könnte man im Umkehrschluß anschließen: Der Bauer weiß wohl, daß Fleisch nicht schmeckt, wenn man die Tiere vorher terrorisiert hat. Dies nur auf dem Einkaufszettel solcher rohherzigen Leute notiert, die morgen wieder nach dem Frischgeschredderten aus der Kühltheke greifen. Der Schnipsel stammt übrigens aus einem ganz wunderbaren Nachschlagewerk, welches ich immer wieder gern für die allerunmöglichsten Dinge zu Rate ziehe, die dort dann recht amerikanisch-pragmatisch erklärt werden:

The Scientific American Cyclopedia of Formulas. New York, 1925.


 


Donnerstag, 1. März 2007


Ja, Baby, du und ich

Wir können nicht den ganzen Tag Chianti trinken.
Oder uns Flausen aus dem Kopf rausziehen.
Nein, Baby, das Leben ist keine Kuschelsteppdecke.
Man muß zusammenstehen in harten Zeiten.

Ja, Baby, du und ich.
Wir lachen einfach den Hypotheken ins Gesicht!
Baby, rück doch einfach näher noch an mich.
Gemeinsam meistern wir die Steuerpflicht.

Wenn die Heizung bullert und die Rechnung ist bezahlt,
kann ein Regenbogen auch nicht schöner sein.
Oh Baby, mit dir geh' ich bis zur Nachttankstelle.
Denn eine wie dich gibt es nicht im Sonderangebot.

Ja, Baby, du und ich...

Ich habe gehört, mit Schlagertexten könne man eine Menge Geld verdienen. Ich glaube, wie für so viele Dinge, Elektro- und Gasgeräteinstallation z.B., habe ich auch für diesen Bereich eine gewisse natürliche Begabung.


 


Freitag, 23. Februar 2007


Einfach die Laufrichtung ändern

... drifter coming in
never touching down - never leaving ground
a twilight world in which we roam
still we don't belong - drift on

(Siouxsie and the Banshees, "Drifter")

Es will einem wahrscheinlich etwas sagen, wenn man morgens in der Fabrikeingangshalle versehentlich den Aufzugknopf "nach unten" drückt - so als wäre bereits Feierabend und man wolle wieder nach, ja wohin eigentlich? - und ein leises Pling weist einen darauf hin, daß es tiefer derzeit nicht geht.

Falscher Knopf also. Falsche Richtung. Leider sind nicht alle Probleme so einfach mit "oben" oder "unten" zu verorten. Derzeit eher das Gefühl auf eine kreisende Spirale zuzulaufen. Die Kollegin sagt, es ginge doch nur noch darum, einen Ausstieg aus diesem Beruf zu finden. Ehrenvoller Rückzug hieß das früher. Es geht darum, einen Ort zu finden, keine Provisorien. Keine Sanatorien. Das Leben als stete Folge von Übergängen, ein Transit zwischen Gesundheitskompromiss und Rentenformel. Ich komme jetzt in das Alter, in dem andere sich einfach einen roten Sportwagen kaufen. Andere winken ab wegen des Klimawandels. Ich winke auch ab. Denn Rost wird alles, was ich berühre.

Du mußt einfach die Laufrichtung ändern, sagt die Katze. Ach ja? No direction home. Aber leider zu alt, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Am besten, man mahnt sich selber ab.


 


Samstag, 10. Februar 2007


Ich brauche nur B & B

O letztes / doch nicht festes Haus!
O Burg / darinn wir uns verkrichen!
So bald des Lebens Zeiger aus /
Vnd diser Wangen Roß' erblichen.

(Andreas Gryphius, "Kirchhofs-Gedanken". 1639.)

Rheinischer Katechismus, Nr 5.Heute dann mal beim Bund der Heimatvertriebenen vorbeigeschaut. Die haben so einen Tränenraum, in dem man seine Sorgen und Ängste in ein Stück grobes Leinen weinen kann, welches dann anschließend in einen Papierumschlag verpackt und in polnischer Erde bestattet wird. Dies mag ich mir jetzt bloß ausgedacht haben, und ich hoffe sehr, der Bund muß nun nicht seine Anwälte bemühen, mir seine Korrekturen an diesem Traum heimzuleuchten. Auf jeden Fall gab es mir ein tröstendes Gefühl.

Daheim, was ich nun nicht mehr sagen möchte, in meiner Unterkunft also, zog ich Patti Smiths Album Trampin' hervor, schließlich gilt es, innere Vorbereitung zu treffen. Teilte ich früher mit Franz K. den Wunsch, Indianer zu werden, so ließe sich daran ja vielleicht eine Existenz als Hobo anschließen.

Vielleicht hat sich mir aber bereits eine neue Bleibe aufgedrängt. Ein Bed & Breakfast der besonderen Art: Lizzie Bordens heimelige Unterkunft. Hier hat 1892, und dies ist ebenfalls unbewiesen, die gute Lizzie ihren Vater und ihre Stiefmutter mit der Axt erschlagen. Vielleicht war es auch jemand anders, denn Lizzie wurde nicht verurteilt. Fakt ist, die Eltern sind tot. Geblieben sind der Spruch "Ich fühle mich wie erschlagen" und ein zarter Bänkelsang:

Lizzie Borden took an ax
And gave her mother 40 whacks.
And when she saw what she had done,
She gave her father 41.


 


Donnerstag, 8. Februar 2007


Auf der Flucht

...and therefore never send to know
for whom the bell tolls; it tolls for thee.

(John Donne, "Meditation XVII", 1624.)

My home is my castle, sagt der Brite, und ich muß nicht meine schottischen Wurzeln bemühen, um aus vollstem Herzen zuzustimmen. Das Heim als Fluchtburg - Tür zu, Bosheit draußen, Klappe zu, Affe tot - ist mir wichtiger denn was. Wenn mit sattem Geräusch drei Panzerriegel über der Tür einrasten, weiß ich mich angekommen an einem Ort, an dem ich nicht mit dem Rücken zur Wand umherschleichen muß, wo Hunger, Harm und Haderlumpen und überdies auch Häscher der Fiskalbehörde mich nicht finden werden.

Als ich vor über drei Jahren hierherzog, war es wie das Aufatmen nach einer langen Flucht. Wo ich zuvor gewohnt, am Ende bloß gehaust hatte, war ein Ort, der mir von vorneherein mit muffigem Karma beladen schien. Vielleicht lag es daran, daß bald schon merkwürdige Träume sich einstellten, in denen Wörter und Sätze wie mit Blut geschrieben an den Wänden erschienen, um bald darauf wieder zu verschwinden. In denen nachts die Todesfee in den Bäumen schrie, manchmal wie vor meinem Zimmer, an dessen Türklinke wild gerüttelt wurde.

Ein langer, böser Traum. Ein kranker Traum. Einer, der mich hinabzog in einen Mælstrom aus Hohn und Gewalt, von der schwache Narben als gut sichtbare Merkwürdigkeit blieben, so als sei alles gar kein Traum gewesen, sondern bloß eine andere Wirklichkeit.

Ich übertreibe nur milde, wenn ich behaupte, daß diese Wohnung mir wahrscheinlich das Leben gerettet hat. In einem der ödesten Teile der Stadt entpuppte sich ein kleines Idyll, lichtdurchflutet, genau auf mich zugeschnitten, immer warm (meine Erfahrung: Stacheldraht wärmt nicht, Südseite und Heizung sind besser), mit einem Raum für die Dunkelkammer und einem schlicht gefliesten, großzügigen klinischen Reinraum Bad, in dem ich morgens sogar unbefangen meinen bleichen Körper entblößen mochte.



Ich übertreibe noch weniger, wenn ich behaupte, die direkte Lage am Wasser ersparte mir einen Haufen Therapiestunden. Auch wenn ich in manchen Nächten trunken auf dem Vordach hockte und versuchte, die Zeichen zu lesen, die sich auf dem schwarzen Wasser bildeten. Aber dann hatte ich ja ein Blog, das ich nicht im Stich lassen durfte und das ich morgens leicht schuldbewußt wieder sauberwischte, wenn ich zuviel Rotz und salziges Wasser hineingeträufelt hatte.

Natürlich war mir klar, wie fragil die Idylle war. Wie bei allen durchaus liebevollen Beziehungen galt, es ist nicht meins, es ist nur geliehen und wir sind alle nur auf Zeit an diesem Ort oder jenem. Und so soll man tatsächlich nicht fragen, für wen das Glöcklein schlägt. Heute morgen meldete es der Depeschendienst: Die Besitzer dieses Luftschlosses, dieses Adlerhorsts vier Stockwerke hoch, planen den Verkauf.

Und so warm kann keine Fußbodenheizung sein, daß mich nicht ein kalter Hauch, nicht von Verfall, aber von Eigenbedarf erzittern machte. Wer wird die Bude wollen? Ein amerikanischer Immobilienmagnat? Ein zartes Mütterlein? Eine Blonde, frisch vom Schlagerproduzenten abgefunden? Was Kyrill mir ließ, reißen Heuschrecken mir über dem Kopfe weg.

Pünktlich setzte heute der Winter ein. Es wird kalt werden für uns Unbehauste, furchtbar kalt. Der Sommer war sehr groß. Doch wer im Herbst kein Haus baute, wird nun lange den Immobilienteil studier'n.


 


Samstag, 27. Januar 2007


Vor der Zeit

Dann wälzt ein müderer Gedanke sich durch den schmutzigen Schnee heran. Langsam lenken sich wie von alleine die Arbeitsschritte, die Nicht-mehr-Arbeitsschritte, die verschlurften Prekärverhältnis-Schritte aus dem U-Bahnhof hinaus. Das Abschütteln, die Purifikation, die Dekontamination schluckt immer mehr vom Wörtchen "frei". Früher half ein Schulterzucken. Früher half ein Fingerknacken. Früher half oft noch ein Nachtgebet.

Hartung nicht vorüber, haben sie sich tiefer in die Knochen gebohrt: die Mühle, der Staub, das schrille Geräusch der sprühenden Funken. Horcht, horcht, der Eisenmann kehrt heim. Zagt und fürchtet, der schwere Schritt, die klobigen Stiefel, das dunklere Husten, wenn er eine Weile noch unter der schwarzen Türe harrt. Das Auge lahm, die Ohren taub, im Kopf dräut lange vor dem Schlafe schon der Weckruf. Das Plärren der Fabriksirene, weit, weit vor der Zeit.


 


Montag, 22. Januar 2007


Die Zeit tröpfelt dahin

Hals über Kopf
Einstürzende Neubauten
French Film Blurred


 


Sonntag, 21. Januar 2007


Wir nennen es Samstagabend

Und so schaue ich den silbernen Schalen zu wie sie langsam schwarz anlaufen. So sehe ich der Rostamöbe auf meinem Bisley zu, wie sie Scheinfüße ausstreckt, sich zögernd nähert und Kontakt sucht - zum lethargischen Nachbarfleck, der sich in all den Jahren nicht verändert hat.

Wenn man lange genug schaut, sieht man Fratzen und Visagen blitzen. Dein Gesicht sah ich schon lange nicht mehr. Manchmal nur höre ich von deinen Worten. Unangenehme Gewißheiten, eine unsicher tapsende Arroganz, von der man ahnt, was sie kaschieren soll. Wenn ich die Hand ausstrecke und die Flecken hier berühre, spüre ich den schorfigen Grund.

Man soll nicht schneller rosten als das Metall um einen herum, heißt es. Man soll niemals so schwarz sehen wie das Silber in der Küche. Sollte man eine Küche haben.

Am Samstag haben wir früher schlimme Dinge gemacht. Getrunken wohl auch und laute Musik gehört. Ich glaube, leichte Bekleidung spielte eine Rolle. Das ist zum Glück vorbei. Für die Junggebliebenen gilt: Sei kein Brett. Schüttel, was du hast. Ich sitze hier und starre den Heizkörper an. Solange, bis der Tanz vorüber ist.

>>> Ausschnitte aus Eraserhead, Wer hat Angst vor Virginia Woolf, Faster Pussycat! Kill! Kill!, Freaks und Die Verachtung ergeben dieses hundstolle Video zu Wildcat von Be Your Own Pet.