Sonntag, 28. September 2014
Da war ich übrigens auch. Zum Eröffnungswochende am ersten Septemberwochenende nach der Sommerpause war dies natürlich der Höhepunkt. Die erste Einzelausstellung von Lokalmatador Heiko Müller bei Feinkunst Krüger setzte gleich mal ein Ausrufezeichen für die neue Galeriesaison. Nach Beteiligungen an zahlreichen Gruppenausstellungen nun also solo.
Der Mann war fleißig gewesen und zeigte gleich eine ganze Reihe großartiger neuer Sachen: Bilder von aufgeschreckten Tieren, abgekämpften Kämpfern und irritierenden Widersprüchen in scheinbar idyllischer Natur. Eine souveräne Schau ohne übertriebenen Klimbim, sondern Auge in Auge mit sanfter Verstörung und bezaubernden Wandlungen. Auch toll: Mit der neuen Brille konnte ich noch die verstecktesten Geheimnisse und prominentesten Gäste entdecken.
(Heiko Müller: Glades. Feinkunst Krüger. 6.-27.9.2014.)
>>> Bilder der Eröffnung
>>> Bilder zum Nachschauen
Mittwoch, 2. Juli 2014
Wenn man unvermutet und übersichtslos hineinfällt, fühlt man sich selbst bald wie einem Schützengraben. Labyrinthisch aufgebaute Schauvitrinen, Plakatwände und Leinwände und Monitore zwängen einen in enge, verstellte Wege, während im Kinoraum einen links und rechts Propagandafilme anbellen, Ertüchtigungs- und Durchhalteparolen aufblitzen oder marschierende Truppen auf einen zustapfen. Die Ausstellung "Krieg und Propaganda 14/18" im Hamburger MKG lebt von der Fülle des Materials. Offizielle Plakate, erstaunliche Spielzeuge, aber auch viele Erinnerungstücke aus Privatbesitz versuchen, einen Eindruck von der kriegsbegeisterten Zeit des ersten, modernen Vernichtungskrieges zu vermitteln.
Darunter sind "Scrapbooks", also frühe Tumblr-Blogs, in denen unsere Urgroßeltern Zeitungsauschnitte, Briefe und Fotos klebten. Zeichnungen und Fotos von der Front kamen mit der Feldpost, Soldaten hatten kleine Plattenkameras dabei, entwickelten die Bilder in ihren Unterständen auf vorgedrucktes Postkartenpapier und schickten sie in solchen Mengen nach Hause, daß unmöglich alles durch die Zensur laufen konnte. Schon damals also erstickten staatliche Stellen an der schieren Fülle des Materials.
In Zeiten der Not war "Nachhaltigkeit" ein Gebot avant la lettre, gesammeltes Frauenhaar war kein Fetisch Erinnerungstück, sondern kriegswichtiges Material, Kaninchen noch wirkliche Nutztiere, denen das Fell über die Ohren zu ziehen galt. Ausschnitte aus Kriegstagebüchern beschreiben das Grauen der Gefechte, aber auch die entsetzliche Langeweile in den Gräben oder zeigen in Fotos und Zeichnungen wahlweise idyllische oder zerbombte Landschaften. Bissig dagegen die satirisch-polemischen Propagandablätter, in denen den "Hunnen" von schlangenphallischen Allierten ordentlich in Pulver und Suppe gepißt gespuckt wurde.
("Krieg und Propaganda 14/18". Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Bis 2.11.2014.)
>>> Mehr Infos auch unter Propaganda 1418.
Mittwoch, 12. März 2014
Stein, Schere, Papier: Geschüttelt vom Samstagnachtkunstfieber mal nachschauen, was andere Leute so mit Cutter, Schere, Klebstoff machen. Herr Krüger hat erneut eine illustre Truppe Künstler sozusagen in seine Galerie collagiert - Mario Wagner und Dennis Busch etwa, James Gallagher, Sergei Sviatchenko oder Julia Busch und Katrien de Blauwer, Martin Bronsema. Dazu Lokalmatadoren wie Patrick Farzar und zahlreiche mehr. Da gibt es dann feine Klinge neben brachialem Gerupf, Frontalkörperlichkeit neben Du-mußt-nur-die-Blickrichtung-ändern-Starporträt. Häßliche Männer, schöne Frauen, Konfrontation auf Papier und im Publikum.
Fein getrennt und dann heißt es: Materialzusammenstoß. Im Publikum den Pullenhalter am Kinderwagen, so geht Elternzeit auch nach 18.00 Uhr, wenn irgendwann das Hopfenfläschchen zur Nachtruhe fällig wird. Feinsinnige Überraschungen auch an den Wänden zum Glück, hübsche Stücke, exponierte Stellen, Genitalfrühlingshaftes, Zeitebenenzusammenrückendes (die ach geschätzte Gegenwart ist immer gleich so vergangen) und Gegensatzvereinendes, kurz, ein hübsches Vergnügen - und bevor Menschen in fallende Collagiermesser greifen und sich an Devisengeschäften und folgenden Steuerschuldigkeiten verheben, sollten die das alles kaufen. Der Hausherr schneidet sicher gern die roten Punkte aus und klebt sie als große Galeriecollage an die Wand.
So läuft das hier, und man kann das noch gucken. Bis 29. März.
("Age of Collage". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis 29.3.2014.)
Montag, 3. März 2014
Letzte Woche schon war der Absolventenrundgang in der HfbK, das ist ja immer eine gute Adresse für einen kleinen Ausflug unter junge Leute, schauen, was die von meinen Steuergeldern so treiben, sprich auch brav die Kunstsau rauslassen. Dieses Jahr aber war es eher abstrakt im Großen und Ganzen, viele Film- und Videoarbeiten zudem, für die einen ja leider meist die ganz große Zeit fehlt.
Gut gefallen haben mir die Arbeiten der Fotografin Eibe Maleen Krebs (Webseite), die ihre Doku Vom Hören Sagen (Trailer) über zehn blinde Menschen und ihre Träume und Vorstellungen über Licht und Farbe präsentierte. Dazu ausgelegt Fotografien, die mit Braille-Schrift bedruckt waren. "Eindrucksvolle" Idee, gutes Projekt auch.
Die alte Frage nach der Kunsthaftigkeit des Gezeigten wird auf den Fluren vorsorglich mit einem abgewendeten "Bitte stehenlassen" beantwortet. (aus meinem Essay: "Wenn Kunst mir den Rücken zudreht". In: Nexus Kultur. Hamburg: Dilthey & Nachf., 2014.) Was immer es ist, es will verbleiben, ein dinghaft gewordenes Versprechen, dem wir als Betrachter wie in Platons Höhlengleichnis von hinten nur als Schatten erscheinen. Vielleicht wurde die Kunst aber auch einfach nur beiseite geräumt.
Mit Franziska Opel (Webseite, ruhig mal durchblättern), die eine sehr überzeugende Arbeit zeigte mit kleinem Verkaufsautomaten (1 Karte, 1 Euro), rotierenden Scheiben, Drucken und Videoarbeiten, ein kurzes Gespräch über Bataille angefangen. War aber nur ein Nebenaspekt. Hätte ich eine Galerie, ich würde von ihr eine größere Fläche bespielen lassen.
Viel treppauf, treppab, wenig Malerei aber!, zum Schluß Kaffee und Kuchen, am Nebentisch ein berühmter Ex-Oberstaatsanwalt, Schauspieler und Autor, den ihr alle aus dem Schlingensief- und HGich.T-Umfeld kennt.
So war das.
Freitag, 20. September 2013
Die letzten Tage dann ein wenig mit dem Rad unterwegs gewesen, durchs Naturschutzgebiet, an der Düne vorbei, durch Vorort-Siedlungen wo auffällig viele Galgen in Vorgärten stehen. Daran Schilder von Immobilienmaklern: Zu verkaufen, Haus zu verkaufen, günstig zu verkaufen. Alles muß raus, der Radwanderer, der ungelüftete Mensch, die Vorstadtimmobilie.
Heute ich selbst und das Wetter mehr so unbestimmt, daher kurz ins Museale. Im MKG laufen noch die Bösen Dinge. Eine "Enzyklopädie des schlechten Geschmacks" wird angekündigt und allerlei Gegenstände ausgestellt, die aus unterschiedlichen Gründen als "böse" gelten. Das sind Sachen, die einst als muntere Reiseandenken oder frivole Kellerbargeschenke galten, die in unserer Zeit die Sprach- und Moralpolizei aus den Blogbereitschaftswachen locken. Oder die Ästhetikkripo. Als Kontrapunkt und Belehrung am Ende des Raums eine Installation mit Dingen des "guten Geschmacks", denn es gibt sie ja noch, die guten Dinge, viel Manufactum Wagenfeld und Werkbundästhetik also. Im Grunde so wie bei mir. Meine Wohnung ist ja vollgerümpelt mit bösen Dingen, Kadaverchic und Gestaltungsverbrechen ("Zwinker, Zwinker!") - und räumt man die beiseite, ist alles ein geschmacksbürgerlich mahnender Zeigefinger aus Wagenfeld und Eileen Gray. Pfff.
Auf der anderen Seite derselben Etage läuft zur gleichen Zeit eine Ausstellung mit Fotografien von Steve McCurry. Ich finde die Setzung sehr ironisch. Denn wenn man etwas zynisch ist, hängen hier die "bösen Dinge" von morgen. McCurry, hochdekorierter Fotograf für National Geographic, hat hier eine Vielzahl allesamt eindrucksvoll pittoresker Reisefotos ausgehängt. Wie der aufgeblätterte Wandkalender im Oberstufenratdaheim gibt es bemerkenswert großäugige Afghaninnen, buntgekleidete Inder, noch buntere Elefanten, badende Bartmänner im Ghanges, natürlich das Weltpressejahresfoto mit dem Mädchen aus Dingsbumstan, kurz ein kulturbunter Reigen aus dem fernen Asien und Nordafrika. Alles toll fotografiert, da meckert man nicht, und toll gefärbt, und toll langweilig auch. Nun bin ich zugegebenermaßen auch überhaupt nicht zu begeistern mit "Asien" oder der westlichen Kulturtourismusvorstellung davon, diese Begeisterung für "Indien" und "Tibet" und "China" hat mich nie ergriffen. (Einzig diese Tempelanlagen in Kambodscha und Vietnam finde ich interessant, wo man sehen kann, wie verschlungenes Wurzelwerk durch verschlungene Bauwerke furchen.) Das ist das eine. Dann stört mich aber diese durchgehende Magazin-Ästhetisierung in diesen Knallkontrastfarben, jedes Bild eine gefällige Ansichtskarte. (Für das Bildbearbeitungsprogramm Gimp gibt es einen eigenen Filter "National Geographic", der diesen Kitschstil sehr hübsch nachahmt. Das sagt schon viel.)
Es gibt also viel Ah und auch Oh, denn viele Besucher sind hier und betrachten die rührende, farbenfrohe Armut, (diese umstrahlt laut Rilke ja "ein stiller Glanz von Innen"*) - auch so eine Art Kadaverchic, Negerpüppchen für Besserdenkende. Großes Lob also ans MKG, diese beiden Ausstellunge so erhellend gegeneinandergestellt zu haben. Aber vielleicht sehe das auch nur sich so - und bin schon auf dem Weg in die Möbelsammlung, wo es zuvor ganz tolle Kostüme des expressionistischen Tanzes zu sehen gibt und dann viel von Wagenfeld. Zur Beruhigung der aufgepeitschten Sinne.
Dann noch schnell zum Amt, meine Stimme abgeben. Im Aufzug zum Dritten ein wenig mit einer jungen Frau geplaudert, die es auch zur Urne drängte. Obswasbringt Wasändert und Toitoitoiganzbestimmt. Überlegt, was sie wohl gewählt haben mag. Ich fand sie da schwer einzuschätzen. Auf die jungen Menschen ist schließlich kein Verlaß. Die lokale Krawallzeitung hatte neulich eine Straßenumfrage, da waren dann an und für sich vernünftig ausschauende junge Menschen abgebildet, wo man dachte, ach, vernünftige junge Menschen, mal schauen, was die so wählen. Da gab es eine "Angela" (21), die eine Namensvetterin gut fand. Und ihr Freund, "Jens-Uwe" (23), empfahl sogar die CDU. Eine an und für sich attraktive junge Frau (24) gab als Beruf "Immobilienmaklerin" an und wählte, es ist vorhersehbar wie die Farbgebung eines Bildes bei National Geographic, die FDP. Ich selbst habe mal eine an und für sich attraktive junge Immobilienmaklerin kennengelernt und sagte, Mensch, Immobilienmaklerin in Hamburg, "da hast du ja eine richtige Schlüsselposition inne". So als Witz. Maklerin. Schlüsselposition. Hat sie aber gar nicht verstanden, dabei hätte man schön gemeinsam lachen können. Und Augenzwinkern. Und anstoßen aus kitschigen Gläsern. Die hielt dann aber ein Schild hoch. Ich muß raus.
("Böse Dinge - Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks", bis 27. Oktober 2013. "Steve McCurry - Überwältigt vom Leben". Bis 29. September 2013. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg.)
Montag, 26. August 2013
Am Wochenende feierte das Hamburger Gängeviertel den bereits, Kinder wie die Zeit vergeht!, vierten Geburtstag. Vier grimme Winter also überstanden und zähe und zahllose Runden schwierige Verhandlungen mit Stadt und Behörden bislang unbesiegt überlebt. Neben zahlreichen bekannten und auch guten Menschen, bin ich mittlerweile Mitglied der Gesellsch Genossenschaft und gratuliere daher nicht nur herzlich, sondern kam auch noch vorbei. (Ich würde ja auch Schiffstaufen machen, Glück, Glas und Porzellan zerschlage ich schließlich gut, warum nicht mal Flaschen.)
Jetzt aber hieß es Lieder singen, Kerzen auspusten, in der Sonne sitzen und Ausstellungen anschauen. Hübsch sind die Sachen von Markus Mross, der retrofuturistische Mensch-Maschinen-Visionen als Siebdrucke auf verschiedene Träger bringt. Holz, Papier, so was halt. Das sieht ein bißchen aus als hätte Max Ernst Ideen von Jules Verne umgesetzt, es sind Zukunftsvorstellungen der vorletzten Jahrhundertwende, Frauen mit mechanischen Greifarmen, von Robotern gezogene Badewannenfahrzeuge, Dinge und Konzepte, die man halt im Haushalt braucht und von daher topaktuell. Zur Ausstellung ist ein kleines Buch im Pixie-Format erschienen, und auch für die Bilder gilt: Kunst kann man auch kaufen!
("Martin Mross: Zurück in die Zukunft". Hamburg, Gängeviertel: raumlinksrechts. Bis zum 7. September 2013.)
Sonntag, 14. Juli 2013
Ich bitte meine häufigeren Absenzen zu entschuldigen. Aber wenn ich nicht gerade damit beschäftigt bin, mich mit Duftproben, die ich munter aus Frauenzeitschriften reisse, einzureiben, oder mich wenigstens intellektuell mit Dingen wie klemmenden Küchelsockelleisten und zickenden Großelektrogeräten herumzuschlagen, versuche ich wenigstens ab und an aushäusig zu sein.
Beispielsweise für einen kleinen Akademierundgang durch die HfbK. Mußte ich letztes Jahr noch aus fadenscheinigen Gründen schwänzen, nahm ich dieses Jahr den Kampf gegen Treppen, lange Flure und mindergelüftete Atelierräume wieder auf. Geschickterweise suche ich dabei stets die sonnenseuchigen Hitzetage aus, auf daß rinnt der Schweiß in Strömen, von der Stirne heiß.
Schlagfertige Ausverkaufskünstler preisen ihre Auslage, an den Rändern zagt ein wenig Protestkultur. Wie jedes Jahr am Sonntag bilden die Reste von der Partynacht zuvor ganz eigene skulpturale Werke, Spülsteinkunst, Art prost als Zeichen jugendlicher Lebendigkeit. Geschlechtsteilpoeten hinterlassen ihre Reviermarkierungen, ein einzelner Pimmelmaler hält standhaft die Tradition des Vitalismus aufrecht. Eine Jugend mit Zukunft.
Einen Kontrollraum der besonderen Art war ganz unten im Gebäude verborgen. Ein mit dem Neuland verbundener Kassenbondrucker druckte automatisch alle Tweets, die mit #Angst markiert waren, aus. Gut möglich also, daß ich einige von euren dort gesehen habe, auf einem großen Haufen, archiviert für akribische Geister. Ein Berg voller Angst, eine drückende Last auf leichtem Papier.
Samstag, 15. Juni 2013
So, liebe halbgeschlafene Nacht. Ich schlafe ja nicht mehr körperkorrekt, mehr so als hätte jemand den Schalter ausgeknipst und alles dunkel gemacht. Wache ich auf, fehlt einfach nur Zeit, müde bleibe ich trotzdem, wie der Kopf in Nährlösung in The Brain that could'nt die.
Ebenso unentschlossen bleibt das Wetter. Die Nachrichtenlage: derzeit wunderbar (windig, graublau, irgendwas mit 20 Grad). Nächste Woche Drohkulisse mit 30+, ich werde den Chef fragen müssen, ob ich nicht im Kühlhaus die Zettel an den Zehen neu sortieren kontrollieren darf.
Während gerade Thurston Moore morgenentspannt in den Lautsprechern klimpert (der Typ ist jetzt weitläufig mit dem holländischen Königshaus verbandelt, diese Welt wird immer bizarrer. Kim Gordon hingegen, grad 60 geworden, spricht in der Elle), blätter ich mich durch Restaufnahmen der Kulturbesuche der letzten Wochen.
Herr Krüger präsentiert neuere Arbeiten von Henning Kles mit Use Your Illusion I & II. Teils mit Bitumen in hübsches Grau getauchte Leinwände, ein Material, das schon Dubuffet für die Art brut entdeckte, wißt ihr ja alles. Kles' kontrollierte Variationen der für seine Serien verwendeten Motive, zeigen deformierte Porträts, Männer mit schwangeren Bäuchen und Händen wie Prothesen, so eine Art popsurrealer George Grosz, fern zum Glück von Gothic-Kitsch oder neo-primitiver Klabusterei. Die Jugend immerhin ist begeistert und klärt gern alle über die Bedeutung auf.
Schon vor einiger Zeit in den Deichtorhallen die Retrospektive auf (zu?von?für?) Harry Callahan gesehen, die jüngst um ein paar Tage verlängert wurde. Interessantes Frühwerk, hübsch gehängte Abstraktionen mit korrespondierenden Akt- und Naturstudien, dann die Reihen mit den Doppelbelichtungen, mit denen er bekannt wurde. Spiegelnde Schaufenster, Menschen in die New Yorker Architketur gequetscht. Callahan, ursprünglich Autodidakt, hat relativ früh, also zu einer Zeit, als Fotografie alles andere als "Kunst" war und sich mit der Ansel-Adams-Schule sehr formal gab, mit entfesselter Technik und ungezwängten Begriffen experimentiert. Man muß das nur mal aus der Zeit heraus denken, wir reden ja nicht von einer Instagramwelt. Dann sind auch seine bereits in den 40ern - und damit weit vor Eggleston - entstandenen Abstraktionen auf Farbfilm zu würdigen. Plattencover allesamt, ach nein, las ich ja neulich im Freitag, Cover sind ja so was von überflüssig. Je nun. Deutschland, the land sans liner notes.
Möglicherweise hat die Zartheit, die oft bei Callahan durchscheint, ihm im Alter auch Hindernisse in den Weg gelegt. Die Reisefotos aus den 80ern nämlich fand ich doch ein wenig belanglos. Hausansichten aus Nordafrika, immer einen Tick von zu weit weg fotografiert, einen Tick mutlos, einen Tick ratlos, was mit dem Sujet zu machen sei. Wer gern vom Kopf her denkt, wird das aber trotzdem alles mögen.
Wer lieber gleich zu Hause bleiben und dabei in Ruhe seine Zwölftonmusik hören oder Kalorien zählen will, schaut ins Netz. Eine Schnipselsammlung japanischer Fotografie (oft nicht sicher für die Arbeit), Buchcover, Stadtszenen der 60er- und 70er-Jahre, ein Assoziationsstrom mit dem Tempo von My Bloody Valentine, ein satt riechendes Rosenbegräbnis.
("Henning Kles - Use Your Illusion I & II". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis 29.6.2013.)
("Harry Callahan - Retrospektive". Deichtorhallen, Hamburg. Bis 23.6.2013.)
Freitag, 1. März 2013
Die Erschöpfung wird langsam ein Problem. Manchmal fallen mir schon in der U-Bahn die Augen zu, es wird der Tag kommen, an dem ich plötzlich an der Endstation wachwerde, nichts ahnend, nichts wissend, ohne Schuhe und Portemonnaie. Zur Vorbeugung heute einen freien Tag genossen, ausgeschlafen, in Ruhe ein Frühstück, draußen sogar die Anmutung einer vitaminspendenden Sonne. Gleich mal die mausezarten Zwillinge Lust & Laune in den Reisekoffer der Verdammnis verpackt, aufrecht am Altpapiercontainer vorbeigegockelt und den Radius abgesteckt.
Hinunter zu den Deichtorhallen, im Fotobuchhandlungsgeschäft ein paar Bücher und Zeitschriften gekauft, Selbstbelohnung in konsumunkritischen Zeiten, eine Kamera betrachtet, über deren Erwerb ich mir zwiespältige Gedanken mache, dann aber papierbeladen nach Hause, Beine dann als sei ich 20 Km durch den Schnee gestapft. "Seien Sie geduldig mit sich", meinte Frau Sorge neulich noch beim Gespräch, allein der innere Leistungsgedanke...
Zwischendrin aber die Ausstellung A World Of Wild Doubt im Kunstverein besucht. Eine kleine, aber recht amüsant-bedrückende Schau, mit vergitterten Verliesen und beklemmenden Boxen, foucault'schen Assoziationen zwischen Strafe und Gefängnis und einigen sarkastischen Kunstaperçus über Macht, Geheimnis, Paranoia und Weltpolitik. Lobenswert ein großes illuminatorisches Tarot-Set mit Konzernkonstrukten und Personen von IBM bis Margaret Mead, wie überhaupt das Sammeln und Strukturieren eines der Ordnungs-, Verwirrungs- und Strafeprinzipien der Ausstellung war. Leider vergessen, die Namen der Künstler jeweils richtig zu zuordnen.
Höhepunkt indes ist eine Installation der selten gezeigten, ganz wunderbaren Tessa Farmer. Die Britin bastelt mit kleinen und noch winzigeren Insekten (Heu- und Seepferdchen) völlig entzückende und verstörende Skulpturen, wo Miniaturskelettkrieger auf brummelnden (aber allesamt toten) Hummeln reiten. Bereit zur Welteroberung, wäre da nicht der Atem des staunenden Betrachters, der die am Faden baumelnde buchstäbliche Hängung in Bewegung setzt. Durch eine niedrige Tür, eine tunnelige Kiste führt der Weg zu Farmers Installation, sage man nicht, Kunst hätte nicht auch ergotherapeutischen Nutzen.
>>> Kurze Doku über Tessa Farmer
("A World Of Wild Doubt". Kunstverein, Hamburg. Bis 14. April 2013.)
Dienstag, 4. Dezember 2012
Zum siebten Mal lockte der famose Herr Krüger zur Jahresschau Don't Wake Daddy - und Groß und Klein strömten am Samstag zur Bescherung herbei, im feierlich gelösten Wissen, so lebendig wie jetzt kommen wir wohl alle nicht mehr zusammen. Untergangstage, entspanntes Tänzeln an der Bruchkante, Zeit für ein letztes Zwitschern im Angesicht des seit Jahrtausenden angekündigten Weltuntergangs.
Wie zarte Mirabellen im Vorgarten des großen Weltuntergangs betrachteten junge schöne Damen und versehrte alte Männer Bildnisse der vier Endzeitreiter, schwefelsüße Visionen des Hingerafftseins, Sex ohne Sex und Leben ohne Leben. Ringelbehemdete Jungen, die von schwarzen Bienen erstochen werden, gefiederte Sänger mit trotzig geflöteten -Melodien, drohende Kometen am Himmel und Höllenmaschinen für eine letzte Lotterie: alles Wesentliche dabei, eine erbauliche Strecke mit Werken von 50 Künstlern, ein Kreuzweg der Kunst. Anthony Ausgang, Danielle de Picciotto, Atak, Heiko Müller und die wunderbare Moki sind darunter, Fred Stonehouse, Eric White und Paul Chatem oder Miä Mäkilä, Nathalie Huth. Eine hervorragend besetzter Chor für letzte Gesänge.
Flankiert wird die Ausstellung ab Freitag, dem 7.12., von mehreren Apokalypse-Veranstaltungen im Westwerk. Kunst mit Anja Huwe, Gesa Lange, Martin Nill und anderen, Lesungen und der großen Untergangsparty am 21.12. mit VJ Wasted und Doom und Gloom als Livekonzert. Gebt bis dahin alles, das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen.
"Don't Wake Daddy VII". Hamburg, Feinkunst Krüger bis 21.12.2012.
"Apokalypse How". Hamburg, Westwerk bis 21.12.2012.