Mittwoch, 27. Februar 2008
Während gerade ein Erzeugnis der Firma Lindt & Sprüngli (Geschenk der Kollegin, ich bin entzückt) zart in meinem Mund zerfließt, fallen mir die Bilder von Ariana Page Russell ein. Die Künstlerin hat eine Hypersensibilität der Haut, die Reizungen für eine halbe Stunde extrem deutlich hervortreten läßt. So wird der Körper zu einer Leinwand, die Buchstaben, Wörter und Muster wie Tattoos oder Scarifications leuchten läßt. Zeichen auf zarter Haut, die Spuren der Nacht oder die Narben des Lebens, haben ja oft etwas sehr Anziehendes, Rührendes. Der Abdruck von Schmerz und Erschütterung, Lust und Hingabe oder auch bloß Selbstvergessenheit. Denke ich so, mir noch ein Stück von dieser hervorragenden Schokolade nehmend.
>>> Webseite von Ariana Page Russell

Dienstag, 18. Dezember 2007
Vive Dada!
(Trinkspruch)
"Das Schweigen des Herrn Kid wird überbewertet" (Joseph Beuys), denn in zwei Wochen ist alles überstanden. Bis dahin heißt es arbeiten, schnell noch was einkaufen, ins Bett fallen, arbeiten... Zum Glück erleben andere dafür doppelt so viel, man muß sich halt nehmen, was man haben will. Im Café hermétique aber wird gegeben:
How utterly, utterly... wundersam: Dunkel- und Krawallchansonnier Marilyn Manson besucht das Geburtshaus von DADA in Zürich anläßlich der Eröffnung seiner Ausstellung "Les Fleurs du Mal" dort in der Spiegelgasse. [Video]
So bizarr wie nett, und ein Mann wie er, nun der muß nicht alleine auf Vernissagen gehen, seine Freundin Evan Rachel Wood ("Dreizehn") ist auch dabei.
Die Show stiehlt ihm aber eindeutig Philipp Meier vom Cabaret Voltaire, der (um Minute 4 herum) mit ebenso eindringlicher wie ungezwungener Überzeugungskraft vom "Kreuzgang" des Kultkünstlers und magischer Energieübertragung spricht und das Wesentliche dieses erhabenen Augenblicks benennt. Haha, Dada.
(Marilyn Manson, "Les Fleurs du Mal". Bis 6.1.2008 im Cabaret Voltaire, Zürich.)
>>> Weitere Informationen

Freitag, 23. November 2007
Und helle Mädchen blicken hübsch brutal.
(Alfred Lichtenstein, "Das Vorstadtcabaret". 1912.)
Ich möchte aufmerksam machen. Erst eckte ich mit meiner Anfrage ein wenig bei ihr an, dann aber wurde doch alles gut, und die fantastische Kristamas Klousch ließ mich gewähren (Danke dafür!). Ihre Fotos sind nostalgisch, experimentell, geheimnisvoll, morbide, oft sehr erotisch und immer von einer gewissen Traurigkeit durchwoben. Streckenweise wirken die Bilder, als sei der Geist von E. J. Bellocq in sie gefahren. Unter einem ihrer Bilder schreibt sie: "I suffer from the virgo desease, and i'm not even virgo. nothing i did was pure enough. i wasn't sure whether i wanted disciples or partisans, lovers or friends. a new dress or fairer head" - Ich aber mag es, daß diese Bilder nicht alle völlig perfekt sind. So wie bei Menschen auch. Dunkle Zimmer, in denen man kein Licht machen möchte.
Kristamas Klousch lebt in Montreal. Mont Real, so glaube ich, ist nur das Codewort für ein endloses Bergwerk, ein Wegegewirr der Selbst-Exploration. Schauen, nachschauen und noch ein bißchen mehr. Die Zeit festhalten, wenigstens ein bißchen, und am Ende sich selber.
>>> Kristamas Klouschs Fotos bei Flickr

Mittwoch, 14. November 2007
"Some people recognize junk that they used to have. Women, mostly," Vince tells us. "A few people get overwhelmed and have to leave. Sometimes people get weird. Some people cry. Women again. They just get overcome or something, I dunno."
Die Cathedral of Junk in Texas arbeitet, das ist glasklar, mit der bewährten Psycho-Technik der Überwältigung. Neigungsgruppe Wahn & Glück: Ein höheres Schrottwesen kündet von der Erhabenheit des alltäglichen Plunders. Wie sagte Patti Smith? The transformation of waste is perhaps the oldest preoccupation of man. ("25th Floor")
Ich bin überwältigt zudem, also ein bißchen, wenn ich die Fotos sehe vom Museum of Ephemera. Man muß nämlich sein Auge richten auf das Nebensächliche, das Flüchtige. Man muß den Abfall in Blattgold einwickeln. Man muß Bedeutung neu machen. Tag für Tag.
Links via Angeliska

Freitag, 26. Oktober 2007
with thousands of corroded memories.
(Marta Sklodowska)
Es ist kalt auf den Hügeln, schwarzer Stoff flattert im Wind. Das Klirren der Gläser, im Flur wird leise gelacht. Komm, sage ich, komm. Und sage kein Wort. Das nämlich sind die stummen Tage; ich schaue, atme, lausche und fühle die Blätter, die auf meine Schulter fallen. Am leeren Tisch sitzen mit mir: Melancholia, die gute. Prudentia, die freundliche und Judas Thaddäus, der Schutzherr mit Keule und Buch. Gemeinsam betrachten wir die zu Herbst geronnene Webseite von Marta Sklodowska, ein Schmuck aus Herz und Nebel. Die Fotografien, so muß ich einschränken, sind jetzt nicht alle der Überknaller, da zeigt sich doch - oder besser noch, die Autorin ist jung - eine gewisse technische Beschränktheit. Dennoch: eine selbsterforschende Reise, man stelle es sich als Tagebuch vor. Wunderbar.
Ganz ähnlich, aber völlig anders sind die Arbeiten von Asli Kolcu, die in Istanbul lebt. Ihre Seite (wahlweise auch hier auf Deviant Art) ist wie die Idee eines herbstlichen Picknicks, Äpfel mit angeschlagenen Stellen, Flecken und Dellen, die Farben des Sommers noch all überall. Vielleicht. Habe ich mich verständlich ausgedrückt? Ich hoffe nicht.
Ein letztes noch. Bill Frisell? Nein, es ist Tom Verlaine! Der Altmeister hat sich, denn alt ist immer wieder neu, Avantgarde-Filme der klassischen Moderne (Man Ray! Ich sage nur Man Ray! Aber auch Fernand Léger, Hans Richter, ihr wißt Bescheid) vorgenommen und neu vertont. Ein Beispiel gibt es auf der bei vielen bekannten amerikanischen Seite Youtube. Und eins noch, völlig ohne jeden Zusammenhang: Juliette Lewis, wenn du hier mitliest. Hör bitte auf, ewig nur diese White-Trash-Püppchen zu spielen. Du kannst soviel mehr. Ich jedenfalls glaube an dich!
Was heißt das alles? Macht Sachen, heißt das. Atmet.

Donnerstag, 25. Oktober 2007
Und nun, fragen sich sicher einige, welche Ehrenzeichen darf eine Frau denn tragen, ohne in die neuerdings verdächtige Nähe einer Apfelkuchenbäckerin gerückt zu werden?
Früher gab es Orden fürs Schießen ebenso wie fürs Werfen, aber die Leistung der
(post-)modernen Frau, so die umstrittene These, wird einfach nicht gepriesen. Schluß mit dem Lametta-Lamento:
Die amerikanische Künstlerin Mary Yaeger hat vor zehn Jahren bereits eine wunderbare Reihe begonnen, dieser Würdigungslosigkeit ein Ende zu bereiten. Ihre Kollektion von gestickten Aufnähern sind Tapferkeitsmedaillen, die für verschiedenste weibliche Leistungen und Verdienste zu verleihen sind: Das erste Achselhaar oder die erste Beinrasur werden dort ebenso gefeiert wie der erste Schwangerschaftstest, die ersten Krämpfe, gynäkologische- und andere Vorsorgeuntersuchungen. Bei manchen bleibt einem das Lachen allerdings im Halse stecken - aber genau so ist es wohl gemeint. Ob am Mantel oder auf der Umhängetasche, diese Abzeichen stehen auch ohne Staatswappen und Ministerunterschrift jeder tapferen Frau, äh, das ist redundant, also jeder Frau wunderbar zu Gesicht.
>>> Mary Yaegers Stickblog
>>>Ähnlich toll: Sublime Stitching

Montag, 17. September 2007
Der Wetterbericht. Drinnen wie draußen: Regen. Nächste Woche wieder raus in die Galeere, ran an die Ruder, eine letzte kleine Moritat zur singenden Säge im Ohr. Meine Sprachkenntnisse reichen nicht aus, mehr als die Botschaft zu verstehen, nach der es wie immer nur um eins geht: Freiheit oder Tod.
Die italienische Künstlerin Erica Il Cane strichelt derweil morbide kleine Häschen, Äffchen, Elefanten und nur scheinbar harmloses Nutztier. In ihrer wunderbaren Videoabteilung gibt es den kurzen Animationsfilm Il Galeone zu sehen. Ganz wunderbar, wenn man auf dem Rücken im nassen Laub liegen muß. Vielleicht will man den Text auch lieber gar nicht so genau wissen.

Freitag, 10. August 2007
[Ach. Dreck.]
Zeit für Rehab die nächste Häutung. Stetig ist der Wandel. Es gibt schließlich, und das ist die gute Nachricht, so viele Stile zu erkunden.

Mittwoch, 1. August 2007
Nichts für ganz Zartbesaitete, und ein bißchen Zeit braucht es auch: Aber die wunderbare, eindringliche, bewegende und preisgekrönte Dokumentarfotografie der New Yorkerin Jessica Dimmock ist wirklich sehenswert. Die Arbeit über Heroinsüchtige wurde mehrfach preisgekrönt und packt durch Direktheit, Nähe und eine ganz feinfühlige Ästhetik.
>>> The Ninth Floor von Jessica Dimmock. Die anderen Galerien sind ebenfalls unbedingt anzuschauen.

Sonntag, 29. Juli 2007
Zugegeben: Wenn man hinterm Mond lebt, ist man zwar den Sternen nah, bekommt andererseits aber nichts mehr mit. Auf Etsy wurde ich erst durch Miss Wurzeltod aufmerksam, dabei gibt es das schon über ein Jahr. Ein kleines virtuelles Kaufhaus für jede Menge Kunst & Krempel und noch viel mehr sehr, sehr netter Sachen. "All things handmade" lautet das Motto unter dem Künstler, Handwerker und Designer aus aller Welt meist in Kleinserien, oft auch als Einzelstück gefertigte Sachen und Sächelchen anbieten.
Man kann sich Verkäufer in bestimmten Regionen suchen (in Hamburg z.B. gibt es ein paar) oder Dinge nach bestimmten Themen oder sogar Farben vorwählen ("Hm, gegen meine grüne Wand fehlt ein roter Tupfer..."). Ein Kunstflohmarkt für Regentage.
