Dienstag, 24. Juli 2007
The people leave, the reasons fade, the events pass and the emotion dwindles away but still I have something to remind me.
(Lauren E. Simonutti)
Nachdem ich die Tage etwas zu Steven Meisels kontroverser Modestrecke "Super Mods Enter Rehab" schrieb, ist es vielleicht eine gute Idee, nach Roger Ballen noch einmal das Licht aus der entgegengesetzten Richtung scheinen zu lassen. Länger schon wollte ich auf das beeindruckende (und drückende) Werk von Lauren E. Simonutti hinweisen: düstere Visionen und staubig-nostalgisch anmutende, melancholische Welten, teilweise an den surrealistischen Setzbaukasten, teilweise an den Stil von Joel Peter Witkin erinnernd, um jetzt mal zwei ganz grobe Pflöcke abzustecken. Francesca Woodman darf in diesem Zusammenhang nicht fehlen. Die Bilder, versponnen, erschreckend, poetisch und ungeheuer anrührend, stammen nicht aus dem Computer, sondern allesamt aus der Dunkelkammer. Kontaktprints von Großformataufnahmen, mit verschiedenen Tonern nachbearbeitet - ein händischer Prozeß, und jeder Print ein Unikat.
Wie dunkel diese Kammer sein muß, macht aber erst der Text klar, den Simonutti für ihre Galerie bei Lens Culture verfaßt hat.
I am aware enough to know the things I see and hear are not real, but that does not mean I do not still see them.
Ob einem die biografischen Zusatzinformationen bewußt sind oder nicht, die Fotos sind auch so faszinierend genug. Simonutti hat zwei Bildbände als Print-on-Demand herausgebracht. The Madness Is The Method hätte ich gerne gekauft, leider kann man in den USA nur per Kreditkarte bestellen, und da bin ich ein wenig... paranoid.

Montag, 16. Juli 2007
Ist auch schon über zehn Jahre her, als die Modefotografie, angeregt womöglich durch die Bildwelten einer Nan Goldin oder eines Wolfgang Tillmans, mit dem Heroin chic eine Welle lostrat, die eifrig aus dem häßlichen Fundus einer reichhaltigen Gossenmetaphorik sich bediente, während die Protagonisten zumindestens noch vorgaben, Evian als einziges Stimulans an ihren Körper zu lassen. Kokett also, Fake, und immer schon zweifelhaft, was das "Ausbeuten" von oben und das "Nachahmen" von unten anging, aber das ist halt das Los jeder noch so schäbigen Subkultur. Blogger werden das auch noch erleben. Demnächst dann auf den Catwalks von Mailand und Paris.
Zehn Jahre später, Kate Moss ist immer noch dabei, inszeniert die Mode endgültig ihre eigene Welt, statt mit grobem Rechen die Straßen nach dem shocking moment abzugrasen. Die Spirale hat sich weiter gedreht, nun sind es die Eskapaden der Models, die der Inszenierung die Themen vorgeben, selbstreferentiell, meta-metaphorisch kurz vor dem Umkippen aus der selbstverschuldeten Langeweile wie es den meisten abgekaspelten Welten droht. Blogger werden das auch noch erleben.
Erstmals ist der Zusammenbruch schick, die Klinik noch schicker, und das gefallene Sternchen soll als neuer, besserer Mensch wiedergeboren werden. Die Medien ersetzen den Beichtstuhl und die Anstalt das Purgatorium oder zehn Ave Marias, je nachdem. Der Mainstream-Erfolg einer Amy Winehouse mit "Rehab" ist nur der bescheidene Soundtrack, und Mode wäre nicht der unbekümmerte Spiegel, würde sie den selbstgeschaffenen Trend nicht gleich wieder um- und zurückdeuten. Steven Meisel, Hausfotograf der Vogue, dessen Werk in meinen Augen zwischen haarscharf genial und Krach-vor-die-Wand oszilliert, hat für die italienische Vogue eine Strecke abgeliefert, die alles zugleich ist: zitatreiches Spiel, lustige Parodie und zeichenreiche Referenz. Der Rehab-Chic ist gleichzeitig oberflächlich und dumm, im Grunde ein zynisch bis bissiger Kommentar zu den off stage-Fotos von Britney, Paris, Kate & Co., die sich allen in den letzten Monaten ins Hirn gebrannt haben. Das Spiel mit dem Spiel der Selbst-Inszenierung, der höschenlose Ausflug hinter Glas und Gitter als folgenlose Fummelparade und weiterer Ausverkauf. Blogger werden das auch noch erleben.
Die Fotos sind ein starkes Stück, das vorerst letzte Aufbäumen postmoderner Zwinker-Ironie. Morbide sexy allemal. Und gelacht habe ich schon.
via Foto Decadent

Freitag, 22. Juni 2007
Was für wundervolles Geschirr, das Laura Zindel da macht. Gibt es wahrscheinlich wieder nicht im Haushaltswarengeschäft, ich als Kunde bin ja nirgendwo König. (Heute wollte ich Kaffee aus dem Betriebskaffeeautomaten kaufen und was war? Nur noch Uli-Stein- und Weihnachtsmotiv-Henkelbecher im Schrank. Behältnisse, in denen jedes Getränk zu Essig wird. Aber so fängt es an. Merkt euch meine Worte.)
Obwohl, die braunen Ränder gehen natürlich gar nicht. (Die blauen auch nicht.) Es ist eben nichts perfekt. Einigen wir uns also auf: wundervolle Motive.
Dazu passend vielleicht die schnieke Ameisentapete von GAMplusFRATESI. Belebt die Wände und camouflagiert geschickt womöglich lebendige Mitbewohner.

Träumerische Zeiten, in denen nur die Hoffnung auf eine goldene Zukunft höher toupiert war als Haare. Eine Zeit aber auch, in der junge Damen noch nicht Netzwerke administrierten, sondern auf eine Weise Geld verdienen mußten, indem sie ihre körperlichen Attribute den lüsternen Blicken möglicherweise älterer Männer aussetzten. Ich rede vom anzüglichen Ausziehtanz! Nun hat eine Dame einen Fundus von knapp 400 Polaroids erworben, auf denen Ende der 60er Jahre Bewerberinnen für derlei Animierjobs in Südkalifornien posierten. Dankenswerterweise hat die Sammlerin ihren Schatz einer sehr bekannten Bilderbetrachtungsplattform anvertraut, so daß auch heute noch interessierte Augen sich der Schaulust hingeben können - einer rein dokumentarisch interessierten freilich.
Die Strip Polaroids sind relativ sicher für die Arbeit und sollten sogar in der deutschsprachigen Sektion der Fotosammelstelle zu sehen sein. Denn, und nun kommt der traurige Teil, die witzigsten und offenherzigeren Fotos wurden nach allzu geifernden Reaktionen von der Besitzerin selbst wieder gelöscht. Bevor jetzt jemand "Zensur" schreit. Respekt, also: Das sind faszinierende Dokumente einer Zeit, <TV-Doku-Voice-over>deren Hoffnungen und Träume nur Flitter waren wie die Pailletten eines engen Kleides - und bald in sich zusammenfallen sollten wie Bienenkorbfrisuren im Regen.</TV-Doku-Voice-over> Denn wie jeder Blogger weiß: Hinter glitzernden Kulissen wird auch viel geweint.

Samstag, 16. Juni 2007
Endlich wieder graue Farbe am Himmel, endlich ein Wochenende mit Regen und Kälte - und dann stellt man fest: Leider ist kein verdammt guter Kuchen im Haus! Man möchte so trüb werden wie das Wetter, mit aschfahlem Gesicht zum Bäcker wanken. Dort womöglich auf Angebotslücken stoßen und kurz überlegen, diesen Umstand zum Skandalon zu erheben.
Da hilft nur skandinavische Strenge und das visuelle Gerüst einer klaren Linie. Die Helsinki-School sorgt seit ein paar Jahren für kühlgrauen Charme in der Fotoszene. Ich mag diese runtergebrochenen, abgeschminkten Alltagsheldenporträts, die stummen Stadt- und Landschaftsbewanderungen zwischen Tristesse und Cool Shabby Chic. Existenziell wie der Kampf ums letzte Tortenstück.
Fotofinlandia 2006 stellt einige aktuelle Vertreter vor, darunter Anni Leppälä und Ville Lenkkeri. Spannend auch Eva Persson, ene Schwedin, die in Helsinki lebt und arbeitet. Unter "Projects" findet man drei ihrer bekannteren Serien.

Montag, 28. Mai 2007
Damals™, in Zeiten als every man had his own pub and women cooked daily*, beherrschten unsere Großmütter eine Kulturtechnik, neben der Bloggen leider bloß wie eine blaßkarierte Kompensationshandlung wirkt: das so einladende wie symbolbehaftete Rühren in der Schüssel wurde einst in Schulen eingeübt, die den feschen jungen Backfisch reif für etwas machen sollte, was man den guten Link die gute Verbindung nannte.
Wäre ich mein eigener Großvater, hätte ich die zweite von links (nicht von rechts, ihr Schlaumeier) gewählt. Oder die ganz links, die - wie Linksaußen nunmal sind - ausschaut, als hätte sie es faustdick hinter den Ohren. Wie hättet ihr gewählt?
Klick fürs große Bild. (Frauen möchten vielleicht lieber hier klicken, denn 1918 standen auch Männer der Küche nicht fern.)
via Shorpy
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* Malcolm Bennett, Aidan Hughes. Brute! Classified Pulp Nasties. London, 1987.

Donnerstag, 17. Mai 2007

In sanitären Reinräumen von feindlich gesonnenem Ektoplasma attackiert, versuche ich, eine gefaßte Miene zu bewahren, während sich mein Hirn in Schmerzen windet.
(Elektronische Installation nach einer Performance in der Berlinischen Galerie, 2007. Privatbesitz.)[*]
Aus der Reihe: Blogger machen Kunst.

Dienstag, 15. Mai 2007
wachte ein Traum, ein Rest von Liebe in ihm auf, wie eine Fackel,
die hinein in seine Nacht leuchtete. (Georg Heym, "Die Sektion". 1913.)
Weiter geht's mit der Schneiderkunst: Die Schwedin Mia Mäkilä lebt und arbeitet in Norrköping und macht widdewitt eine Welt, wie sie mir gefällt. Nicht exakt das, was man fröhlich nennen würde, aber bunt, nun, bunt ist sie schon. Finstere Collagen und makabre Übermalungen beweisen, so eine Postkarten- und Glanzbildsammelzeit ist nicht vergebens.
Albträume und andere unheilvolle Nachtbegleiter als Mitternachtskunst, Bilder, die keine Sonne brauchen. Ich möchte sofort jedes einzelne davon. Denn wie jeder weiß: Wenn du den Schrecken nicht besiegen kannst, dann häng den Schrecken einfach an die Wand.
>>> Zur wunderschönen Webseite von Mia Mäkilä

Sonntag, 13. Mai 2007
Das wird jetzt nicht jedermann gefallen. Wer gerade von Gottesdienst und 24h-Tankstelle zurückgekehrt ist, ein paar knittrige Blümchen im Arm, sollte vielleicht kurz innehalten. War Mutter wirklich immer freundlich?
Ein Trost, immerhin, für Lesefreunde. Es ist eine grimme Welt dort oben im Norden, wie es im Lied heißt. Besser, wir gewöhnen uns dran.
Paßt auf euch au
>>> A Softer World

Freitag, 4. Mai 2007
Bekanntlich verliert mancher Schrecken seinen, öh, Schrecken, geht man einfach nur dicht genug heran. Mediziner kennen das, wenn die Wunde sich in Abstraktion verliert, Fotografen auch. B.A. Boisaya beherzigt diese alte Regel und rückt mit einer (kleinen) Großformatkamera den Kleinlebewesen auf den haarigen Pelz. Auf seiner Seite Angels und Insects kann man berückende Lith-Prints sehen - Aufnahmen von allerlei Faltern und Kerbgetier, die vielleicht nicht immer aussehen wie Engel. Aber dennoch eine ganz eigene Schönheit haben. Ach ja, und sie sind alle tot.
