Donnerstag, 16. Oktober 2008


Das Leben der Bohème

Der ganze Kreis anarchistischer Künstler
trifft sich dort, und ich bin verurteilt,
zu ertragen, was ich nie hatte sehen und
hören wollen: lockere Sitten, zweifelhafte
Moral und bewußte Gottlosigkeit.

(August Strindberg. Aus meinem Leben.)



In den ersten grauen Stunden des langsam sich einschleichenden Herbstes, die kalte Ironie noch kälterer Nächte zieht ihr feines Messer blank, findet Trost sich unter bierfeuchten Manschetten, den Rettungsankern aus Nähe und Abendtrunk, Hebesport und Demut. Schafwandeln in einem wie durchsichtig grünen Licht, die Finger über blasse Haut fahrend, Blaumilchkanäle auf dem Weg zum Herzen. Warum nicht Regennasses atmen, in brüchigem Mobiliar sitzen, den Beobachter des Absurden neben sich, man lauscht einem sogenannten Liedermacher. Tapfer kämpft er an - seine Gitarre, kein Meer, nur er - gegen das Fiepen und extraterrestrische Pfeifen des Flipperautomaten. Dazwischen schleudern Metaphern wie ein vergessener Schraubenzieher in der Waschmaschine. Die Einsamkeit des Langstreckensängers.



Die Lehne bricht mir immer wieder weg, von ferne ein noch ferneres Stimmchen. Wie man damals, danach dann, sich die Trauer noch hat absprechen lassen, damit auch dieses nicht mehr bleibt. Damit alles eine Party bleibt. In der Bahn dann aufgeweichte Jugend, zusammengekauert wie regennasse Katzen, die feuchten Haare um blitzendes Gesichtsmetall gewickelt. Heim geht es in unseren Stadtteil aus Polyester und Acryl. Der Rest ist brennbar. So heißt es schon im Lied.


 


Freitag, 29. August 2008


Projektor # 1 und # 2



Rausschwimmen. Durch den Verkehr atmen. Scharfglänzende Bilder an glattgeleckter Oberfläche, Landschaftsfolie im scheintoten Raum. Ratternde Züge wie von ungelenker Hand abgeschossene Silberpfeile. Ich sage, komm laß uns aufbrechen, immer dem Licht nach, dem Rausch der Bewegung. Du hast schöne Beine und ich, ich habe ein Ziel.

Schatten saufen. Und als ich in meiner Küche stehe, Scampi in die Pfanne werfe, zum knoblauchgetränkten Zischen ein Lied summe, am Rande von Übermut torkelnd, denke ich daran, wie die sehr schöne Frau™ einst tütenweise von dieser ganz großen Sorte mit nach Hause brachte, Beifang eines dieser Food-Jobs. Und wie wir kleinen Kindern gleich hineinschauten in den knisternden Schlund der Packung, staunend auf die rosafarbene Pracht, und wie aus einem Mund sagten: Rieeeesig! Und lachten. Denn das war der Grund, warum wir nach Hamburg gingen. In großen Städten sei eben alles etwas größer, behaupteten wir. Die Sehnsucht zum Beispiel, die Versprechen aber auch.

Bilder in Licht gießen. Und dann neulich bei Sugimoto. Stumme Betrachtung zwischen Grauen und Entzücken, Trümmerland und Ach Du, Hauch von Verstehen. Ganz sanft durch die Säle gleiten. Mit meiner Begleitung über Blitze sinnieren, die Lightning Fields und fragiles, transluzierendes Unterwassergetier. Diese wunderbare Idee, die Zeit einzufrieren, einen Film zu bannen in ein einziges Bild, geronnene Bewegung, ein Abdruck aus Licht. Wie ein ganzes Leben, diese zerbrechliche Membran. Unendlich klein und dicht.

Und einfach unglaublich hell.


 


Sonntag, 17. August 2008


Voller Mond voraus, Käpt'n!

You try and live
And God says no.

(Monster Magnet, "God Says No". 2000.)



Mit so viel Feinden finden wir, o Herr, uns überall umgeben. Der eine reizt und schmeichelt hier, dort droht ein andrer unserm Leben... [Lied Nr. 367, ev.-luth. Gesangbuch] Der Ausguck meldet tückische See, ich greife beherzt nach der Flasche mit Kamillentee. Der Smutje, dieser falsche Hund, hat aus Gründen, die nicht mal seine Mutter wüßte, einen Totenkopf daraufgemalt. Die letzten Einträge ins Logbuch sind kaum mehr als krummfüßige Spuren wie Fliegendreck und so wanke ich hinüber in die Messe, spiele ein letztes Mal am verstimmten Harmonium. Nun danket alle Gott, der Rost nagt an der Mannschaft, gute Jungs allesamt. Bis auf den Ersten, auch so ein säureverseuchter Hund.

Das verrottete Auge dort hinter den Wolken... Wie mit grimmigen Unverstand Wellen sich bewegen! Nirgends Rettung, nirgends Land vor des Sturmwinds Schlägen! [Lied Nr. 569] Aus der Kombüse dringt der Klang messerscharfer Shanties, mir ist's als sei's der letzte Herbst.

Der banale Wunsch, der offenbar so unanständig war. Die Wellen, der Lärm des Publikums, wie der Steuermann am Runder riß, riffraff, das Spleißen von Holz und Bersten der Nieten, das wochenlange Treiben am Grund der Bilge, der trotzige Gedanke. Der letzte Eintrag kaum leserlich. Am Ende stille Erkenntnis. For No One. Am Ende eines harten Tages. Am Ende.


 


Dienstag, 27. Mai 2008


Beim Fluß



Nein wirklich, es muß nicht immer das Spektakel sein. Grauer ist es, kühler Wind, wie eine Hand, die sich von hinten unter das Hemd schiebt. Sachte, tastend, nicht unfreundlich. Aus dem Stadtteil der Arbeitertristesse in den Stadtteil, in dem die Kinder aussehen wie auf einer Schokoladenverpackung. Sie haben viel Milch im Gesicht und ein wenig dieser bronzenen Tönung der Insel-Wochenenden. Oder endlosen Stunden im Optimist. Stille liegt über dem Wasser. Wir hören kein Geschrei.



Die Kleinen ziehen die Großen, das scheinbar so Unscheinbare treibt mich voran. Das langsame, quälende, schmerzhafte Lösen, irgendwo zerrt ein schmutziges Tau über den Grund. Schrappt ein Anker, eine rostige Kette, muß man weiter, stetig gezogen, unverdrossene Schlepper - und ein Wollen, kein Zagen, die Neugier am Bug, eine ganz schmale Nase in einem frischeren Wind. Ich will nichts hören, nichts sehen, nichts wissen. Vor allem nichts wissen. Nur atmen, die Luft spüren, die Ruhe weit fort vom Gekreisch.


 


Montag, 14. April 2008


Und die ersten Boote fahren

Es ist schon eine Frage der Kondition. Nach der langen Zeit des ruhigen Wochenendschlendrians ist die Auseinandersetzung mit dem Thema No Sleep Til Bedtime dieses Jahr ein interessantes Experiment. Immerhin lockt tagsüber bereits wieder mein Lieblingsflohmarkt. Sonne verscheucht das kühle Grau, Metall und Wasser glitzern silbrig im Gegenlicht, nur zu Kaufen gibt es nichts. Aber ich merke, wie sich der Blick für Neues öffnet. So viele Schätze gibt es im Leben zu entdecken, und gespannt bin ich aufs Eldorado. Beim Outdoor-Experten ums Eck nehme ich erneut die Boote in Augenschein. Einer, Zweier? Nachdem die Leichtmatrosen unlängst meuterten, setze ich heuer auf zweite Offiziere mit Patent. Efraimstochter Langstrumpf, und statt Wind lieber Herzblut als Antrieb. Skeptischen Blicken ausgesetzt, versuche ich die Vor- und Nachteile der verschiedenen Typen zu erläutern, so weit es meine oberflächlich angelesenen Kenntnisse der Materie erlauben. Vielleicht bin ich also doch Kapitän Nemo, unverstanden, aber ein Mann wie gemacht, unter Wasser durchs Leben zu reisen.

Sanftes Sinnieren in Szenecafés. Die Frage lautet: Zu wenig Schlaf oder zu wenig Kaffee? Schön immerhin, wie sich die Wochenenden dehnen, mitunter über unruhige See, sicher, aber mit Plänen, Ideen und Projekten. Bislang stimmt alles, und es kann gerne so weitergehen. Nur an der Kondition muß ich noch arbeiten.


 


Donnerstag, 8. März 2007


Bruder Jakob

Nachts greifen mich die rostigen Arme. Nachts höre ich das Glucksen der Regenrohre, das Husten der Männer im Treppenhaus. Sie kommen von der Schicht, kleine Männer mit roten Augen und zerbeulten Hüten, die aschgraue Schatten über ihre Gesichter werfen.

Ich gehe nicht raus, ich verweile in meinem Schlummer. Ich höre nicht die Glocken. Ding Dang Dong. Die alten Türen öffnen sich schwerer mit der Zeit. Draußen summen die hutzeligen Männer ihr Lied. Nein, man kann nicht zwei Melodien gleichzeitig pfeifen. Schreibt das bitte auf.

Morgens schleiche ich mich zum harten Brot. Das Augenpaar im Kühlschrank folgt argwöhnisch jeder meiner Bewegung. Licht an, Licht aus - da drin wird nicht geschlafen. Manchmal, wenn all das Eis aus dem ***-Fach nicht reicht, meine Schläfen zu beruhigen, denke ich, gut, es ist wohl an der Zeit.

Sich als junger Mann verkleiden, runter, raus, tänzelnd aus dem Treppenhaus. Den Schlurfern ins Gesicht geschrien, den Trödlern einen Tritt. Das Leben im Mobilgerät, Hab und Gut verschenkt. Dann einfach eine Klingel gedrückt, Guten Tag, ich zieh jetzt ein.

Oder immer weiter.


 


Freitag, 29. September 2006


Der Tag explodiert in meinem Hinterzimmer

Ich werde diese Nacht nicht erzählen,
in der meine Träume sich letzten Endes
nicht sehr von denen einer anderen Nacht
unterscheiden. Meine Hände werden besser
als die Dunkelheit mein Gesicht verbergen.

(Louis Aragon, "Das Wort fürs
Gegenteil". Wahr-Lügen. 1980.)

Die Nacht wie bittere Schokolade. Herbes Knuspern synchron zum Herzschlag. Der Herzschlag, ich fühle den Herzschlag. Der Morgen versteckt im zerschlafenen Kopfkissen. Die Daunen zusammengeklebt von Blut oder Schweiß oder Tränen; das Ruhebett ein klumpiger Sack, in dem niemand mehr träumt.
Die Seele indes ein schrumpelnder Ballon, der Zentimeter über der kratzigen Pferdedecke schwebt. Verknotetes Haar, ein Spuckefaden hat sich in der Nacht gelöst, kriecht entlang am Eisengestell, tropft auf die glasigen Schnecken, die dort unten ihr Lager haben.

Nennung des zerfließenden Weltschmerz

Sanfte Stille. Im Staub nur das Ticken einer klagenden Uhr. Was haben sie nur mit dem Lied getan? Ich krieche hinaus, ein Buch zwischen den Zähnen, eine getrocknete Blume fällt heraus. Ich will eine Dusche, ich will etwas trinken und sei es nur gestriger Alkohol. Die lähmende Stille, der trockene Schweiß auf den Körpern, wie kann ich da noch Briefe schreiben, sag? Hinter dem Vorhang liegt ein Tag. Grau wie gewöhnlich, schleicht er sich herein. Legt grußlos Mantel und Hut vorn in die Diele, streicht sich durchs schüttere Haar, hält dabei die kunstlederne Tasche unter den Arm gepreßt. Wirft mir einen verächtlichen Blick zu und verschwindet, schleicht sich zur nächsten Tür. Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich höre meinen pfeifenden Atem, dann nichts mehr. Dann nur noch dieses schreckliche Geräusch aus dem Hinterzimmer.