Donnerstag, 28. November 2019
Heute eine kleine Expeditionsfahrt, ganz modern und erstmals mit Handyticket, die Zugbegleiter kennen das zum Gück und halten einfach wortlos ihre Leselasergeräte dran. Wortlos dann auch durch den Regen, der das platte Land hier tränkt. Ich spare mir das Reden für meinen kleinen Vortrag auf, den ich später halten werde.
Eingenässt, aber weihnachtlich geschmückt, zeigt sich die Stadt ganz charmant, Menschen geben freundlich Auskunft, setzen das Wetter nachsichtig in Bezug zu Trockenheit und Klima, ein Taxifahrer erklärt mir die weiteren Orientierungspunkte. Der auf dem Rückweg fährt allerdings einen Bogen.
Nach Jahren mal wieder diese Atmosphäre eifriger Betriebsamkeit jenseits von Verwertungszwang und Nützlichkeitsanalysen einatmen. Experimentierlabore, guter Kaffee, gute Leute - als ich gerade warmlaufe, ist die Zeit schon wieder rum. Der Horizont ist hier ein gutes Stück weiter und darum auch Beweglichkeit gefragt.
Nicht verwandt, nicht verschwägert: Woanders soll es auch guten Kaffee geben. Ich werde das in den nächsten Tagen überprüfen, die Koinzidenz hat mich aber doch überrascht. Der Betreiber schmunzelt selbst erstaunt und wird wohl nicht Bloggen, solange ich kein echtes Café eröffne. It's a deal. Dieser zumindest.
Mittwoch, 27. Februar 2019
Trotz antiquarischem Muffgeruch (schon vieles probiert) lese ich gerade ein wenig in Sidney Petersons Roman A Fly in the Pigment. Peterson ist einer der frühen Vertreter des US-amerikanischen Avantgarde- und Experimentalfilms. The Cage von 1947 ist einer seiner bekanntesten, mit Einflüssen von Buñuel, Man Ray und Maya Deren. Interessanter Typ, sein satirischer Roman geht um eine Fliege, die plötzlich aus einem Renaissancegemälde im Museum verschwunden ist und deren Sichtweise wir bald erfahren. Vielleicht nicht übermäßig elegant geklöppelt, amüsant sicherlich. Ich bin aber auch noch nicht sehr weit gekommen. Es riecht wirklich modrig.
Am 25. Februar hat Dana Scully Geburtstag, Special Agent beim FBI für mysteriöse und ungeklärte paranormale Fälle. Ausgerechnet an diesem Tag starb nun ihre deutsche Synchronstimme Franziska Pigulla mit nur 54 Jahren. Jetzt sind die 90er-Jahre aber wirklich vorbei.
Auch bestimmt "sooo Neunziger", wie es von Superschlauen ja gern herablassend betont wird, ist ja Twin Peaks. Die dritte Staffel war ein großes Fest mit einigen umwerfenden Folgen, einigen Erklärungen der Geschehnisse aus den ersten beiden Staffeln, noch mehr Mysteriösem, viel Kunst, einem großartigen Sounddesign (ebenfalls David Lynch), exquisiter Musik und tollen Auftritten von z.B. Naomi Watts.
Gerade arbeite ich mich durch das dokumentarische Bonusmaterial in der Bluray-Ausgabe. Man sieht bei Proben zu, Vorbereitungen und Setbesichtigungen, erlebt hier und da auch mal einen etwas unwirschen Regisseur (ich hätte gar nicht die Ruhe für so was) und bleibt verschont von Talking Heads, die von "it was a magic moment" und "he's a pure genius" faseln. Es sind wirklich Werkstattberichte, und das einzige, was ein bißchen stört, ist der etwas prätentiös gesprochene Begleittext vom teils deutschen Team, die auch hinter der Doku The Art Life standen. So hat denn auch der Sprecher einen Akzent, der heftiger ist als meiner. (Auf den mich übrigens in New York als einziger ausgerechnet ein Deutscher ansprach. Imagine!)
Zur Probe rahme ich ein paar Bilder aus meiner "Die Bienen sind tot"-Serie. Ich habe jetzt fünf 50x70-cm und eine handvoll kleinere Formate. Ich nehme das vor allem als Beweis für den Anstieg meines Aktivitätsgrads nach diesem längerem Glassargschlaf die letzten Jahre. Ein motivierendes, interessiertes Umfeld hilft da sehr. Überhaupt sollte man sich frei machen von Unfreundlichkeit und Nörgelei im eigenen Nahfeld. Diese Kritikhanselei, auf die man bei Menschen ab und an trifft, ist kein Zeugnis von Souveränität, sondern letztlich schlecht kanalisierte Geltungssucht. Könnt ihr so aufschreiben. Ihr müßt Blumen sein, nicht Moder.
An einer Stelle erklärt David Lynch Laura Dern, warum die Uhr an der Wand ausgerechnet 2:53 Uhr anzeigt. Sie sagt, sie ahne es schon, sie arbeite ja schließlich mit David Lynch. Er sagt 2+5+3 ergibt 10, für ihn die perfekte Zahl. Und 3+7? Na? Rechnet es selber aus.
Wer die Antwort hat, sollte unten auf der Straße übrigens mal nach seinem Kabelmast schauen. Unheimlich.
This is the water, and this is the well. Kurzzeitig hatte eine Hochschule in Berlin überlegt, dieses Gedicht auf eine Hauswand zu malen. Aber das war, würde Mr. Lynch sagen, nur ein Traum in einem Traum.
Freitag, 18. Januar 2019
Ich mag es, wie speziell diese US-amerikanischen Kulturstudien als explodiertes Notizbuch dahergekommen, eine Fundgrube weit weg von steifherzig formulierter Bürokratenfleißarbeit, wie man sie hierzulande oft findet. Collagiert erzählt, und couragiert natürlich auch. A Field Guide to Getting Lost war mir zuletzt so ein Fund. Nun bin ich bei High Stativ Dead Lines gelandet, in dem die Kulturwissenschaftlerin Kristen Galerneaux auf den Spuren von Kittler & Co. durch die Technologiegeschichte des späten 19. und des 20. Jahrhunderts spaziert und Klang, Kultur und Esoterik zusammenmischt. Voller wunderbarer Zitate, Querverweise, Anekdoten und verrauschten Spuren. Rauschzustände durch weißes Rauschen, geheime Botschaften auf obskuren Sendefrequenzen, militärische Experimente mit Infraschall, klandestine Sender in Gefängnissen... Hier eine Rezension. Entdeckt hatte ich es in der Taz.
Fokus und Entschlossenheit. Das harsche Interview im SZ-Magazin mit Viv Albertine haben hoffentlich alle gelesen. Auch bei den Arbeitskollegen große Begeisterung.
Immer noch bleibt die Frage: Was ist mit ihrem Twitter-Account?
Auf meiner Endeavour wurden früher Örgler und Eunmalkluge mit einem Boot auf einer kleinen Insel ausgesetzt. (Mit 5 Litern Wasser, zwei Avocados und einer Zitrone wg. Skorbut, ich bin ja kein Unmensch.) Leute, die fragten, wenn man gerade ein Haus besetzen will (wg. Protest oder Wohnraum oder für Künstlerarbeitsplätze), "Müssen wir da nicht vorher den Eigentümer informieren?" - Hey, you must be fun at partys!
Ich höre gerade mit Freude Rebecca Saunders Void im Wechsel mit Meredith Monks bezauberndem Album impermance. Das ist schon zehn Jahre alt, aber ich bin mittlerweile so furchtbar langsam wie Mrs. Monks Schildkröte, die angeblich bereits 37 entzückende Jahre bei ihr lebt.
Wie will diese Generation überleben, wenn in zehn Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und Straßengangs gründen, um ihre Grundsicherung aufzubessern? Ausgerüstet mit Schallgeräten, die weißes Rauschen produzieren. Das wird noch Tränen geben und Angstpischern und Eingaben auf Petitionsplattformen.
Energie und Geheimnis. Den Rest des Tages bis in die fröhlichen
Abendstunden höre ich Kurzwelle ab und kontempliere statische Entladungen. Ob am Ende alles Rauschen sein wird?
Montag, 17. September 2018
Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub, und wer hier beim Lesen meines zehnteiligen Diaabends (oder auch längsten Besprechung von PJ Harveys Stories of the City, Stories of the Sea) schon ermüdet war, kann meine eigene Erschöpfung vielleicht nachvollziehen. Und meinen Wunsch, mich von psychischen, physischen und emotionalen Anstrengungen einfach nur in Rückenlage zu erholen - oder schnell noch eine andere Stadt zu besuchen.
Doch von wegen, "first we take Manhattan, then we take Berlin". Da wurde wohl nichts draus. Erst konnte ich kein Bett nach meinem Geschmack finden, dann vergaß die Bahn, mir rechtzeitig eine neue Bahncard zu schicken. Und dann war das Wetter so merkürdig... wechselhaft. Hü, hott, wie ein unentschlossenes Pferd. Da soll man noch mitkommen. Vielleicht kann man eben auch nur so und so viele große Städte im Jahr sehen. Ich teile es mir ein, geduldig.
Stattdessen habe ich neue Bücher erworben, etwas über Dead Girls gelesen, die Miniserie Mildred Pierce mit Kate Winslet mit wirklich nur ein paar unerheblichen Jahren Verspätung nachgeholt und mich mit den zauberhaft illustrierten Werken The Sick Rose und Crucial Interventions akribisch so weit medizinhistorisch fortgebildet, daß ich einfach mal mein frischgeschnittenes Herz in die Hand genommen und mich - denn just gelernt, ist alles gewußt - gleich um einen Job beworben habe. Immer weitermachen! Be of use!
Das belgische Pärchen, das unter dem Namen Mothmeister firmiert, geistert schon länger durch Modestrecken, Magazine und Marginalien. Die Farben sind mir zwar meist zu weit aufgedreht, das Buch aber besser als erwartet. Begleitet werden die Fotos von blogtextartigen Erläuterungen, Notizen und Tagebucheinträgen, die angenehm zu lesen sind und nicht so akademisch steif daherkommen wie in vielen solcher Publikationen. Spannend sind Mothmeister ja besonders dann, wenn sie mit anderen Künstlern zusammenarbeiten, die ihnen obskure Masken, taxidermische Präparate oder herzige Tierpuppen zur Verfügung stellen. Vor allem die von mir sehr geschätzte Annie Montgomery.
Zurück zur Musik. Max Sharam hat das Thema Mermaids, das hier offenbar in der Luft liegt und von Martin Badway sehr entspannt besungen wird, ebenfalls aufgegriffen und fürs Video ganz berückend animiert. Das berührt den inneren Oktopus in mir.
Apropos Musikerinnen. Nachdem die in meiner Küche ab und an Süppchen kochen (also einmal), möchte ich diese bezaubernde Idee zu einem regelmäßigen Konzept für Funk und Fernsehen ausarbeiten. Unbedingt auf der Liste steht die Australierin Stella Mozgawa, die Schlagzeugerin von Warpaint, deren Geburtstagskonzert ich mal gesehen habe. Ich wette zwei Paar Drumsticks, daß die super Suppe kann. Und dann wirklich gerne Viv Albertine, die, jetzt schauen wir uns aber mit erstaunten Augen an, bekanntlich ebenfalls ursprünglich aus Australien stammt. Wer Spuren lesen kann, wird einen Traumpfad darin erkennen. Wer einen Löffel hat, wird satt.
Ganz schön frauenlastig dieses Mal. Nicht, daß ich noch zum Bewunderer werde und mich hinter einer Plane verstecken muß.
Dienstag, 9. Januar 2018
Klang ist bekanntlich der Sex des Alters. Als ich mir vor zwei Jahren neue Lautsprecher kaufte, war ich aber, obgleich ich sexu klanglich sehr zufrieden bin, eventuell ein wenig voreilig. Früh gefreit, bald bereut - da gibt es doch noch mehr! Mein Musikzimmer nimmt (in klangerotischen Fantasien) neue Auswüchse an! Diese Trichtersysteme jedenfalls überzeugen mich visuellaktustisch sofort. Sicher nicht teuer.
Bloggerinnen derweil halten für ihre einsamen gemütlichen Abende meist eine Katze oder 12. Vielleicht ebenso ein wenig voreilig. Ein hübscher Strauß tut es doch auch und bringt so viel Freude. Australische Bloggerinnen halten das übrigens nur so.
Wo wir beim Thema home, sweet home sind. Ms Albertine ist ja wieder aus dem Rennen. Die verkündete auf ihrem letzten Album, das ich die letzten Tage sehr intensiv gehört habe (und zwar über meine nunmehr alten Lautsprecher), doch glatt: "I chose being an artist over being a wife". Und noch mehr: "marriage is an unnatural state". Was sind das für Ideen, bitte? Ist das noch Punkrock or wot?!? Hat die keine Katze? Ich werde ihr morgen einen Strauß mit Fleurop schicken.
>>> Geräusch des Tages: Viv Albertine, Confessions Of A MILF
Samstag, 8. Juli 2017
Don't punish me with brutality
(Marvin Gaye, "What's Going On")
>>> Geräusch des Tages: Marvin Gaye, What's Going On
Freitag, 25. November 2016
Bei Ebbe tauchen die Wasserwagen auf. Damit man sein Leben wieder geraderücken kann.
Ich sage es bekanntlich immer wieder: Das Leben ist ernst genug. Wie schön also, wenn wenigstens John Parish und PJ Harvey in diesem kurzem Video auch mal Quatsch machen.
Ich habe mich jetzt tatsächlich bei diesem Instagram angemeldet, denn ich habe gehört, das sei modern. PJ Harvey ist auch bereits ein halbes Jahr dabei - und schaut, was aus ihr geworden ist! Vielleicht lade ich nächstes Jahr schon ein Bild hoch.
Wogen wogen. Keiner will verantwortlich sein. Auch DASERSTEZDF nicht. Es ist nun ja so, vor uns stehen traditionsreiche Festtage, die nach strengen Regeln, nach einer festgezurrten Liturgie ablaufen. Die Regeln gehen so: Erst schmort die Gans, dann kommt die Kirche, dann klingelt das Glöcklein, dann ist Bescherung, dann wird gegessen, dann folgt die Ansprache einer führenden Amtsperson, dann kommt Loriot. Dann aber, wenn man wohlig gesättigt und glucose- und alkoholerschöpft zurücksackt, dann kommt Ist das Leben nicht schön? zur sentimentalen Erbauung und Tränkung eines Taschentuchs. Oder zwei. Nun aber stelle ich mit Entsetzen fest, das läuft gar nicht! Irgendwann gegen drei, wenn ich schon längst Kühe und Esel und Schäfchen im Stall durchzähle und sanft dahinentschlummere, die neuen Spielzeuge im Arm.
DASERSTEZDF lassen einen da sehr im Stich. An Silvester auch. Da läuft normalerweise und unverrückbar erst Dinner for One, dann gibt es ein Käsebrot mit Gürkchen und einen Schluck Bowle und um Mitternacht trötet man in so eine aufgerollte Papiertröte, und dann, wenn es richtig spritzig wird, läuft Manche mögen's heiß, zu dem ich etwas keck das Partyhütchen auf dem Kopf verschiebe. Und was ist? Läuft nicht. Läuft an den Weihnachtstagen. Da lacht nicht nur ihr hysterisch! Feiertage im Arsch, wie man außerhalb eurer wattierten Filterblase sagt.
Hab ich mir jetzt selbst gekauft. Ziehe ich von der Haushaltsabgabe ab, DASERSTEZDF. Wißt ihr Bescheid. Seid ihr sehr wohl für verantwortlich.
Dienstag, 25. Oktober 2016
Die Akademie ruft an.
"Hello? No, Mr. Bob is not here. Whot? No, I am cleaning man. Yes, yes. Si, si."
*Dylan geht lachend ab*
Schöne Bücher von fotografisch hart arbeitenden Frauen erreichen mich. Die bezaubernde französische Fotografin Féebrile, auf die ich zuerst durch ihre Zusammenarbeit mit Ödland aufmerksam wurde, hat nach ihrem ersten h[bschen Band Pola et les Autres nun ihr erstes größeres Buch gemacht. Abgründige Schwarzweißaufnahmen, düster, sehr emotional und wie einem unruhigen Traum entrissen.
Dazu gesellt sich Aberrant Necropolis der Engländerin Ellen Rogers. Ihre handcolorierten Analogabzüge zeigen eine versponnene, teils viktorianisch-exotische Spinnwebenwelt, dunkle Träume von irrlichternden Friedhofsfeen. Barbusige Teezeremonien mit Ouijaboard und Ingwerkeksen.
Fast weltweit: Man ahnt ja nicht, wieviel Neid, Mißgunst und Intrige auf einer kleinen Hallig Platz finden. Oliver Driesen vom Zeilensturm hat mit Wattenstadt eine unterhaltsame Politsatire geschrieben. Da werden die ausgreifenden unterhaltungsimperialen Träume eines Industriekapitäns aus dem Ruhrgebiet in die Miniwelt im Wattenmeer gequetscht. Die vom Wind zerzausten Bewohner kippen einer nach dem anderen um (mancher sogar tödlich), ein paar Figuren leisten Widerstand, und am Ende stecken Teufel und beharrlicher Wille im unscheinbarsten Küstenbewohner. Es tummeln sich im vom Berliner Politbetrieb durchwirbelten Schlick: eine Hure mit Herz, ein russischer Killer, eine uralte Mume, ein plastiniertes Kunstwerk, ein kleiner Lokalfürst mit Großmannssucht, ein Pfarrer mit Engagement, ein stinkreiches Millionärspaar, die mich immerzu an die "Geissens" erinnerten, und ein kleines Tier, das für die einen zum Retter, für die anderen zur Pest werden kann. Ich habe gelacht.
Leben in Euphemia. Die große Zeitung schreibt: " Jetzt wurde die Bestsellerautorin enttarnt – nicht zu jedermanns Begeisterung." Und man denkt, nein, IHR habt sie enttarnt und außer euch war einfach NIEMAND begeistert. Wer hätte es noch nie erlebt: Fortgetragen auf einer Welle der Selbstbegeisterung, mitgerissen vom imposanten Gefühl, jetzt, in diesem Moment einfach keine falsche Augenzahl würfeln zu können, egal, was man macht. Um dem Eingangs formulierten Anspruch zu genügen: Ich schon.
Man wird ja schnell geerdet, zum Glück.
Entscheidungen zum literarischen Jahresende: Der diesjährige Preis des Hermetischen Cafés für Dichtung geht an Bob Dylan. Leider habe ich ihn noch nicht ans Telefon gekriegt. Bob, bitte ruf mich an.
Mittwoch, 1. Juni 2016
Die krachromantische US-Band Xiu Xiu hat sich (letztes Jahr bereits, aber nun denn) an der Musik von Twin Peaks versucht. Exklusiv für den "Record Store Day" 2016 wurde dazu ein Vinyl-Album veröffentlicht, auf Youtube gibt es den oben verlinkten Extrakt, aber auch komplette Live-Shows ihrer Rußland-Tournee im letzten Jahr zu sehen. Das sage ich ganz nüchtern, die Emotionen sind ja in der Musik.
Wlanlos in Wien entdeckte ich diesen alten Thorens-Plattenspieler und hätte dort neben meiner immer im Handgepäck bei mir geführten Häkelschallplatte natürlich auch das "Twin Peaks"-Album von Xiu Xiu hören können, hätte ich es denn am "Record Store Day" ergattert. Der Plattenspieler für sich genommen würde auch bella figura in meinem Leuchtturm machen, darüber denke ich maschenweise nach.
Sigríður Níelsdóttir kennt ihr nicht. Bekannt wird die über 77-jährige Dame aus dem schönen, wenn auch abgelegenen Island nun als "Grandma Lo-Fi". Weil Björk dort nicht die ganze Zeit Musik machen kann, sprang Frau Níelsdóttir ein und spielte einen ganzen Strickkorb selbstgemachter Alben mit Casio-Keyboard und Spielzeuginstrumenten ein. 59 waren es Stand 2014, diese Zahl sollte dem ein oder anderen faul gewordenen Musikanten unter uns ein Ansporn sein. Passend zum unaufgeregten Ansatz ihrer Heimproduktionen, wurde ihr Schaffen auf Schmalfilm und Video dokumentiert. Einen Trailer zu der vergnüglichen Doku gibt es hier.
Schwerter zu Querflöten, oder: Es liegt ein Klang in allen Dingen. Der Künstler Pedro Reyes aus Mexiko hat sich 6700 (nicht verifizierte Zahl) im Kampf gegen Drogendealer konfiszierte Waffen besorgt und diese zu verschiedenen Musikinstrumenten umgebaut.
Die "Stalinorgel" muß also kein geschmackloser Scherz bleiben, da ginge was, liebe Flöten von den GRÜNEN, die ihr neuerdings die Waffenindustrie weißwäscht.
>>> Geräusch des Tages: Xiu Xiu mit "Twin Peaks" live in Moskau
Montag, 22. Februar 2016
Vor ein paar Tagen kamen mir meine ungeputzten Fenster noch ein wenig ungeputzter vor. Aber es war nur der Winter, der in Hamburg noch einmal die Muckis spielen lassen wollte, den Starken mimen, kurz mal die Backen aufblasen wie ein lange vernachlässigtes kleines Kind, das sich krähend präsentiert und dabei doch in die Hosen macht. Winter, geh ins Bett. Du bist müde!
Letztes Jahr, ich hatte im Kopf wohl Winter, blies ich kurz die Backen auf und dachte über Berlin nach. Viele Menschen finden das ja schön dort, ich immerhin interessant und kam auf diesem Wege, aber besseren Wissens zu der Idee, nicht immer so stur zu sein, Dingen auch eine Chance zu geben, Städten zum Beispiel. Überraschend schnell hatte ich sogar eine Wohnung zur Hand, ein niedliches kleines "Single-Nest", wie mir der Makler versicherte, hübsch gelegen, ein einmaliges Angebot und unsaniert, für den Fall, daß ich selbst noch Hammer und Leiter und Maurerzeugs bereitstellen wolle, sogar für die Hälfte billiger. Die Hälfte! Da war ich gleich ganz hibbelig, 'ne jünstige Jelegenheit. Ein Zimmer für mich allein.
Dabei könnte Berlin fleißige Hände vertragen, es hat ja quasi keinen Flughafen. Man kann dort aber, gleich vom Bahnhof aus, gut zweigleisig fahren. Das wußte ich aber schon. Dieses Jahr war ich noch nicht da, der Kollege hingegen war auf der Berlinale und hat Selfies mit einer von mir sehr geliebten geschätzten Schauspielerin gemacht. Mann, Mann, Mann! Zwiespältige Gefühle waren das, als mir das Grinsefoto zum Gruß geschickt wurde. Mitten in der Nacht auch noch von einer dieser angeblichen Partys, ein Trick natürlich, mit dem Berlin so tut, als gebe es dort ein Nachtleben. Ich kann aber nun sagen, die Frau Dings, die lächelt für mich schon sehr schön in die kleine Telefonkamera. Ist auch wichtig.
Berlin liegt auch in einer anderen Zeitzone. Moskauer Zeit, da verschieben sich ganze Kalender, Feiertage, Geburtstage - man müßte alles neu denken, gerade, wo ich mich in den hiesigen Tidenkalender eingegroovt habe. Der geht minutengenau, mit Vorhersage.
Wie selbst frisch verputzt, habe ich ganz in der Nähe einen Laden entdeckt, der tatsächlich noch textilummantelte Kabel in vielen Farben als Meterware führt. Was es alles noch gibt! Der Geruch dieser Elektroläden, die nur über Hintertreppen zu erreichen sind, halb Lager, halb Verkaufsraum, halb Restekiste mit überquellenden Pappkartons. Eine Jugenderinnerung, die Werkstatt der Väter, das Knistern der Transformatoren und Summen der Röhren. Großes Glück, dieser Laden führt tatsächlich auch noch kleine Isolatoren aus Porzellan, perfekt für Langdrahtantennen aus Klingeldraht, sogenannte "Hühnerleiter" und Dipolkonstruktionen.
Denn abends wollen die Schauspielerin und ich Radio hören. Ferne Sender auf der kurzen Welle, aus dem knisternden Äther gefischte Signale, den rhythmischen Klang der Telegrafen, der Musik aus Sumatra und Hilversum. Beleuchtet vom Glimmen der Kathode und dem schwachen, grünlichen Puls des magischen Auges schrecken wir vielleicht bald mit angehaltenem Atem und eng zusammengedrückt wie auf einem Selfie nervös zusammen, wenn das gemorste "V" ertönt: Di di di daa, Beethovens V., wenn das Schicksal anklopft, gefolgt vom sonoren: Hier ist England.
Die Französin Isa Marcelli macht schöne Schwarzweißfotos: entschleunigt, gar nicht grell, aber traumhaft erhellend. Bei all dem visuellen Geschrei all überall, empfinde ich das auch in aller den Zeitläuften entzogenen Blümchenhaftigkeit gerade als angenehm.
Ich bin sehr naiv, auch was diese Schauspielerin angeht. Ich mag mich aber trotzdem. Vielleicht schreibt die mir.
Ich muß ins Bett. Ich bin müde.
>>> Geräusch des Tages: The Passions, I'm In Love With A German Film Star