Mittwoch, 6. Mai 2009


Banale Bushaltestellenbeobachtungen



Mit dir stehe ich ja buchstäblich auf dem plattgefahrenen Kriegsfuß, o Hamburger Autofahrer, der du denkst, man müsse den Kreuzungsbereich nicht freihalten. Der du dich erregst, wenn Rechtsabbieger erst einmal die Fußgänger queren lassen. Der du dem archaischen Irrglauben anhängst, lautstarkes Hupen ließe ein vor dir stehendes Hindernis levitieren und löse jeden Stau in eine wabernde Wolke von Weihrauch auf, so als ginge eine besondere spirituelle Kraft von deinen protestantischen Straßen aus. Manchmal passieren auch kleine Wunder, wie heute, als der engagierte < insert eine gewisse Automarke >-Lenker dem vor ihm zögernden Fahrzeug mit expressiv herausgestellter Emphase, wildem Gestikulieren und durchdringendem Signalgeben quasi von hinten aufs Gaspedal steigen wollte, darob aber den eigenen Motor vernachlässigte. Selten ein schöneres Abwürgen betrachtet, begleitet vom nun einsetzenden Konzert der wiederum Blockierten, ach es muß raus, es muß raus, die stürmische See, das innere Wogen. Nun ist Schadenfreude natürlich kein feiner Zug, um auch einmal ein anderes Verkehrsmittel aber ein kleiner Charakter wie ich kann sich daran gut aufbauen. Es gibt einem den Glauben an einen gerechten Gott zurück und den Sinn für den Ausgleich alles Seins und Wirkens. Wo die Transzendentalisten die Existenz Gottes aus der Natur lasen, bleibt uns Urbanisten der Straßenverkehr. Die silbrig glänzenden Maschinen der Handelsreisenden sollen sein wie Schwalben am Himmel.

Ich hingegen stieg in den Bus der Liebe, Keim an Keim im Chor der hustenden Nahverkehrsbewegten und bin nun hier, in unserem kleinen Kloster und übe mich im Schweigegebot.


 


Freitag, 1. Mai 2009


Der Arbeiter arbeitet

Herrn der Fabriken, ihr Herren der Welt,
endlich wird eure Herrschaft gefällt.

("Arbeiter von Wien", Q)

Im Alten Land wird am Samstag eine Blütenkönigin gekrönt. Miss Krisenblüte wird dann ein Jahr lang bunte Bänder winden, Jünglinge herzen und alternde Honoratioren. Die Ernte segnen und auch das Wirtschaftswachstum.

Die Sprachlosigkeit überwinden, aus dem Schatten treten. Ich habe nun drei Pfund zugelegt und strebe eine neue Gewichtsklasse an. Galeeren sind schließlich wendiger als große Schiffe in ihrer muskeleffizienten Ökonomie. Ein fröhliches Arbeiterlied auf den Lippen, heißt es alles geben fürs abendliche Tingeltangelland. Beim Klamotten-Discounter, hört man, gibt es schwarz-rot-goldene Hemden, made in Bangladesh. Wir immerhin haben uns ein neues Klima geschaffen, auch unsere Generation hat Bleibendes getan. Wir werden unsere Arbeitszimmer aufräumen in der Sonne liegen, Sardinen grillen und nur noch sanfte Lieder singen.


 


Samstag, 25. April 2009


Die Runde ins Wochenende





Der Marathon ist zwar erst morgen, aber ich kann sagen, ich war heute bereits im Ziel. Auch ein Umstand, den man zur Metapher umschmieden und anschließend zu Tode reiten könnte. Frühstart, frühvollendet, vor der Zeit oder right time, right place wie unsere Freunde aus der anglistischen Fraktion mit ihren Benjamin-Franklin-Truisms sagen würden. Sicherlich bin ich nicht schneller als andere, soviel ist schon mal sicher. Ein gutes Gefühl aber, mit leichtem, federnden Schritt auf der noch jungfräulichen Ziellinie zu stehen, ein wenig den Moment zu kosten und das Gefühl angekommen zu sein. Schließlich ist das Leben nicht nur Wettbewerb, der Schmerz nicht und auch die Liebe nicht, und so gilt es, die kleinen Augenblicke zu würdigen, sich an ihnen zu erfreuen, sie als Geschenk sehen, nicht als allzu leicht errungenen Sieg. Natürlich wäre es schön gewesen, hätte dort jemand gestanden, der mir Essig Wasser gereicht hätte, ich meine, 42, 195 stand dort, die "magische Zahl", wie eine Langstreckenkollegin andächtig flüsterte, die gleich mir auf dem Gelände umherschlich. Aber zäh wie ich dann doch bin, auch eine Form von Belastbarkeit, schaffe ich es auch im Ziel eines Marathons, mir noch selbst die silberne Aluflasche aus der Tasche zu holen, den Verschluß aufzudrehen und einen kräftigen Schluck zu nehmen. Im letzten Augenblick hielt ich mich aber selbst zurück und vermied es, mir im jubelnden Überschwang den Rest über den Kopf zu gießen. Es hätte ja auch keiner gesehen.



Ein anderes Geschenk stammte heute vom Flohmarkt. Ein schönes Wörterbuch, für das ich nicht einmal etwas zahlen mußte. Es ist von 1956, dem Jahr, in dem Alain Mimoun den olympischen Marathon in Melbourne gewann. Der Weg zum Hirnchirurgen ist dennoch weiter als 42,195 Km. Und abkürzen gilt nicht.


 


Freitag, 24. April 2009


Ein Tag bei der Shitty Press

Eine ambitionierte Grundschullehrerin dürfte das auch nicht sehen, ohne die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, aber hier kann ich es ja zeigen. Jedenfalls so halb. Es ist alles nicht spektakulär geworden, macht aber Spaß, das kann ich mir jetzt zehn Mal an die Tafel schreiben. Streng genommen macht es sogar so viel Spaß, daß ich überlege, die Dunkelkammer rauszureißen und in die winzige Ecke eine Druckerpresse zu installieren. Irgendwer wird ja auch - wenn die Revolution beginnt - klandestine Plakate drucken müssen und T-Shirts und Versammlungsaufrufe. Ihr Narren denkt natürlich, ihr könnt die Postscript-Files mal eben per Mail oder USB-Stick zum Copy-Shop transferieren. Hahaha! Sicherheitsorgangesichert geht das nur mit dem fälschungsfreien Linoldruck aus der Shitty Press, läuft - garantiert Adobe-frei - auf jedem Wohnzimmertisch, der eine Glasplatte und eine Gummiwalze tragen kann.

Aber das nur nebenb3i. Irgendwo lief gerade so eine tolle Blog-Aktion mit Herzen und Steht-mit-einer Faust, bei der man Blogs verlinken sollte (ich habe es leider geschwänzt) und ein paar haben dabei auch mich verlinkt und nette Sachen dazu geschrieben - dafür vielen Dank! Ich schneide das ebenso kleinteilig wie unleserlich in Linoleum oder Holz (ist ja jetzt alles möglich, auch Horst Janssen hat mal klein und trunken angefangen!) und drucke es aus. Prima.

Am Ende eines derart leichtwindumwehten Tages darf man getrost mit einem Glas billigen Rotweinfusels am Fenster stehen, Miles Davis spielt dazu was von "There's No You" und "My Funny Valentine", und ich denke großspurig berauscht, kann ich auch, bei eBay gibt es schließlich nicht nur Linolschnittmesser, sondern auch Trompeten, habe ich gesehen! also wartet nur ein Weilchen, dann spiele ich euch "Fahrstuhl zum Hamburger Schafott" in Aquatinta mit Strubbelhaaren im Revoluzzer-T-Shirt (Bürzel dabei aber wie ein guter Donaldist immer bedeckt halten, mahnte mich Frau Gaga einst), während in meiner kleinen Kunstkasinoküche (die 3 K der Hermetischen Akademie) Scampi und Gedöns und Paprika in der Pfanne bruzzeln (Revolutionsküchenessen an Gartentischen und Thonet-Stühlen, anschließend Diskussion mit Käsebrot, Thema: Farbe und Dings nicht so dick auftragen, nur im Pathosgewerbe ist mehr mehr!) und ich auch mal zufrieden bin (aber unrasiert).

Da staunt ihr, aber wartet nur, bis euch alte Männer küssen wollen, denn das passiert dann auch, kunst- und künstlergeplagte Musen wissen das.


 


Dienstag, 21. April 2009


Die Wanderung...

...führte mich gestern bereits bis zum Tierheim, vor dem sehr ernsthaft schauende Kinder mit Pappkartons standen, wohl, um die zu Ostern geschenkten Kaninchen zurückzugeben. Sie standen dort, schauten abwechselnd auf die Kartons in ihren Händen, auf die glänzenden Autos, an denen ihre Väter oder Mütter irgendetwas in den Kofferräumen richten mußten, und auf die Tür, an der Bitte klingeln stand, als wäre das pochende Geräusch in den Ohren nicht bereits laut genug.


 


Sonntag, 19. April 2009


Maladie

Ich bin unachtsam geworden. Zum zweiten Mal innerhalb von drei oder vier Wochen habe ich mir wohl einen Zeh gebrochen oder angebrochen oder immerhin! schwer verstaucht. Vermutlich gebrochen. Neulich erst der Kleine, nun einer dazwischen am anderen Fuß. Grünblaudick, auftreten kann ich auch nicht. Aber dem Schrank ist gottseidank nichts passiert. Mit meinen Sachen passe ich auf.

Mehr als Tapen kann man ja eh nicht, also Salbe drauf, Füße hoch - dabei ist das Wetter viel zu schön, um lange drin zu bleiben, im Haus, zwischen den Zeitschriftenstapeln, den Gedanken und dem Staub, der mich anklagend ansieht als sei ich ein schlechter Hausmann.

Vielleicht ist es der neue Blick, den ich gestern einmal ausprobierte. Schließlich ist es Frühling, und eine andere Brille verschafft gleich eine neue Perspektive, Heart Shaped Glasses, ob das dazugehörende Video noch bei der Musikvideosammelstelle gelistet ist, weiß ich gerade auch nicht. Es sind diese Tricks aus dem Repertoire von Sammy Molcho: Man setze eine lustige Brille auf, und schon, man kann sich nicht dagegen wehren, wird auch der Träger lustig sein.



Das paßte gut, war doch Straßenbespaßung auf der Langen Reihe, Grillstände, Menschen und ein bißchen Trallala. Noch mehr Menschen in lustigen Kostümen oder einem Nichts von Kostüm standen auf improvisierten Bühnen, die anderen Menschen lachten, meist ohne Brille sogar, eine Bewegung, die aussah wie eine norddeutsche Version des Schunkelns, ging durch die Menge, und als eine muntere Sängerin tapfer die Marianne Rosenberg zu "Er gehört zu mir" mimte, war ich beim "Na nana na-nana" der Eifrigste. Huhu hu.

"Er gehört zu mir" wurde wohl noch fünf Mal gegeben, huhu hu, und später dann in derselben Nacht sang ich selbst das Lied am lautesten und meinte damit meinen Zeh. Ein bißchen Schmerz kann ja interessant sein, aber nicht, da lege ich mich fest, an solchen Stellen.

Jetzt fürs erste lieber vorsichtig auftreten.


 


Freitag, 17. April 2009


Schöner Ruhen



Seit Jahren hatte ich um das Bauwerk gebangt, zu lange war dort nichts getan worden, nun drohte der Verfall. Oft dachte ich, das sei doch eine ideale Wohnstätte, oben der Ort für eine Galerie, ein Bett und eine Bibliothek, unten dann ein Partyzimmer Wohnraum, die Küche, selbst Platz, um seine Weinflaschen kühl zu lagern, ist genügend vorhanden. Zudem ist das Gebäude verkehrsgünstig gelegen, der Bus hält genau gegenüber, und abends ist es dort fast erschreckend ruhig.

Mehrere dieser Mausoleen stehen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, und mittlerweile haben alle Paten gefunden, die dort die Sanierung übernehmen und die Grabstätten später für sich selber nutzen können. Während des traditionellen Osterspaziergangs nun traf ich einen der neuen Besitzer. Der freundliche Herr saß in der Nachmittagssonne, bat auf ein Foto oder zwei in die gute Stube nebenan und gab sich auch sonst sehr auskunftsfreudig. Während also andere im Kleingarten sitzen, genießen diese Menschen ("Wir sind mit unseren Nachbarn hier befreundet") den Sommer vorm Totenbalkon und richten auch die ein oder andere Feier dort aus: "Wie ein italienisches Fest", hieß es. Partyzelte, lange Tische, guter Wein. Denn wer später eine chic möblierte letzte Ruhe finden will, sollte ruhig vorher schon gut leben. Es wird keinen wundern - elektrisiert lud ich mich spontan dazu, denn Gartenfeste, Lampions und Sepulchralkultur sind mir sozusagen ein natürlicher Lebensraum. Kunst fehlt vielleicht, eine melancholische Lesung oder (Eros! Thanatos!) ein tableau vivant mit entzückenden Damen, die in stiller Andacht und nur mit ihrem langen Haar bekleidet, etwas von Mary Wigman tanzen, vielleicht maskiert, um das Geheimnis zu wahren. Ich hätte da schon ein paar Ideen, einen dunklen Anzug und auch die angemessene Blässe.


 


Sonntag, 12. April 2009


Scorned, transfigured child of Cain



Rausfahren, heißt es, den Jahreskreis vollenden, aus dem Nebel treten und nur einmal melancholisch noch ins Feuer blicken. Den dicken Mond bei den Eiern packen, wieder etwas neu beginnen. Den Mund vom Boden nehmen, Rotz und Staub von der Nase wischen, Brille geraderücken, not so strong without these open arms*. Ich aber fühlte mich zu oft ankerlos, hafenlos. Fühlte mich vergessen, nur deshalb bin ich fort.

Und wie man ringt mit Stolz und Kränkung, verlorener Würde und Zurückkränkung, wie man sich selbst zusammennäht, die eigenen Fehler wie Handtücher zählt. Und wie die Zeit neue Schichten darüberlegt, dann endlich. Schatten um Schatten, durch die kein Glitter dringt.

Alles verbrennen. Den Rauch schmecken. Und selber wie die Igel flüchten.


* Yeah Yeah Yeahs, "Runaway"


 


Samstag, 11. April 2009


Saisonschaden

Wenn man just vergessen hat, einen L*nd-Schokoladenosterhasen vom Tisch der sonnigen Frühstücksloggia zu nehmen, will sich Vorfreude einstellen auf einen wunderschönen Herbst. Das Glöckchen um den Hals klang kläglich.


 


Freitag, 3. April 2009


Frühlingserwachen



Es ist an der Zeit, sich wieder draußen zu bewegen. Sich durch die eigene, ganz fadenscheinig gewordene Existenz pirouettieren, die drei K der protektorgestützten rollenden Rasanz (Kevlar, Karbon, Klettverschluß) zum Mantra einer blinkenden Schussfahrt machen. Aus Fliehkraft wird Fluchtkraft, den Malstrom entlanggleiten, immer schneller, wie eine Kugel in der Roulettescheibe. Alles auf die Null, die 37. Zahl.