Mittwoch, 2. September 2009


Alles ist erleuchtet



Ein starkes, inneres Glühen hat mich erfaßt, und so leicht gebe ich, und kampflos schon gar nicht, nicht auf. Meine Kellerfluchten, seit Jahren mit Schokolade und Nylonstrümpfen für die Zeit danach™ gut gefüllt, habe ich in den letzten Tagen in klandestinen Einkaufsaktionen und an den argwöhnischen Schergen europäischer Quecksilberbefürworter vorbei, um Glühbirnen der Sorte matt und 100 Watt bereichert. Nicht jedem dürfte in den letzten Wochen gegenwärtig geworden sein, daß nicht nur die 100er-Birne, sondern auch alle matten Erzeugnisse weitaus niedrigerer Wattzahl EU-weit ausgeknipst worden sind. Das matte Licht der Erkenntnis, das manchen nun aufgeht, ist mittlerweile also durchweg klargeworden.

Der Quecksilber-Brunnen in der Fundació Joan Miró in Barcelona steht nicht von ungefähr hinter einer dicken Glasscheibe. Das Objekt erinnert an die Toten im Quecksilberabbau, denn die Ausdünstungen dieses meist flüssigen Metalls sind mindestens so gefährlich wie Ausflüge im öffentlichen Personennahverkehr. Nicht umsonst erließ die EU ein Verkaufsverbot für Batterien und Fieberthermometer mit diesem Metall. Um nun Mengen in sogenannten Energiesparlampen zuzulassen, mit denen man locker Thermometer und Kunstprojekte wie besagten Brunnen füllen kann. Selbstverständlich werden die erleuchteten Nachbarn ihre ausgebrannten Leuchtkörper fein sortiert der Sondermüllentsorgung zuführen, so wie sie auch jetzt schon begriffen haben, wie man Restmüll vom "Grünen Punkt" unterscheidet. Immerhin auf dieser Seite des Lichts hege ich keine Befürchtung.

In der Zwischenzeit heißt es leben im funzeligen, grüntrüben Licht flimmernder Röhren. Aber irgendwann, also später, wenn aschgrauer Schnee über geschlossene Immobilienfonds und bodenlose Finanzlöcher gefallen ist, werde ich, von der dunkleren Seite des Mondes her kommend, meine gehorteten, glühenden Schätze gegen Briketts, Steckrüben und etwas Zuneigung tauschen. Und die Kuratoren von Edward Kienholz werden mir anbieten, was sie auf den nebligen Morphiummärkten unter den Viadukten ergattern konnten.


 


Montag, 17. August 2009


Sonntage

Man hielt diese Männer für "harmlos" und erlaubte ihnen, dorthin
zu gehen, wo anderen der Zutritt verwehrt blieb.
Mit einem aller Hindernisse spottenden Enthusiasmus
erklommen sie die Anden, zogen durch Wüsten, kämpften sich
durch das Gewirr der Dschungeln. Sie zerstreuten sagenhafte
Vorstellungen und brachten dafür Tatsachen ans Licht.

(Victor W. v. Hagen. Südamerika ruft:
Entdeckungsreisen großer Naturforscher
. 1959.)

I never doubted it.
What's for you will not pass you by.

(Moloko, "This Familiar Feeling".)



Langsam schraube ich den Radius etwas größer. Den Arbeitsstaub der Woche gilt es aus den Lungen zu pressen, schnurgerade Linien zwischen spazierenden Hundebesitzern und kurvenden In-Line-Skatern zu ziehen. Aus den enger geschnürten Wochenenden noch etwas Zeit für ein kleines Picknick zu schneiden, erschöpft-hungrige Rast zu machen und die Wespen zu zählen wie Blütenblätter.

Das schmerzhafte Licht der Nacht mit all ihrer Wehmut ablösen durch das schmerzhafte Licht gleißender Sonne und spiegelnder Blitze schnellbewegten Chroms. Ich möchte die Stadt gerade nicht sehen, ich möchte das Surren der Reifen hören, das Zirpen der Heuschrecken an den Wegrändern, wie das Summen von elektrischem Strom, wie das scharfe Sirren im Kopf nach einer durchtanzten Nacht.

Neue Wege entdecken, Entdeckungen machen, nichts Spektakuläres, schmalere Pfade, überraschende Übergänge. Ich schiebe das Rad durch die Brombeerhecke, über Bahngleise, eine Unterführung hindurch und lese neue Ortsschilder. Der Sinn ist, daß nichts passiert. Daß man leer wird, nur Wind spürt und Hunger. Daß man leer wird, und leise, und den Hunger stillt.


 


Sonntag, 16. August 2009


I got one more thing I'd like to talk to y'all about right now

Been down so long,
Getting up didn't cross my mind.

(Bobby Womack, "Across 11oth Street")


Im Grunde weiß kaum jemand besser als ich, wie sich der Wandel der Zeit anfühlt, das Verändern, sich Häuten und Vergessen werden. Meine Güte, wieviele Karrieren habe ich schon gehabt, da zähle ich den Gewinn der C-Jugendstadtmeisterschaft im Fußball gar nicht dazu - schließlich bin zur Hälfte der Saison ausgestiegen, und so gebürt mir nur ein halber Pokal. Das sind Dinge, die sind vergänglich, flüchtiger Glanz äußerer Schönheit, die du so oft besingst. Wer wüßte das besser als Menschen wie Shah Rukh Khan. Oder auch Bob Dylan. So ist das im Alter, da kommen Leute und kennen einen nicht mehr.

Seit ich nicht mehr auf der Straße erkannt werde (anders als zum Beispiel mein alter Kollege Ricky Shane), erlebe ich natürlich auch eine ganz neue Freiheit. Aus dem Vergessen heraus kann ich mir neue Leben erfinden. So kann ich jetzt Musik hören, die mir früher keiner geglaubt hätte. Marvin Gaye stellt die Frage, What's Going on? Vielleicht dringt von gegenüber auch Bobby Womack herüber: I'm not saying what I did was alright. Abendmusik, ein Schuß Schmerz statt einer Droge, Musik für warme Nächte, wenn man sich hinausstehlen kann aus dem affektierten Gekreische der Clubs. Wenn man drei, vier Minuten für sich haben kann. Für sich, die Lichter, die verwehten Klänge, eine letzte verschwitzte Berührung. Für einen Rückblick, wütend oder traurig, mitgenommen oder nüchtern. Und immer wieder berührt. Immer wieder auf Reisen sein, und zurückkehren nur zu denen, auf die man sich verlassen kann. Ich werde die Koffer noch oft packen. Und manches nicht vergessen. Die schönen Momente, und die, als du mich vergessen hast.

>>> Bobby Womack, Across 110th Street


 


Freitag, 14. August 2009


Bonjour, isch 'atte üne Traum



'eute morgen träumte ich, ich sei mit Carla Bruni verheiratet, tastete sogleich in meinem 90-Zentimeter breiten Bett neben mich, und fand sie aber nicht. Verwirrt, vielleicht auch beruhigt, drehte ich mich um, streckte Carla Bruni, also da, wo sie hätte liegen sollen, meinen Hintern entgegen und schlief noch fünf Minuten weiter. Mit der schönen Carla bin ich gar nicht weiter bekannt, nicht einmal ihr Werk ist mir bis auf zwei, drei Lieder nähergekommen. Von daher ist der Ursprung meines Traums ein wenig mysterieux. Derzeit weilt sie, das verriet mir Jürg Altwegg in der FAZ, mit ihrem Mann Sarkozy im Urlaub in Südfrankreich und posiert dort für die Paparazzi. Die Fotos wiederum sind Anlaß mancher Satire, was wiederum Anlaß für Altweggs Artikel war. So hängt ja alles mit allem zusammen. Der kleine Staatsmann, von dem böse Zungen behaupten, er passe auch quer in mein Bett, könnte - so die satirische Vermutung - im Taucheranzug aus den Fluten steigen, ein Froschmann, der von der holden Bruni zum Prinzen geküßt wird. Was für ein Bild! Die Älteren werden sich an Alfred Tetzlaff erinnern, wie er im Taucheranzug in einer Telefonzelle steckte.

Tatsächlich verhielt es sich wohl so, daß Mme Bruni selbst am felsigen Strand lag, als bronzegebräunte Nixe mit Sonnenhut und Schwimmflossen, während der kleine Nick vor ihr im Wasser wartete - man stellt ihn sich ein wenig aufgeregt dabei vor. Aber zurück zu meinem Traum: Schwimmflossen!

Wie also die aparte Carla (wir sind jetzt per Du) mit den Schwimmflossen an ihren zarten Füßchen durch die Wellen meiner zerknuffelten Bettdecke kraulte und dabei mit glockenklarer Stimme eines ihrer noch zarteren Lieder sang, muß mich nicht nur in Urlaubsstimmung versetzt, sondern geradezu à bout de souffle gebracht haben: atemlos also mußte ich mich erst einmal setzen, mir einen Platz suchen, mich und mein soziales Gefüge, das Oben und das Unten neu vermessen, ehe es, ein wenig schlaftrunken noch, in den letzten Tag der Woche ging.


 


Montag, 10. August 2009


Handwerker, doo!



Vor Jahren schon überwies mir meine fürsorgliche Frau Mutter im Vorgriff auf das nichtzuerwartende Erbe eine sogenannte Herdprämie, zweckgebunden zum Erwerb einer neuen Kochstelle gedacht. Jetzt endlich, Zins und Zinseszins deckten nun auch die Transportkosten, konnte ich Wunsch, Wollen und Angebot in Einklang bringen, und Samstagmorgen erschienen denn auch in aller Früh zwei wackere Jungs, die schnaufend und schwitzend den edelstählernen Kochfreund die sieben Etagen hoch in meinen Leuchtturm trugen. Dort hatte sich schon ein umlufterhitztes Temperatürchen aufgestaut, der Sommer kommt ja immer zur rechten Zeit und knallt mir hier aufs Dach.

Die Küche wird vom alten Herd entkernt, dahinterdarunter Schmandspuren einer über Jahre geführten nackten Küchenchefkarriere, gute Gelegenheit, hausmännisch aufgetunkten Fettlösezauber zu sprechen. Wenig zauberhaft gehen die Sägearbeiten weiter. 90 Grad sind 90 Grad, wir reden über Winkel, nicht über Temperaturen, die Herren würgen und ächzen, daß mir Angst und auch ein wenig bange wird, läuft, signalisiert man mir, ich habe die drei Sicherungen rausgedreht, die Kabel wechseln ihren Platz, hochspannend finde ich das, dann wird der Stählerne an seinen neuen Platz geschoben. Paßt, paßt nicht, paßt, paßt nicht, lauteres Ächzen, lauteres Stöhnen, kritischerer Blick. Inzwischen ist das Thermometer weiter nach oben gestiegen. "Ich würde mir ein Klimagerät kaufen", schlägt der eine vor. Ich suche nach der ästhetischen Linie, der Herd steht nicht so, wie ich es mir vorstelle. Die Schrauben werden noch mal rausgedreht, ein Ächzen, ein Kippeln, ein Wackeln. "Steht der etwa auf dem Kabel?" frage ich. Nöneineindaskannnichtsein, prüfend wird gekippt, entschlossen wird geschoben. Alles klar im Hinterdeck. Man drückt, man preßt, man schwitzt, die Jungs tun mir leid. So eine alte Küche wie meine, so teilt man mir selbstverzeihend mit, könne sich schon mal verziehen. Dann sei alles schief, erklären sie mildtätig, es sei mir nur nie aufgefallen. Unverstohlen schauen sie auf die Uhr, ich bin es müde, ein wenig enttäuscht. So hatte ich mir das neue Gewerk nicht vorgestellt. Ich gebe Trinkgeld, die Jungs haben mir Mühen abgenommen, vielleicht gebe ich zu viel, man tut nicht überrascht.

Kaum sind die tapferen Gesellen fort, geht für mich die Arbeit los. Ich stapfe in den Keller, die Stichsäge holen, prüfe meinen Akkuschrauber. Der nutzt mir nichts - die Jungs haben die Schrauben völlig ausgefranst, ich muß neue Schlitze schneiden, vorsichtig drehe ich die ausgelutschten Teile von Hand mit meinem Schraubendreher auf. Glück gehabt, sie lösen sich Drehung um Drehung, endlich habe ich den Herd frei, ziehe ihn heraus, drücke die Kochmulde heraus, bearbeite die Schnittkanten nach, 90 Grad sind wieder 90 Grad. Ich schiebe den Herd zurück, er kippelt, er wackelt, ich bleibe mißtrauisch. Ich schwitze nach oben und nach unten. Es ist noch heißer geworden, dabei ist der Backofen noch nicht einmal an. Ich drücke erneut die Kochmulde heraus, ziehe den Herd nach vorne - sieh an. Er steht natürlich auf dem Kabel, kein Wunder, daß es wackelt, kein Wunder, daß es kippt. Als alles berichtigt ist, schiebt er sich wie von selbst in die Öffnung, steht endlich so, wie er soll, wie ich es mir vorstellte. Ich suche zwei stabilere Schrauben aus meinem Werkzeugkasten, ziehe sie fest. Alles auf Linie, von wegen, Küche schief, was ihr meint, ist der Küchenchief. Ich bin durchgeweicht, mein Rücken wird sich am nächsten Tag melden, niemand gibt mir ein Trinkgeld, ich denke an den Spruch - willst du es richtig haben, mach es selbst - erschöpft, aber friedlich. Jetzt können wir Freunde werden.

Darauf erstmal ein Käsebrot.


 


Dienstag, 4. August 2009


Carte de Visite




Daß mich im Grunde keiner kennt, mag vielleicht auch daran liegen, daß ich mich zu selten richtig vorstelle. Natürlich trage ich auf privaten und beruflich veranlaßten Zusammenkünften meine diversen Ordenszeichen, gewonnenen Preise, Geburtsdatum und akademischen Titel gut sichtbar außen am Revers - aber schüchtern wie ich bin, verschmelze ich doch zu oft zu schnell mit meinem eigenen Schatten, werde eins mit der Wand, anstatt mir gleich ein paar Freunde fürs Leben zu adden, wie man es im Internet täte. Was mir fehlt, um die Worte kurz zu halten, ist eine vernünftige Visitenkarte, die Auskunft gibt, über Namen, Rang und soziales Begehr. In meinen Zeiten auf den glatteren Parketts habe ich ja immerhin eins gelernt: Willst du gelten, mach dich nicht selten - und behalte die wichtigen Leute immer schön im Radar, ehe du mit den Nullen statt den Einsen in einer unentrinnbaren Ecke stehst. Zeig, was du hast, heißt es, darf auch gerne etwas mehr sein, wer fragt denn später schon danach. Du kamst als Fremder, heißt es ebenso, und gingst als Freund wichtiger Kontakt - und - schwupps - geht als nächstes die Karriere ab wie die Rakete, mit der ich sonst nur zur Arbeit fahre.

Auf Retropolis Travel kann man sich Entwürfe aus einer Future yet to come anschauen und mit dem eigenen (!) Namen versehen (falsche Telefonnummer und sonstige persönliche Datenschwärzung nur in der Disco gegenüber flüchtigen Zufallsbekannten). Ich schwanke noch und sollte vielleicht besser die Variante mit dem Mad Scientist wählen. Ich muß aber sagen: Als Sky Captain hat man mehr Schlag bei den Frauen.

So. Muß jetzt los. Erwachsen werden.


 


Sonntag, 2. August 2009


Ein, zwei, drei Sonntage




Natürlich wird das öde, die Fotos unspektakulärer Landpartien durch eintönige Landschaften zu betrachten. Nicht einmal ein Picknickkorb schmuggelt sich ins Bild oder ein kleines Paddelboot. So aber sind die endlosen Sommer unserer Internetkindheit, jeder Tag von lichtdurchfluteter Wärme in die stillstehende Zeit der Gleichförmigkeit verklebt. Auf dem Flohmarkt Bücher gekauft, George Grosz liefert den aktuellen Kommentar zur Lage, wie Hartz-IV-Karikaturen kommen die Zwischenkriegsskizzen daher, die wie aufplatzenden Bankenchefs, die Arbeitgeberpräsidenten und Unternehmensverbandsvorsitzenden. Feist wie einst - nur die Huren sind heutzutage nicht mehr so drall, vermute ich. Zurück durch den Park, dann weiter Richtung Osten, Felder schauen und Pferde und die schmucken Bauernhäuser mit ihren Säuleneingängen, als wären sie Paläste.



Brombeeren hängen am Wegesrand, an der Justizvollzugsanstalt warnt ein Schild am Zaun, daß jegliche Kontaktaufnahme verboten sei. Aber niemand ist dort zu sehen. Diesseits des Zauns, auf dem asphaltierten Platz vor dem Tor üben ein paar Menschen, Achten auf ihren Rollerblades zu fahren. Der Gegenwind ist stärker als sonst, mehr aber ist nicht passiert.


 


Samstag, 1. August 2009


I'm not a Ladybug's Man



Ganz Norddeutschland ist derzeit überschwemmt mit krabbelnden Glücksbringern, überall tummeln sich die munteren roten Käfer. War natürlich klar, daß sich in meine Wohnung ausgerechnet eines der selteneren schwarzen Exemplare des Adalia bipunctata flüchten mußte. Warum nicht gleich ein paar Totengräber (Necrophorus vespillo)? Manche dieser Arten kommen auch recht schön in Rot und Schwarz daher. Der dunkle Geselle hockte ein wenig lustlos auf einem offenbar blattlausfreien Blatt auf meinem Fensterbrett und hat, ich war nur mal eben im Weinkeller, inzwischen das Weite gesucht.

So ein Samstag ist mittlerweile dicht gepackt, denn seit ich irgendwo draußen am Rande der Stadt in den feuchten Sumpf- und Marschgebieten arbeiten muß, schaffe ich unter der Woche kaum noch sogenannte "Erledigungen". Großeinkauf im Viktualienmarkt, die Suche nach augenschmerzfreien Haushaltsartikeln, Informationsbesuche in der Konsumwarenwelt und einer Buchhandlung, Flohmarkt und ein kauforientierter Bummel durchs Karoviertel - und dann soll man noch mit Freunden Frühstücken, seit ihr denn Jeck? Wer soll sich um meinen Marienkäfer kümmern? Kein Wunder, daß der entweicht, wenn ich nicht nach Hause kehre, die Taschen voll mit Leckereien, die ich Stück für Stück auspacke, während er mir erwartungsvoll um die Beine streicht. Ich glaube, die Miauen auch, bin mir aber gerade nicht so sicher - wie schnell ist so ein Tier verwechselt!

Während ich also emsig Punkte von meiner Das ist zu tun-Liste streiche und andere hinzufüge, denke ich daran, wie schade es ist, wenn das Glück durchs Fenster entfleucht. Man hofft, er findet irgendwo einen Lausebengel, bei dem es ihm besser gefällt.


 


Sonntag, 26. Juli 2009


Abendfahrt

Ihre Herzen, die in der trüben Flut der Jahre,
in der Asche der Mühsal erstickt waren,
fingen wieder an zu brennen,
sie entzündeten sich an diesem Abendrot.

(Georg Heym, "Der fünfte Oktober". 1912.)



Nachdem mich der Kater grußlos verlassen hat (geh, wo du wohnst, dir wein' ich garantiert nicht hinterher!) , das Hörvermögen zum Glück aber zurückgekehrt ist, machte mir nur die Luftversorgung Sorge. Selbige mit dem Fahrtwind in die Lungen drücken, ist ja mein neuestes Hobby, regelmäßige Leser werden meine unaufdringlich subtilen Andeutungen in Sachen Fahrradfahren bemerkt haben. In einer Viertelstunde unten am Fluß zu sein, ist einfach immer wieder ein Glück, stelle ich fest. Im Buschwerk verborgen die Dächer der alten Pumpenhäusschen, vorbei an den Schafen, eine Gedenkminute für Herrn Sakana, zusehen, wie das Licht langsam schwindet, die milde Abendluft geniessen und sich daran erinnern, daß man streng genommen immer noch mitten in der Stadt ist. Zu Hause dann die simplen Dinge: das letzte tatsächlich kalte Bier aus dem Kühlschrank und ein paar Johannisbeeren, eine kurze Auszeit also, ehe morgen wieder das ästhetische Stadium einer Kierkegaard-Woche beginnt. Die ironische Distanz.


 


Freitag, 24. Juli 2009


Jetzt mit Produktbegeisterung






Es wird bald Leserbriefe geben, wann denn hier mal wieder ordentlich gejammert würde, nicht auszuhalten sei es, soviel Sommer kann doch gar nicht sein, als daß nicht irgendwo ein metallblutender Rostfleck zu beklagen wäre. Gemach, denn erst möchte ich noch einen Verbreitungskanal für meine Begeisterung eröffnen, die sich kürzlich über den Erwerb einer Sache einstellte. Die Firma Brooks, zu der ich in keinem vertraglichen Verhältnis stehe, produziert nämlich in Merry Old England, gleich hinter einem grünen Hügel an der Bahnlinie auf dem Weg nach Hogwarts, wie jedermann weiß sehr schöne und überdies ungeheuer praktische und bequeme Fahrradsättel. Daß man sich so ein Lederteil für untendrunter kauft, mag also als das Selbstverständlichste der Welt gelten. Mich hat darüber hinaus aber das ganze Drumherum der Geschichte sehr entzückt, einer Story wie man in der professionellen Produktbeziehungsbranche sagt, und ich möchte dafür das altbackene Marketenderwort vom "Einkaufserlebnis" benutzen.

Es beginnt schon mit einem Pappkarton mit einer ganz entzückenden Haptik - und wer sich nur ein wenig mit Pappe und Papier beschäftigt hat, weiß, wie groß die Unterschiede sein können und wie sehr sie einem auf den Tag schlagen können. Und auf die Laune erst! "Ein Pappkarton, ja vielen Dank, Herr Kid, das ist ja mal ein Ding und große Sache sowieso", höre ich bereits erstes spöttisches Murmeln in den hinteren Reihen unseres beliebten Internetzes. Gemach, faßt lieber kurz mal (aber nicht mit Fettfingern!) über die hübsche Prägung und streicht über das feste Material. Ja, genau: Das ist Liebe. Kein billiger, kunststoffkaschierter Hochglanz, kein schreiendes, computergeneriertes Foto, bei dem einen ein Sattel aus einem Meer von Flammen und Blitzen wie mit nacktem Hintern ins Gesicht springt - sondern eine ruhige und beruhigende Aura der Angemessenheit. Die setzt sich auch im Innern fort: keine fiese Blisterpackung, keine vakuumverschweißte Plastikfolie giften einem entgegen. Eine schöne Frau sollte einem nicht in Polyester entgegentreten, heißt es im Sprichwort, das käufliche Objet du désir der Warenwelt sollte ebenfalls verlockend und mit Wert gekleidet sein. Man sieht vor dem inneren Auge, wie Pat oder Mike oder Steve mit ihren von der Lederarbeit zerstochenen Fingern den Sattel und den Spannschlüssel auf den Pappträger befestigen, man sieht wie Fiona oder Myrtle den Brief mit den Unterlagen mit einer kleinen Kordel festzurren - fleißig und unablässig, wobei sie ab und zu einen Blick auf die Heidelandschaft vor dem Fesnter werfen und zur Teezeit selbstgebackene Kekse herumreichen. Nachmittags schlendert Seamus aus dem Büro herbei, unter dem Arm einen Packen des neuesten Brooks Bugle, der kleinen Firmenzeitung, die (und daran könnten sich wirklich viele Unternehmen mal ein Beispiel nehmen) ein hübsch gestalteter und zugleich unaufdringlicher Produktkatalog ist. In jeden Karton fliegt wie von Zauberhand ein Exemplar hinein, und dann kommt der kleine Donnie, der immer einen lustigen Spruch parat hat, wenn er nicht frech den neuesten Schlager pfeift, dabei Myrtle keck zuzwinkert und die fertigen Pakete holt. Da geht mein Sattel auf die Reise - und ich stehe später entzückt vor meinem Kauf, denke Es gibt sie noch, die guten Dinge endlich fühlt man sich als Kunde nicht nur als Erwerber irgendeines für den schnellen Verbrauch gemachten Produkts, sondern einer dauerhaften Sache, eines wirklichen Dings, ach was: eines echten, handberührten Gegenstands.

Die Webseite der Firma ist noch nicht ganz fertig, aber im Kundenforum herrscht ein angenehmer Ton. Fragen und Kritik zur Preisgestaltung, Verarbeitung, die Produktion in China (nur die Sättel werden in England hergestellt) werden freundlich und reflektiert beantwortet: We accept all, but coarse language. Man hat das Gefühl, hier hört eine Firma tatsächlich zu und knallt weder ihr Produkt noch ihr Marktgeplauder lieblos auf die Theke.

Ja, ich weiß. Auch sie wollen nur an mein Portemonnaie. Aber anders als manche Mitmenschen geben sie einem ein gutes Gefühl dabei. Und letzten Endes geht es auch beim Kaufen um Emotion. Man will sich doch auch ein wenig in den frisch in den Haushalt aufgenommenen Gegenstand verlieben können, wenn vielleicht nicht gleich in jeden Küchenschwamm. Und wenn man überlegt, daß so ein Sattel nicht viel mehr kostet als ein bei Jung und Junggeblieben sehr beliebter, in Vietnam aus schlichtem Segeltuch und einer Gummisohle zusammengeklebter und dann zum Kult konvertierter Turnschuh... ach, daran denkt man besser nicht.