Dienstag, 4. Januar 2022


Bin so abstrakt



Weil ich jetzt in meiner filmschaffenden Rückreise im Jahr 1954 bin, habe ich das Feuerwerk zu Silvester (das Ghetto zeigte sich stabil, Verkäufe aus dem Kofferraum machten es möglich) zu einem abstrakten Gemälde umgearbeitet. Für übers Sofa. Das neue Jahr verspricht, glaubt man einer bekannten US-Astrologin, von allem ein bißchen: Geld, Spaß, Reise, Erfüllung, Liebe usw. Das paßt mir gerade gut, meine Tür, mein Reisekoffer und insbesondere mein vermögensreduziertes Konto stehen offen.

Leider konnte ich dieses Jahr keine Stöcke von abgebrannten Feuerwerksraketen zum Basteln sammeln. Die waren wohl in den zahlreichen Garagen und Kofferräumen schon abgebrochen. Eine unvorhergesehen Ausgabe, die mir hoffentlich kein all zu großes Loch ins Budget fressen wird. Duschen also vorerst nur noch kalt, Fernsehen nur noch aus der Konserve.

Gestern sah ich, es gibt keine Zufälle, einen Rückblick auf zehn Jahre "Die Geissens", zunächst ein bißchen erschöpfungsdämmernd, dann elektrisiert. Was für ein Bündel an guten und bedenkenswerten Haushaltstipps! "Vom Geldausgeben ist noch keiner reich geworden!", so der Benjamin Franklin unserer Zeit, Millionärsgattin Carmen G. "Sie ist die Hausfrau" (Robert G.), wurde sie vorgestellt, doch "Ich bin ja nicht nur Hausfrau"-Carmen gab sich gewitzt. Ihre Ratschläge zum Umgang mit der eigenen Prominenz ("war auch nicht immer leicht") und Fans ("ich umarme immer alle") sind auch für Blogger lehrreich. Ihre Charakteranalysen ("Robert hat sechs Luxusautos. Der ist so was wie ein Sammler") treffen bei der ("Sie hat 500 Paar Schuhe") kölschen Lebefrau ins Mark. Wie das "Selber Arschloch" zu einem Landsmann im Urlaub, der Gatte Robert als ebensolches bezeichnet hatte. Sagt man nicht, aber das weiß man als umarmender und Hände schüttelnder Blogger ja.

Fühle mich jetzt wohl präpariert wie ein altes Klavier vom Sperrmüll, um 2022 noch ein paar Lieder zu klimpern.



>>> Geräusch des Tages: Die Sterne, Abstrakt


 


Freitag, 31. Dezember 2021


Fight Cowrona!



(Terror aus dem Weltenraume - demnächst 1954 im Kino!)

In meiner Reise rückwärts durch die Zeit bin ich nun im Jahre 1954 angekommen und eine Art Ed Wood (letzter Autorenfilmer) in einer Art Jack-Arnold-Studio (Tarantula) geworden. Was dem einen Plan 9 from outer Space ist mir Terror aus dem Weltenraume, ein epochales Sci-Fi-Werk mit ungewöhnlichem Twist. In meinem Film kommen nämlich Aliens auf die Erde, um eine gefährliche Krankheit zu bekämpfen: Cowrona, eine durch Rinder übertragene Virusinfektion, gegen die die Menschheit kein Mittel gefunden hat. Extraterrestrische Wissenschaftler aber können mit ihren Labor-UFOs die befallenen Kühe aufspüren und unschädlich machen. (Sie werden auf einem kleinen Exoplaneten ausgesetzt und können dort friedlich grasen.)

Werke wie dieser Film sollen Frieden und Freundlichkeit in die Welt bringen. Davon erhoffe ich mir für 2022 ganz viel. Schluß mit Krankheit, Einbruch, Plünderungen, Zerstörung, Seuchen, Arbeitslosigkeit und andere Niederlagen des Lebens. 2022 soll das Geschichte sein, denn - bringt nichts. Ist nicht schön. Braucht kein Mensch.


 


Samstag, 25. Dezember 2021


Keine Tränen unterm Weihnachtsbaum



Der erste Weihnachtstag ist immer der schönste, wenn auch atmosphärisch "kühler" als Heiligabend. Diesem Tag liegt aber inne, das "Gröbste geschafft" zu haben: Staubsaugen, Baum schmücken, Essen totkochen, letzte Geschenke besorgen, einpacken oder es gleich ganz sein lassen, klingelnde Nachbarn, Telefonate quer durch die Weltgeschichte, Flötenkonzert, Bescherung mit emotionaler Aufwallung oder gleich gar keiner... Wie schön also der erste Weihnachtstag. Man trägt die neuen Pantoffeln, die Krawatte um den Kopf oder gleich gar nichts, schaut die Peanuts aus nostalgischen Gründen, spielt mit der Modelleisenbahn oder anderen Geschenken, doziert über Weihnachten früher?, sucht diese eine zerkratzte Schallplatte, die unbedingt jetzt und nur heute abgespielt werden muß - und das war's auch schon. Man macht vielleicht einen Spaziergang um den zugefrorenen Ententeich (müßte sich dazu aber umziehen, muß also nicht), bringt Altpapier zum Müll oder all die schlechten Gedanken, aber sonst - nichts.

Ich kann jetzt zufrieden mein kleines Impfpflaster streicheln, das vielleicht nicht schönste, aber beste Weihnachtsgeschenk, das allerdings durch unvorhergesehenes langes Schlangestehen auch schwer erarbeitet war. Aber manches geht ja, wenn man es einfach nur tut. Sonst kann man es gleich ganz sein lassen.

Frohe Weihnachten.


 


Samstag, 11. Dezember 2021


Illust



In meinem Beruf als Wissenschaftsillustrator muß ich häufig bei Laborexperimenten dabei sein, um Prozesse und Stadien live ("Live und in Farbe", sagt man) festzuhalten, damit sie nicht für die Nachwelt vergessen sind. Das ist nicht ganz ungefährlich, vor allem bei Experimenten, deren Ausgang ungewiß ist.



So wie bei diesem mit einem geheimen Edelgas gefüllten Glaskolben, der durch Hochspannung (Kids, don't try this at home!) in ebenso hochfrequente Schwingung versetzt wird und eine (hier noch viel geheimere) Trägersubstanz transformiert. Die dahinterliegende chemische Formel muß ich nicht verstehen, ich bin nur der Maler, der mit unbestechlichem Auge akribisch die Wunder der Reaktion in allen Details festhält, damit sie später exakt studiert werden können. Leider kann ich als Illustrator nicht die Geräusche festhalten, das Summen und Brummen der Transformatoren, das Blubbern in den Inkubatoren, der schwere Atem der fleißigen Experimentatoren.

Ähnlich betriebsam war die Woche, ein Brizzeln und Bruzzeln, wie man in Entenhausen sagt, am Mittwoch wurde ich ein bißchen gegrillt und schon Donnerstag bereits fielen mir sozusagen postkonversational die richtigen Antworten ein. Weshalb es grundsätzlich praktisch ist, sein Leben rückwärts zu leben! Da hat man die Antworten schon, ehe überhaupt die Frage gestellt wurde. Nächste Woche noch mal Stube kehren, Vorräte aufstocken und dann bis Jahresende in meinem von blubbernden Glaskolben umgringten Bett liegen bleiben und auf einen Booster-Termin warten.


 


Montag, 6. Dezember 2021


Traumhäuser

In meinem galanten Maklerroman Liegenschaften der Liebe schreibe ich über ein Künstlerpaar, das einige Jahre gemeinsam durchs Leben schreitet zusammen die Kalenderblätter zählt Bett und Miete teilt eine Bedarfsgemeinschaft bildet, sich dann vom Herzen her aber ein wenig entmietet (zuviele Leute, die durch die Fenster schauen und Kommentare abgeben). Ein schönes, romantisches Stück.

Heute, an einem typischen Nikolaustag (nix im Stiefel, nix im Topf), erwachte ich aber aus intensiven Träumen, in denen ich an eine Bekannte dachte, mit der ich früher mal einen Roman teilte, ehe dann die Zeitenläufte unsere kleinen Schiffe in unterschiedliche Richtungen wehten (zuviele Leute, die durch die Bullaugen schauten und Kommentare abgaben, zu wenige Planken, über die man die alle hätte laufen lassen können).

Alles geht zu Ende, das Jahr nun endlich auch. Ich weiß nicht, als was das in Erinnerung bleiben will oder ob ich jemals "intensive Träume" dazu haben werde. Man träumt nicht von griesgrämigen Jahren. Man sagt, komm, geh' weg, du stinkst. Man sagt, I'm coming around, raus aus dem Stillklebestand und "mal sehen, was 2022 bringt". Zur Abwechslung mal wieder vorwärts gehen, nicht den Kopf seitwärts halten, Brackwasser aus verstopften Ohren laufen lassen oder um totgelaufene, abgeschrappte Punkte tänzeln wie Raucher im gelben Käsekästchen am Regionalbahnsteig.

Hab' eine Einladung in eine große Stadt in den USA erhalten, Perspektivwechsel, jemand, der mir auf den Kopf haut, aber liebevoll, Namen hin- und herwerfen und Ideen, Mißverständnisse auftürmen wie Wolkenkratzer oder auch Einsichten, ein bißchen Touriprogramm. Dort dann gleich den internationalen Markt erobern, denn die Rentenauskunft, die ich zwischenzeitlich erhielt, legt mir das als Empfehlung nahe. Ich write dann nur noch auf English, male amerikanisch und fliege auf Kosten des ZDF nach Hause zur großen Weihnachtsshow.

Nachdem ich all dies durchgedacht hatte, war es schon Zeit aufzustehen. Frühstück machen, Kaffee trinken, Nachrichten lesen. I'm coming around.


 


Freitag, 29. Oktober 2021


I Had A Dream Last Night



Es ist immer aufregend merkwürdig oder merkwürdig aufregend, wenn einem fremde Leute in den eigenen Träumen herumfuhrwerken. Jetzt ist es aber so, daß die Make-up-Künstlerin Isamaya Ffrench (u. a. Kanye West, Pacco Rabane) mit Regisseur und Kameramann Rodrigo Inada in meinen Kopf vordrangen, um einen Traum, den ich vorgestern hatte, von dort herauszupulen. Das ist eine spannende Technik, die im kommenden Meta-Zeitalter ganz normal und haushaltsüblich werden wird. Sozusagen der Thermomix für die REM-Phase.

Ffrench, von der es heißt, sie habe ihre Karriere als Gesichterbemalerin auf Kindergeburtstagen begonnen, sagt "I just think that 'beautiful' and 'pretty' have limits" und schaut offenbar auch ganz gern unter dem Teppich nach, nimmt Seelenkericht und einen Schuss Ursuppe (neben Sauerteig immer einen Schuss Ursuppe vorrätig halten!) und zaubert einem das wahre Halloween-Ich aus dem Körper. Zauberhaft. Präsentiert wird das ganze von WeTransfer, die hier einen ausführlichen Bericht, weitere Hintergrundinformationen und Stills aus dem kleinen Film bereitstellen. Zum Träumen.



Apropos, Kindergeburtstag. Wieder einmal um die Sonne rum, das ging diesmal schneller als ein Roadrunner aus den Carl-der-Coyote-Filmen. Danke für die vielen Glückwünsche und Geschenke, das ist alles sehr rührend. Kann jetzt sagen, "bin ja auch keine 37 mehr" und ähnlich wie Frau Ffrench "'beautiful' and 'pretty' have limits", aber meine Träume sind (s.o.) nach wie vor wild. Habe auch geträumt, daß ab nächstem Jahr jeweils ein EU-Bürger zufällig als Hospitant bei der EU-Kommission ausgelost wird, um mehr Bürgernähe zu diesen doch recht abstrakten Institutionen zu schaffen. Besitze jetzt ein Handbuch für die kommende Caféhausarbeit. Dazu Post aus Florenz, fantastisches Geschenkpapier, das ich rahmen werde und viele weitere interessante Ideen für die Zeit von 2:00 Uhr a bis 2:00 Uhr b, wenn am Wochenende die Uhren umgestellt werden.

Homestory | von kid37 um 15:37h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 21. Oktober 2021


Von der Motte



Wenn man eine experimentelle Apparatur entwickelt, muss man immer mit Nebenwirkungen rechnen. So zieht man durch einen komplizierten Mechanismus der Natur Motten an, wenn man eine Lampe baut (-> Phototaxis). Daher auch das Lied.

Manche Menschen werden auch vom Kurznachrichtendienst Twitter angezogen wie die Motten, weshalb ich am 28. April 2021 ein Experiment der Selbstenthaltsamkeit startete und das Rumlungern den Betrieb dort einstellte. Und zwar bis zum 18. Oktober 2021, was mir leider zu spät auffiel, sonst hätte ich noch zehn Tage durchgehalten, um das halbe Jahr komplett zu machen. Ich kann als erstes Vorstudienergebnis vermelden, daß ein Twitter-Detox sehr bekömmlich ist für inneren Frieden und das Zeitmanagement. Man muß auch kein FOMO hegen, denn auf hat sich nach einem halben Jahr Pause nichts geändert. Es geht nahtlos von einer Aufregung zur nächsten, wie Wellenreiter, die von einer Welle zur nächsten gleiten, immer und immer wieder.

Selbst eine Motte mit nur einem Fühler, sozusagen ein "Singulartaster", wie wir Signalwissenschaftler sagen, bekommt in diesem Umfeld genügend Reize und Erregung mit. Jetzt im Oktember, dem fnürfundhmpfigsten Monat seit Anbeginn der Pandemie, gehen die Lichter und Gasheizungen früher an, man kritzelt abends noch den Tagesreport ins Journal, seufzt über heißem Kamillentee, liest den Tanz der Motten um die Straßenlaterne vor dem Haus wie Prophezeiungen und wiegt seine Gedanken, ob sie auch schwer genug sind für den langen Winterschlaf.

Ich glaube, die Motten sind dieses Jahr größer geworden, der Klimawandel läßt die letzten verblienenen Insekten wachsen wie eingeschleppter Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum). Einen Mantel wird man sich schneidern können aus ihren Flügeln. Später, wenn es in Frost und Rente geht.

Homestory | von kid37 um 19:16h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 16. Oktober 2021


Von der Lampe



Sitze hier im karierten Hemd und versuche mich als Maschinenbauer. Habe jetzt eine Lampe gebaut, die ich über das Wochenende mit Gedankenkraft zum Leuchten bringen will. Ich hatte dazu ein paar kühle Gedanken, die mir erfolgversprechend schienen, bis mir auffiel, daß die Heizung bereits seit einigen Tagen ausgefallen war. Da kann ja jeder kühl denken! So waren natürlich auch die Gehirnwellen verzerrt und... na ja, ich fasse das kurz, das wird für die meisten Leser eh unverständlich sein. Noch ist es dunkel, aber ich arbeite dran. Transmutation.

"Kalt, aber hell" lautet nun das Ziel fürs Wochenende. ("Mehr Licht", für die Bildungsbeflissenen hier.) Der Herbst ist da, nur leider sind ja alle Jahreszeiten gleich geworden. Gleich gleichtönig, gleich müde, gleich ereignislos. Man könnte sagen: Auch die Jahreszeiten tragen Maske. Wer weiß schon, was darunter ist? Die einzigen Wesen, mit denen ich mich noch unterhalte, sind die Hausgeister. Ich würde sie "Dämonen meiner Vergangenheit" nennen, wären sie nur irgendwie interessanter. So aber mahnen sie nur "mach mal Pause" oder "mach mal Urlaub" oder "mach mal den Staubsauger an", kriechen dann wieder wie Ektoplasma in irgendwelche Ritzen der Wandverkleidung, lachen hinter der Tapete oder werfen ein Buch aus dem Regal. Mehr fällt denen ja auch nicht ein. Selbst Trugbilder kriegen die nicht mehr richtig fokussiert hin, es bleibt ein diffuses Gewaber. Mal eine nackte Brust oder ein wutverzerrter Fahrkartenkontrolleur, mindere Kunst der Geistesprojektion, für die man nicht mal rückwärts sprechen muß.

Habe mich ja ganz gut mit der ersten Staffel von Vienna Blood amüsiert, für das einige Szenen auch in meinem Lieblingsmuseum gedreht wurden. Ein Telefonanruf aus der schönen Stadt bestärkte mich, recht bald mal wieder hinzufahren. Den einen Irrsinn gegen den anderen eintauschen. Lichter ins Fenster stellen.


 


Sonntag, 26. September 2021


Wolkengesänge



Heute morgen konnte ich aussschlafen, lag also schwer auf der Matratze und fühlte daran noch schwerer, da blitzte in mir der Gedanke: "Auch Wolken haben ein Eigengewicht". Von der, wie soll ich sagen, Gravitas dieser Erkenntnis noch tiefer ins Laken gedrückt, faßte ich aber einen sogenannten Entschluß, stand auf, trank Kaffee, brachte einen Brief zum Postkasten und holte ein paar essentielle Ding ein. (sog. Tagesbericht)

Eine Erkältung umschwirrt mich wie der Teufel die Fliegen, ich sage nur Schwitzen im Übergangswetter (was auch der Titel eines ungelesenen Romans sein könnte), und so heißt es, Vitamin C statt Vodka-Tequila. Früher war ja Samstagabend mehr Rock'nRoll, aber die vielfältigen Arzttermine diese Woche haben mir diagnostiziert, daß dieses sogenannte Altern auch vor Bloggern nicht Halt macht. Müde bin ich, geh zur Ruh'.

Von wegen nächtliches Rumschlurfen durch elektrisch geladene Großstadtneonlichterpfützen. Man sitzt stattdessen von der inneren Schiebermütze beschirmt daheim auf dem Sofa, blättert durch Prospekte voller Discounterangebote, findet es lustig, daß Aldi (das ist ein großer Discountanbieter) ein Handtücher- und Bettwäscheangebot mit einem Wolfgang-Joop-Look-a-Like bewirbt, bis man feststellt, das ist tatsächlich Wolfang Joop. Was kommt als nächstes?!? hallt es verzweifelt durch mein angelehntes Fenster. Abgewrackte Ringelpulliblogger mit Schiebermütze, die einen Sonderposten Handyladegeräte bewerben?

Morgen ab 18.00 Uhr dann Ruck oder Tiefschlaf, ich schaue schon seit Wochen den Stand der Wolken, der Sterne und den Zug der Vögel. Ich verstehe die Zeichen aber nicht, wie so viele viele andere nicht verstehen und deuten und mißdeuten, zuhören und nicht zuhören, spüren und nicht spüren, die Risse in den Wänden nicht sehen, das Röcheln in den Leitungen nicht hören, das Piepsen hungriger Vögel im Nest.

Ab Montag nur durchschlafen, gar nichts mehr hören, alle Stecker raus, leben nur mit Partyhütchen statt Schiebermütze, noch mal Geld raushauen für Gutes oder Hochprozentiges oder einen neuen warmen Mantel wg. Gutesgefühl. Danach Emo-Bloggen für einen Rheumadeckenhersteller oder einen Anbieter für Heimlichtorgeln. Die tollsten Pläne, Samstagabend, 23:03 Uhr.

>>> Geräusch des Tages: Richard Hell, Blank Generation


 


Montag, 30. August 2021


Montagstreiben

Ein anstrengender Montag. Vor dem ersten Frühstück schon ein MRT-Termin, zu dem ich überraschend über die Warteliste vorrückte. Habe extra auf Kaffee verzichtet, weil ich damit rechnete, dann ein wenig in der Röhre schlummern zu können. Leider erhob ich aber nicht rechtzeitig Einspruch, als es fröhlich hieß "Ich mach mal Radio auf die Kopfhörer!" Statt des warmen Schringersounds der Einstürzenden Neubauten bedullte mich also Radio Hamburg, und das ist ein Fall für den EGMR.



Danach aber schön entspannt, wie das so ist, wenn man bratfertig aus der Röhre gezogen wird. Jedes Huhn weiß das. Nervenberaubend dauerte und dauerte und dauerte es jedoch, bis die CD mit den Fotos fertig war. So ging ich davon aus mußte ich konklusionsfixundfertig selbstverständlich davon ausgehen, daß die "was gefunden haben" - und schon war das mit der Entspannung wieder hinfällig. Und dann nicht mal WLAN im Wartezimmer, bis auf die beiden der MRT-Geräte (T3 und T4, die haben eigene WLANs, ganz toll. Die könnten die Bilder direkt auf einen Insta-Kanal senden!) Wurde aber nur vergessen, weil ich ja unwillkürlich zum Patientenmimikry neige und mit dem Wartezimmer verschmelze.

Irgendwann aber dann doch endlich Kaffee und einen Ausflug ins Steuerrecht. Ich will ja nächstes Jahr eine Diamantmine kaufen, jedenfalls kommt es mir so vor, wenn ich die einschlägigen Vorschriften und exegetischen Rechtsauslegungen der entsprechenden Oberfinanzbehörden studiere. Das Finanzrecht präsentiert sich traurigerweise in einer gänzlich unpoetischen Sprache, anstatt z.B. als ein in Stanzen formuliertes Versepos. "Wir möchten itzund Geld von dier, so gieb es allzeit hinne!" wäre ein allgemeinverständlicher Einstieg in die graupapierne Welt der fiskalischen Reiter, die mit Lanzen und Zwingen bewaffnet mehr als den Zehnten verlangen.

In meiner Jugend schrieb ich bekanntlich avantgardistische Kurzromane wie Du spuckst in den Wind, ich halte aber nichts davon oder Wir sind kaputt und wollen aber gut aussehen. Wichtige Texte allesamt, bedeutsam für eine ganze Ein-Mann-Bewegung. Später kamen dann weniger ambitionierte, dafür erfolgreiche populäre Bücher aus dem Fantasy- und Horrorbereich dazu (viele werden die Sammlung Die sich selbst leer trinkende Cocktail-Bar und andere unheimliche Geschichten kennen oder mal verschenkt haben). Vielleicht sollte ich das Genre des Fiskaldramas begründen, die Zielgruppe ist ja nicht gerade klein.

Jetzt aber erstmal lecker Kuchen nach antikem Rezept, folglich nach sogenannter Differenzbesteuerung zu betrachten. Ich denk' an euch.