Mittwoch, 3. April 2013
Strenggenommen gehörten in so ein Post-Blog-Blog ja 4:37-Min.-lange Beiträge zum Thema "Stille", also leere Eintragsfelder über die staunenerfüllte Groteske dieses zum Winter gemendelten Frühlings. Junge Damen in kurzen Röcken entpuppten sich als Bildstörung, denn in Wahrheit trugen sie helle Jeans zu dunklen Jacken. Sie stehen auch nicht barfuß im Schnee, sondern in den leichten Turnschuhen einer US-amerikanischen Marke.
Sie sind vielleicht inspiriert von meiner einst ganz erfolgreichen Jugendbuch-Trilogie (Lotte reißt aus, Lotte boxt sich durch und Lotte kehrt zurück - auch bekannt als "Lotteleben"-Reihe). Darin unternimmt die Heldin eine längere Bildungsreise, kreuzt durch die Südsee (ohne dort freilich Königin zu werden) und hat eine Begegnung mit den Gaffern, was man heute aber nicht mehr sagen darf. Der Verlag schrieb die Passage in Lotte boxt sich durch in "Leute vom Stamme der Betrachter" um, was aber nicht alle Kritik verstummen ließ.
Die Szene, als Lotte ihr Pony schlachten mußte, um sich und einen ihr untergebenen Gaffer Typen vom Stamme der Betrachter durch den harten Südseewinter zu bringen (das ist da so wie hier), wurde ebenfalls vom Verlag gestrichen. Feige Einknicker. Es hätte so viel zu lernen und vermitteln gegeben. Mich wundert nicht, daß Frauen heutzutage kaum noch Hausschlachtung beherrschen. Außer zwei oder drei, die ich kenne. Backen ist auch so ein Thema. Knöpfe annähen... ich sag' nichts mehr.
Nun ist es ja so. Während man im Alltag natürlich aus reiner Höflichkeit nicht allen auf die Füße treten, Empathie für die Belange und Schwächen seines Nächsten zeigen und überhaupt hübsch freundlich bleiben sollte, kann all dies ja nicht Aufgabe der Kunst sein. Die macht ja Dinge, die glaubt man nicht. Mitunter bohrt sie einem in unangenehmer Aufdringlichkeit wie ein Fremder in der Nase.
Auf der anderen Seite dieses verdrehten Frühjahrs habe ich in einer mir selbst etwas fremden Regung ein Ding mit Emily Blunt. Eine Schauspielerin, die ab und an aus der sonnenuntergangsgetränkten Seeligkeit ihres Privatlebens auftaucht, um unverfangenen Nonsens für die Öffentlichkeit zu machen und dabei immer extrem trinkfest aussieht. Cello spielt sie auch, sogar im Winter. Wißt ihr das jetzt auch.

Samstag, 23. März 2013
Um nicht als Freitagsblogger zu enden, schreibe ich jetzt einen Beitrag, einmal den Samstag zu ehren. Dieser Tag, hier im Norden leider zum Sonnabend degradiert, ist sozusagen die Schlummertaste der Woche. Während man sonntags ja pünktlich im frischgew...putzten Ornat zum Gottesdienst erscheinen und daher zeitig präsentierfähig sein muß, bietet ein Bartschattentag wie der Samstag mehr Freiheiten. Da gehen Väter und Söhne in den Baumarkt so wie sie wirklich sind und unter der Woche kaum wahrgenommen werden. Für ein Super-Projekt natürlich.
Mach doch mal was mit toten Blumen, hege ich hingegen mein eigenes Projekt zwischen Gemüseputzen und Telefonignorieren. Denn wenig Hobbys sind mir geblieben, außer Dingen beim Verfall zuzuschauen. Wie lieb sind mir da solche, deren Verfall dabei noch schneller geht als der eigene! Dankbar wird man über die kleinsten Phänomene der Natur, sorgsam hege ich daher meine kleine Memento-Mori-Kultur, aus der es mit welker Stimme mir zuraunt: Denke dran! Denke dran! Einst folgst auch du!"
Bis dahin aber gehe ich im Bademantel rüber zum Supermarkt, neue Blumen kaufen oder vielleicht ein Brot vom Vortag, feudel später ein bißchen über die Fensterbänke, denke mir ausschließlich meinen Teil und nicht deinen, denke an Frauen mit schönen runden Kuchen, schaue den Möwen draußen vor dem Fesnter zu und nasche von importierter Laune.
In der Fabrik zuletzt wieder anstrengende Wochen, die nicht ausschließlich an mir lagen. Ich indes bin neuerdings Elektro-Man, auch außerhalb eines samstäglichen Besuchs im Baumarkt. Aufgeladen wie ein Hartgummistab an einem Katzenfell, sprühe ich Funken, wenn ich nur daran denke, Dinge zu berühren. Unangenehm, wenn man morgens einen Rechner einschalten muß, der sich in einem Gehäuse aus Aluminium befindet. Neulich hat sich die Maus aufgehängt, nachdem ich an die metallumhüllte Tastatur faßte. Sozial schwierig war der Moment, als ich den Wassersprudler lahmlegte, weil sich vom Funkenschlag am Startknopf ein hörbares Brizzeln ins Innere der Maschine fortsetzte. Glücklicherweise lief das alles nach einmal Ein- und wieder Ausschalten wieder.
Ausprobiert habe ich noch nicht, ob ich wie weiland Onkel Fester eine Glühbirne im Mund zum Leuchten bringen könnte. Mit kleinen Taschenlampenbirnchen geht das aber schon sehr gut. Die Menschen stehen seither nicht nur vorwärts in den Straßen, sondern auch mächtig beeindruckt.
>>> Geräusch des Tages: Savages, die an eine bestimmte Band, ich komm' jetzt grad nicht drauf, aus Manchester von Ende der 70er Jahre erinnern.

Donnerstag, 14. Februar 2013
Heute ist ja Tag der Herzensbrecher. Da denken sich viele schwer anromantisierte Menschen schwer was aus. Rosen schenken oder ein Käsebrot? Das in femininen Fachfragen führende Missy Magazin wendet sich dem Weiblichen zu und veröffentlicht eine Liste mit knallroten Perioden im Film. Die walisische* Band My Bloody Valentine steht nicht zurück und veröffentlicht nach über 20 Jahren ein neues Album, das Menschen weltweit zum Schluchzen bringt.
Nun wollte ich zunächst ebenfalls nicht zurückstehen und allen meinen Leserinnen eine rote Rose bereitstellen. Unbeholfen in solchen Dingen wie ich bin, überlasse ich dann aber das Wort dann doch lieber dem nordeutschen Dadakollektiv HGich.T, das ihr alle von ihrem Hit Goa Goa MPU (aka "Tutenchamun") her kennt. Die haben eine ganz liebevoll schüchterne Liebesgeschichte zusammengezaubert. Diddelmaus Ballerina. Wie gemacht für diesen rosazarten Tag.

Mittwoch, 13. Februar 2013
Ich bin ein wenig unschlüssig, was die Musik angeht. Aber die Zähne von Leslie Clio beeindrucken mich sehr (#instantlove). Man kann nur hoffen daß sie die nicht richten läßt.
Ich selbst bin ganz ungerichtet, also nicht nur, was die Zähne betrifft. Das Defekte dieser nicht fruchtbaren Jahreszeit. Draußen Schneereste und frostiger Grund, Bagger auf der kleinen Großbaustelle, die sich mühsam in eine sandige Schicht graben. Wer weiß, wer weiß, wer weiß. Der Kampfmittelräumdienst war nämlich vorher nicht da.
Träume sortieren wie Wäsche, die roten Sachen brav auf einen extra Haufen. Für einen anderen Waschgang dann. Nicht besser justiert sein als ein alter Plattenspieler. Sich selbst also nur noch von Hand auflegen, knisternd die Spur finden, dann die Knackser zählen. Plötzlich dieses Krkz an immer der gleichen Stelle. Wahrscheinlich seit Jahren schon.

Mittwoch, 6. Februar 2013
Es ist wie so oft: Man steht in der Öffentlichkeit, muß sich mit den inneren Dämonen auseinandersetzen und dabei Haltung und eine gerade Krawatte bewahren. Manchmal dabei aber auch wie ein Fassadenkletterer hinter die dürftig lackierte Frontblende steigen und einen kritischen Blick auf den Motorblock werfen. Ich also, mit Krempelärmeln, Schraubenzieher hinter dem Ohr und einer Taschenlampe zwischen den Zähnen, mutig in der großen Maschine herumgewerkelt.
Es begab sich nämlich, daß dieser von Version zu Version immer elender werdende Firefox sich mit seinen javaverlöteten Zahnreihen in die Grafikkarte verbiß. Wie ein aufmerksamkeitsdefizitärer Dreijähriger stand er am Lichtschalter, ein, aus, ein, aus, eine juchzende Freude, nicht so aber für mich oder auch nur meinen Monitor. Daher der Ruf: Aus jetzt! Was wiederum die große Maschine mißverstand, beleidigt rief, hallo, ich bin doch kein Macintoshklamott, ich bin ehrlich empfindsam. Vergänglich. Und nun also gekränkt.
Und nun also wie tot. Vermukscht wie vergessenes herbstliches Laub im Hundeauslaufschnee.
Mit meinem Schraubenzieher und einem Programm namens "Blüm 2000" (Version "banniges Blümchen") alle Daten auf Tontafeln gesichert und ansonsten den Staub der Jahre ordentlich durchgepustet. Pause zu Hause nennt die Werbung das, ich komme nun früh ins Bett und habe in meiner Plattensammlung das ein oder andere Schätzchen entdeckt. Auch befindet sich nun in meiner Wohnung ein Fernsehgerät, auf dem ich auch ohne elendigen Firefox durch 35 verschiedene Blogs von ARD bis ZDF surfen und dabei traurig werden kann.
Ab und zu schaue ich wie Regen oder auch Schnee oder einfach wieder Regen gegen meine Fensterscheiben gedrückt wird, starre beschwörend auf den Kalender und warte auf das Ersatzteil.

Montag, 31. Dezember 2012
Dann also wieder alles zum Ende bringen. Sich selbst, also das alte Selbst, gleich mit zum Altpapier. Zusammen mit den Bilanzen und Rechnungspapieren. Fein säuberlich alles aufliniert, die Menschen, die dieses Jahr gingen, manche überraschend, manche weniger, die Menschen, die dieses Jahr kamen, manche überraschend, manche - auch. Zu wenig Musik aber war da nach meinem Geschmack. Vom schönen Ödland-Konzert abgesehen, wo man später sagen können wird: Die habe ich mal in einem ganz kleinen finnischen Club gesehen! Wie das überhaupt so ein schöner Abend war, einer von diesen überraschenden, zwanglosen. Und es mir ja richtig gut ging, was ich aber erst später wissen würde.
Zu wenig Filme auch, Bücher sowieso kaum, und zuviel Kunst ausgelassen. Wirklich zuviel. Wirklich zu viele Krankenhäuser auch, das wird sich 2013 doch wohl besser organisieren lassen. Hoffe ich. Die Krankenkasse nämlich knickte (vorerst) ein. Nach meiner freundlichen, aber vorschlagsfreudigen eMail entließ man mich (vorerst) aus dem eCard-Programm. Ein kleiner Erfolg (vorerst), der am Ende eher doch nichts bringen wird. Die Kasse schickt einen Brief, man würde mich (vorerst) nicht mehr behelligen, aber mit einem deutlichen "ich würde schon sehen, was ich davon hätte"-Unterton. Die Kanzlerin indes schwört uns auf Trockenbrotjahre ein.
Warum auch nicht, nach all den schicken, scharf-gewürzten Suppen der Nachwendezeit und den Eisbeinjahren der Bonner Republik. Wat fott is, is fott, vorerst gescheitert, haha, das muß man alles immer ganz nüchtern sehen. Auch wenn das manchen heute um Mitternacht sicher schwer fallen wird. Die Bilanz fischt schon einer rechtzeitig aus dem Container. Bis dahin, vorerst wie immer.
Immer weitermachen.
Stoßt mit dem Richtigen an. Nicht einfach so in die Menge.
>>>Geräusch des Tages: Der Mann ohne Vergangenheit

Samstag, 22. Dezember 2012
Nur kurz, ich habe keine Zeit, es ist Zeit für die Weihnachtsvorbereitungen. Heute Vormittag durch den frischgefallenen Schnee zum auch biologisch erzeugte und in Marken gehüllte Produkte veräußernden Süper Ü um die Ecke gestapft. Auch dort sind sie bereits da: Ein junges NeonNido-Pärchen nebst mitgeführtem in handgeflochtenem Freies-Wendland-Weiden-Maxicosi gebetteten Säugling, er so mit platzeinnehmendem Rucksack und Beanie-Mütze, das Klitzekind mit Beanie-Mützchen, sie so mit Einkaufswagen-im-Weg, und alle blockierend am Gemüsestand. "Sollen wir das mitnehmen oder lieber das?" säuselten die tiefenentspannten Gespräche, während unwirsche Arbeiterviertelrentner, die nun wiederum an einem Samstag auch nicht gerade einkaufen gehen müssen, versuchten, um das Kleinfamilienensemble zu kurven. "Ach, weißt du, was wir machen: wir nehmen was von dem hier mit, das kann man voll schön überbacken!" Entzücktes Jauchzen, ob dieser spontanen Idee, während ich gleichfalls spontan und aber auch entspannt, denn ich habe ja alle Zeit der Welt, versuchte, ebenso entschlossen wie einer dieser Arbeiterviertelrentner, aber mit Berechtigung am Samstag einzukaufen, um das Paar zu kurven. "Sollen wir nicht auch sowas hier reintun, für mehr Konsistenz?" wurde aber erst einmal raumgreifend weitere Essenspläne diskutiert, so daß Die Blockade am Gemüsestand (wie ich mein daraus entstehendes nächstes Buch nennen werde) anhielt.
Es ist eben Fest der allgemeinen Teilhabe. Warum vorher alles besprechen, Zettel machen, alle Dings zackzack in den Wagen und Platz machen, wenn man die essentiellen Dinge des Leben auch just in time vor allen Leuten zum Gemeinschaftserlebnis machen kann. Das wird noch hübsch werden mit diesen Gentrifizierern, die hier nach und nach einströmen und bald Klage führen werden, daß hier ja nix sei, während Alteinwohner wie ich am Stehtisch vor "Moni's Imbiss" ("Frühstück ab 5") mißmutige Blicke werfen werden. Muß man elastisch bleiben.
Daheim dann in Cary-Grant-Hausjacke geworfen und beschlossen, eine Schallplatte mit Weihnachtsliedern abzuspielen, um endlich mal feierliche Stimmung anzuleiern. Das ist ja ein Klassiker am Weihnachtsfest, Mann in Cary-Grant-Hausjacke, Frau sagt, ach, spiel doch mal die schöne Platte, dann wird grummelnd im Schallplattenstapel gesucht nach den "20 Greatest Christmas Hits" mit Bing und Mahalia und nach einem Jahr Betriebspause der Schallplattenspieler angeschaltet. Und immer und immer wieder kommt die erstaunte Klage (meist an Heiligabend, aber ich bin organisiert, ich teste das vorher schon): "Er geht nicht!" Wie. Ja, er geht nicht. Wie. Der Plattenspieler. Er geht nicht. Aber wir wollten doch die schöne Platte hören. Ja-ha, aber er geht nicht. Wie. (brummel, brummel, Mann rappelt am Gerät, betätigt Schalter und bewegliche Teile) Komisch, das ging doch neulich noch. Letztes Jahr. Ja, letztes Jahr.
Aber das ist oft im Leben so. Was vor einem Jahr noch ging, geht dann eben nicht mehr. Wer wüßte das besser als ich. Also die Ärmel der Cary-Grant-Hausjacke hochgekrempelt, das Feinwerkzeug geholt, den Plattenspieler ausgebaut, die Explosionszeichnungen, die ich vor Jahren mal aus diesem Internet heruntergeladen habe, (Ein Jingle für das Internet!) studiert und den kleinen über eine ausgefuchste Hebelmechanik bestätigten Ein-/Ausschalter am Motor nachgefettet. Schon lief er wieder an. Wieder alles zusammengebaut. Läuft. Oh, er geht nicht mehr aus. Round an around läuft der Teller... never, never, never stop (Bunnymen).
Also noch mal ausgebaut, die komplizierten Hebelläufe studiert. Offenbar eine Zugfeder, die entspannt wie eine Bilderbuch-Nidofamilie keinen ordentlichen Zug mehr drauf hat. Also mit der Sezierpinzette ("Schwester...") die Feder ausgebaut. [gekürz. Fssg.] Feder wiedergefunden und zum OP-Tisch getragen. Etwas gekürzt, nachgebogen. Wieder eingebaut [gekürz. Fssg.]. Läuft. Na ja, noch nicht so richtig, aber schon. Ich meine, der Tonarm hebt jetzt nicht mehr automatisch ab. Da muß ich noch mal in die Explosionszeichnung schauen. Könnte ein größeres Projekt werden, ideal zum Beispiel für stille Weihnachtstage, wenn man sonst nichts anderes (z.B. eine Eisenbahn) aufbauen muß. Oder sich selber.
Jetzt mal schön CD hören.

Mittwoch, 12. Dezember 2012
Ja. Scheiße.

Sonntag, 9. Dezember 2012
Himmel! Es gibt ja ganz viele Pronoseiten im Internet! So. Was war los. Erst war ich adrett gekleidet mit noch adretter gekleideten Damen los. Es ist ja die Zeit der Weihnachts- und Besinnungsfeiern.
Dann mußte ich im Fernsehen eine Wir-bekochen-uns-gegenseitig-Sendung schauen, in der Deutschlands berühmteste Kürschner Makler und Luxusmakler auftischten. Frau G. kann nicht kochen, aber da hatte ich schon so einen Anfangsverdacht.
Dann wurde ich von ganz vielen Menschen via Twitter gegrüßt. Da ich aber kein Twitter habe, wurde mit das mündlich übermittelt. Und ich bedanke mich jetzt per Blog. Danke. Wenn das nicht crossmedial ist!
Dann mußte ich gerichtlich mitfiebern. Aber es ist jetzt wohl offiziell: Stefanie Hertel und Stefan Mross sind geschieden. Jetzt bläst er wieder selbst. Bitte keine Kalauer in den Kommentaren!
Dann habe ich Wittgenstein gelesen. Und auch Spinoza. (aus meinem Buch: Herr Kid auf dem Weg in die A-List)
Dann war ich nicht ganz bei Sinnen und wagte mich am Samstag ohne wirklich verifizierbaren Bekleidungsnotstand (man trägt aber wirklich wieder Leibwäsche) in die Innenstadt. Dort war es voll. Dort war es sehr voll. Dort war es völlig über alle Maßen voll.
Dann war ich in einem Geschäft. Ein Schal (möglicherweise auch Shawl) erregte meine Aufmerksamkeit wg. konservativem Muster für 37plusjährige. Erst faßte sich der Schal gut an, dann faßte ich das Preisschild an. 379,- Euro. Ich meine, da muß eine Großmutter lange für stricken. Einen Schal beispielsweise. Aber wenn es, global betrachtet, für den Weltfrieden gut ist. Oder für die sexuelle Ausgeglichenheit. Dann sage ich doch, jedermann ein, zwei Schals für 379.- Euro. Das ist es wert.
Dann war in der U-Bahn einer dieser Kulturkreisbeschimpfer. Handy am Ohr, Ich-schwör!-Gespräch. Oder eher ein gebrüllter Monolog. Viel "ich schlag die" oder auch "ich schlag die tot", dann eskalierte Fetzen wie "deine Tochter", "hat 'nen Freund", "die fickt rum" gefolgt von "Was habt ihr bloß für eine Kultur?" und (mittlerweile gebrüllt) "Ich fick alle! Ich fick deine Mutter!" So etwas muß man mitunter mithören, wenn in der U-Bahn das Mobiltelefon gezückt wird. Andererseits, wenn es, global betrachtet, für den Weltfrieden gut ist. Oder für die sexuelle Ausgeglichenheit. Dann sage ich doch, jedermann ein, zwei Smartphones. Gibt ja brauchbare schon für 379,- Euro. Das ist es wert.
Dann schneite es.
Dann war nichts mehr. Bücher blättern, Filme betrachten, Heizung warmdenken.

Samstag, 10. November 2012
November ist die Zeit der vielen Laternenumzüge. Leider werden die im kulturfernen Hamburg selten dem Gedenken an St. Martin wegen veranstaltet, es ist mehr so ein Event um des Events willen, organisiert von Parteien oder der örtlichen Sparkasse. Schön, wenn denn also mal ein solcher Umzug im Sinne von Solidarität stattfindet, gelebtes Mantelteilen und Zeichen setzen. Als Abgesandter der Renitenten Rentner Hamburg (Sektionsgruppe Ost) gesellte ich mich zu den anderen knapp 37.000 Hamburgern und Hamburgerinnen (eigene Zählung), die vom Hauptbahnhof Richtung Hafenstraße zogen, um Politik und Gesellschaft das Motto Mietenwahnsinn stoppen zu überbringen. Der Protest gegen die bedrohliche Entwicklung zieht sich mittlerweile quer durch alle Bevölkerungsgruppen in einer Stadt, die lieber Tanzende Türme und Ikeas bauen läßt als bezahlbare Wohnungen.
Gar nicht mal überraschend daher auch die Solidarität der Polizei, die den Demonstrationszug in Hundertschaften links und rechts begleitete und blaue Laternen leuchten ließ. Denn auch von einem normalen Polizistengehalt läßt sich Wohnraum in Hamburg kaum noch finanzieren.
Ob sie mitsummten? Vom ersten Wagen schallten die Evergreens von TonSteineScherben, viele aus der textsicheren Menge sangen mit, herzwärmende Folklore, während in der Volksküche unten an der Hafenstraße die Gaskocher bereits die Suppen erhitzten. Es brodelt was in dieser Stadt, und jetzt ahnt man auch, warum ich letzte Woche das Kilometergehen trainierte, ganz getreu unserem alten Familienmotto Be prepared!. Beim nächsten Mal kann ich vielleicht sogar schon wieder Flugblätter verteilen. Oder lauter singen.
