Schattenkabinett

© Roger BallenRoger Ballen, 1950 in New York geboren, lebt seit Jahrzehnten in Südafrika. Er hat Geologie studiert, kam aber vielleicht über seine Mutter in Kontakt zur Fotografie. Die war nämlich Repräsentantin von Magnum in New York, was vielleicht eine bessere Schule war als manche, die sich dafür hält. Als Geologe legt man Schichten frei, schätze ich, und das macht Ballen bei Menschen mit der Kamera. Sein Thema ist die im Ausland wenig bekannte weiße südafrikanische Unterschicht. White Trash, ein verwahrlostes Prekariat, das in den Werken von Fotografen wie Nan Goldin oder Ray Richard Billingham auch in den USA oder Großbritannien zu musealem Repräsentation und Kunstmarktruhm gekommen ist. Das Ende der Apartheid stürzte die ehemals immer noch privilegierte Unterschicht in soziales Elend, das Ballen nicht verklärt, aber auch längst nicht mehr teilnahmslos, quasi-dokumentarisch abbildet.

Da stand er anfangs deutlich in der Tradition von Diane Arbus, der größten und zugleich eine der verkanntesten und umstrittensten Fotografin ihrer Zeit. Arbus hatte selbst schwer einen an der Klatsche, in gewisser Weise, Fischefrau, wen das astrologisch interessiert. Ihre großartige, wenn auch selbstzerfleischende Tat war aber, sowohl den gut situierten sprichwörtlichen New-Yorker-Zahnarztgattinnen als auch den Freizeit- und Wochenend-Beatniks und Blumenkindern eine Wirklichkeit ins Gesicht geklatscht zu haben, wie man sie lieber nicht sehen wollte: Irrenanstalten, Mittelstandshöllen, Falsch-Lächler, die sie - technisch ganz naiv - gnadenlos ausblitzte, überscharf aufs Korn nahm, daß... ach, über die Arbus müßte man mal schreiben! Auch schon tot.

Über Roger Ballen innere Disposition mag ich nicht urteilen. Seine grandios fotografierten Ausflüge ins psychische Lala-Land sind so oder so eindrucksvoll: verkommen, verloren, verlassen, verdreckt und verbrecherisch schön sind die Porträts aus den Anstalten, den heruntergekommenen Hütten und Räumen, in denen jede Hoffnung unter einer Patina aus Rotz, Dreck und Tränen liegt. Mit einem Wort: toll. Toll geworden auch seine neueren Arbeiten, die den Großteil der Austellung in den Deichtorhallen ausmachen. Wer sich die beiden dort gezeigten Dokus anschaut, sieht, wie Ballen seine Szenarien zusammensucht, die Personen, die Gestalten, die Objekte, mit denen sie agieren. Wie er arrangiert, probiert, Kompositionen schafft, die manche vorschnell surreal nennen, weil sie unwirklich meinen. Ich sehe das aber wirklich, es ist die Wahrheit und damit einfach nur real. Mitleidig und grausam zugleich.

Ballen arbeitet simpel, mit Hassi und Stabblitz. Sein Studio ist eine grimme Welt da draußen, wo einen müde Menschen anstarren und nur Tiere und Kinder für Bewegung sorgen. Er zählt sich zur letzten Generation der Schwarzweiß-Analogfotografen, sein Printer berichtet verschmitzt vom Verarbeitungsprozeß in der Doku "Selbstporträt". Von der Qualität der Arbeiten mag man sich gerne selbst überzeugen. Überhaupt: Wer von den Hamburger Ausstellungen mit ihrem Hang zum "gut Abgehangenen" genervt ist, sollte sich einen Ruck geben. Hier gibt es wirklich was zu sehen, verstörend schön oder wie Ballen auf der Eröffnung sagte: "Maybe a nightmare, maybe a nice dream."

>>> Webseite von Roger Ballen / Webseite der Ausstellung / Webseite zu Diane Arbus

(Roger Ballen, "Schattenkabinett". 25.5. bis 26.8.2007 im Haus der Photographie, Deichtorhallen, Hamburg.)

Flanieren | 13:00h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
au lait - Freitag, 25. Mai 2007, 16:03
Ich mag so vieles an dieser Seite. Neben Ihren durchweg famosen Texten sind es aber vor allem auch die Einblicke in Werke von Künstlern, die ich sonst womöglich nie kennen gelernt hätte. Großartige Kleinigkeiten, abseitige Ideen, Eindrückliches. Und dafür ist es Zeit, einmal mehr "Danke" zu sagen.

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kid37 - Freitag, 25. Mai 2007, 20:10
Gerne. Nur über die "abseitigen Ideen" muß ich noch nachdenken. Immerhin, es liest also jemand mit. Da sage ich auch Danke.

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gaga - Samstag, 26. Mai 2007, 02:15
Falsch-Lächler, die sie - (...) - gnadenlos ausblitzte

dann tippt man noch etwas hinterher und löscht es.
reicht wie es da steht.

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rafael1 - Samstag, 26. Mai 2007, 02:50
Cooler Bericht. Find ich wichtig, das Kulturelle Schaffen zu würdigen in dieser medialen Einweggesellschaft muss wieder die individuelle Form der Kreativität entdeckt werden!

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zeichensatz - Samstag, 26. Mai 2007, 11:12
Nur nebenbei: Billingham heißt Richard, Ray ist der versoffene Vater.

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kid37 - Samstag, 26. Mai 2007, 14:20
Sie haben völlig recht. Gestern bei Frau Kaltmamsell hatte ich es noch auf der Reihe, aber sonst werfe ich das wegen des Buchtitels "Ray is'n Witz" immer wieder durcheinander. Richard. Richard. Richard. Wie Huelsenbeck, ganz einfach.

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sarin2a - Sonntag, 27. Mai 2007, 15:04
Sie waren jetzt aber nicht im Fotomuseum und haben mich nicht besucht? Zumal das mein erweitertes Wohnzimmer ist. (Die Puzzlefrau hängt in meiner Küche.)

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kid37 - Montag, 28. Mai 2007, 15:20
Leider nicht, aber Basel & Winterthur wären erste Ziele für einen Schweizbesuch. Ihre Küche verkündet: Guter Geschmack!

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sarin2a - Dienstag, 29. Mai 2007, 01:23
Oh ja. Beim Munch in Basel hab ich, ehrlich jetzt, an Sie denken müssen. Sehr morbide. Ich würd Sie dann auch zum Käsebrot Essen einladen.

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