Schnitt mit dem Küchenmesser

He, he, Sie junger Mann
Dada ist keine Kunstrichtung

(Berlin-Dada)

Nicht die Mama.Hannah! Von hinten wie von vorn... Hannah Höch, Dada-Mama und weitaus mehr als die Betriebsnudel der Berliner Dadaisten, wie Hans Richter leicht herablassend andeutete, hielt den kaspernden Jungs gern den ironischen Spiegel entgegen. Die Höch war eine Scherenschwester - tagsüber öffnete sie die Handarbeitsredaktion des Ullstein-Verlags der Moderne, danach säbelte sie säuberlich durchs selbstgefällige Bürgertum: Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands heißt eines ihrer berühmteren Werke. Die große Schere (in der Ausstellung zu sehen) als Verlängerung ihres scharfen Blicks im Anschlag, trennte und sezierte sie aus Fotos, Zeitungen und Zeitschriften unzählige Fetzen, Stücke, Sätze, Wörter, Buchstaben - dekonstruierte und konstruierte neu.

Mutter der Collage nannte man sie - später - nachdem Heartfield, Hausmann, Grosz des Streitens müde geworden war, wer sie denn nun erfunden hatte, die Montage. Was sie zusammenbrachte, schmerzhaft, mit scharfer Kante und häufig unendlich detailreich nahm die dicke Berliner Plauze, die Zustände, aber auch die Gefährten aufs Korn. In Raoul Hausmann war sie verliebt, der - ganz Dandy - sich aber nicht recht von seiner Frau trennen wollte. Wie so vieles, nahm sie auch dies spöttisch auf die Schippe, für uns ein Segen vielleicht. Ihre Montagen und Collagen zeigen, wie aus dem Remix eigenständige Kunst entstehen kann, die ihre parodierten Vorbilder überlebt. Bloßes Spiel? Ja sicher, aber voller Kraft, Ironie und Witz und einer leichten Handschrift. Höch, selbst von scharfgeschnittenem Profil, studierte Kunstgewerbe in Berlin, traf Hausmann bei Herwarth Walden und nahm 1920 bei der Dada-Messe in Berlin teil - nicht sehr zur Freude von George Grosz und John Heartfield, die sich in ihrer Männerunde gestört fühlten.

Hätten sie mal gewußt, daß ohne Hannah Höchs Sammelleidenschaft viele Erinnerungen verloren gegangen wären. In ihrem Haus in Berlin-Heiligensee (was ich nicht kenne, man zeigt mir ja nix!) verwahrte sie Plakate, Briefe, Fotos, Puppen und andere Werke zu einem einzigen Musée dada. Die Sammlung erwarb nach ihrem Tod 1978 die Berlinische Galerie, die nun eine nicht allzu große, aber informativ gemachte Werkaustellung macht.

Das Lob der kleinen Form: Ich mag das, wie sich aus dem scheinbar Banalen, dem oft verlachten Alltäglichen, dem aus Verbrauchsmaterial Zusammengepusselten etwas herausschält, das eben doch mehr ist als ein herablassend Remix genanntes Verwursten. Lob dem unspektakulären Höhepunkt: Zwei der von Höch aus Resten zusammengeklöppelten Dada-Puppen sind in der Ausstellung auch zu sehen.

Dortselbst auch ein Verweis auf die Dunkle Seite, denn in den 30er Jahren gehörte die Höch zu den verfemten Künstlern im Nazi-Reich und erfuhr erst nach dem Krieg allerlei Ehren. Die "Warenwelt des Wirtschaftswunders", so der Katalog, war vor ihrer Schere auch nicht sicher, sie malte, schnitt und klebte bis ins hohe Alter getreu dem Motto: "Ich habe alles gemacht und mich um Handschrift und Material nie gekümmert".

(Hannah Höch, "Aller Anfang ist Dada!". Noch bis zum 2. Juli 2007 in der Berlinischen Galerie, Berlin.)

Flanieren | 12:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
mark793 - Donnerstag, 10. Mai 2007, 14:03
Der Unterpunkt Die dunkle Seite hat mich natürlich gleich angesprungen. Nun war mir ja schon klar, dass das nicht alles nur lustig war damals bei den Dadas. Aber diese Dimension war mir bis dato weitgehend unbekannt. Danke für die Erweiterung meines beschränkten kunsthistorischen Horizonts!

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kid37 - Donnerstag, 10. Mai 2007, 17:10
Vor allem die Zürcher waren ja Pazifisten und wurden schon im großen Ersten aus Deutschland vertrieben. Nach 1933 ging dann die nächste Generation ins Exil, Grosz in die USA, Schwitters nach England. Eigentlich interessant, daß Hannah Höch sich und ihre Sammlung "mitten in Berlin" durchbringen konnte. Ich muß das Haus mal aufsuchen.

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frau nicwest - Freitag, 11. Mai 2007, 12:58
Vom Pazifismus der Dadaisten kündet ja auch (womöglich unfreiwillig) dieser Satz aus dem Widipedia-Artikel über Hannah Höch: "Als 1914 der erste Weltkrieg ausbrach, reiste Höch nach Köln, um eine große Werkbund-Ausstellung zu besichtigen."

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kid37 - Freitag, 11. Mai 2007, 14:45
Der Satz, den Sie da zitieren, klingt natürlich recht süffisant. Ging halt nicht jeder ins Exil wie die Golls oder Hugo Ball. Andererseits: die (anderen) Expressionisten aus diesen Jahrgängen 1885-89 zeigten ja nachgerade eine echt (Vor-)Kriegsbegeisterung (s. Georg Heym). ((Frau! Nicwest. Gelernt!)

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nicwest - Samstag, 12. Mai 2007, 11:48
Ja, genau, und viel sympathischer als diese Kriegsbegeisterten sind mir natürlich diejenigen, die mit künstlerischem Unsinn gegen den Wahnsinn der Zeit ankämpften. Auch wenn das ein vergeblicher Kampf war. Hoch Hannah Höch!

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midori - Donnerstag, 10. Mai 2007, 15:10
Stimmt, irgendwie erinnern mich Ihre fotographischen Stilleben auch manchmal an Collagen

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kid37 - Donnerstag, 10. Mai 2007, 17:06
Eben. Die kleinen Schnitte können auch verdammt weh tun.

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eon69 - Freitag, 11. Mai 2007, 15:58
Als ich das letzte mal in der Berlinischen war, gab es dort auch eine recht umfangreiche allgemeine dAdA- Ausstellung. Diese war für mich eine echte Offenbahrung. Ich sag nur: "LEGEN SIE IHR GELD IN DADA AN! SCHON MORGEN KÖNNTE DIE WELT UNTERGEHEN!"

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tradem - Freitag, 11. Mai 2007, 17:40
Vielen Dank für den Tip. Ich würde diese Ausstellung gerne besuchen, vorrausgesetzt es lässt sich bis Juli einrichten. :)

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mouchi - Samstag, 12. Mai 2007, 21:50
Herr Kid, das ist mir sehr sympathisch, Ihre Nähe zu Dada und ähnlichem. Hannah Höch muss ich sehen, vielleicht lässt es sich morgen schon einrichten. Ansonsten grüßen Sie mir Ihre Affinität zu Schwitters, den liebe ich.

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kid37 - Samstag, 12. Mai 2007, 23:15
Vive Dada
Wer die Ausstellung besucht, soll mal auf der selben Etage die beiden Bilder von Arthur Segal anschauen. Da kann man sehen, wie 1923 bereits die Thumbnail-Ansicht das Tafelbild eroberte.

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