Die Ärztin fühlt meinen Puls.
"Was haben Sie denn da für Narben am Handgelenk?" fragt sie und schaut mich forschend an.
"Fremdeinwirkung. Eine ehemalige Freundin wollte mich am Verlassen der Wohnung hindern."
"Macht man das neuerdings so?"
"Ihr Freundeskreis hielt das, glaube ich, für normal. Möglich ist das also schon."
"Was sind denn das für Leute?"
"Sie glauben an die Philosophie des Freien Willens. Allerdings meinen sie damit offenbar nur ihren eigenen. "
"Ja, die eigene Freiheit legt andere in Ketten." Sie lächelt mich an.
"Ich denke, es sind auch nur Getriebene. Von eigenen Verletzungen verstört. Insofern handeln sie ja gar nicht frei."
"Und", meint Sie, läßt meinen Arm los und macht sich Notizen. "Was machen die Narben in Ihnen drin?"
"Ach", sage ich. "Wissen Sie, da schaue ich gar nicht mehr hin."
Die Narben sind nicht wirklich groß, aber genau an der Stelle, wo andere die Uhrzeit ablesen würden. Im Sommer, bei warmen Wetter, kommen die ziemlich deutlich heraus - und dann nervt es mich. Es nervt mich vor allem, wenn mir das fröhliche Geplauder gewisser Menschen begegnet - unvermutet meist, aber dann um so eindringlicher. Menschen, die ihre Erinnerungen offenbar besser im Griff haben oder verdrängen können.
Es hat nie einen Anflug von "Reue" oder eine Entschuldigung gegeben, das war im Nachhinein das eigentlich Schlimme. Angeblich ist Borderlinern das Konzept von "Reue" oder "eigene Schuld" fremd - was ich irgendwo nachvollziehen kann. Am Ende nutzt es mir aber nichts, und ich bin es auch leid, mir Gedanken über die schweren Kindheitserlebnisse und Verletzungen anderer Menschen zu machen. Zumal, wenn man sieht, wie diese Geschichten immer wieder geschickt dazu benutzt werden, Dritte in Mitleid zu versetzen.
Mir riet mal jemand, die Narben weglasern zu lassen und die Rechnung an die Verursacherin zu schicken. Eine hübsche Idee, aber das werde ich wohl genauso wenig tun, wie ich damals nicht einfach die Polizei gerufen habe, um mich aus der Wohnung zu holen. (Die hätten ja auch nur gelacht.)
Aber die Idee mit dem Lasern ziehe ich zumindestens immer mal wieder in Erwägung.
...die wirken sexy
...die bewirken mitleid
...die sind heroisch
...die sind einfach nur monströs
...die sieht man gar nicht
mit narben lebt man und es sich selber überlassen wie, und es ist nicht immer einfach. auch nicht für einen kollegen der damals auf dem campingplatz in spanien war wo es diese grosse explosion mit flächenbrand gab und er die halbe familie verlor. welche narben schmerzen nun mehr?
Und - deshalb zögere ich ja - ich könnte nur die äußeren lasern lassen. Wenn überhaupt.
Eher ist es eine Art Zwangstätowierung. Johnny Depp hat sein "Wynona forever" ja auch ändern lassen. Ich könnte mir z.B. auch "Mama" oder "Trust" übertätowieren lassen. Oder das Bild meines
hope in a hopeless world
@ Gaga: Ich habe mal ein Interview mit einem Rechtsanwalt gehört, der sich auf Schadensersatzprozesse bei ärztlichen Kunstfehlern spezialisiert hatte. Er bemerkte, daß wohl die Hälfte dieser Prozesse nie geführt würde, wenn die Ärzte sich bei den geschädigten Patienten (oder Hinterbliebenen) entschuldigen würden. Das ist oft das einzige, was sie hören wollen. Aber die betroffenen Ärzte werden von ihren Versicherungen daran gehindert (aus juristischen Gründen) - deshalb will man sie per Prozess zu einem "Eingeständnis" zwingen.
Es wäre schön, dies anders, friedlicher zu erreichen. Am besten durch sich selbst, um aus dieser Ohnmachts-Falle herauszukommen.
Wenn ich versuchen müßte, mir diesen Ausgleich selber zu schaffen, würde ich als erstes versuchen herauszufinden, worin lag für mich das Incentive, mich in diese Verstrickung reinzubegeben und bei der Stange zu bleiben? Mit den Fragestellungen und Ansätzen von Angehörigenselbsthilfegruppen käme man vielleicht dem einen oder anderen eigenen Motiv und Verhaltensmuster auf die Spur. Nach dem Motto: Für welchen eigenen Film habe ich meine gestörte Partnerin gebraucht, was habe ich mir beweisen wollen damit? Welche Ego-Gratifikation war da für mich drinne? Mit diesen Fragestellungen habe ich es zumindest geschafft, mir darüber klar zu werden, wie ich mich unbewusst an meine an Depressionen leidende Exfreundin kettete. Und ich habe es auch geschafft, mich da rauszuziehen - aaaber es war halt auch nicht so ne massive Verletzung im Spiel. Schwierig, schwierig...
nachtrag: ich kenne alle ablösungsrituale unter der sonne. man muß selbst dazu b e r e i t sein.
Aber irgendwie, fürchte ich, reicht das nicht. "Die beste Art Erinnerungen zu vergessen", heißt es, "ist, einfach neue zu machen." Das funktioniert schon besser. Ich hatte in den letzten Monaten viel Hilfe und Unterstützung, die mich den Mist besser ertragen ließ. Das will ich auch einmal betonen.
Ja, Sie haben das gut erkannt: "Die Not wird nicht gewendet". Das Fatale ist, es wird nie anders sein. Diese Menschen sehen nur die "eigene Not", das eigene Leiden. Das ist tragisch und traurig, aber dieses Verständnis hilft den Angehörigen nur begrenzt.
Hätte ich ein Foto an der Wand, ich nähme es ab. Herr Pappnase hatte mal schöne Bilder gepostet von Leuten, die sich ihre Tätowierungen herausgeschnitten haben. He - die Idee: ich mache einfach neue Narben! ;-)
I mean: this was really s o m e t h i n g .
und ja, ja und nochmals ja - neue erinnerungen schaffen. das ist das einzige. das einzige. scheiße ich muß heulen.
Herr blue sky liegt meines Erachtens mit dem sich-selber-Verzeihen auch nicht so verkehrt. Was wir dem anderen vorwerfen, beruht oft ja auch auf Projektionen von Wesenszügen, die wir in uns selbst nicht sehen wollen und die uns der andere unangenehmerweise spiegelt. Das sich selber verzeihen hängt also mit dem-anderen-Verzeihen schon ganz direkt zusammen.
Das ist wirklich das erste, womit man in diesen Angehörigen-SHG konfrontiert wird. Darüber wird viel diskutiert, vor allem über den äußerst unangenehmen Aspekt, daß man selbst ja ein Verstärker oder vielleicht sogar Auslöser ist. In meinem Fall war das so, denke ich. Ich habe eben auch einen eigenen Willen gehabt, auch "Nein" gesagt usw.
Und: Ich war ein dankbares "Publikum". Denn wiederum suchte ich ja selbst "etwas" in dieser Dramödie. Dieses Loch, dieser Hunger wäre halt das Thema für eine eigene Therapie. Ich kenne natürlich ein paar Auslöser, auch ich habe eine Biografie. Es ist vielleicht nicht viel anders als bei einer Sucht: Man bleibt immer Junkie, lernt aber, das Gift zu meiden.
Den von Frau Gaga angesprochenen Aspekt ("man kann immerhin versuchen einen sinn in solchen erfahrungen zu sehen. dass man abgründe ausgelotet hat und die abwesenheit des abgrundes umso mehr zu schätzen weiß. das ist immerhin ein wert.") halte ich auch für ganz zentral. Das meinte ich auch mit dem "einen Stolz auf die Narbe entwickeln". Zu erkennen, wofür es gut war - und sei es nur als abschreckendes Beispiel, das kein zweites Mal haben zu müssen. Auch das ein Grund, warum ich nicht Lasern würde.
Ich erinnere mich, selbst bitter das Vertrauen anderer Menschen mißbraucht zu haben. Und warum? Weil ich mir wie ein Junkie heimlich Stoff am Bahnhof holen mußte - bildlich gesprochen. Das war schlimm und dümmer als Herr Kid erlaubt.
Nein, selbst verzeihen werde ich mir das nicht. Ich kann nur meine Reue anbieten und auf das Verzeihen anderer hoffen - und weiter (an mir) arbeiten. (Ich bin ja nicht heilig zur Welt gekommen, das ist das Ergebnis harter Arbeit ;-))
Ich habe so eine Beziehung in den 80ern schon mal erlebt. Alkoholmißbrauch, häusliche Gewalt, soziale Verwahrlosung - der ganze Dreck. Da war ich selbst kein Unschuldsknabe. Und deshalb wußte ich a) ich habe diesen Hunger und b) ich toleriere das in meinem Leben nicht mehr. Ich habe Entzug, ich bleibe clean.
Es war für mich sehr schwer, nicht in diese uralten Verhaltensmuster zurückzufallen. Teilweise blickte ich wie in einen Spiegel - und war deshalb doppelt erschrocken. Aber diese Erkenntnis hätte nach zwei Monaten gereicht. Zwei Jahre waren definitiv zuviel.
Nachtrag: Natürlich bin ich mir auch bewusst, dass unsere biographischen Parallelen nachgerade eine Einladung zu projektionsgesteuerten Fehldiagnosen sind. Und so bin ich sicherlich genau so froh wie Sie, dass wir auch einige Unterschiede rausarbeiten konnten;-)))
Aber ich würde einiges davon gerne mal mit Ihnen in einem anderen Rahmen vertiefen...
Wie wär´s mit mal drüber heulen?
ich toleriere das in meinem Leben nicht mehr. Ich habe Entzug, ich bleibe clean.
Bitte Herr kid, geben Sie mir einen Tipp, wie das funktioniert.
Das Wort "Akzeptieren" ist bei mir nur unzureichend definiert. Ich bin schon als Rebell geboren (Steißlage) und kann sehr störrisch sein. Zudem dauert bei mir alles lange. Auch und vor allem Akzeptanzprozesse. Wir reden in fünf Jahren noch mal drüber, wenn ich sage "Narbe? was für ein Narbe? Ach so, dat bissken..." Möglicherweise.
Einen Tip kann ich Ihnen nicht ernsthaft geben. Bleiben Sie fürs erste im Haus, das kann helfen. Muß es aber nicht. Und blöd ist es obendrein. Vor allem, wenn andere sich derweil ein lustiges Leben machen. Also: Machen Sie sich ein lustiges Leben so wie ich und lernen Sie den Satz: "Ach nö du, laß mal. Kenn ich schon."
Ich dachte, wir reden über eine Aussage, die in den 80ern entstand? Da habe ich ein wenig provokativ formuliert. Natürlich können Sie mir keine allgemeingültigen Tipps geben. Aber was ich mir merken werde ist das "ne du, lass mal."
Trotzdem tappe ich immer wieder in ähnliche Fallen und bin mir sicher, damit nicht alleine zu sein.
Die "5 Jahre" bezogen sich auf das Akzeptieren oder Einsortieren neuer Erinnerungen. Noch ist es mir nicht egal, aber ich werde dem eines Tages mit Gleichgültigkeit begegnen können. Ganz sicher.
Die Fallen sind und bleiben scharf geschaltet. Man muß halt aufpassen, wohin man tritt. Meiden Sie heiße Herdplatten und offene Fenster, dann sieht es schon ganz gut aus.
Deins gelesen, und erinnert.
Wunden verheilen nie.
Man lernt allerdings damit zu leben .
Nicht weglasern.
Sieh sie als Erfahrung und Mahnung an.
Und ab und an schau sie Dir an,
erinner Dich, wie eben..
und sei stolz auf Dich ,
das Du nun da bist , wo Du nun stehst.
Wirklich "stolz" kann ich nicht sein, da habe ich mir selbst ein Bein gestellt. Es ist auch eine merkwürdige Sache, von Fremden darauf angesprochen zu werden. Dem nächsten erzähle ich einfach, die wär aus Pamplona, als ich den Stier tötete.
Oder vom Drachen den Du erlegt hast ;)
( kommt der Wahrheit verdammt nah, was ? *g*)
Nein, sowas sollte kein Wettbewerb sein,
ich habe es auch nicht so empfunden.
Nur erinnert hab ich mich.
Komischerweise mit einem Lächeln.