Der gefundene Satz, 17

Unter diesen Umständen war es weiter nichts, wenn ich dazu auch noch in die Hose machte. Ich verstand das schon bald als Zeichen der Erwählung: alles hat seinen Sinn, sagte ich mir. Dieser Satz, den ich von einem Idioten aufgeschnappt haben mußte wie anderen höheren Unsinn, half mir. Ich beichtete, daß ich seit meiner letzten Beichte (vor zwei Wochen) fünfmal in die Hose gemacht hatte. Ich bekam eine entsprechende Buße aufgetragen. Außerdem flüsterte der Beichtvater durch das Sündengitterchen, ich solle das Ganze als Kreuz verstehen und auf mich nehmen. Die Flucht zum Kreuz half mir wirklich. So konnte ich meine Schwäche auch noch mit dem Opfergedanken verbinden (...). Ich sagte: Das ist mein Opfer für die Sünden der Welt!

Arnold Stadler. Mein Hund, meine Sau, mein Leben. 1994.

Ex Libris | 18:33h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
modeste - Freitag, 13. Mai 2005, 21:28
Die am Talionsprinzip einzig einleuchtende Wahrheit, dass Sünden nur mit Sünden abgewaschen werden können, findet doch immer wieder erheiternden Ausdruck.

Lohnt sich das Buch?

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kid37 - Freitag, 13. Mai 2005, 22:15
"Der Schmerz ist der Grundriß des Seins", zitiert der Ich-Erzähler Heidegger - und stimmt darauf einen ganz eigenen Ton. Ich bin erst im zweiten Drittel, aber diese Kindheitserinnerungen, diese offenbar semi-autobiografische Reise aus der Provinz ins Seminaristenleben in Rom, das Anekdotische ist entzückend entrückt, im positiven Sinne altmodisch geschrieben, eine pikareske Reise durch die (deutsche Nachkriegs-) Geschichte und die Wagnisse der Ich-Findung zwischen Bangen, Glauben und sexuellem Erwachen... ich mag das. Diese unterschwellige Verzweiflung, das Komische, um Verständnis-Ringende... Ganz anders als diese flapsige "Pop-Literatur".

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wimpernschlag - Samstag, 14. Mai 2005, 15:32
wer weiß - vielleicht ist die lektüre dieses buches auch ein opfer für die sünden dieser welt? ;-)

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kid37 - Sonntag, 15. Mai 2005, 03:05
Diese Buße wäre zuleicht.

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arboretum - Montag, 16. Mai 2005, 15:50
Wie schwer muss eigentlich eine Buße sein, damit es "gilt"? Und welchen Maßstab legen Sie dabei an?

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kid37 - Dienstag, 17. Mai 2005, 22:45
Angemessenheit. Sozusagen eine milde Form des Talionsprinzips (Danke, Frau Modeste. Dieser terminus technicus wurde mir an meiner Klippschule leider nicht vermittelt.)

Schwere Sünden finden nicht durch ein Fingerschnippen Ablaß. Oder durch ein Schön-Wetter-Opfer, das sofort zurückgenommen wird, sobald es wirklich etwas kostet. Wenn sie jemanden den Wagen zu Schrott fahren, rauschen Sie ja auch nicht mit einem "Ooopsie!" und einem fröhlich-bedauerndem Winken von dannen. (Ich meine, Sie tun das doch nicht oder?)

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arboretum - Dienstag, 17. Mai 2005, 22:57
(Ich? Ganz gewiss nicht. Abgesehen davon waren es bislang meine Autos, die von anderen zu Schrott gefahren wurden. Und in einigen, zum Glück weniger schlimmen Fällen rauschte man einfach ab. Ohne zu winken.)

Was aber ist in Ihren Augen eine angemessene Buße für, sagen wir, Verrat in der Liebe oder Freundschaft? Oder für sexuelle Untreue, die der andere sich sehr zu Herzen nimmt?

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kid37 - Mittwoch, 18. Mai 2005, 15:11
Das ist einfach. Die Königin in Alice im Wunderland gab da schon die Richtung vor...

(Keine Ahnung. Läßt sich so was pauschal beantworten? Die Reaktionen und Empfindungen können in solchen Fällen ja höchst unterschiedlich sein. Der eine läßt sich wohl noch alle Details haarklein berichten, weil es ihn heiß macht; die andere springt vor Gram aus dem Fenster. Wie auch immer die "Wiedergutmachung" ausfällt, sie muß dann auch gelten, wollen beide glaubwürdig bleiben. Irgendwelche Abmachungen, die das Vertrauen wiederherstellen sollen, die bei nächstbester Gelegenheit aber wieder "vergessen" werden, sind jedenfalls für den Schornstein. Dann kann man besser gleich mit den Achseln zucken - oder gehen. Am besten sind natürlich Menschen dran, denen sowieso alles egal ist die unglaublich tolerant sind. Die können gleich wieder zur Tagesordnung zurück. Dazu zähle ich allerdings nicht. Wer hätte das jetzt gedacht ;-))

"Opfer" oder "Buße" sind vielleicht auch die falschen Begriffe. Man will ja nur erkennen, daß es dem anderen ehrlich leid tut. Daß es wirklich bereut wird. Sonst war es das denn wohl mit der Vertrauensbasis.

Zurück also zu der Königin in Alice...

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arboretum - Mittwoch, 18. Mai 2005, 15:22
Wollte die Königin nicht alle köpfen lassen? Es war doch der König, der mit leiser Stimme zu den Umstehenden sagte Ihr seid alle begnadigt.

(Da Sie bekannterweise nicht zu denen zählen, die gleich wieder zur Tagesordnung zurückkehren, hatte ich auch nach Ihrem Urteil gefragt. ;-)
Ich habe nämlich den Eindruck, dass die Zeit dabei auch eine Rolle spielt [siehe oben angegebener Link].)

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modeste - Mittwoch, 18. Mai 2005, 16:15
Ach, die Zeit, die angeblich alle Wunden heilt... auch nur so ein frivoles Gerücht. Realiter stapelt man alle Sünden im Keller einer Liebe oder Freundschaft, und irgendwann gerät die Statik völlig aus den Fugen und dann stürzt der ganze Bau eben einfach ein.

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arboretum - Mittwoch, 18. Mai 2005, 16:24
Nein, die heilt nicht immer alle Wunden. Aber das ein oder andere verliert einfach seine Bedeutung. Was mal groß und wichtig erschien, ist irgendwann egal. Abgesehen davon kann man auch Keller entrümpeln. Zu zweit geht's aber wahrscheinlich leichter.

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kathleen - Donnerstag, 19. Mai 2005, 02:46
Da Sie hier auf meinen Text referieren, folgendes zur Sache:
Die Zeit heilt absolut nichts.
Was wichtig war, bleibt wichtig und hängt un- und widerwillig im Konjunktiv fest wie in einer twilight zone.

Heilen - if ever - kann nur die Bitte um Verzeihung und die dann hoffentlich folgenden Maßnahmen zum Vertrauensaufbau.

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kid37 - Donnerstag, 19. Mai 2005, 02:49
!!!

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arboretum - Donnerstag, 19. Mai 2005, 03:15
Die Bitte um Verzeihung bekommt man meiner Erfahrung nach aber eher selten zu hören (geschweige denn, dass die vertrauensbildenden Maßnahmen erfolgen). Wenn diese Bitte also ausbleibt, was dann? Man kann doch nicht ewig mit offenen Wunden oder blutendem Herzen herumlaufen. Was bleibt also, außer es so zuwachsen zu lassen? Entweder man verzeiht dem anderen - auch ohne Entschuldigung - oder man hat irgendwann genug Abstand (auch zeitlich), dass es für die Gegenwart keine große Bedeutung mehr hat. (Narben bleiben da natürlich zurück, aber nicht alle sind schmerzhaft.)

Und was die Entschuldigungen angeht, sind auch die eine Frage des Timings. Jene Freundin jedenfalls, die nach 15 Jahren intensiver Freundschaft Verrat an mir beging, käme heute mit ihrer Entschuldigung zu spät. Ich würde es zur Kenntnis nehmen, aber es würde mir nach sechs Jahren nichts mehr bedeuten.
Soll heißen: Es gäbe deshalb keinen Neuanfang mehr.

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evasive - Montag, 16. Mai 2005, 18:51
Offtopic:
Stöckchenwurf.

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croco - Montag, 16. Mai 2005, 20:27
Ich liebe diese Buch
und ich liebe fast alles,was Arnold Stadler schreibt.
Er hat einen sehr exakten, lakonischen Stil, der mir sehr gefällt. In diesem Buch kommen auch einige Internas der Kirche zur Sprache, ich weiß nicht, ob ich lachen durfte, ich habs getan. Er selbst war ja in Rom, sollte Priester werden, hat Theologie studiert, sich dann aber verabschiedet.Kid , wie gefällt er dir?

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croco - Montag, 16. Mai 2005, 20:29
Nachtrag
ich lese gerade "Feuerland" von ihm.
Manchmal erinnert er mich an sein und mein Idol Bruce Chatwin.

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kid37 - Dienstag, 17. Mai 2005, 22:49
@Eva: Merci, und auch Hr. Sebas. Ich beantworte das morgen.

@ Croco: Genau, dieser lakonische Stil ist es, der einen fast unmerklich durch Groteske und Düsternis trägt. Bei "Mein Hund..." mußte ich mich erst einmal durch dieses eher barocke erste Kapitel quälen, mit seiner Genealogie der Schwackenreuther "Schwanz"-Dinastie. Da fürchtete ich, in einem sogenannten "humoresken" Roman gelandet zu sein. Aber dann ist man bald gefangen. Schön auch die Verweise auf Ratzinger et al.

War jetzt mein erster Stadler, soll aber nicht der letzte bleiben.

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