Unter diesen Umständen war es weiter nichts, wenn ich dazu auch noch in die Hose machte. Ich verstand das schon bald als Zeichen der Erwählung: alles hat seinen Sinn, sagte ich mir. Dieser Satz, den ich von einem Idioten aufgeschnappt haben mußte wie anderen höheren Unsinn, half mir. Ich beichtete, daß ich seit meiner letzten Beichte (vor zwei Wochen) fünfmal in die Hose gemacht hatte. Ich bekam eine entsprechende Buße aufgetragen. Außerdem flüsterte der Beichtvater durch das Sündengitterchen, ich solle das Ganze als Kreuz verstehen und auf mich nehmen. Die Flucht zum Kreuz half mir wirklich. So konnte ich meine Schwäche auch noch mit dem Opfergedanken verbinden (...). Ich sagte: Das ist mein Opfer für die Sünden der Welt!
Arnold Stadler. Mein Hund, meine Sau, mein Leben. 1994.
Lohnt sich das Buch?
Schwere Sünden finden nicht durch ein Fingerschnippen Ablaß. Oder durch ein Schön-Wetter-Opfer, das sofort zurückgenommen wird, sobald es wirklich etwas kostet. Wenn sie jemanden den Wagen zu Schrott fahren, rauschen Sie ja auch nicht mit einem "Ooopsie!" und einem fröhlich-bedauerndem Winken von dannen. (Ich meine, Sie tun das doch nicht oder?)
Was aber ist in Ihren Augen eine angemessene Buße für, sagen wir, Verrat in der Liebe oder Freundschaft? Oder für sexuelle Untreue, die der andere sich sehr zu Herzen nimmt?
(Keine Ahnung. Läßt sich so was pauschal beantworten? Die Reaktionen und Empfindungen können in solchen Fällen ja höchst unterschiedlich sein. Der eine läßt sich wohl noch alle Details haarklein berichten, weil es ihn heiß macht; die andere springt vor Gram aus dem Fenster. Wie auch immer die "Wiedergutmachung" ausfällt, sie muß dann auch gelten, wollen beide glaubwürdig bleiben. Irgendwelche Abmachungen, die das Vertrauen wiederherstellen sollen, die bei nächstbester Gelegenheit aber wieder "vergessen" werden, sind jedenfalls für den Schornstein. Dann kann man besser gleich mit den Achseln zucken - oder gehen. Am besten sind natürlich Menschen dran,
"Opfer" oder "Buße" sind vielleicht auch die falschen Begriffe. Man will ja nur erkennen, daß es dem anderen ehrlich leid tut. Daß es wirklich bereut wird. Sonst war es das denn wohl mit der Vertrauensbasis.
Zurück also zu der Königin in Alice...
(Da Sie bekannterweise nicht zu denen zählen, die gleich wieder zur Tagesordnung zurückkehren, hatte ich auch nach Ihrem Urteil gefragt. ;-)
Ich habe nämlich den Eindruck, dass die Zeit dabei auch eine Rolle spielt [siehe oben angegebener Link].)
Die Zeit heilt absolut nichts.
Was wichtig war, bleibt wichtig und hängt un- und widerwillig im Konjunktiv fest wie in einer twilight zone.
Heilen - if ever - kann nur die Bitte um Verzeihung und die dann hoffentlich folgenden Maßnahmen zum Vertrauensaufbau.
Und was die Entschuldigungen angeht, sind auch die eine Frage des Timings. Jene Freundin jedenfalls, die nach 15 Jahren intensiver Freundschaft Verrat an mir beging, käme heute mit ihrer Entschuldigung zu spät. Ich würde es zur Kenntnis nehmen, aber es würde mir nach sechs Jahren nichts mehr bedeuten.
Soll heißen: Es gäbe deshalb keinen Neuanfang mehr.
Er hat einen sehr exakten, lakonischen Stil, der mir sehr gefällt. In diesem Buch kommen auch einige Internas der Kirche zur Sprache, ich weiß nicht, ob ich lachen durfte, ich habs getan. Er selbst war ja in Rom, sollte Priester werden, hat Theologie studiert, sich dann aber verabschiedet.Kid , wie gefällt er dir?
Manchmal erinnert er mich an sein und mein Idol Bruce Chatwin.
@ Croco: Genau, dieser lakonische Stil ist es, der einen fast unmerklich durch Groteske und Düsternis trägt. Bei "Mein Hund..." mußte ich mich erst einmal durch dieses eher barocke erste Kapitel quälen, mit seiner Genealogie der Schwackenreuther "Schwanz"-Dinastie. Da fürchtete ich, in einem sogenannten "humoresken" Roman gelandet zu sein. Aber dann ist man bald gefangen. Schön auch die Verweise auf Ratzinger et al.
War jetzt mein erster Stadler, soll aber nicht der letzte bleiben.