Montag, 17. September 2018


Merz/Bow #56



Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub, und wer hier beim Lesen meines zehnteiligen Diaabends (oder auch längsten Besprechung von PJ Harveys Stories of the City, Stories of the Sea) schon ermüdet war, kann meine eigene Erschöpfung vielleicht nachvollziehen. Und meinen Wunsch, mich von psychischen, physischen und emotionalen Anstrengungen einfach nur in Rückenlage zu erholen - oder schnell noch eine andere Stadt zu besuchen.

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Doch von wegen, "first we take Manhattan, then we take Berlin". Da wurde wohl nichts draus. Erst konnte ich kein Bett nach meinem Geschmack finden, dann vergaß die Bahn, mir rechtzeitig eine neue Bahncard zu schicken. Und dann war das Wetter so merkürdig... wechselhaft. Hü, hott, wie ein unentschlossenes Pferd. Da soll man noch mitkommen. Vielleicht kann man eben auch nur so und so viele große Städte im Jahr sehen. Ich teile es mir ein, geduldig.

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Stattdessen habe ich neue Bücher erworben, etwas über Dead Girls gelesen, die Miniserie Mildred Pierce mit Kate Winslet mit wirklich nur ein paar unerheblichen Jahren Verspätung nachgeholt und mich mit den zauberhaft illustrierten Werken The Sick Rose und Crucial Interventions akribisch so weit medizinhistorisch fortgebildet, daß ich einfach mal mein frischgeschnittenes Herz in die Hand genommen und mich - denn just gelernt, ist alles gewußt - gleich um einen Job beworben habe. Immer weitermachen! Be of use!

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Das belgische Pärchen, das unter dem Namen Mothmeister firmiert, geistert schon länger durch Modestrecken, Magazine und Marginalien. Die Farben sind mir zwar meist zu weit aufgedreht, das Buch aber besser als erwartet. Begleitet werden die Fotos von blogtextartigen Erläuterungen, Notizen und Tagebucheinträgen, die angenehm zu lesen sind und nicht so akademisch steif daherkommen wie in vielen solcher Publikationen. Spannend sind Mothmeister ja besonders dann, wenn sie mit anderen Künstlern zusammenarbeiten, die ihnen obskure Masken, taxidermische Präparate oder herzige Tierpuppen zur Verfügung stellen. Vor allem die von mir sehr geschätzte Annie Montgomery.

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Zurück zur Musik. Max Sharam hat das Thema Mermaids, das hier offenbar in der Luft liegt und von Martin Badway sehr entspannt besungen wird, ebenfalls aufgegriffen und fürs Video ganz berückend animiert. Das berührt den inneren Oktopus in mir.

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Apropos Musikerinnen. Nachdem die in meiner Küche ab und an Süppchen kochen (also einmal), möchte ich diese bezaubernde Idee zu einem regelmäßigen Konzept für Funk und Fernsehen ausarbeiten. Unbedingt auf der Liste steht die Australierin Stella Mozgawa, die Schlagzeugerin von Warpaint, deren Geburtstagskonzert ich mal gesehen habe. Ich wette zwei Paar Drumsticks, daß die super Suppe kann. Und dann wirklich gerne Viv Albertine, die, jetzt schauen wir uns aber mit erstaunten Augen an, bekanntlich ebenfalls ursprünglich aus Australien stammt. Wer Spuren lesen kann, wird einen Traumpfad darin erkennen. Wer einen Löffel hat, wird satt.

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Ganz schön frauenlastig dieses Mal. Nicht, daß ich noch zum Bewunderer werde und mich hinter einer Plane verstecken muß.

MerzBow | von kid37 um 20:37h | 24 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 9. Januar 2018


Merz/Bow, #55

Klang ist bekanntlich der Sex des Alters. Als ich mir vor zwei Jahren neue Lautsprecher kaufte, war ich aber, obgleich ich sexu klanglich sehr zufrieden bin, eventuell ein wenig voreilig. Früh gefreit, bald bereut - da gibt es doch noch mehr! Mein Musikzimmer nimmt (in klangerotischen Fantasien) neue Auswüchse an! Diese Trichtersysteme jedenfalls überzeugen mich visuellaktustisch sofort. Sicher nicht teuer.

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Bloggerinnen derweil halten für ihre einsamen gemütlichen Abende meist eine Katze oder 12. Vielleicht ebenso ein wenig voreilig. Ein hübscher Strauß tut es doch auch und bringt so viel Freude. Australische Bloggerinnen halten das übrigens nur so.

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Wo wir beim Thema home, sweet home sind. Ms Albertine ist ja wieder aus dem Rennen. Die verkündete auf ihrem letzten Album, das ich die letzten Tage sehr intensiv gehört habe (und zwar über meine nunmehr alten Lautsprecher), doch glatt: "I chose being an artist over being a wife". Und noch mehr: "marriage is an unnatural state". Was sind das für Ideen, bitte? Ist das noch Punkrock or wot?!? Hat die keine Katze? Ich werde ihr morgen einen Strauß mit Fleurop schicken.

>>> Geräusch des Tages: Viv Albertine, Confessions Of A MILF

MerzBow | von kid37 um 00:25h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 8. Juli 2017


Merz/Bow, #54

Picket lines and picket signs
Don't punish me with brutality

(Marvin Gaye, "What's Going On")




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>>> Geräusch des Tages: Marvin Gaye, What's Going On

MerzBow | von kid37 um 19:54h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 25. November 2016


Merz/Bow, #53



Bei Ebbe tauchen die Wasserwagen auf. Damit man sein Leben wieder geraderücken kann.

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Ich sage es bekanntlich immer wieder: Das Leben ist ernst genug. Wie schön also, wenn wenigstens John Parish und PJ Harvey in diesem kurzem Video auch mal Quatsch machen.

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Ich habe mich jetzt tatsächlich bei diesem Instagram angemeldet, denn ich habe gehört, das sei modern. PJ Harvey ist auch bereits ein halbes Jahr dabei - und schaut, was aus ihr geworden ist! Vielleicht lade ich nächstes Jahr schon ein Bild hoch.

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Wogen wogen. Keiner will verantwortlich sein. Auch DASERSTEZDF nicht. Es ist nun ja so, vor uns stehen traditionsreiche Festtage, die nach strengen Regeln, nach einer festgezurrten Liturgie ablaufen. Die Regeln gehen so: Erst schmort die Gans, dann kommt die Kirche, dann klingelt das Glöcklein, dann ist Bescherung, dann wird gegessen, dann folgt die Ansprache einer führenden Amtsperson, dann kommt Loriot. Dann aber, wenn man wohlig gesättigt und glucose- und alkoholerschöpft zurücksackt, dann kommt Ist das Leben nicht schön? zur sentimentalen Erbauung und Tränkung eines Taschentuchs. Oder zwei. Nun aber stelle ich mit Entsetzen fest, das läuft gar nicht! Irgendwann gegen drei, wenn ich schon längst Kühe und Esel und Schäfchen im Stall durchzähle und sanft dahinentschlummere, die neuen Spielzeuge im Arm.

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DASERSTEZDF lassen einen da sehr im Stich. An Silvester auch. Da läuft normalerweise und unverrückbar erst Dinner for One, dann gibt es ein Käsebrot mit Gürkchen und einen Schluck Bowle und um Mitternacht trötet man in so eine aufgerollte Papiertröte, und dann, wenn es richtig spritzig wird, läuft Manche mögen's heiß, zu dem ich etwas keck das Partyhütchen auf dem Kopf verschiebe. Und was ist? Läuft nicht. Läuft an den Weihnachtstagen. Da lacht nicht nur ihr hysterisch! Feiertage im Arsch, wie man außerhalb eurer wattierten Filterblase sagt.

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Hab ich mir jetzt selbst gekauft. Ziehe ich von der Haushaltsabgabe ab, DASERSTEZDF. Wißt ihr Bescheid. Seid ihr sehr wohl für verantwortlich.

MerzBow | von kid37 um 20:41h | 19 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 25. Oktober 2016


Merz/Bow, #52

Die Akademie ruft an.

"Hello? No, Mr. Bob is not here. Whot? No, I am cleaning man. Yes, yes. Si, si."

*Dylan geht lachend ab*

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Schöne Bücher von fotografisch hart arbeitenden Frauen erreichen mich. Die bezaubernde französische Fotografin Féebrile, auf die ich zuerst durch ihre Zusammenarbeit mit Ödland aufmerksam wurde, hat nach ihrem ersten h[bschen Band Pola et les Autres nun ihr erstes größeres Buch gemacht. Abgründige Schwarzweißaufnahmen, düster, sehr emotional und wie einem unruhigen Traum entrissen.

Dazu gesellt sich Aberrant Necropolis der Engländerin Ellen Rogers. Ihre handcolorierten Analogabzüge zeigen eine versponnene, teils viktorianisch-exotische Spinnwebenwelt, dunkle Träume von irrlichternden Friedhofsfeen. Barbusige Teezeremonien mit Ouijaboard und Ingwerkeksen.

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Fast weltweit: Man ahnt ja nicht, wieviel Neid, Mißgunst und Intrige auf einer kleinen Hallig Platz finden. Oliver Driesen vom Zeilensturm hat mit Wattenstadt eine unterhaltsame Politsatire geschrieben. Da werden die ausgreifenden unterhaltungsimperialen Träume eines Industriekapitäns aus dem Ruhrgebiet in die Miniwelt im Wattenmeer gequetscht. Die vom Wind zerzausten Bewohner kippen einer nach dem anderen um (mancher sogar tödlich), ein paar Figuren leisten Widerstand, und am Ende stecken Teufel und beharrlicher Wille im unscheinbarsten Küstenbewohner. Es tummeln sich im vom Berliner Politbetrieb durchwirbelten Schlick: eine Hure mit Herz, ein russischer Killer, eine uralte Mume, ein plastiniertes Kunstwerk, ein kleiner Lokalfürst mit Großmannssucht, ein Pfarrer mit Engagement, ein stinkreiches Millionärspaar, die mich immerzu an die "Geissens" erinnerten, und ein kleines Tier, das für die einen zum Retter, für die anderen zur Pest werden kann. Ich habe gelacht.

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Leben in Euphemia. Die große Zeitung schreibt: " Jetzt wurde die Bestsellerautorin enttarnt – nicht zu jedermanns Begeisterung." Und man denkt, nein, IHR habt sie enttarnt und außer euch war einfach NIEMAND begeistert. Wer hätte es noch nie erlebt: Fortgetragen auf einer Welle der Selbstbegeisterung, mitgerissen vom imposanten Gefühl, jetzt, in diesem Moment einfach keine falsche Augenzahl würfeln zu können, egal, was man macht. Um dem Eingangs formulierten Anspruch zu genügen: Ich schon.

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Man wird ja schnell geerdet, zum Glück.

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Entscheidungen zum literarischen Jahresende: Der diesjährige Preis des Hermetischen Cafés für Dichtung geht an Bob Dylan. Leider habe ich ihn noch nicht ans Telefon gekriegt. Bob, bitte ruf mich an.

MerzBow | von kid37 um 01:37h | 35 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 1. Juni 2016


Merz/Bow, #51



Die krachromantische US-Band Xiu Xiu hat sich (letztes Jahr bereits, aber nun denn) an der Musik von Twin Peaks versucht. Exklusiv für den "Record Store Day" 2016 wurde dazu ein Vinyl-Album veröffentlicht, auf Youtube gibt es den oben verlinkten Extrakt, aber auch komplette Live-Shows ihrer Rußland-Tournee im letzten Jahr zu sehen. Das sage ich ganz nüchtern, die Emotionen sind ja in der Musik.

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Wlanlos in Wien entdeckte ich diesen alten Thorens-Plattenspieler und hätte dort neben meiner immer im Handgepäck bei mir geführten Häkelschallplatte natürlich auch das "Twin Peaks"-Album von Xiu Xiu hören können, hätte ich es denn am "Record Store Day" ergattert. Der Plattenspieler für sich genommen würde auch bella figura in meinem Leuchtturm machen, darüber denke ich maschenweise nach.

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Sigríður Níelsdóttir kennt ihr nicht. Bekannt wird die über 77-jährige Dame aus dem schönen, wenn auch abgelegenen Island nun als "Grandma Lo-Fi". Weil Björk dort nicht die ganze Zeit Musik machen kann, sprang Frau Níelsdóttir ein und spielte einen ganzen Strickkorb selbstgemachter Alben mit Casio-Keyboard und Spielzeuginstrumenten ein. 59 waren es Stand 2014, diese Zahl sollte dem ein oder anderen faul gewordenen Musikanten unter uns ein Ansporn sein. Passend zum unaufgeregten Ansatz ihrer Heimproduktionen, wurde ihr Schaffen auf Schmalfilm und Video dokumentiert. Einen Trailer zu der vergnüglichen Doku gibt es hier.

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Schwerter zu Querflöten, oder: Es liegt ein Klang in allen Dingen. Der Künstler Pedro Reyes aus Mexiko hat sich 6700 (nicht verifizierte Zahl) im Kampf gegen Drogendealer konfiszierte Waffen besorgt und diese zu verschiedenen Musikinstrumenten umgebaut.

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Die "Stalinorgel" muß also kein geschmackloser Scherz bleiben, da ginge was, liebe Flöten von den GRÜNEN, die ihr neuerdings die Waffenindustrie weißwäscht.


>>> Geräusch des Tages: Xiu Xiu mit "Twin Peaks" live in Moskau

MerzBow | von kid37 um 23:19h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 22. Februar 2016


Merz/Bow, #50



Vor ein paar Tagen kamen mir meine ungeputzten Fenster noch ein wenig ungeputzter vor. Aber es war nur der Winter, der in Hamburg noch einmal die Muckis spielen lassen wollte, den Starken mimen, kurz mal die Backen aufblasen wie ein lange vernachlässigtes kleines Kind, das sich krähend präsentiert und dabei doch in die Hosen macht. Winter, geh ins Bett. Du bist müde!

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Letztes Jahr, ich hatte im Kopf wohl Winter, blies ich kurz die Backen auf und dachte über Berlin nach. Viele Menschen finden das ja schön dort, ich immerhin interessant und kam auf diesem Wege, aber besseren Wissens zu der Idee, nicht immer so stur zu sein, Dingen auch eine Chance zu geben, Städten zum Beispiel. Überraschend schnell hatte ich sogar eine Wohnung zur Hand, ein niedliches kleines "Single-Nest", wie mir der Makler versicherte, hübsch gelegen, ein einmaliges Angebot und unsaniert, für den Fall, daß ich selbst noch Hammer und Leiter und Maurerzeugs bereitstellen wolle, sogar für die Hälfte billiger. Die Hälfte! Da war ich gleich ganz hibbelig, 'ne jünstige Jelegenheit. Ein Zimmer für mich allein.

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Dabei könnte Berlin fleißige Hände vertragen, es hat ja quasi keinen Flughafen. Man kann dort aber, gleich vom Bahnhof aus, gut zweigleisig fahren. Das wußte ich aber schon. Dieses Jahr war ich noch nicht da, der Kollege hingegen war auf der Berlinale und hat Selfies mit einer von mir sehr geliebten geschätzten Schauspielerin gemacht. Mann, Mann, Mann! Zwiespältige Gefühle waren das, als mir das Grinsefoto zum Gruß geschickt wurde. Mitten in der Nacht auch noch von einer dieser angeblichen Partys, ein Trick natürlich, mit dem Berlin so tut, als gebe es dort ein Nachtleben. Ich kann aber nun sagen, die Frau Dings, die lächelt für mich schon sehr schön in die kleine Telefonkamera. Ist auch wichtig.

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Berlin liegt auch in einer anderen Zeitzone. Moskauer Zeit, da verschieben sich ganze Kalender, Feiertage, Geburtstage - man müßte alles neu denken, gerade, wo ich mich in den hiesigen Tidenkalender eingegroovt habe. Der geht minutengenau, mit Vorhersage.

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Wie selbst frisch verputzt, habe ich ganz in der Nähe einen Laden entdeckt, der tatsächlich noch textilummantelte Kabel in vielen Farben als Meterware führt. Was es alles noch gibt! Der Geruch dieser Elektroläden, die nur über Hintertreppen zu erreichen sind, halb Lager, halb Verkaufsraum, halb Restekiste mit überquellenden Pappkartons. Eine Jugenderinnerung, die Werkstatt der Väter, das Knistern der Transformatoren und Summen der Röhren. Großes Glück, dieser Laden führt tatsächlich auch noch kleine Isolatoren aus Porzellan, perfekt für Langdrahtantennen aus Klingeldraht, sogenannte "Hühnerleiter" und Dipolkonstruktionen.

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Denn abends wollen die Schauspielerin und ich Radio hören. Ferne Sender auf der kurzen Welle, aus dem knisternden Äther gefischte Signale, den rhythmischen Klang der Telegrafen, der Musik aus Sumatra und Hilversum. Beleuchtet vom Glimmen der Kathode und dem schwachen, grünlichen Puls des magischen Auges schrecken wir vielleicht bald mit angehaltenem Atem und eng zusammengedrückt wie auf einem Selfie nervös zusammen, wenn das gemorste "V" ertönt: Di di di daa, Beethovens V., wenn das Schicksal anklopft, gefolgt vom sonoren: Hier ist England.

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Die Französin Isa Marcelli macht schöne Schwarzweißfotos: entschleunigt, gar nicht grell, aber traumhaft erhellend. Bei all dem visuellen Geschrei all überall, empfinde ich das auch in aller den Zeitläuften entzogenen Blümchenhaftigkeit gerade als angenehm.

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Ich bin sehr naiv, auch was diese Schauspielerin angeht. Ich mag mich aber trotzdem. Vielleicht schreibt die mir.

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Ich muß ins Bett. Ich bin müde.

>>> Geräusch des Tages: The Passions, I'm In Love With A German Film Star

MerzBow | von kid37 um 02:01h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 14. März 2015


Merz/Bow, #49

Ob das hier noch was wird? Ob ich meine Tastatur wiederfinde, wenn schon nicht die Sprache? Gern würde ich betteln, "Bitte, gib mir etwas Zeit", wie es manche im Leben sprechen, während sie dabei längst die Schuhe schnüren. Aber das erinnert an schlichte Schlagertexte, und meiner Erfahrung nach werden schlichte Schlagertexte gar nicht immer verstanden, so komplex sind die. Da werden Liebeslieder zu Pfeilen umetikettiert, daß man sich noch im Grabe drehen möchte.

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Ich habe wohlwollend gelesen. Rocko Schamonis Fünf Löcher im Himmel. Eine eher melodramatische Geschichte mit überflüssigem Epilog, nein, sogar zwei überflüssigen Epilogen, die das effektvoll stimulierte Ende stilistisch runterziehen. Die Sprache stimmt nicht immer genau. Wenn in Tagebüchern aus den 60ern viel zu modern forumuliert wird. Wenn Nachrichten aus dem Kleinstadtkäseblatt aber so gar nichts von mindestjournalistischer Schreibe haben. Da ist es mir zu ungenau, zu schlampig vielleicht. Die Geschichte hält aber gut bei Laune, und mehr will sie ja nicht.

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Ich habe wohlwollend eine Doku geschaut. Marwencol dreht sich um eine fiktive Stadt im fiktiven Belgien zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, die der US-Künstler Mark Hogancamp mit Barbiepuppen bevölkert. Ihre groschenromanhaften Kriegsabenteuer fotografiert er als fortlaufende Geschichten und sieht sich selbst als Teil dieser akribisch und detailreich ausgestatteten Seifenoper. Hogancamp war nach einer üblen Schlägerei ins Koma gefallen und hat Hirnschäden erlitten. Seither lebt er in seinem "Tal der Puppen" und integriert auch die Puppen-Doubles seiner Nachbarn und Freunde in die Fotogeschichten. Ein bißchen unheimlich, auf jeden Fall anrührend und faszinierend.

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Im Grunde eine Art Bloggeruniversum, wenn man den Faden mal weiterspinnt. Avatare in ihrer zurechtstilisierten Welt.

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Ich saß mit einer Bekannten beim Essen im besten Restaurant von Marwencol und ging mit ihr meine Exit-Pläne B bis K durch. Aber egal, worüber ich referierte - Imkerei, Interpret von Kunstliederabenden, Malerfürst -, sie kam immer wieder auf "Rockstar" zurück. Ich sei so in dem Alter. Vielleicht ist da was dran, schließlich leben wir in einer alternden Gesellschaft. Ich würde natürlich, meinte ich, gleich oben einsteigen und ausschließlich Hallenkonzerte geben. Diese Clubtourneen im VW Bulli gehen ja doch ganz schön auf die Pumpe.

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Ich habe aber auch noch geheime Pläne. Und Hirnchirurgie finde ich auch interessant.

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Weil ich hier den Überblick verliere, mußte ich einige Bücher und Klamotten zum Basar bringen. Und noch ein paar mehr Bücher und Klamotten. Raumordnung & Struktur, zwei hilfreiche Krücken, wenn man so durchs Leben humpelt. Als Rockstar bräuchte ich natürlich gleich wieder neue Klamotten, Hingucker vielleicht zwischen Ziggy Stardust und Elton John.

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Das bringt mich auf was. Erinnert ich euch noch an den obskuren Kanal Telemedial? Der Herr ist bemerkenswert neu eingekleidet - irgendwo zwischen Ziggy Stardust und Elton John und erzählt etwas über die besonderen Kräfte und insbesondere die Geduld von Steinen. Und Internetfreunde. Da sagt ihr nichts mehr.

MerzBow | von kid37 um 22:37h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 27. August 2014


Merz/Bow, #48



Ich lese gerade im aktuellen Kultur & Gespenster. Die Ausgabe 14 erschien schon 2013 und dreht sich um Radio, dessen Theorie und dessen Verbindungen zu Spukereignissen ("Stimmen hören!") und Schizophrenie (der Fall "Schreber") - hochinteressant also, ein wenig obskur, gerade richtig für den anbrechenden Herbst und den langen Abenden vor dem wärmenden Röhrengerät. In der Ausgabe auch ein etwas beleidigt klingender Beitrag über das Gängeviertel und Subkultur per Akklamation, aber auch ein sehr launiger älterer Text von Frieder Butzmann über Punk und New Wave in Hamburg. Mehr hier: Kultur & Gespenster.

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Sonst alles gut, wie es modern heißt. Wie Sheldon Cooper auf Weichmacherdrogen übe ich mich ein wenig in sozialer Interaktion, komme folglich zu aushäusigem Abendessen und Unterhaltungsprogramm. Da ich gern den Unterhalter spiele, ist das immer gut. Das Essen oft auch.

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Bei unterschiedlichen Reparaturarbeiten bin ich aber auch zu Schnitten und Dellen, Abschabungen und Hämatomen und weiteren kutanen und subkutanen Verletzungen gekommen. Scully hätte ihre Freude an mir gehabt. (Man sieht, wie unrealistisch diese Serie ist. Das macht doch heute keiner mehr!)

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Nicht im Röhrengerät, aber über das Internet sind die Töne von Sima Kim auf A Closer Listen zu hören. Ambient für kommende Herbstabende, "Freudvoll und leidvoll", wie die Titel versprechen. Funktioniert auch ohne Weichmacherdrogen.

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Eine schöne Entdeckung ist die Internet-Radiostation Hilversum The Lake Radio, auf die Liisa aufmerksam gemacht hat. Meist sogenannte komplexe Musik, zwischendrin Wortbeiträge von Burroughs oder Robert Frost, sehr selten mal dann überraschend mainstreamiges Geklimper.

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Laura Flook, die durch die TV-Reihe Oddities bekannt wurde, schreibt was aus meinem Herzen über Klatsch & Tratsch im sozialen Treppenhaus. Das wird einige brennend interessieren und sollte es auch.

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Der Herbst kündigt sich an und bald werden wir uns draußen in ockerbunten Laubhaufen treffen, um Kastanien zu sammeln. Ich benötige dazu eine schöne Jacke, könnte natürlich aber auch warten, bis meine alten Mäntel von selbst so verwelken.

MerzBow | von kid37 um 22:37h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 30. Juni 2014


Merz/Bow, #47



Ich hoffe, ihr habt eure Balkone geschmückt, wenn heute abend der Weihnachtsmann der Herr Löw und seine elf Weisen das Wunder im Fußballmorgenland vollbringen. Dies ist ja die WM der großen Zeitverformungen, ein Beweis für den fatalen wissenschaftlichen Irrtum, dem auch Dana Scully (50) lange unterlag: "Time just can't disappear! It's a universal invariant!" - so eines ihrer überlieferten Zitate. Wer heute aber die Fußballweltmeisterschaft "live" verfolgt, wird feststellen, wie zeitversetzt die als "Live-Übertragungen" ausgewiesenen Sendungen in den Nachbarwohnungen und auf der Straße bestöhnt, beächzt und behupt werden. (Oder wie hier im Viertel: beböllert.)

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Irgendetwas wollte ich sagen. Vergessen.

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Blogger.de braucht noch Hilfe, wie hier nachzulesen ist. Wer etwas beitragen möchte, kann dies gerne tun, auch ungerade Summen sind willkommen. Geht ganz alte Schule über eine Bankverbindung.

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In den USA (das ist ein Land in Amerika) hat man seit jeher großes Interesse an Techniken zur Mind Control. William S. Burroughs beispielsweise hat viel darüber geschrieben und wurde als drogensüchtiger Verschwörungsfantiker belächelt, dabei war er nur der drogensüchtige Poeten-Bruder des bekannten Sachbuchautors Philip K. Dick. Die Firma Facebook jedenfalls, die im Internet ein großes Aushorchungsnetzwerk betreibt, hat das alles noch mal ausprobiert und festgestellt: Schöne Nachrichten sind schöner als nicht so schöne Nachrichten.

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Leider, so muß ich als Betreiber einer kleinen diesbezüglichen, seit zehn Jahren bestehenden Blog-Forschungsstelle (und zwar im Internet) berichten, gibt es keine schönen Nachrichten. Die schönen Nachrichten nämlich erreichen uns nicht nur zeitversetzt (s.o.), sie sind auch noch geschönt.

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Nehmen wir zum Beweis diese Bilderstrecke, die uns aus dem schönen Kalifornien (das ist ein Staat in den USA) erreicht. Ich habe recherchiert und erfahren, daß diese Bilder gar nicht "echt" sind. Es handelt sich um eine Gruppe Schauspieler aus einer Vorstadt von Los Angeles, die hier im Auftrag einer Nachrichtenverschönerungsverschwörung so tun als seien sie glücklich. (Bis auf eine, die aus wohlhabender Familie stammt, leben aber alle einschließlich der Kinder vom Existenzminimum in einem Trailerpark in den Bergen Hollywoods, aber das nur nebenbei.)

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Wer aufpaßt, errät es am Skateboardbild. Keine Zehenschutzschuhe! Kein Helm! Kind in kippliger Situation! Wennjetztwaspassiert! Es dürfte jedem klar sein, daß dies keine echte, von Mind-Control-Experimenten unbeeinflußte Lebenssituation darstellt, sondern von professionellen Stuntmen und -kindern im Filmstudio nachgestellt wurde.

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Wie der WM-Sieg einer bestimmten Mannschaft 1974 übrigens.

MerzBow | von kid37 um 17:37h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link