Dienstag, 26. November 2019


Neues aus der Wissenschaft

Schöne Künste hin oder her, ich bin natürlich aber auch ein Kind der Wissenschaft - mit eigenem Labor in der Nähe eines Umspannwerks und ganz eigenen Gedanken. Manchmal gehe ich in meinen weißen Studienkittel gekleidet Alltagsphänomen auf den Grund. So zum Beispiel der oft gehörten Meinung, man habe a) seit "30 Jahren" keinen Fernseher mehr und/oder gucke b) sowieso nichts - von wegen der Qualität her.



Um diese Behauptung zu überprüfen, habe ich in geradezu anrührender Akribie einen Fernseher gebaut (technische Grundkenntnisse über Zeilentransformatoren, elektromagnetische Wellen und optische Systeme vorhanden), eine Case-Study auch in gehobenem Industriedesign, die sich (wir sehen hier einen Prototypen) auch als Wohnmöbel wunderbar eignen würde. (Warum ich nicht Schreiner geworden bin? Nun, ein bißchen sieht man es auf dem Bild. Aber man muß schon seeeehr genau hingucken.)

Nun heißt es ja immer: "Ach, im Fernsehen ist eh nix drin. Und wenn, dann läuft nur was aus der Konserve."



Zur Verifizierung oder aber Entkräftung dieser Hypthese habe ich mein Testmodell umgedreht, wie auf dem Seziertisch über den Spinalkanal von hinten her geöffnet und wirklich tief ins Fernsehen hineingeschaut, um der Sache wissenschaftlich auf den Grund zu gehen - und voilà: Es stimmt, da gibt es wirklich erstaunlich viel aus der Konserve! (Beweisfoto s.o.)

Ich hoffe nun, diese Studie an interessierte Mediendienste verkaufen und mich vielleicht auch als Key-Speaker in der Diskussion um Beiträge und Beiträge (also Geld und Sendeformate) positionieren zu können. Vielleicht steht mir auch eine Zukunft in der Lehrmittelindustrie offen, denn im Unterricht ist Anschaulichkeit ein oberes Gebot.

Ach, und Kinder: Don't try this at home! Dieses Experiment wurde von ausgebildeten Spezialisten durchgeführt.


 


Sonntag, 24. November 2019


Träume aus dem All

Als Kind habe ich mein Zimmer mit Bindfäden durchzogen, schön schräg, weil ich das damals schon mochte, und habe daran Seilbahnen entlangsirren lassen, die ich aus Pappkartons quasi täuschend echt gebastelt hatte. Wie schön, wenn sehr grob gerechnet 30 Jahre später, in Hamburg eine Raumstation die Druckschleuse öffnet, und im Inneren viele Dejà-vus bietet.



Bei Feinkunst Krüger hatte Obsessiv-Raumgestalter Simon Hehemann die Galerie komplett umgebaut und seine immersive Schau Aus diesem Punkt gezeigt, bei der man sich mitten in einer Raumstation zwischen Mondstaub, weltraumschwarzen Bildern und allerlei Kinetik wiederfand. Umgebaute Bahnen transportierten Gedanken, Träume und Weltraumschutt, die Bilder und Objekte waren dabei fernen Sternen gleich Fundplätze obskurer Entdeckungen.



Im Monat drauf wechselten die Astronauten und die Künstler Stefan Vogel und Paule Hammer übernahmen die Operation an Bord der Space Station Krüger: lose haare in meiner hand. Wie interstellare Legendenerzählungen rahmten Traumerinnerungen verrätselte Bilder und Landkarten, verstörten überraschende Handlungsanweisungen den monotonen Betrachteralltag. Disruption auf dem Holodeck.

"Von diesem Punkt aus" und "lose haare in meiner hand" waren bei Feinkunst Krüger im September und Oktober 2019 zu sehen.


 


Sonntag, 10. November 2019


Tiers in the Rain



Weil die große Frage im Film die nach der Zeit ist, die uns bleibt, ist es kein Zufall, daß der Blade Runner im totenfeiertagsreichen November spielt. Und zwar exakt in diesem November nämlich, 2019. Vieles aus diesem Film, so zeigt ein Rundblick in die Gegenwart, ist ja tatsächlich eingetreten. LED-Werbedisplays überall in der Stadt, die in U-Bahnstationen "wahre Früchte" bewerben oder Hamburger Leichtbier. Autonom agierende Staubsauger, schwirrende Drohnen, bald auch "Flugtaxis" - zumindestens aber allseits verfluchte Roller - und Menschen, die nicht mehr wissen, ob ihre Erinnerungen die eigenen sind oder bloß von ihrem Instagramaccount suggeriert wurden.

Im Freundeskreis faltet die ein oder andere Origami, papierne Tiere, die sich im Regen rasch auflösen. Als Android der 37. Generation bin ich kaum von einem Menschen zu unterscheiden, denke ich, auch wenn da draußen bei der einen oder dem anderen sicher - im EEG aber kaum zu dokumentierende - Zweifel bestehen.

Was ich sah, wird allerdings nicht wie Tiers im Regen verloren gehen, sondern nur, wenn die Blog-Server von einem elektromagnetischem Sturm zerstört werden. Oder einer mächtig dazwischenhauenden Androidenfaust. Oder einem böswillig vom Kurs gehackten Flugtaxi.

Super 8 | von kid37 um 02:37h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 7. November 2019


Rückspiegel



Man müßte das mal rückblickend zusammenstellen. Die Art, wie sich Farben in den Jahren verändern. Herbstmode dieses Jahr ist offenbar so ein Graublau- oder wie die Modeexperten sagen: ein Blaugrauton. Kontrastiert durch signalfarbene (und vielleicht auch richtungsweisende) Rotweiß-Akzente. Sehr schmackhaft übrigens.

Weitere Schnittmenge: Tiere. Norbert Scheuers Winterbienen war mir bei Erscheinen natürlich aufgefallen, aber die letzten Erfahrungen mit zeitgenössischer deutscher Literatur haben mich zögern lassen. Jetzt, wo das Buch ins Haus gesummt kam, muß ich sagen: Der Auftakt ist überraschend einnehmend. Seine Geschichte und sein Thema einkreisend wie ein Schwänzeltanz. Details werde ich einfühlend bei Brehm nachschlagen, der knochentrocken festhält: "Alle Schweine der Erde ähneln sich in ihrem Leibesbau und Wesen". (Die Illustrationen der sehr schönen Ausgabe vom Duden-Verlag sind ebenfalls eine Wucht.)

Man muß den Dingen ins Gesicht und dem Energiefluß in die Steckdosennase sehen. Die letzten Woche bescherten Formulare, Zahlen, Rechenmodelle, Termine und Gespräche, ein Summen wie im Bienenstock. Während ich über einen Urlaub nachdenke, erreichen mich Karten aus anderen Zeiten und Ländern. England nämlich. Vielleicht sollte ich die Chance nutzen, solange es noch einfach ist.

Mittlerweile, ganz anderes Thema, bin ich in der achten Staffel von Murdoch Mysteries angekommen. Nach der noch etwas steifen (und viel zu indianerstark geschminkten) ersten Staffel, hat sich die Serie wie so viele ab der zweiten freigespielt, ab der fünften wird amüsierend locker mit dem mittlerweile erreichten Kultstatus (also im Heimatland Kanada) gespielt. (So gibt es eine selbstironische Folge über den "Murdoch Appreciation Club", wo eine Gruppe Fanboys und -girls einen Mordfall konstruiert, um ihr Idol aus nächster Nähe bei der Ermittlungsarbeit beobachten zu können.) Gesellschaftliche Veränderungen um 1900, wie der Kampf um Frauenrechte, spielen ebenfalls mehr und mehr eine Rolle. Hübsch sind die vielen Anspielungen (gerade habe ich eine Folge gesehen, in der Murdoch als eine Art "Indiana Jones" in den "Tempel des Todes" muß.) Der große Kniff der Serie, den anachronistischen Blick auf die Technikgeschichte, der mal vor- oder auch zurückdeutet, ist nach wie vor der größte Spaß. Murdochs Basteleien und Erfindungen (zwischendurch hat er auch ma eben eine Gangschaltung adaptiert, um an einem Radrennen teilzunehmen - nicht des Rennens wegen,, sondern als "Proof of Concept") sind immer noch teils irrwitzige Beispiele der Entwicklung in der Foresnik: So entwickelt er die von ihm erfundene automatische Kamera mit einem kleinen Ballon zur Drohne weiter, um Luftaufnahmen machen zu können. Letztlich alles ein milder Humor für erschöpfte Menschen, die sich nach einem harten Tag auf Twitter nicht mehr aufregen wollen.


 


Montag, 28. Oktober 2019


Mensch im Eisen

Mein Tagwerk ist: im engen Kesselrohr
bei kleinem Glühlicht kniend krumm zu sitzen –
an Nieten hämmernd in der Hitze schwitzen.
Verrußt sind Aug' und Haar und Ohr

(Heinrich Lersch, "Mensch im Eisen". 1907)




Den Schreibtisch aufgeräumt, Schlüsselkarten abgegeben, wie ein Eichhörnchen oder ein Trupp fleißiger Ameisen alles, was ich nach und nach im Spind ausgelagert hatte, emsig wieder nach Hause transportiert.

Mein erstes Coaching absolviert in moderner Kommunikation und Gesprächsführung. Gelernt, daß es in Diskussionen nicht "Gott, sind Sie blöd!" heißt, sondern "Entschuldigen Sie, mein Fehler. Ich dachte, Sie hätten studiert." Interessant, aber wenn es einem zu einer gewissen Parkettsicherheit verhilft, soll es kein Schaden sein.

Ich kuratiere jetzt nur noch ernsthafte Fälle und rechne gerade ausstehende Gelder zusammen, weil ich ein Gemälde erwerben möchte, um einen späteren Dienstherren zum Essen einladen zu können. Es sind die kleinen Dinge und Details, die zählen.

Die Jahre zähle ich nicht zusammen. Ich erfahre, daß es da unterschiedliche Betrachtungsweisen gibt, die Endergebnisse über Stufen hinweg nach oben oder unten und vielleicht sogar seitwärts verschieben können. Ich bin aber sicher, es gibt Menschen, die kennen sich mit derlei Rechenödnis wunderbar aus.

Das ist ja auch eine Kunst, wie überhaupt alles Kunst sein sollte.


 


Sonntag, 20. Oktober 2019


Monkey Business



Patti Smith und ich haben einiges gemeinsam, darunter das Problem, daß unsere Kameras nun "out of film" sind. Ich habe mir ja nie Gedanken darüber gemacht, denn schließlich gibt es das Impossible Project (heute: Polaroid Originals), das vor zehn Jahren Maschinen von Polaroid in den Niederlanden übernahm - und vor allem Fuji als Anbieter einer großartigen Schwarzweiß-Variante. Damit ist es aber für diesen Typ Kamera vorbei, und die letzten Chargen werden aus obskuren Quellen auf eBay zu Mondpreisen verhökert.

Eine Affenschande ist das, und so werde ich mich wohl mit Mrs. Smith auf (rein literarische) Wanderschaft durch Widrigkeiten und problematische Umstände begeben, was sicher gut zum Ausklang meines eigenen Jahres paßt. Es wäre aber auch eine Idee für eine eigene Wanderung mit dem Elektroscooter durch die "Mark Brandenburg", möglicherweise findet sich dort in einer in einer Scheunenecke abgestellten Kühltruhe noch eine große Charge Sofortbildfilm. Könnte doch sein - nur ein unbeirrbarer Glaube führt letztlich zum Erfolg.

Vor ein paar Jahren hat Patti Smith in Paris eine Ausstellung mit ihren Polaroids gemacht, begleitend gab es dazu einen exquisit aufgemachten Bildband, der so heißt wie die Kamera, nämlich Land 250, und nun ebenfalls zu Mondpreisen verhökert wird. (Wer den mal günstig sieht, sofort kaufen! Es gibt kein Bereuen.)

Jetzt in der Blüte meines Herbstes erfrischt es auch, wenn ein kühler Wind durch die goldbehangenen Bäume weht. Was jetzt nicht taugt, stirbt ab und kommt in die Scheune. Der Rest wird ordentlich durchgefegt. Nur wer jetzt keine Fledermaushöhle hat, der findet keine mehr. Ich hab' immerhin schon ein Kostüm.

(Patti Smith. Year of the Monkey. New York: Alfred A. Knopf, 2019.)


 


Montag, 14. Oktober 2019


Tagfalten


(Bild: Noah Doely)

Manchmal, wenn ich abends noch ein wenig gedankenverhangen in meinem Labor sitze, umgeben von den Träumen und Schöpfungen des Tages, ist mir ganz flattrig zumute. Man ist ja keine 37 mehr, ein Alter, in der Zukunft an jeder Ecke liegt und aus jeder halbgeöffnete Schublade drängt. Jetzt muß ich tatsächlich auch hier und da mal Pause machen. Und solange es ungewiß bleibt, ob ich ins neurowissenschaftliche Institut wechseln kann, wo man meinen Forschungen über Schmetterlinge im Bauch skeptisch gegenübersteht, wird die Pause vielleicht auch eine längere. Aber auch ich könnte mich noch in einen Schmetterling im Ringelhemd verwandeln!

Ich könnte endlich Autor meiner eigenen Geschichte werden, mich an Apfelessig beschwipsen und auf exotischen Wüstenplaneten traumversponnene Abenteuer erleben - das aber gibt es schon als brandneuen, knapp 20-minütigen Kurzfilm von Bertrand Mandico (dessen The Wild Boys diese Tage auf DVD und BR erscheint). In angemessen bekloppte 70er-Jahre-Ästehtik gehüllt, erzählt er in Extazus eine dunstig herbeihalluzinierte, pulpige Geschichte von wilden, queeren Kriegerinnen in schwülen Glitzerwelten. Wer sich das anschauen möchte, das Video liegt hier.

Zeitgleich läuft (u.a. auf der Viennale) seine ebenfalls ultrafrischer mittellanger Film Ultra Pulpe an, faul ist der Mann also nicht. Mir soll es ein Beispiel sein. Immer weitermachen!

Super 8 | von kid37 um 00:57h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link