Sonntag, 30. Juli 2017


15 Jahre, meine Fresse



Es hat auch Vorteile, alleine zu leben. Ich möchte unter anderen Umständen nicht erklären müssen, warum ich freitags nachts sehr spät nach Hause komme, über und über mit Muttermilch bespritzt. Selbstverständlich gibt es dafür wie für die meisten Dinge im Leben eine simple Erklärung, die da lautet: Es ist nicht das, wonach es aussieht. Auf St. Pauli heißt das auch noch einfacher: Es ist Rock'n'Wrestling!



Zum mittlerweile 15. Jubiläum (!) wurden erneut zwei Termine hintereinander angesetzt, ich gebe aber gleich zu: Zwei solcher Abende verkrafte selbst ich nicht mehr, und ich lag im Leben oft schon quasi vor Madagaskar. Auf unnachahmliche- unnachahmmilche Art von der schnellschwangeren Traumbeherrscherrin so manches Hamburger Jung Dolly Duschenka angenummert, zeigte Großmeister Baster, seit 15 Jahren unglaublich unbesiegt und das zurecht, wo im Hafenklang der Hammer hängt. Tschüß, Sailor Boy, du kannst nach Hause segeln.




Der Woodsman hat dummerweise Eddie, den Eismann gehäckselt, das war ein brutaler Kampf, bei dem kein Auge und auch das ein oder andere T-Shirt nicht trocken blieb. Verdammte Schweinerei. Dabei hatte Eddies special move, dem Gegner hinterrücks ein Eis am Stil in die Arschritze zu schieben, den Woodsman fast richtig ausgeknockt. Aber... zu früh gefreut, der Kerl hat sich mit einer Pulle Selbstgebrannten zurück ins Spiel gebracht. Guter Hoffung hingegen Dolly, deren Bauchumfang von Kampf zu Kampf zunahm.




Von Höhepunkt zu Höhepunkt. Kampfroboter Bento V machte die blödsinnigen Gentrifizierungsbauten Tanzende Türme von der Reeperbahn unter dem Gejohle des Publikums fertig - fand dann aber ausgerechnet im Trump Tower einen Meister. Leider keine Fake News. Bento war erstmal hin! Worauf aber ist Verlaß? Auf Pinkzilla ist Verlaß! Der Lieblingsdinosaurier von St. Pauli kickte dem blöden Tower ordentlich by the pussy und hat Bento gerade so gerettet. So geht Freundschaft, Leute!



Und die Hymne? Natürlich gab Nik Neandertal die von Jung und Alt aus nah und fern frenetisch gefeierte Hymne, so ungefähr 15 mal, dem Jubiläum entsprechend. Dazu gab es die Piñata de la Muerte, mit der St. Pauli vom bösen Geist befreit werden sollte. Geschmückt mit den Konterfeis zweier Rädelsführer aus Politik und Exekutive während des G20 und gefüllt mit Lutschern vom Budni, wurde das Böse buchstäblich aus dem Stadtteil gedroschen. Ich möchte es so formulieren: Gewalt im Ring hat es nicht gegeben, und Flora bleibt. Zwischendrin droschen die beiden Bands Cheating Hearts und Juliette and the Beasts rotzige Moritaten von fehlgeleiteter Liebe gen Publikum. Ich bin da im Moment außen vor, sollte ich diese Strecke noch mal fahren, steige ich aber gerne wieder in diesen Zug.




Dann aber: Sturzgeburt! Dolly, tapfer bis zuletzt im buchhalteeeehrischen Einsatz, brauchte die Nummerntafel jetzt zum Wehen zählen, dann brach sich schon ihre Brut die Bahn. Wer sich bislang insgeheim oder auch lauter ein Kind von Dolly gewünscht hatte, konnte dies nun einmal sachlich überdenken. Gegen den folgenden Kampf nämlich war alles vorhergehende nur Eislecken, nicht einmal die Hand konnten wir Dolly dabei halten, aber die hätte sie uns eh nur gebrochen. Schon aber tobte die Rotzgöre vom ohnmächtigen Lebenszorn gepackt durch den Ring, die meisten hätten dabei wohl etwas hilflos reagiert, sieht der kleine Teufel doch zugleich so zerbrechlich aus. Als aber Exkremente geworfen wurden, faßte Mutter Dolly sich ein resolutes Herz.




An der Nabelschnur wurde das Biest unerschrocken eingefangen, mit Dollys special move, einem Riesenschnuller, still gestellt und an wild wedelnden Händen und Füßen vorbei in eine Windel gepackt. Alles gut? Nein, ein letztes Toben, Dolly war schon in erschöpft die Ecke gedrängt, als letztes Mittel half nur... Muttermilch! Die spritzte wild durch den Ring und ins Publikum, dann aber: Baby satt, Umstehende glücklich. Endlich mal ein realistischer Kampf, dem Leben sozusagen abgemolken.



Wie heißt es am Ende der Schulstunde so schön? Das hat den Zuschauer zum Nachdenken angeregt. Belehrt und besudelt hieß es den Heimweg antreten, Adrenalin abbauen, erste Sofortberichte in die Welt kabeln, Klamotten zum Verbrennen auf einen Haufen stapeln, seinem Gott fürs Durchhalten danken. Über fünf Stunden auf den Beinen, das schafft selbst ihr nicht mehr.

Radau | von kid37 um 16:28h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 28. Juli 2017


Alle wegpusten



Jetzt noch mal schnell durchatmen. "Breathe in - breathe out", wird mir in letzter Zeit öfter geraten, wenn ich wegen diesem oder jenem oder auch wegen was Emotionalem hyperventiliere. Jetzt noch mal Sauerstoff auftanken, an Idylle und Frühlingswiesen denken, denn heute Abend heißt es auf St. Pauli wieder Mensch gegen Monster und Blut, Schweiß und Bier. Herr AxelK war gestern auf der Pressekonferenz.

Gern wüßte ich, wie man das in anderen Ländern regeln würde. Greifen wir mal wahllos eins raus, sagen wir... Australien. Die wissen doch, wie man boxende Känguruhs niederringt! Das wäre doch ein Dream-Team im Ring.

Radau | von kid37 um 13:11h | 3 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 23. Juli 2017


When shall we three meet again?

And I said you're better not
To light that fire
It will take you to the
Darkest part of the weather

(Warpaint, "Undertow")




Gemütlich mit der Nase an die Scheibe gepresst ist so ein großes sommerliches hurly-burly, Rumpelpumpel wie der Dorf-Shakespeare hier sagt, eine faszinierende Sache. Angeschwitzt von der schwülen Hitze fließt die Elektrizität gleich viel intensiver durch den Körper, ja, auch dahin. Sofort fallen einem ein bis drei Menschen ein, mit denen man dann faserlos nackt gekleidet im großen Suppentopf rühren wollte, fire burn, and cauldron bubble. Manchmal schlägt es ja auch wirklich wie ein Blitz ein, ein Gedanke zum Beispiel.

/Ich schaue mir das so an. Regen, Blitz, auch dunkle Wolken. Aber he, schleudere ich dem Dorf-Shakespeare den Dorf-Hemingway entgegen. The Sun Also Rises. Man muß angeblich nur durch die Wellen tauchen, die nackten Füße tapfer in den Regen setzen, ruhig auch den exakten Einsatz verpassen. Mal kurz auf Risiko. Mal kurz die Strömung ziehen lassen. Mal gucken, ob die anderswo tatsächlich gegen den Uhrzeigersinn dreht.

Mit dem Finger so Linien nachzeichnen wie bei ganz nebenbei angefertigten Telefonkritzeleien. Blitzen über dem dunklen Himmel hinterherzacken, Zigzagging durch fremde Straßen. Was - längst untergezogen - alles so geht. Geduld. Geduld.

>>> Geräusch des Tages: Warpaint, Undertow


 


Montag, 17. Juli 2017


Carte Postale




Ab und an bekomme ich Post aus dem schönen Nachbarland. Es fällt auf, daß die Menschen dort offensichtlich ein Auge für illustrative Briefmarken haben, wo man hierzulande profane Freistempler benutzt oder eine lieblos dahergedruckte Marke. Ich finde, so ein Umschlag ist ja zugleich eine Carte de visite, da sagt man schon der Briefträgerin, hallo, ich bin nett, tue niemandem was zuleide, könnte sogar etwas romantisch sein (unbedingt mit französischem Akzent aussprechen), bitte nicht knicken, sondern mitfreuen, hier kommt noch so richtige Post. Es gibt sie noch, die schönen Umschläge, man möchte eine Geschäftsidee darumherum bauen.

Bei Paketen gilt ja das Gegenteil. Das sollte möglichst abgerockt aussehen, billig und nicht der Rede wert. Neulich bekam ich eins, das einfach zu wertig aussah, mit Klebebändern sehr akkurat verschlossen. Das erreichte mich dann einer Seite säuberlich aufgeschnitten, leicht eingerissen und bis zum inneren Karton betrachtet. Das ist insofern praktisch, ich räume das gerne ein, als daß man nicht mehr so viel damit zu tun hat, das Paket umständlich zu öffnen. Wie vorgekochte Tempobohnen geht das daheim gleich ganz zügig. Schön ist diese Maladie aber nicht.


 


Mittwoch, 12. Juli 2017


Ruhemond



Wie unter Äther. Der Vollmond zieht die Backen ein, den aufgedunsenen Bauch, Zeit wird es, daß Ruhe einkehrt. Der Wind weht Wolken hin und her, Zeit, die Finger ausgestreckt zu halten. Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger. Greifhände, Protesthände, Gitarrenhände. Schön ausstrecken, nicht Zittern, einzeln vor das Licht halten. Dann Schatten malen. Die Wolken an der Decke verfolgen, Jetstream über Wendekreise, mit den Fingern anstupsen, umlenken, wie unruhige Tiere, die ein Ziel suchen. Einatmen, Ausatmen, Fresse halten.

>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, When Under Ether


 


Samstag, 8. Juli 2017


Merz/Bow, #54

Picket lines and picket signs
Don't punish me with brutality

(Marvin Gaye, "What's Going On")




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>>> Geräusch des Tages: Marvin Gaye, What's Going On

MerzBow | von kid37 um 19:54h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 6. Juli 2017


Dunkle Träume unter der Dusche



Manchmal, wenn ich meinen Teppich im Bad aus der Waschmaschine gezerrt habe und in der Wanne über dem Wasserhahn zum Trocknen aufhänge, verwandelt sich der Vorleger in ein klitschnasses Zottelmonster aus einem japanischen Horrorfilm. Vielleicht eine alte, verwahrloste Wasserhexe, die in meinen Teppich wiedergeboren wurde und nun mein Badezimmer verflucht hält. Irgendwoher muß der regelmäßig wiederkehrende Staub ja kommen.

Meine einzige Waffe gegen Angriffe in der Dusche ist meine Rückenbürste vom Budni, wie man die örtliche Drogeriemarktkette hier kumpelhaft nennt. Da stehe ich dann da, halte triefend dieses Ding in Schach und memoriere in milder Panik die wichtigen Leitsätze. Don't be afraid, murmele ich zu meinem klopfenden Herz hinunter. Das ist jetzt nicht das Ende, denn das Ende ist immer richtig fürchterlich. Solche Sachen sage ich, von denen ich nicht weiß, wie eine japanische Teppichhexe dazu steht.

Immerhin, frisch geduscht wird es enden, könnte man denken. Wieviele Menschen trifft man morgens in der U-Bahn, die den Kampf mit dem Teppichmonster frühzeitig verloren haben und fluchtartig und ungewaschen das Bad verließen? Dabei muß man dem Duschwahn der Leute auch nicht nach dem Munde reden. Für die Haut ist das gar nicht gut. Und Max Goldt hat gesagt, beim Menschen gibt es nur sechs Stellen, die täglich gewaschen werden müssen. Linker Fuß, rechter Fuß, linke Achsel, rechte Achsel. Und dazwischen noch zwei. Hat er bei einer Lesung erzählt.

Jedenfalls lasse ich mich von so einer Vermummenschanze nicht einschüchtern. Da könnte ich glatt ein Hamburger Polizist sein. Wasserwerfer aus dem Brauseschlauch Marsch, und dann wollen wir mal sehen, wer hier Herr der Fliesen in meinem Bad ist.