Sonntag, 10. August 2014


Oh, die Heiterkeit!

Es war vor zwei Jahren das erste Projekt auf Kickstarter, das ich unterstützt habe. Dann hat es noch ziemlich lange gedauert, das Buch fertigzustellen, dann ging es wegen postalischer Mißverständnisse zweimal über den Atlantik hin und her. Diese Probleme aber erwisen sich gar nicht als tödlich,sondern ließen sich über den dadurch entstehenden sehr netten und effizienten Mailkontakt mit Joanna Ebenstein, der Gründerin des Morbid-Anatomy-Blogs, rasch aus dem Weg räumen. Und nun ist sie vor ein paar Wochen endlich bei mir eingetrudelt, die Morbid Anatomy Anthology.

Vollgestopft mit hübsch illustrierten Beiträgen (u. a. von Mel Gordon, Kate Forde) rund ums Thema Tod, Trauer, Kultur- und Medizingeschichte, ist das knapp 500-Seiten-starke Werk sehr apart aufgemacht und nicht nur ein praktisches Handbuch für die Hausbibliothek, sondern dem ernsthaften Adepten auch auf Reisen ein (wenn auch gewichtiger) Begleiter. Hier gibt es eine ausführliche Vorschau. Bei Vollmond besonders gut zu lesen, hoffe ich, und ansonsten sicherlich perfekt für den nun beginnenden Herbst.

Joanna Ebenstein, Colin Dickey (Hrsg.). The Morbid Anatomy Anthology. New York: The Morbid Anatomy Press, 2013.

>>> Morbid Anatomy


 


Freitag, 8. August 2014


Schwarzweißschön

An mir und meiner Aufmerksamkeit vorbeigemogelt hat sich der nun mal wirklich ganz wunderbare spanische Stummfilm Blancanieves - Ein Märchen von Schwarz und Weiß. Der Kandidat für den Auslandsoscar 2012 ist berückend, tatsächlich schwarzweiß - und stumm. Und hat wohl deshalb den Oscar nicht gewonnen, weil ja kurz zuvor mit The Artist ein total anderer, aber eben auch schwarzweißer Stummfilm ausgezeichnet wurde, der zudem einen kleinen Hund als Star hat. Blancanieves, also eine sehr spanische Version des Grimm'schen Schneewittchens, hat hingegen nur einen Hahn, der - soviel sei verraten - das Ende des Films nicht erleben wird. Und natürlich Stiere.

In wunderbaren Bildern und bezaubernden Dekorationen verlegt Regisseur Pablo Berger (der auch die lustige Heimpornokomödie "Torremolinos 73" gemacht hat) das bekannte Märchen in das Spanien der 20er Jahre. Ein Unfall zwingt den populärsten Matador dieser Zeit in den Rollstuhl, seine Frau stirbt bei der Geburt der Tochter. Die wiederum wächst bei der Großmutter (Angela Molina) auf, kommt aber nach deren Tod ins so herrschaftliche wie düstere Haus der bösen Stiefmutter. Heimlich bringt ihr der schwerkranke Vater das Stierkämpfen bei, doch als Blancanieves zu einer schönen jungen Frau (nun: Macarena García ) heranwächst, arrangiert die herrische Stiefmutter (die sich ansonsten die deviant-lüsterne Zeit mit ihrem devoten Liebhaber vertreibt) ein Mordkomplott. Keine Angst, setzt euch hin, die unschuldige Schöne überlebt und wird von sieben Kleinwüchsigen gerettet, die als "Zwergenstierkämpfer" vor den eigentlichen Kämpfen für burleske Unterhaltung in der Arena sorgen.

In derem skurillen, aus Holz gezimmerten "Mobile Home" zieht sie über die Lande, durch einen Sommer, wie er mir am besten gefällt: schwarzweiß und flipflopfrei. Ich weiß, das kommt jetzt überraschend. Da die Handlung gut tradiert ist, braucht es nicht viele Schrifttafeln, die Tonspur offenbart einen fröhlich vor sich hinplappernden Mix aus Geräuschen, Tönen und Musik - und glücklicherweise kommt der Film ohne die ganz großen bekannten spanischen Schauspielgesichter aus, von Angela Molina mal abgesehen. Daniel Giménez Cacho, der den Vater spielt, erkennt man vielleicht noch, aber der Verzicht auf die Almodóvar-Bande lädt das grimme Stück nicht unnötig mit mitschwingendem Filmkunstballast auf. Die Hauptdarstellerin Macarena García spielte bislang gar nur spanische TV-Serien und Telenovelas. Die Kinderdarstellerin Sofía Oria ist zudem eine echte Entdeckung.

Und ja, einen Prinzen gibt es auch. Einen, den ich gut verstehen konnte. Und dessen Geschichte ein großes, trauriges Blog füllen würde.

Blancanieves - Ein Märchen von Schwarz und Weiß. (Span. 2012). Regie: Pablo Berger.

>>> Trailer zu Blancanieves

Super 8 | von kid37 um 00:22h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 3. August 2014


Rock and Hamburg



So, die Bandagen können ab, es wird Zeit für den Nachbericht: "Rock and...? Rock and...?" Genau: Rooooock and Wrrrrrestling! So heißt das Hohelied in Hamburg einmal im Jahr, wenn alle Arbeit ruht, Krankheiten geheilt und Handy und Smartphones aus sind. Denn es liegt bereits Wochen vorher eine gefährliche elektrische Spannung über dem Hafenklang, traditionell Austragungsort für das Rock & Wrestling (wenn man von den Garagendächern und Hinterhöfen in den Anfangsjahren absieht). Und wenn es dann losgeht und sogleich Bier, Schweiß und Nebel wie Weihrauch in der Luft (und auf den Kameralinsen) liegt, weiß man gleich: Hallo, Guten Tag, ich bin zuhaus.



Diesmal hatten alle ihre Kreuze im Kalender richtig markiert, so daß nicht ausgerechnet ich als einziges aufrechtes Fähnlein im Orkanwind des organisierten Großradaus stehen mußte. Wir erinnern uns an letztes Jahr. Ich kann sicher auch in der eisernen Lunge, möchte das aber nicht ausprobieren müssen. Heuer aber alles gut, das ganze Team vollständig angetreten, bis auf den Herrn B. aus B., der natürlich aber immer wieder eine Chance eingeräumt bekommt. Überhaupt ganz viele Bekannte dort, krachende Hände, die auch außerhalb des Rings im Rücken landeten, oft beschriebene Momente der sozialen Zusammenrottung. Und gleich noch mehr Freunde gewonnen und Menschen beeinflußt. Die Musiker der Ricky Kings zum Beispiel, denen ich den Verstärker nach draußen trug damit es endlich mal weitergeht und damit eine lebenslange Freundschaft begründetete. Wer will, der kann auch!, heißt es ja immer so lieblich - und ein Simulant wie ich könnte zum Beispiel als Roadie arbeiten, sollten mich Not oder Langeweile treiben.




Genug vom eitlen Ich geschwätzt, die echten Kämpfer warten: Eingeheizt von Don Pedro, dem besten aller Ringrichter und -moderatoren, und Dolly Duschenka, der besten aller Nummerngrrrls, erlebten wir bald eine munter geführte, höchst sportliche Rangelei alter und neuer Heroen: das Krümmelmonster, eine vergessene, arme Seele aus dem gleichnamigen, nahegelegenen Kernkraftwerk, der böse Kommander Kernschmelze, Kampfroboter Bento V im ultimativen Fight gegen derdiedas gut durchgegenderte Pinkzilla, Loooony Lobster natürlich (der am Ende völlig zurecht Publikumssieger wurde), Dangerpilz, The One and Only (dem großartigen und großartig umtriebigen Baster natürlich, aus dessen Komet das Ganze wesentlich erwachsen ist), Miss Liberty, der abgefeimte Don Shrimp (ich muß hier einfach den neutralen Boden des objektiven Berichterstatters verlassen), der Eismann, der das Publikum mit großzügig verteiltem Speiseeis gewann und viele Tapfere mehr. Schön wieder die lokalpolitischen Bezüge, etwa wenn das Team St. Pauli aufs Mauli mit den Engeln dieses Stadtteils einen dort ebenfalls berühmt-berüchtigten Impressario ordentlich mit aus Gefahrengebietzeiten berühmt-berüchtigten Klobürsten verhaute. Da schreibt man doch keine Briefe an die Mopo, das trägt man fair im Ring aus!



Zeit, erneut ganz unbescheiden diesen peinlichen Stunt zu beichten, den ich schon mehrfach, aber nicht oft genug andeutete. Weil ich nämlich gar nicht mit mehreren Bierflaschen in der Hand von der Bühne ins Dunkel springen kann, ohne mich abstützen zu können. Die Idee, dazu die Ringseile zu nutzen, war selten blöd, mein Gesichtsausdruck sicherlich auch - aber es hat ja kaum jemand mitbekommen, und wenn ihr die Klappe haltet, erfährt das auch nie einer. "For a long time I've been without style or grace" (Talking Heads), aber nun sieht es, wenn man es positiv wendet, so aus als könne ich bald mitkämpfen, jetzt, wo ich Ringluft bereits recht bodennah geschnuppert habe. Stark.



Anschließend gut durch zur Aftershow-Party, anschließend dem aufgähnenden Morgen entgegen zum Auskühlen am Hafen entlanglaufen, irgendwo ein Taxi finden, dessen Fahrer mit mir nicht über Uber diskutieren will ("Ach, jo. Jo, jo.") und auch ein Trinkgeld ausschlägt. Das ist eben dieser Respekt, der einem zurecht entgegenschlägt, wenn man nur mit einem T-Shirt vom Rock'n'Wrestling-Merchandisingstand bekleidet durch die wildgepeitschte Hamburger Nacht reitet. Müßt ihr auch mal machen, das Leben zeigt gleich eine ganz andere Seite!

Vorher vielleicht noch mal die Hymne hören? Nik Neandertal singt sie euch.

>>> Nik Neandertal, Die Hymne

Radau | von kid37 um 22:01h | 10 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 26. Juli 2014


Es war ein harter Fight





Und auf die Fresse gelegt habe ich mich auch. Peinlich, aber zum Glück sahen nur 300 Leute zu und nicht drei Trillionen wie beim Weltmeisterschaftsfinale. Ich hielt gerade drei Flaschen Bier in den Händen und konnte mich deshalb nicht festhalten. Und nicht mal die Ringseile konnten mich halten, da ist eben diese Kraft in mir! Sonst aber alles gut ausgelotet: wilde Kerle, schöne Frauen, kämpfendes Meeresgetier und natürlich: die Hymne! Zum Auskühlen nach der Aftershow-Party ein Stück am Hafen entlang, ist Hamburg hier, das muß man so sagen.

Meine Klamotten liegen jetzt im Dekontaminationsraum und stinken nach Männerschweiß, Frauentränen, Bierduschen und allerlei undefinierbaren, widerlichen Getränken, die wie eine Mischung aus Gummibärchensaft und Wodkariechen. Das muß ich alles verbrennen. Konfetti an unmöglichen Orten, dafür Mangel an Magnesium. Jetzt viel Schlaf. Man muß diese Kämpfe ja erstmal alle aus dem Kopf kriegen. Ich habe Dinge gesehen! Und natürlich die Hymne gehört.

Radau | von kid37 um 07:27h | 18 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 25. Juli 2014


Mütter aller Dinge




Während man hinter meinem Rücken mit plumpen Knüppeln hantiert, greife ich lieber zur feinen Klinge und öffne die dem deutschen Zoll aus den Händen gerungenen Pakete. Erbauungslektüre für die nun nach dem Ende des Sommers bald anstehenden trüben, regnerischen Abende. Das Mütter-Museum in Philadelphia hat einen hübschen Bildband mit medizinhistorischen Fotos herausgebracht, ein Stimmungsaufheller für die intimere Runde, wenn man mit Ah und Oh den nur geflüsterten Dingen auf den Grund gehen will, für die es keine Wörter gibt. Erstaunliche Krankheiten, noch erstaunlichere Deformationen in liebevoll restaurierten Bildern, die einen Eindruck geben von den Wehen und Mühen früherer Zeiten und den heutigen, die wir nur einfach nicht wahrhaben wollen.

Auf zehn Bände angelegt ist die Werkausgabe der Erinnerungen Jean-Henri Fabres, die 2015 fertig sein soll, also schneller als ich es lesen kann. Was für ein Leben. Mit der Familie in Südfrankreich wohnen, steinalt werden und den ganzen Tag Käfer und Grabwespen beobachten. Zwischendurch ein wenig dichten, nach dem Tod der Frau die Haushälterin ehelichen und immer guten Kuchen und schweigsame Tiere im Haus haben. Die Kerbtierwelt mit feinsinnigen, poetischen Beobachtungen einer breiteren Öffentlichkeit bekanntmachen und abends auf dem Harmonium frivole Lieder und lustige Weisen zur Unterhaltung der Gäste anschlagen. Hier ein paar Links zu Hörbüchern (auf Englisch) und Fotos, auf denen man sieht, daß der gute Jean-Henri stets adrett gekleidet seinen Sechsbeinerstudien nachging, und nicht wie ihr schlunzig im Büro rumsaß.

Der Link stammt aus dem Blog Splendour Awaits von Adrian Thysse, der mit einer Menge bunter Makrofotografien von Insekten auftrumpft.

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Laura Lindgren (Hrsg.) Mütter Museum: Historic Medical Photographs: The College of Physicians of Philadelphia. Blast Books: New York, 2007.

Jean-Henri Fabre. Erinnerungen eines Insektenforschers, Bd. 1. Berlin: Matthes & Seitz, 2010.


 


Samstag, 19. Juli 2014


Schwitzende kleine Kreaturen

Heute Leuchtturmdienst, also daheim bleiben und Regenwaldmusik der Creatures hören. Feast, ein lange vergessenes Album mit Musik, das hauptsächlich aus Drums und Stimme, den Tropfgeräuschen von Regen, der von Dschungelblättern fällt, und dem Quietschen rostiger Metallketten besteht. Ich sitze derweil in meinem liliengetränkten Wintergarten und bade gerade meine Hände in der Musik, während ich die Füße in eine emaillierten Schüssel voller Essigwasser stecke.

Euch und die anderen Internetzbewohner stelle ich mir dabei als kleine Geckos vor, die durch das Grün huschen, ledrige Zungen aus- und einrollen und träge ihre Umgebung beobachten. Sich was dabei denken oder auch nicht, ein wenig Musik hören und von Kühlschränken voller Getränke träumen.

Ermattet bin ich vom Büchersortieren und Filmsortieren, den vielen Johannisbeeren, vom Aquarellieren der Laufbahnen dieser Schweißtropfen, die meine Arme herunterkriechen. Was fehlt, ist das Versorgungsschiff, das mit eiskaltem Wasser und Burgunderwein kommt.

Warten aufs Nachtprogramm, die letzten Folgen von Penny Dreadful (nicht sicher für die Arbeit) für erweiterte Zustandsgedanken über zwielichtige Gestalten, schwitziger Grusel für wärmesedierte Köpfe.

>>> Da die meisten Clips von The Creatures bei einer im Internet weltberühmten Videoabspielstätte gesperrt sind, zur freudigen Abwechslung ein ebenso altes von der Musikkapelle Siouxsie and the Banshees. Dort zu sehen, wie Siouxsie Sioux als katzengleiche Bloggerin, Selfie- und Rumlungerverliebt etwas von Angesicht zu Angesicht singt.


 


Samstag, 12. Juli 2014


Laßt die Bären los!

Bedenklich, aber wahr: Dieses Jahr war ich in Wien gar nicht bei den toten Tieren. Dafür bei noch lebenden, was ein völlig anderes Erleben war. Man kommt gar nicht wirklich hinterher vor lauter Gewackel und Gerenne, Versteckspiel und Rückenzuwenderei. Die machen das extra, möchte man meinen. Üben sich in lässiger Arroganz, flüchten sich in aufgesetzten Hospitalismus, halten kleine Plakate hoch, auf denen steht: Laßt uns bloß in Ruhe!



Denn nicht alle Tiere sind gleich und nicht jedes möchte gleich gerettet werden. Gerade über Tiere im Zoo sind viele Vorurteile im Umlauf. Längst nicht jeder Ameisenbär hat ein Konzept von "Freiheit" und würde sich schön bedanken, gingen plötzlich alle Gatter auf, und der wirklich sehr schnelle Gepard preschte unvermittelt wie ein Kampfradler unbeleuchtet aus dem Gebüsch. Oder die immer etwas überhysterischen Erdmännchen, von Natur aus kurz vorm Herzklabastern und für Unruhe und Neststörerei nur schwer zu begeistern. Andere (ich will keine Tiernamen nennen) liegen sowieso lieber faul gemütlich im Heu eingemuckelt vor der weit zum Freigehege geöffneten Türe in ihrem Unterschlupf und warten wie ein Fensterbrettrentner auf die Stunde, da der Pfleger mit dem Futter kommt.



Im Tiergarten Schönbrunn gibt es all das zu entdecken, zu beobachten und wenn man will auch bloßzustellen. Im Caféhaus im Zentrum der Anlage konnten früher Kaisers sitzen und frühstücken und dabei Laufvögel und Großkatzen beobachten, während sie Gebäckstücke in übergroße Kaffeetassen tunkten. Heute könnte man sich im wie eine brasilianische Fußballweltmeisterschaftssportstätte überwarm beheizten Tropenhaus bis auf die Socken vielleicht ausziehen und mit bunten Faltern Samba oder Lindy Hop tanzen. Winterfell oder Überjacken abwerfen und mit exotischen Tieren hitzige Gespräche führen. Und wem zuguterletzt wie nach drei Tagen in der Eistonne ist, kann den Eisbären beim Tauchen zuschauen.



"Die Menschen sind schlecht" singen Kreisky. Deshalb wären vielleicht auch die nervigeren unter den Besuchern besser selbst in Gehegen aufgehoben. In-den-Weg-Stolperer, Tier!-Tier!-Tier!-Kreischer oder Teenies, die mit Mobiltelefongeräten in Tierunterbringungen blitzen, an denen Schilder angebracht sind, auf denen deutlich steht: "Bitte nicht blitzen". Denen könnte man freundlich die Braunbären an die Leine geben. Es wäre ein gemütliches Flanieren dann unterm schwarzen Sonnenschirm mit einer dunklen Kaiserin am Arm. Langsam, bedächtig und bemüht, den Tieren ein klitzekleines Stück ihrer Würde abzuschauen.

>>> Geräusch des Tages: Gustav, Rettet die Wale