Mütter aller Dinge




Während man hinter meinem Rücken mit plumpen Knüppeln hantiert, greife ich lieber zur feinen Klinge und öffne die dem deutschen Zoll aus den Händen gerungenen Pakete. Erbauungslektüre für die nun nach dem Ende des Sommers bald anstehenden trüben, regnerischen Abende. Das Mütter-Museum in Philadelphia hat einen hübschen Bildband mit medizinhistorischen Fotos herausgebracht, ein Stimmungsaufheller für die intimere Runde, wenn man mit Ah und Oh den nur geflüsterten Dingen auf den Grund gehen will, für die es keine Wörter gibt. Erstaunliche Krankheiten, noch erstaunlichere Deformationen in liebevoll restaurierten Bildern, die einen Eindruck geben von den Wehen und Mühen früherer Zeiten und den heutigen, die wir nur einfach nicht wahrhaben wollen.

Auf zehn Bände angelegt ist die Werkausgabe der Erinnerungen Jean-Henri Fabres, die 2015 fertig sein soll, also schneller als ich es lesen kann. Was für ein Leben. Mit der Familie in Südfrankreich wohnen, steinalt werden und den ganzen Tag Käfer und Grabwespen beobachten. Zwischendurch ein wenig dichten, nach dem Tod der Frau die Haushälterin ehelichen und immer guten Kuchen und schweigsame Tiere im Haus haben. Die Kerbtierwelt mit feinsinnigen, poetischen Beobachtungen einer breiteren Öffentlichkeit bekanntmachen und abends auf dem Harmonium frivole Lieder und lustige Weisen zur Unterhaltung der Gäste anschlagen. Hier ein paar Links zu Hörbüchern (auf Englisch) und Fotos, auf denen man sieht, daß der gute Jean-Henri stets adrett gekleidet seinen Sechsbeinerstudien nachging, und nicht wie ihr schlunzig im Büro rumsaß.

Der Link stammt aus dem Blog Splendour Awaits von Adrian Thysse, der mit einer Menge bunter Makrofotografien von Insekten auftrumpft.

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Laura Lindgren (Hrsg.) Mütter Museum: Historic Medical Photographs: The College of Physicians of Philadelphia. Blast Books: New York, 2007.

Jean-Henri Fabre. Erinnerungen eines Insektenforschers, Bd. 1. Berlin: Matthes & Seitz, 2010.

Ex Libris | 14:54h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
prieditis - Freitag, 25. Juli 2014, 15:07
Ah, ein hübsches Schnitzmesser haben Sie da!
Ich nehme an, Sie haben bereits eine sichere Hand.
Ansonsten empfiehlt es sich, zunächst die Führung der Klinge an Probanden zu üben. Das kann nämlich sonst zu einer aufwendigen Reinigungsaktion des salle des bains ausarten...

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kid37 - Samstag, 26. Juli 2014, 23:55
Ich könnte zum Sweeney Todd von Hamburg werden! Bathory in the Bathroom.

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kreuzbube - Freitag, 25. Juli 2014, 15:48
Wenn man sich endlich und unumstößlich vergewissern will, welch glamouröses Leben man selbst führt, geht man mal zum Zoll.

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prieditis - Freitag, 25. Juli 2014, 16:05
Das ist der Ort, wo die Zeit stillsteht...

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kid37 - Samstag, 26. Juli 2014, 23:58
Ja, wunderbar. Dieses ritualisierte Prozedere mit Ausstellung von Rechnungen über 2,37 Euro in mehrfacher Ausführung, mit der man dann in ein anderes Stockwerk zur Kasse und zurück zur Ausgabe und dann - nur einige Stempel weiter! - endlich sein Importgut in den Händen hält. (Tolle Geschichten dort aber zu beobachten, wenn am Tresen die Kisten und Kartons inspiziert werden. Interessant, was sich andere Leute so liefern lassen.)

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ana - Freitag, 25. Juli 2014, 15:51
Ach so, frivole Lieder, ich dachte der Insektenforscher hört eher das.
Klick
"...
Zirpt immer, liebe Heimchen
In meiner Klause eng und klein.
Ich duld' euch gern: ihr stört mich nicht
Wann euer Lied das Schweigen bricht
Bin ich nicht ganz allein."
Karl Gottlieb Lappe

Aber der war ja offenbar so schlau sich zu verheiraten und wieder zu verheiraten.

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kid37 - Samstag, 26. Juli 2014, 23:58
So war immer Kuchen im Haus!

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frau eff - Freitag, 25. Juli 2014, 19:54
Erst gestern Abend wurde ein befreundeter Herr nicht müde, mir die Insektenforschung im Besonderen (und Herrn Jünger im Allgemeinen), sowie das Bügeln von T-Shirts ans Herz zu legen. Jetzt Sie und französische Käfer und adrett gekleidet. Nun.

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kid37 - Sonntag, 27. Juli 2014, 00:00
Der Herr ist mit Recht! Ich stelle mir gerade vor, wie die Reaktionen ausgesehen hätten, wäre ich gestern mit ungebügeltem T-Shirt zum Rock & Wrestling gegangen. Man hätte mir die drei Flaschen Bier, mit denen ich später meinen noch aus vielfacher Perspektive zu beleuchtenden Stunt absolviert habe, gar nicht erst ausgeschenkt.

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